22 Und er ging durch Städte und Dörfer und lehrte und nahm seinen Weg nach Jerusalem.
23 Es sprach aber einer zu ihm: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Er aber sprach zu ihnen:
24 Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können.
25 Wenn der Hausherr aufgestanden ist und die Tür verschlossen hat, und ihr anfangt, draußen zu stehen und an die Tür zu klopfen und zu sagen: Herr, tu uns auf!, dann wird er antworten und zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her?
26 Dann werdet ihr anfangen zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unsern Straßen hast du gelehrt.
27 Und er wird zu euch sagen: Ich kenne euch nicht; wo seid ihr her? Weicht alle von mir, ihr Übeltäter!
Liebe Gemeinde!
Ich bin ein lebensoffener Mensch. Ich esse und trinke gern, nehme mir Zeit für die angenehmen Momente und zum Genießen. Ich mache mich breit im Leben - in freundlicher Beziehung zu anderen, versteht sich. Enge Durchgänge, in denen man stecken bleiben kann oder sich erst klein machen muss um weiterzukommen, sind mir aus Prinzip zuwider. Sie erinnern mich an die verbissenen Münder von Menschen, die sich nicht zu sagen trauen, was in ihnen vorgeht, doch deren abweisende Blicke eine eigene Sprache sprechen. Nicht gerade der Zungenschlag des Evangeliums, würde ich meinen.
Doch im Hinblick auf die verheißene Seligkeit redet plötzlich auch Jesus von einer „engen Pforte“, um deren Passierung man „ringen“ muss – womöglich in Konkurrenz zu all den anderen, die hindurch wollen? - und von einem misstrauischen Hausherrn, der geneigt ist, einem die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Dabei dachte ich immer, die Tore zu Gottes Gegenwart seien weit geöffnet – wie seine Arme und vor allem sein Herz!?
Habe ich mich in Blick auf das Wesen Gottes geirrt? Muss ich umdenken, dem freien Leben abschwören, um diesem Gott zu gefallen? Muss ich den Gürtel enger, die Stirn faltiger und die Mundwinkel tiefer ziehen, um zu jenen zu gehören, die in seiner Nähe willkommen sind?
Was ist überhaupt mit „selig werden“ gemeint? Das ewige Leben?
„...Es sprach aber einer zu ihm: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden? Er aber sprach zu ihnen: Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht; denn viele, das sage ich euch, werden danach trachten, wie sie hineinkommen, und werden's nicht können...“
Tatsächlich ist hier die Rede von einer letztendlichen Auswahl. Wenn´s drauf ankommt, kommen nicht alle an!
Dabei orientiert sich Jesu endzeitliches Bild von der engen Pforte an den Wehranlagen befestigter Städte, wie es sie früher überall gab. Wenn am Abend die großen Stadttore geschlossen wurden, blieb für die Nachzügler, jene, die sich draußen verspätet hatten, nur noch ein kleiner Durchschlupf übrig, der mit einer bewachten Pforte gesichert war. Um dort eingelassen zu werden, musste man dem Wächter, der wahrscheinlich tatsächlich durch eine Schießscharte blickte, bekannt sein oder ihn auf andere Weise vom Recht und Nutzen seines Eingelassenwerdens in die geschlossene Gesellschaft der Festungsgemeinschaft überzeugen. Keine leichte Sache. Gesichtskontrolle. Gesinnungsprüfung!
In unseren heutigen Städten erleben so etwas nur noch jene Nachtschwärmer, die zu später Stunde Einlass in eine angesagte Diskothek oder einen verheißungsvollen Nachtclub begehren. Ausgerechnet! Sollte es so etwa auch bei Gott zugehen? Womöglich mit dem Erzengel Michael als bizepsprotzendem Türsteher – „Eintritt nur für Clubmitglieder!“?
