Familiengottesdienst zum Weltgebetstag 2016 von Margot Runge

Familiengottesdienst zum Weltgebetstag 2016 von Margot Runge

Du musst anwesend sein / Spielszene im Familiengottesdienst zum Weltgebetstag 2016 aus Kuba

Großmutter: Dora, meine Liebe, steh auf! Die Sonne ist schon aufgegangen.
Mädchen: Großmutter, es ist doch Sonntag! Ich muss heute nicht zur Schule und kann ausschlafen.
Großmutter: Dora, es ist Zeit für den Kindergottesdienst. Komm, wir wollen in die Kirche gehen. Du musst anwesend sein!

Mädchen: Ach Großmutter, ich hab’ dich ja so lieb. Ohne dich würde ich mich jetzt garantiert nicht aus dem Bett wühlen.
Großmutter: Lass dich erst einmal umarmen, meine liebe Dora. Schlüpf in deine Kleider, ich bereite inzwischen die Tortillas für das Mittagessen vor. Dann ist es Zeit für den Gottesdienst.

Dora Arce-Valentin: So war es immer. Meine Großmutter sorgte dafür, dass ich in die Kirche gehe. Und heute bin ich selbst Pfarrerin. – Ich vergaß ganz, mich vorzustellen. Ich bin Dora Arce-Valentin aus Kuba, Leiterin des Referats für Gerechtigkeit und Partnerschaft der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen. Als Pfarrerin mache ich mich für Gerechtigkeit stark. Gerechtigkeit für Mädchen und Frauen, Gerechtigkeit für Arme. Gerechtigkeit für die Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Gerechtigkeit für die Schöpfung.
Inzwischen bin ich fast so alt wie meine Großmutter damals. Aber ich erinnere mich noch genau.

In der Schule lernten wir: Es gibt keinen Gott. Glauben ist altmodisch. Unsere Lehrer brachten uns bei: Kuba ist ein sozialistisches Land. Meine Freundinnen interessierten sich nicht für den Glauben.
In Kuba waren die Kirchen leer und bröckelten vor sich hin. Zum Gottesdienst kam kaum jemand. Und wenn, dann nur Erwachsene. Oder Alte. Jedenfalls keine Kinder. Nie. Aber meine Großmutter ließ nicht locker. Und weil nicht einmal eine Mitarbeiterin da war, leitete sie den Kindergottesdienst eben selbst. Und ich – ich war das einzige Kind.

Großmutter: Guten Morgen, liebe Dora, es ist Zeit für den Kindergottesdienst.
Mädchen: Großmutter, es kommen doch sowieso keine anderen Kinder. Lass uns zu Hause bleiben.
Großmutter: Aber Dora, du hörst die Geschichten aus der Bibel immer so gern.

Mädchen: Du kannst doch an meinem Bett sitzen bleiben und mir erzählen. Wir können den Kindergottesdienst an meinem Bett halten. Ob wir hier sind oder in der Kirche, ist doch egal.
Großmutter: Nein. „Die Menschen müssen dich dort sehen. Andere Kinder auf der Straße sollen dich dort sehen. Eines Tages werden mehr Kinder kommen, aber ein Kind ist schon genug für Gott. Du musst anwesend sein!“ (* S. 78)

Dora Arce-Valentin: „Natürlich endete es immer damit, dass ich zur Kirche ging, aber ich werde ihre Argumente nie vergessen.“ Du musst anwesend sein. „Ich war das einzige christliche Kind im Klassenzimmer meiner Grundschule. Der einzige Teenager in der Kirche meiner Familie, die einzige wahrnehmbare jungen Christin auf der weiterführenden Schule und der High School, der Universität und so weiter.“ (*S. 78)

Ich bin ein rebellischer Mensch. Nach dem Abitur wurde ich Bauingenieurin. Später studierte ich noch einmal und wurde Pfarrerin. Der Satz meiner Großmutter ging mir nie aus dem Sinn:
Großmutter:  Du musst anwesend sein.
Auch als Kirche wollen wir dort anwesend sein, wo die Menschen sind, die Kinder, die Jugendlichen, die Frauen, die Flüchtlinge. Gott liebt uns und ist zärtlich, zärtlich wie meine Großmutter. Deshalb ist es so wichtig, dass wir anwesend sind.
„Wenn ich heutzutage sonntags meine Kirche voller Menschen sehe, die Kinder und die Jugendlichen in ihren Bänken, dann erinnere ich mich daran, was meine Großmutter vor vielen Jahren zu mir sagte: ‚Eines Tages werden mehr kommen, aber ein Kind ist genug für Gott.’“ (*S. 81)

* Arbeitsbuch zum Weltgebetstag  2016 aus Kuba, S. 77 – 81

Personen: zwei Frauen und ein Mädchen (Großmutter und Dora als Kind in der Rückblende; Dora Arce-Valentin heute)

Diese Szene setzt den Aufsatz „Meine theologische Reise“ von Dora Arce-Valentin* für einen Familiengottesdienst zum Weltgebetstag 2016 um. Sie knüpft an die Herausforderung für Kinder an, zu den wenigen christlichen Kindern einer Schulklasse zu gehören. Ebenso soll die Rolle von Großeltern gestärkt und gewürdigt werden, die gerne ihren christlichen Glauben weitergeben möchten, ohne den Eltern hineinreden zu wollen.
Die Großmutter in der Szene muß so liebevoll wie nur irgend möglich gespielt werden. Die „Theologie der Zärtlichkeit“ wird u.a. von der kubanischen Theologin Ofelia Ortega vertreten, die 1996 – 2004 als Direktorin das Theologische Seminar in Matanzas geleitet hat, an dem Dora Arce-Valentin studiert hat (https://weltgebetstag.de/images/download/ideen_2016/download_ideen2016_s...).

