"Es bleibt nicht kalt - Heilig Abend", Predigt zu Jesaja 9, 1-.6 von Henning Kiene
9,1
Liebe Gemeinde,
abends, vor kalten Winternächten, wickelte unsere Großmutter, kurz bevor sie zu Bett ging, ein Brikett fest in Zeitungspapier ein. Das legte sie in den Ofen, der schon seit einer Stunde langsam ausbrannte, oben auf die Glut. Am nächsten Morgen war es überall eiskalt. Der Ofen gerade noch handwarm. Bevor irgendwas anderes begonnen wurde, öffnete unsere Großmutter die Ofentür. Die Zeitung war zur Asche verglüht. Wie eine schwarze Blütenknospe in sich verglüht, bildete sie merkwürdige Formen. In der Asche lag, wie in einen schützenden Kokon, ein Rest der Glut vom Abend. Die Asche hatte die Glut durch die Nacht hindurch bewahrt.
Dunkelrot lag ein letztes Stück des Briketts glühend im Ofen. Sie stupste die Asche beiseite und entzündete an der Glut ein neues Feuer. Nach kurzer Zeit prasselte es im Ofen, dann glühten neue Briketts. Es wurde warm und der Tag konnte beginnen.
Heute geht es vielen von uns, wenn die Worte aus der Bibel erklingen und die Lieder angestimmt werden, ähnlich. Dann stupst und schiebt das, was heute an unsere Ohren dringt und zu Herzen gehen will, die Asche, die nicht mehr wärmen kann, bei Seite. Die Glut muss freigelegt werden, damit an ihr ein neues Feuer entfacht wird.
Ich will nur kurz über die Asche sprechen. Wir alle hier wissen über die Asche unseres eigenen Lebens viel mehr als jeder andere Mensch über uns weiß. Das Gewissen ist ein scharfer Richter. Die Dinge, die einem nicht gelingen wollten, verglühen zu Asche. Die gute Gelegenheit, die man selber ungenutzt vorüber gehen lässt, kühlt in Bruchteilen von Sekunden aus. Das ist Asche, daran lässt sich kein Feuer entfachen. Asche, für viele gehört die Routine dazu, die Arbeit die man tut, das Leben, das man lebt, „immer der selbe Film“, sagt jemand, „alles immer wieder, ermüdend, immer und immer … .“ Erschöpfung macht sich breit. Es gibt Menschen, denen wird – in einem übertragenen Sinne – im Leben nicht mehr warm. Sie verzehren sich in Dauerschleifen, wie in einem falsch geschnittenen Film ziehen immer dieselben Bilder vor ihnen auf. Da ist eine Dauerkrise, wie eine Eurokrise, nur es ist die Seele, die das erleidet. Die Bilder zeigen keine Fiktion. Es ist Alltag, es ist das Leben, das erkaltet.
Über die Glut und über die Hitze, lasst uns heute sprechen. Mit den Texten und den Liedern der Adventszeit hat es begonnen, nun kommt an diesem Heiligen Abend das Fest, seit fast fünf Adventswochen wird die kalte Asche bei Seite geschoben. Tatsächlich, unter den Schichten verglimmter Reste liegt ein Kern dunkelroter Glut. An diesem Satz, den die Hirten auf den Feldern von Bethlehem hören, flackert etwas auf: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude.“ Wer nimmt solche Worte in den Mund? So spricht Gott, und jede und jeder von uns hat die Gelegenheit, solche Worte mit dem eigenen Leben nachzusprechen. Wer erlebt, dass dieser Satz wirklich wahr ist? Sie und ich, wir spüren heute etwas von dieser Wärme.
Asche bleibt vergleichsweise kalt. Da sprach ein Jahresrückblick über die letzten Monate und kam zu dem Ergebnis, wir leben in dem „Panikjahr 2011“. Das klingt ernüchternd, fast verzweifelt fiel auch der Rückblick dann aus. Kalte Asche wird durchwühlt, keine Glut lässt sich finden. An den Worten dieses heutigen Abends wird es warm. Sätze aus der Bibel sind immer so etwas wie Holzscheite. Da glüht eine Sehnsucht in mir, die ahnt, das Jahr 2011 war kein Panikjahr. Sehnsucht traut nicht der Asche. Holzscheite braucht es, aus denen sich Feuer entfachen lässt. Hören Sie noch einmal, was ich gelesen habe, vorhin am Beginn des Gottesdienstes, hören sie nur diese Worte: „jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt“, da stockt einem der Atem. Das ist tatsächlich möglich! Kein Panikjahr sondern ein Heilwerden des Lebens. Da wirkt eine Energie, die sich von allem unterscheidet, was für immer kalt bleiben wird. Es gibt eine Kraft, die sich von aller Routine, von der tiefen Erschöpfung, die einen belastet, deutlich unterscheidet.
„Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen“. Spüren Sie, wie es leichter um die Seele wird, wenn Sie diese Worte einen Moment in sich nachklingen lassen. Denn da wird nicht die Geschichte der Last, oder der Schuld, die auf dem Menschen lastet, fortgeschrieben und kalte Asche durch die Nacht getragen. Spätestens wenn ich die Namen in Erinnerung rufe, die mit Jesus Christus und seinem Leben verbunden werden, wird es mir leichter um die Seele, „Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst“. Was Weihnachten will, ist nun im Blick. So wird es sein, nicht eiskalt, sondern von Gott durchwärmt. Die Bibel spricht im Futur. Die Bibel spricht in Sätzen in der Zukunftsform. Sie zeichnet Bilder von dem, wie es sein wird. Diese Bilder, die die Bibel schafft, zeigt sie aber in der Gegenwart. Weihnachten ist heute. Gott verschiebt die Zukunft nicht auf einen Sankt Nimmerleinstag, er schiebt sie ins Heute. Zukunft beginnt grundsätzlich immer jetzt. Das ist Gegenwart: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht“.
Solche Worte begleitet von den Liedern und der Stimmung dieser Tage, gemischt mit den vielen Erinnerungen an alte Feste, sorgen dafür, dass es heute warm wird. In einer Welt, die sich selber häufig in Untergangs- und Panikszenerien verliert, wirkt eine Gegenkraft. Wer will, lädt sein Leben heute neu von Gott mit Kraft auf. Dann wird der Blick auf unsere Zeit nicht von der Panik und der Erschöpfung, die nach der Seele greift, bestimmt. Es wird warm um das Herz. Denken Sie nur an die Hilfe, die für hundertausende Flüchtlinge in Ostafrika das Überleben sichert, davon sollten wir nicht schweigen. Von diesen neu, für hungernde Kinder entwickelten, Proteinkeksen sollte man heute wieder berichten. Wer sich an Gottes Wort die Hände wärmt, spürt, dass sich die Bereitschaft, nicht nur für sich selbst zu sorgen, aus einer anderen Quelle speist. Nicht in der kalten Asche lustlos herumstochern, ist das Motto, sondern nach der Glut zu suchen, ist Heilig Abend.
Man muss nicht in die Ferne gehen, Glut ist nah. Die meisten von uns könnten von ihrer eigenen Sehnsucht sprechen. Tief im Herzen, da glimmt es, verborgen, aber voller Kraft. Wir sind nicht so geübt, über unsere persönliche Sehnsucht zu sprechen. Ein Brauch, uns gegenseitig unsere Sehnsuchtsbilder zu zeigen, hat sich nie ausgeprägt, auch von unserer Hoffnung sprechen wir selten. Diese Geschichte von Weihnachten entfacht aus meiner Sehnsucht aber ein wahres Feuer und aus meiner Hoffnung macht es einen Hochofen. Ich sehe das Kind, spüre die Wärme, die von ihm ausgeht, merke wieder, dass hier ein Wunder geschieht, das die Grenzen des Fassbaren weit überschreitet. Unter all dem, was schief geht, was falsch gemacht worden ist, unter unserer Schuld glimmt ein Rest der alten Glut. Es geht um die Wärme, die zum Überleben nötig ist. Lange vor Jesu Geburt hatte einer in der Bibel gesagt: „uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter“. Mehr war nicht zu erwarten, weniger müssen wir nicht feiern.
Asche ansehen und durch die Welt zu tragen ist traurige Routine. Dem Glutkern, aus dem sich neu Wärme entfachen lässt, nachzuspüren, ist allzu selten. Sehnsucht aber glüht unter der Asche, an ihr lässt sich ein Feuer entzünden. Bevor das Fest wirklich beginnt, stupsen wir die Asche beiseite, die wird sowieso für immer kalt bleiben, aber das, was von Gott gesagt wird, heizt uns ein, denn: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.“
 
Perikope
24.12.2011
9,1