Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Felsen stehen. (Ex 33,21)
Ein Raum, ein Ort – Offenheit bedeutet das, aber auch Begrenzung, Chancen erkennen und zugleich Widerstände, Anderes achten. Sollten wir das nicht allen Politikern, allen, die leiten und führen, zu Beginn des neuen Jahres wünschen: Ein Gefühl für diesen Zusammenhang, in den Gott den Mose einführt?
II
Dass er, Donald Trump, der Sieger sein würde und nun am kommenden Freitag das Amt des US-Präsidenten antreten wird, hatten nur wenige erwartet. „God’s own country“ – von diesem Mann regiert? Seine Wahlveranstaltungen waren spektakulär und für Europäer kaum erträglich. Er teilte aus gegen das Establishment, die Medien, die Polit-Profis, die Wall Street, und versprach den Vergessenen, den Abgehängten, den „Fremden im eigenen Lande“, dem „white trash“, neue Größe, Stolz und Teilhabe. Wenn man so will: Alles. Wie wunderten sich aber Leute aus meiner Generation, dass jeder so vollmundige Auftritt des Kandidaten mit dem bekannten Song der Rolling Stones endete – vergleichbar dem Schlusslied im Gottesdienst: „You can’t always get what you want“. Du kannst nicht immer bekommen, was du dir wünschst.
III
Der designierte Präsident kennt die Geschichte gewiss: Israel in der Wüste. Auf dem Weg ins gelobte Land. Exodus. Auszug. Gott hatte Mose befohlen, das Volk aus der Knechtschaft zu befreien. Mose führte das Volk mit Gottes Hilfe durch das Schilfmeer und am Berg Sinai schloss Gott seinen Bund mit ihm: „Werdet ihr […] meinen Bund halten, so sollt ihr mein Eigentum sein vor allen Völkern.“ (Ex 19,5). „God’s own people“. Auch das wissen wir: Während Mose von Gott die Gebote empfängt, das Gesetz oder die Verfassung der Freiheit, dehnt sich die Zeit und das Volk beginnt zu „murren“. Es wird unruhig und untreu und sehnt sich zurück nach den „Fleischtöpfen Ägyptens“. Das berühmte goldene Stierbild entsteht und man sagt: „Das ist dein Gott, Israel.“(Ex 32,4). Mose ist bei seiner Rückkehr bestürzt und ahndet das Vergehen mit schlimmsten Vergeltungsmaßnahmen. Aber über der Strafaktion gerät er selbst in eine tiefe Sinnkrise. Von Anfang an war er ja unsicher in dieser Rolle des Anführers, des Gottesmannes und – wie in einem letzten Aufbäumen – geht er nun auf’ s Ganze: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen.“
IV
Die Sinnkrise des Mose, dieser quälende Augenblick, da keiner so richtig weiß, wie es weitergehen soll: Was ist das Ziel dieses ganzen Unternehmens? Welche Wege führen dahin und entsprechen ihm? Was ist das für ein Gott, der uns aus Ägypten rief? Diese Krise ist über das Persönliche hinaus durch und durch politisch: Mose ist ja kein assyrischer Großkönig, er ist kein Tyrann, vom Pöbel an die Macht gebracht. Er wird auch nicht von einer Adelsschicht getragen. Er ist Fremder im eigenen Volk. Er hat Schwierigkeiten mit dem Reden und die Frage nach seiner Autorität, nach der Berechtigung seines Führungsanspruches wird immer wieder akut. „Lass mich deine Herrlichkeit sehen, Gott.“ „Gib mir die innere Gewissheit, dass es richtig ist, was wir tun“, steckt darin. Aber auch: „Gib mir teil an deiner Macht. Gib mir Kraft und Durchsetzungsvermögen.“ Wer Gottes Herrlichkeit, seine kabod sieht, der hat auch daran teil: Sollte er nicht neu, grundsätzlich und ein-für-alle-mal die Kraft empfangen und aufbringen, dieses riskante Unternehmen des Exodus beim Volk durchzusetzen und zu Ende zu bringen? Professionelle Politiker werden diesen Wunsch sofort verstehen.
