Es kommt ein Schiff geladen. Advent mitten im Sommer - Predigt zu Lukas 5,1-11 von Maximilian Heßlein
5,1-11

Es kommt ein Schiff geladen. Advent mitten im Sommer - Predigt zu Lukas 5,1-11 von Maximilian Heßlein

Es kommt ein Schiff geladen. Advent mitten im Sommer

Liebe Gemeinde,

„Es kommt ein Schiff geladen bis an sein höchsten Bord. Trägt Gottes Sohn voll Gnaden des Vaters ewigs Wort.“ Wenn wir dieses Lied heute gemeinsam sängen, liebe Gemeinde, was würden Sie wohl sagen?
Was ist denn heute los? Haben wir etwa Advent mitten im Sommer? Ankunft des Herrn? Jetzt und hier? Weihnachten vor der Tür?
Nein, Adventszeit haben wir nicht im Kirchenjahr.
Genau den ersten Vers aber dieses wunderschönen alten Liedes finde ich in der Geschichte wieder, die Lukas uns heute erzählt. Advent mitten im Sommer. Ankunft des Herrn.

Die Menschen bedrängen Jesus: Erzähle uns. Wir wollen das Wort Gottes hören. Der Platz ist eng. Jesus muss ausweichen.
Da sieht er die Fischer. Nach getaner Arbeit waschen sie am frühen Morgen ihre Netze im Wasser des Sees aus. Eine mühevolle, beschwerliche Nacht ist das gewesen. Und, das erfahren wir von Simon später, diese Arbeit ist ohne Ertrag geblieben.
Abgerackert, abgekämpft, müde und enttäuscht stehen und knien die Männer am Ufer des Sees und säubern ihre Netze. Einer von ihnen ist Simon. Zu ihm geht Jesus an Bord und lässt sich ein kleines Stück auf das Wasser hinausfahren.
Nun kommt ein Schiff geladen. Geladen mit dem Wort Gottes, Mensch geworden in Jesus, begleitet von einer müden Schar.
Doch was ist denn das für ein Wasser, auf das dieses Boot hinaus fährt?
Für uns Christen ist Wasser untrennbar von Jesus her mit der Taufe verbunden. Ein Zeichen des Heils, das in Gestalt des Herrn zu uns gekommen ist. Heilsames Wasser.
Aber wenn ich in diese Geschichte weiter hineingehe, dann finde ich ein anderes Wasser, auf das dieses Boot hinausfährt. Es ist dunkel, abgründig und tief wie ein See bei einem  heraufziehenden Gewittersturm.
Sie kennen die Wasser, über die Gottes Geist zu Beginn der Urgeschichte schwebt, als die Erde noch wüst und leer ist. Das große Durcheinander, Verwirrung liegt noch auf der Erde. Es ist ein Tohuwabohu. Unbeschreibliche Unordnung. Unsägliches Chaos.
Und die Geschichte von der Sintflut. „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf“, spricht der Herr. Im Zorn darüber schickt Gott die Sintflut auf die Erde. Das kennen sie auch. Die Erde, Gottes Schöpfung, wird verschlungen von diesen Wassern aus dem Himmel.
Sie erinnern sich sicher auch an den letzten Gewittersturm, der über unsere Stadt hinweggefegt ist. Da war der Weltuntergang wirklich nah. Die plötzliche Finsternis. Der Wind. Die Unmengen von Wasser, die aus den Schleusen des Himmels auf uns herabfielen. Von der chaotischen Urgewalt, die dem Wasser zu eigen ist, lernen wir immer wieder aufs Neue.
Gott jedenfalls lässt dem Chaos und der Unordnung in der Sintflut wieder freien Lauf. Es scheint geradezu, als wolle er die Schöpfung zurückdrehen. „Es reute ihn, dass er die Menschen gemacht hatte“, sagt die Schrift. Nur ein Boot, Noahs Arche, bietet Überleben und lässt Zuflucht finden vor der Gefährdung des Lebens.
Können wir das nicht auch erleben in arbeitsreicher und druckvoller Zeit? Chaos und Bedrohung, die Möglichkeit von diesem Druck und den Ansprüchen des Lebens und der Welt verschlungen, vertilgt zu werden?
Am Ende des Schuljahrs lerne ich etwas von dem Stress und dem Druck, der schon in manchem jungen Leben liegt.
Der Kampf um gute Ausgangspositionen für dieses Leben nämlich, der fängt immer deutlicher und immer klarer schon in der Schule an. Viele Schülerinnen und Schüler, auch ihre Lehrer können Ihnen sicher einiges davon berichten. Klassenarbeiten und Tests stehen an. Noten werden gemacht. Zeugnisse werden geschrieben. Leistung wird eingefordert und bewertet. Immer wieder. Schon in den ersten Klassen einer Schulkarriere werden die Grundsteine für Erfolg oder Misserfolg gelegt. Die Frage des sozialen Aufstiegs oder Abstiegs ist vielfach eine Frage der Grundschule geworden. Sie betrifft Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren. Und es wird hart darum gefochten.
Aus der Schule entlassen, ändert sich die Situation im Arbeitsleben zumeist nicht mehr. Die Konkurrenz untereinander bleibt enorm. Das betrifft alle Berufe gleich in welchem Bildungsstand.
Bilanzen und Gewinnerwartungen, Profite oder Verluste. Die Arbeit wird immer effizienter ausgerichtet.
Wer unter diesem Druck nicht genug arbeitet, wer krank wird und einknickt, hat schlechte Karten. Die Umstände der Arbeit können einem das tägliche Leben sehr schwer machen. Kommt es nicht hier manchmal gar zu einem Kampf ums Überleben? Und spielt der sich nicht heute schon mitten in Kollegien und Belegschaften ab? Ein Freund hat mir neulich erzählt, wie das ist, wenn verschiedene Abteilungen der gleichen Firma aufeinander gehetzt werden, sich gegenseitig zu unterbieten und auszustechen.
Das Leben gerät in Chaos und Unordnung. Die Schleusen des Himmels scheinen weit geöffnet zu sein. Ja, die Sintflut bricht ein.