Wer ist überhaupt gemeint mit jenem Hausherrn in Jesu Gleichnis, der nachts extra noch mal aufsteht, um die Tür eigenhändig zu verschließen. Wirklich Gott? – Ich habe da so meine Zweifel. Denn die Szenerie, welche Jesus hier entwirft, scheint eher ein Gleichnis zu sein für das „Weltgebäude“ und die Gesetze des Daseins, die darin gelten.
Aber wie auch immer, der Tenor dieses Appells ist eindeutig: Wo es um die Seligkeit geht, also um einen Zustand höchstmöglicher Erfüllung und Vollkommenheit, ist Anstrengung gefordert. Jesus spricht da, wie gesagt, vom „Ringen“ um Einlass. Und nicht jeder schafft das, denn allein dadurch, dass man sich mitreißen lässt vom allgemeinen Strom der Straße, ist es nicht getan. Eigeninitiative ist gefragt. Man muss das wirklich wollen, sich aktiv entscheiden und in diesem Sinne klar Position beziehen. So etwas ist immer unbequem, denn gegebenenfalls ist damit die Notwendigkeit verbunden, jene im Alltag lieb gewonnen festen Standpunkte abseits gefährlicher Auseinandersetzungen aufzugeben – mit vollem Risiko. Denn die bringen einen – buchstäblich - nicht weiter voran.
Umdenken und gegebenenfalls Umlenken lautet die Devise. Jene meist sanften Wege verlassen, auf denen man viel zu lange - im Grunde ziellos - unterwegs gewesen oder einfach mitgegangen war - gedankenlos, aus Trägheit oder Furcht – und die sich in Blick auf das Ziel echter Erfüllung als „Holzwege“ entpuppt haben.
Ums Umdenken und Umlenken dreht sich auch das alte deutsche Wort „Buße“. Heute ist Buß- und Bettag. Buße bedeutet: Einsicht mit Folgen!
Ein kleines Wort für ein großes Programm: „Buße tun“ verlangt, dass ein Mensch sich selbst kritisch ins Visier nimmt. Dass er offen bekennt, was ihm im Leben wichtig ist und nüchtern erkennt was er de facto daraus gemacht hat, um sodann aus seinen Fehlern zu lernen, die richtigen Konsequenzen zu ziehen und es künftig besser zu machen als bisher. Kurz: Buße heißt Ringen mit sich selbst! Sich überwinden und neu ausrichten. Die eigene Seele kalibrieren.
Wenn Jesus in unserem Text rät: „ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht...“, dann ist das wohl in diesem Sinne zu verstehen: Macht euch klar, was für euch wirklich wichtig ist und unterzieht vor diesem Hintergrund eure bisherige Lebensführung einer kritischen Prüfung. Sodann aber zeigt Einsatz, überwindet, was euch so lange im Wege stand – allem voran euch selbst – und handelt!
„Es sprach aber einer zu ihm: Herr, meinst du, dass nur wenige selig werden?“ Liebe Gemeinde, in der Frage dieses Unbekannten mochte Jesus mehr gespürt haben als die oberflächliche Neugier eines im Grunde teilnahmslosen Passanten: Echtes Interesse, aufrichtige Suche, sicher auch ängstliche Sorge um die Zukunft, aber vor allem Entschlossenheit. Der wollte es wirklich wissen und keine Zeit mehr verlieren. Beste Voraussetzungen also für eine „Buße mit Biss“, die zur Entwicklung befreit und Veränderungen – das Neue - nicht nur zulässt, sondern freudig begrüßt. Außerdem sprach dieser Mensch aus, was auch viele der anderen bewegte. Ihm - ihnen allen, die in Bewegung geraten waren - rief Jesus nun zu: „Ringt darum, dass ihr durch die enge Pforte hineingeht...“ Weicht jetzt nicht zurück, verliert keine Zeit, denn schon morgen kann es für euch zu spät sein!