Weitere Elemente im Familiengottesdienst

Predigt

Das einzige Kind sein wie Dora Arce-Valentin, das ist nicht so einfach. Das einzige Kind unter lauter Erwachsenen, das einzige Kind in der Klasse, das getauft ist. Vielleicht kennt ihr das ja auch.
Dora hat eine Großmutter, die für sie da war. Die hat ihr Mut gemacht, hat sie getröstet und aufgemuntert. Die Großmutter hat Dora geholfen, mit ihrer Situation zurechtzukommen und nicht aufzugeben. So wurde Dora stark und hat gelernt, sich nicht anzupassen. Auch nicht in der Klasse, wenn niemand sonst zu ihr gestanden hat.
Du musst anwesend sein, hat ihre Großmutter ihr beigebracht. Du bist wichtig. Deine Meinung ist wichtig, gerade wenn niemand sonst wagt, eine eigene Meinung zu haben. Vielleicht trauen sich andere dann auch. Oder sie erinnern sich später daran und bekommen selbst Mut.
Du musst anwesend sein. Es ist wichtig, dass du da bist. Das gilt für die Erwachsenen übrigens auch. Sie sollen anwesend sein, Gesicht zeigen, Verantwortung übernehmen, Verleumdete in Schutz nehmen.
Die Großmutter hat Dora in Kuba Halt gegeben. Auch bei uns in der DDR waren es oft die Großeltern, die für die Kinder da waren, sie zur Christenlehre begleitet und ihnen vom Glauben erzählet haben, und viele tun das bis heute.

Timotheus hat von seiner Großmutter Lois und seiner Mutter Eunike glauben gelernt. Davon schreibt sogar Paulus in der Bibel. An den Erwachsenen können Kinder sehen, wie das geht: leben, glauben, mutig sein, teilen, für Überzeugungen aufstehen, Ängste überwinden, mit Fehlern umgehen, Hoffnung verbreiten, die Umwelt bewahren, Schwache in Schutz nehmen.

Du musst anwesend sein, hat die Großmutter Dora Acre-Valentin beigebracht. Manchmal lernen das umgekehrt die Erwachsenen von den Kindern. Kinder bringen ihre Eltern mit. Familiengottesdienst macht Freude, wenn die ganze Familie kommt, von den Jungen bis zu den Alten. Gottesdienst ist gleich nicht so langweilig, wenn mehrere Kinder sich verabreden. Es ist wichtig, daß du da bist.

Du musst anwesend sein, wenn du willst, daß sich in deiner Schule etwas verändert. Du musst anwesend sein, denn was du denkst und sagst, wird gehört. Du brauchst dich nicht zu verstecken, denn in dir steckt so viel.

Dora hat gemerkt: es hat sich gelohnt. Inzwischen sitzen in ihrer Kirche in Kuba viele Kinder und Jugendliche auf den Kirchenbänken, und sie selbst ist zu einer Advocatin für Gerechtigkeit geworden und setzt weltweit etwas in Bewegung.

Lesung und kurze Auslegung

Wenn ich mich an deine Tränen erinnere, habe ich Sehnsucht, dich zu sehen, um mich wieder von Herzen freuen zu können, denn ich denke an deinen aufrichtigen Glauben, der schon in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike lebendig war und der nun auch in dir ist. Gott hat uns nicht einen Geist der Feigheit gegeben, sondern einen Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. (2 Tim 1,4-5.7)

Lois und Eunike stehen für all die Mütter und Großmütter, die sich um Kinder und Enkel gekümmert haben, sie gefüttert und getröstet, gehütet und beschützt haben, an ihrem Bett gesungen, ihnen Geschichten aus der Bibel erzählt und mit ihnen gebetet haben. In Argentinien haben sich die Großmütter von der Plaza de Mayo auf der Suche nach ihren verschwundenen Enkeln gemacht, die in der Militärdiktatur  ihren Familien weggenommen wurden und bei Offizieren aufgewachsen sind. Die Archäologie diskutiert die These, dass die Entwicklung zur Menschheit und der Kultur das Verdienst der Großmütter ist. Bei unseren Vorfahren starben die meisten sehr jung. Die Mütter lebten gerade nur so lange, dass sie Kinder bekommen und stillen und so groß ziehen, dass sie selbst überleben konnten. Aber sie hatten keine Zeit und Kraft, den Kindern viel beizubringen. Erst als es Großmütter gab, konnten die den Kindern Erfahrungen weitergeben. Sie hatten Zeit, die Kinder mehr zu lehren als das pure Überleben. Sie brachten ihnen Fertigkeiten bei, Lebensweisheit, Kultur, Wissen, Erfahrung. Kultur, Wissen, Weisheit, das verdanken wir den Großmüttern.
Lois aus der Bibel, die Großmütter von Kuba,  unsere Großmütter, sie sind ihre Nachfolgerinnen und stehen in ihrer Tradition. Ihnen sei heute gedankt.

 

Perikope
Datum 04.03.2016