Auf diesem Wasser des Chaos und der Bedrohung, der Vernichtung, auf diesem Wasser nun fährt Jesus ein kleines Stück hinaus. Er gibt sich dort hinein. Des Vaters ewigs Wort, getragen durch ein kleines Fischerboot.
„Er lehrt die Menge vom Boot aus“, heißt es da bei Lukas ganz einfach. Anbruch des Lichts. Das Wort Gottes liegt über den Wassern.
Doch was lehrt Jesus die Menschen denn? Lukas berichtet doch gar nichts davon. Hören wir, was der Evangelist weiter erzählt!
„Fahr weiter auf den See hinaus“, fordert Jesus den Simon auf. „Dorthin, wo es die tiefsten Stellen gibt. Fahr hinaus und wirf aus.“
Und, Simon fährt hinaus. Was muss Jesus, dieser Mann aus Nazareth, was muss dieser Prediger gesagt haben, dass Simon bereit ist, sich noch am gleichen Tag erneut der harten Arbeit auszusetzen?
Ich glaube, er hat den Lichtfunken gespürt. Vertrauen wächst zu dem Mann und seinem Wort.
Also, Simon fährt mit seinen Gefährten in die Mitte des Sees. Am helllichten Tag. Gegen jede Erfahrung. „Auf dein Wort hin!“, sagt er. Er fährt.
Nun trägt das Boot das Wort Gottes noch weiter, mitten hinein in die Abgründe des Lebens, unseres Lebens, meines Lebens. Mitten hinein Jesus. Er setzt sich diesem Leben aus. Dort, wo die Tiefe am tiefsten, am geheimnisvollsten und abgründigsten ist. Dorthin kommt der Heiland in seinem Boot. Kommt das Wort Gottes.
Sie werfen ihre Netze aus und machen einen reichen Fang. So reich, dass die Netze reißen und eine Bootsbesatzung zu wenig ist, den Fang einzuholen. Die Fischer müssen zusammenarbeiten.

Nebenbei gesagt, liebe Gemeinde, ist das ein Lehrstück darüber, was Menschen leisten können, wenn sie sich zusammentun und miteinander arbeiten. Das gilt im eigenen privaten Leben wie im Zusammenarbeiten großer Institutionen. Es gilt für uns ein Ende zu machen mit Ausbeutung und Bedrückung der Menschen in dieser Welt und um uns herum.
Stellt euch zusammen und packt an, heißt Gottes Aufforderung an Sie und an mich! Das sind Positionen, die in der immer noch weiter zunehmenden Individualisierung der heutigen Gesellschaft wenig populär sind.
Doch die Menschen brauchen einander. Wie das ist, für einander da zu sein, das können wir in der Kirche, in der Gemeinde Jesu erfahren. So wie wir hier heute Morgen.

Zurück aber zu Simon und seinen Gefährten. Der nämlich erkennt im Angesicht des reichen Fangs, den er zu so unmöglicher Tageszeit gemacht hat, mit wem er es in seinem Boot zu tun hat.
Er erkennt den Sohn Gottes.
Er erkennt Christus.
Er erkennt Gott selber.