„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ hatte einst (sinngemäß) der russische Präsident Gorbatschow in Richtung der kalkstarren Politköpfe des DDR-Regimes ausgerufen und damit eine Art Naturgesetz formuliert: Wer nicht wahrhaben will, was die Stunde schlägt, dem hat die seine schon geschlagen. Denn Leben heißt Veränderung. Sich entwickeln. Wer jedoch die Zeit nicht nutzt, die ihm bleibt, kann selbst nicht bleiben...
Bei Jesus klingt das so: „Wenn ... ihr (dann) anfangt, ... an die Tür zu klopfen und ... zu sagen: Wir haben vor dir gegessen und getrunken, und auf unsern Straßen hast du gelehrt ... wird (er) zu euch sagen: Ich kenne euch nicht...!“ – Jesus ruft es in unsere Richtung...
Doch er tut dies nicht, um uns zu verunsichern oder gar zu verurteilen, sondern um uns aufzurütteln. Ich bin überzeugt, dass es nicht in Gottes Natur liegt, die Unentschlossenen und Ängstlichen, all jene, die sich zu einer ehrlichen Auseinandersetzung mit dem Leben buchstäblich „nicht durchringen“ können, brutal zurückzuweisen – im Gegenteil: Gottes Herz bleibt für alle offen -, sondern in der Natur des Daseins auf dieser Welt. Unseres Daseins, das nutz- und ziellos im Leerlauf dahintuckern wird bis uns der Sprit ausgeht, wenn wir uns nicht endlich ein Herz fassen, einkuppeln und Gas geben, um, hinterm eigenen Steuer, Menschen und Menschlichkeit in dieser Welt ein gutes Stück voran zu bringen. - Umdenken und Umlenken!
Sicher, nicht jeder bekommt noch rechtzeitig „die Kurve“ dazu - „...viele“, sagt Jesus, „...werden's nicht können...“ (Zukunft „nur für Clubmitglieder“!) - aber jeder, der am Ende auf der Strecke bleibt, ist für Gott einer zuviel! Wer zu spät kommt, den bestraft – nein, nicht Gott, sondern - das Leben!
Vor solcher „Strafe“ will Jesus uns bewahren, indem er uns auffordert, endlich ernst mit Besinnung und Buße zu machen. Seine drastischen Worte über jene Nachtschwärmer, die sich so peinlich verspätet haben und jetzt an der Pforte drängeln, sind nämlich nicht bloß als Drohung gemeint. Im Kern bergen sie vielmehr eine Verheißung: „Ihr könnt es noch schaffen“, lautet diese. „Noch ist Platz im Haus des Herrn und ein Schlupfloch offen für jene, die mutig und flexibel genug sind, sich auf das zu besinnen, wozu alle berufen sind!“
Indes sind Genussfeindlichkeit oder ein Verzicht auf Lebensfreude kein Beweis der Rechtschaffenheit im Sinne dieser Berufung. So wenig wie irrationaler Selbsthass und tränenreiche Erniedrigungsrituale. (Von wegen „sich klein machen“, um weiter zu kommen...) Im Gegenteil: Echte Buße braucht freie Menschen mit klaren Köpfen. Solche, die mutig zu ihren Schwächen stehen, die nicht leugnen, was in ihrem Leben falsch läuft – keine Ausflüchte mehr! – und Größe zeigen, wenn es mal wieder eng wird an der „Pforte zum Glück“.
Jene Buße, wie sie uns Jesus ans Herz legt, ist ein Akt nüchterner Vernunft und mutiger Entschlossenheit. Wer sie nicht scheut, kann mit offenem Blick nach vorn sehen (nicht wie durch Schießscharten!) und beherzt in Angriff nehmen, was nun zu tun ist.