V
„Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Felsen stehen.“ (Ex 33,21)
Ein Raum eröffnet und begrenzt. Chancen und Möglichkeiten gibt es da, wo Grenzen und Anderes geachtet wird. Ich sagte es: Der, der am Freitag dieser Woche – die Hand auf der Bibel – den Eid auf die Verfassung seines Landes ablegen wird, der im Wahlkampf seinen Anhängern große Versprechen machte: Er werde sie aus dem Exil herausführen und sie in ihr Land zurückholen - eben dieser ließ nach seinen Spektakel-Auftritten den alten Song spielen: „You can’t always get what you want“. „Was war das? Was sollte das?“, fragten die Journalisten. Spaß? Musikalischer Firlefanz? Unterhaltung? Oder war es mehr eine Art (Selbst-)Verwarnung oder Ermahnung, nicht zu viel von ihm zu erwarten beziehungsweise nicht zu viel von sich selbst zu erwarten? War es die bewusst-unbewusste, gewollt-ungewollte Offenlegung der Grenzen eines Mannes, der – so schien es vielen - grenzenlos, schamlos mit den Gefühlen der Menschen spielte, der riechen konnte „was die anderen verbitterte“ (H. Bude). Und mit dieser Fähigkeit viele Stimmen und Seelen für sich einnahm und von ihnen nun an die Macht gewählt wurde, zu Größe und Herrlichkeit. Wie wird er damit umgehen, fragen wir.
VI
Die biblische Geschichte von der Krise des Moses als Politiker, von seinem Wunsch, Gottes Herrlichkeit zu sehen und an Gottes Macht teilzuhaben, weist jedenfalls einen menschenfreundlichen Ausgang aus solchen schwierigen, erhitzten „Alles-Situationen“. Gott, so heißt es, öffnet sich dem Verlangen des Mose. All seine Güte soll er sehen und Gottes Name wird ihm kundgetan (Ex 33,19b). Mose erhält das, was er braucht, um seinen Auftrag erfüllen zu können. Zugleich aber wird ihm der direkte Anblick Gottes, des göttlichen Angesichts, die direkte Teilhabe verwehrt - ihm bleibt „das Entsetzen erspart“ (H. Miskotte). An eben jenem Ort, da Gottes Herrlichkeit an ihm vorüberzieht, wird Gott selbst seine Hand schützend über Mose halten.
Mose sucht Gewissheit, Autorität, Macht – es gibt auch ein politisches Drängen vom Glauben zum Schauen –seht euch die Paläste der Tyrannen an! Und doch ist dieses Schauen gehalten, gesperrt, durchkreuzt. Es gibt eine göttliche kabod, eine Herrlichkeit, die „Himmel und Erde“ segensreich erfüllt (Jes 6,3), die der Mensch aber nur verhüllt ertragen kann. Der Gott, der unserem Blick Schutz und Grenze gibt, der tut das um unseretwillen.
VII
„Lass mich deine Herrlichkeit sehen. (Ex 33,18b). Gott weist diesen Anspruch nicht einfach zurück. Er gibt ihm gebrochen und indirekt nach. Ebenso gewährt er einen Raum der Nachfolge, der seinem Volk, seinem Bundesvolk, auf Dauer, zu aller Zeit, Schritt für Schritt bleibt: „Du darfst hinter mir hersehen.“ (Ex 33,23b) God’s own people. Gott bleibt seinem Volk treu, geht ihm voran und es darf ihm und niemandem sonst folgen. Das Projekt Exodus, die Befreiung aus der Knechtschaft, das Leben im Schutzraum der Gebote - alles dies bleibt als Gabe, Verheißung und Aufgabe vor uns. Das hat Mose nun vielleicht verstanden: Stärken und aufrichten kann uns arme, vergängliche Wesen dafür nur das, was uns bestehen, was uns sein lässt und Gottes Herrlichkeit, seine Gewichtigkeit, seine All-Macht, zeigt sich gerade darin, dass sie Anderes zulässt, sich selbst zurücknimmt und einen menschlichen Weg eröffnet.
Macht in menschlicher Hand – oder besser gesagt: die Illusion der Macht – steht immer in der Gefahr, grenzenlos werden zu wollen und eben darin das Projekt, den Sinaibund, zu verraten. Der Tanz um das goldene Kalb kann ja vielfältige Gestalten finden.
VIII
„You can’t always get what you want“. Vielleicht stimmt es ja: Mick Jagger soll dem Präsidenten angeboten haben, den Song anlässlich seiner Inaugurationsfeier zu singen. Dann wohl ohne den Londoner Bachchor, der damals den engelsgleichen Refrain des Liedes übernommen hatte .Wir wollen jedenfalls wünschen, hoffen und erbitten, dass der mächtigste Mann der Welt, Mr. President in „God’s own country“, es lernt und versteht: Jedes demokratische Amt ist eingebunden in eine Verfassung, in einen Rechtsraum, die von der Person eine Selbstbindung verlangt und ihr die Weisung erteilt, die ihm vom Volk übertragene Macht so zu nutzen, dass die Verlorenen und Vergessenen zurückkehren, Anerkennung, Teilhabe und Brot finden. Das wäre wahre „Exodus-Politik“ – der Auszug des Volkes aus Leid und Unterdrückung. Schritt für Schritt. Und immer wieder von vorn.