Erschrecken und Furcht zwingen ihn auf die Knie. Sie gehen ihm durch Mark und Bein.
„Geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.“ Eine ergreifende Szene.
Und, liebe Gemeinde, vielleicht erinnern Sie sich. Das war schon einmal so. Damals, Sie kennen das, als Adam vom Baum der Erkenntnis aß, es aber nicht durfte. Da fürchtete er sich vor dem Herrn, als dieser in der Kühle des Abends im Garten umherging. Verstecken wollte er sich. Adam weiß auf einmal um seinen Stand vor Gott. Adam erkennt in der Gegenwart des Herrn den Abgrund seines Tuns. Sein Vertrauensbruch, sein Misstrauen machen ihn angreifbar. Er hat Gott abgestreift wie alte und löchrige Kleidung. Nichts kann ihn mehr schützen. Das ist seine Furcht. Vor Gott ist er vollkommen nackt.
Genauso ergeht es Simon in unserer Geschichte. Wie Schuppen fällt es ihm von den Augen. Die Gegenwart des Allerheiligsten wird ihm zur Bedrohung. Er, der an dieser Stelle im Evangelium des Lukas den Namen Petrus erhält, er erkennt den Herrn. Und im Blick auf den Herrn erkennt er die Abgründe seines Lebens.
„Vor Gott kann ich nicht genügen.“ Dieses Ungenügen stellt ihn bloß und zieht ihm Gott aus. Seine Müdigkeit, sein erfolgloses Arbeiten, seine Ungeduld, sein Verzagen und Erschrecken. Verlorenes Vertrauen. Das ist es, was in der Bibel Sünde heißt und was Simon nackt vor Gott stehen lässt.
Wie Adam ergeht es ihm, dem schmählichen Übertreter der Gebote Gottes. Simon Petrus ein Mensch wie Adam im getrübten Garten des Paradieses, ein Mensch wie Sie und ich. Die Gegenwart des Herrn macht ihn fürchten.
„Geh weg von mir! Geh weg von mir!“
 
Doch Christus spricht in der Milde und Sanftmut, die nur ihm eigen ist: „Fürchte dich nicht!“ Das ist alles. „Fürchte dich nicht!“ Das ganze Wort Gottes.
Mit diesem Wort richtet er den leuchtenden Bogen der Versöhnung Gottes auf. Er bekleidet in diesem Wort an Simon die Nacktheit Adams und erlöst ihn von seiner Furcht.
Christus macht die Versöhnung offensichtlich. „Fürchte dich nicht, du lieber Mensch“, ruft er mit sanfter Stimme. „Ich weiß um deine Mühen und Plagen, ich weiß um deine Angst und Not. Komm. Komm an meine Hand. Ich halte dich frei von dem, was dich belastet.“
Hier ist die Ankunft des Sohnes Gottes in der Welt wirklich vollzogen. Das Boot trägt ihn. Im Vertrauen auf den Christus, der die Abgründe und Ängste der Menschen, meine Ängste, sieht, sich ihrer annimmt und sie überwindet, erfahre ich die Versöhnung meines Lebens mit Gott. Diese ausstrahlende Ruhe der Liebe Gottes wird erlösen von dem, was an Last und Bedrückung, an Hektik und Leistungsanforderung in diesem Leben ist.
So finde ich in den Booten, die auf den See Genezareth hinaus fahren, ein Bild unserer Kirche wieder, die in einer chaotischen und hektischen Welt ein Pol der Ruhe und der Liebe, des Entspannens und der Stärkung ist.
In dieser Kirche wird unser Leben vor dem Verderben bewahrt. Gezogen aus den allertiefsten Tiefen der Gottesferne hinein in diese Versöhnung Gottes mit den Menschen. In dieser Kirche hören wir den Ruf des Herrn: „Fürchte dich nicht!“
Aus dieser Zusage treten wir in die Nachfolge Christi ein, vertrauen ihm und setzen sein Werk in die Tat um. Sanftmut und Milde sind dabei die wichtigen Dinge, nicht Durchsetzungskraft und Gerissenheit.
Gott will nicht das Erschrecken oder die Furcht, nicht Adams, nicht Simons, nicht Ihre, nicht meine. „Fürchte dich nicht!“ Das ewige Wort Gottes. In ihm liegt das Vertrauen zu Gott begründet, das uns im Heilswasser der Taufe und im Glauben entgegenkommt. „Fürchte dich nicht“, ist seine einfache Botschaft, die im Blick auf das eigene Leben häufig so schwer ist.
 
Die Aufgabe, diese Botschaft des Wortes sichtbar zu machen und in der Welt zur Geltung zu bringen, geht an die Kirche. Und also geht dieser Anspruch an jede einzelne Gemeinde, an jeden von uns, an mich. Gehalten und gedeckt von dem wärmenden, versöhnenden und letztlich also dem erlösenden Zuspruch Gottes im Wort unseres Heilands werden wir frei, an der Welt zu handeln. Der Bogen Gottes, der im Gedenken an Noah in dieser Welt ist, wird weiterhin leuchten über alle Menschen und Länder.
Dazu ziehen die Fischer ihre Boote an Land und folgen dem Herrn nach. Sie treten ein in den Dienst der Nachfolge Jesu. Und sie gehen hinaus, Menschen für diesen Dienst zu gewinnen. Sie vertrauen einem neuen Weg.
Gerne möchte ich mitgehen und lade Sie ein: Gehen wir gemeinsam. Lassen wir es auch mitten im Sommer Advent werden. Hier in unserer Kirche ist die Ankunft des Herrn Gegenwart. Hier kommt das Schiff geladen bis an sein höchsten Bord.
Amen.

Lied EG 8