Anlass dazu haben wir wohl alle. Denn – seien wir mal ehrlich - oft ist uns ja längst bekannt, wie die fällige „Lebenskorrektur“ aussehen müsste, was ich tun müsste, um die eingefahrenen Geleise zu verlassen und mit den alten Fehlern aufzuräumen. Bloß konnte ich mich bisher noch nicht dazu durchringen. Stattdessen hatte ich stets eine ganze Reihe von Erklärungen und Ausreden parat... - Die alltägliche Heuchelei des Verstandes vor dem (schlechten) Gewissen!
Da weiß z.B. einer seit langem, dass er gesünder leben sollte und weniger rauchen, regelmäßig zur Vorsorge gehen usw., aber bisher hatte er immer „gute“ Gründe, das schlechte Gewissen zu ignorieren und weiter zu machen wie bisher. Bis der Befund kam. Und dann war es zu spät...
Da ist eine Familie, Eltern und Kinder, die seit Jahren nicht mehr offen miteinander reden. Unausgesprochene Vorwürfe, Missverständnisse und tief sitzende Kränkungen machen den Kontakt schwer. Dabei wäre eine Aussprache, der erste Schritt zur Versöhnung, dringend geboten, denn alle leiden unter der Situation. Aber den „richtigen Zeitpunkt“ dafür haben sie nie gefunden. Und den Mut auch nicht. Bis der Vater starb... – Zu spät!
Da sind wir alle, die wir um den Zustand dieser Welt wissen, um die hemmungslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Dienst einer zweifelhaften Wachstumsideologie, um Klimaerwärmung und den Handel mit Emissionspapieren, um den Hunger in der Welt und Spekulationsgeschäfte mit Lebensmitteln und und und... Wir wissen das alles, ahnen oft auch, was zu tun nötig wäre und lassen es trotzdem bleiben. Stattdessen lassen wir uns immer wieder abspeisen mit den halbherzigen Absichtserklärungen und folgenlosen Kompromissen vermeintlich machtvoller Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft. Weil es schwer ist, sich aufzuraffen und selber den Anfang zu machen. Weil es Angst macht, im allgemeinen Strom innezuhalten, um den Kopf zu erheben und Mut, der Masse genormter Meinungen ein eigenständiges Urteil entgegenzuhalten. Weil Schweigen allemal bequemer ist als anderen unbequem zu werden...!
Aber genau das verlangt Gott von uns - im Namen des Lebens! Denn wirkliches Leben – Leben mit Gott, jenseits der Enge - kann langfristig nur gelingen, wo Menschen sich beizeiten aufmachen, um die Herausforderungen des Daseins anzunehmen. Wo sie klar Position beziehen und mit vollem Einsatz darum ringen, dass sich etwas ändert. Dass es besser wird für sie selbst und für andere.
Hat jemand behauptet, dass das Leben einfach ist? ...
Liebe Gemeinde,
es ist wahrhaftig ein enger Durchgang, den einer auf dem Weg der Läuterung passieren muss. Denn wo es ums wahre Leben geht – biblisch gesprochen: um die Erlangung der „Seligkeit“ - ist buchstäblich kein Platz mehr für Ausflüchte und emotionale Eiertänze. Aber diese „Engführung“ lässt nun keine Assoziationen mehr an menschliche Verbissenheit und ablehnende Blicke aufkommen. Ich verstehe sie als Ausdruck jener Konzentration auf das Wesentliche, wie sie für den gelingenden Vollzug unseres Lebens miteinander und vor Gott wünschenswert ist. Absolute Ehrlichkeit uns selbst gegenüber und konsequente Verantwortung für unser Tun... - so lautet heute meine Deutung jenes Bildes von der engen Pforte, die man nur ringend überwinden kann. Das ist, wie gesagt, recht mühsam und nicht ohne Risiko. Beinahe wie eine Geburt. Aber die Anstrengung lohnt sich, denn es ist der einzige Weg um Erfüllung und Frieden – um, wie bei einer Geburt, neues Leben – zur Welt zu bringen. Und genau das ist unsere Berufung. Dazu sind wir erwählt. Willkommen im Club!
AMEN