Farben des Heiligen Abends, Predigt zu Jesaja 9, 1-6 von Wolfgang Vögele
9,1
„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte, wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt. Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians. Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht, und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst; auf dass seine Herrschaft groß werde und des Friedens kein Ende auf dem Thron Davids und in seinem Königreich, dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit von nun an bis in Ewigkeit. Solches wird tun der Eifer des HERRN Zebaoth.“
Liebe Gemeinde,
schauen Sie für einen Moment an das Deckengewölbe dieser Kirche und lassen Sie nochmals die Worte des Jesaja auf sich wirken.
Das große, vielgestaltige Volk in der Finsternis. Ich erkenne schemenhafte Köpfe vor schwarzem, verschattetem Hintergrund.
Freude bei der Ernte. Der Betrachter sieht gelbe Bündel von Weizenähren und die leuchtenden Strahlen der Abendsonne.
Das drückende Joch. Mir fallen schwere, teigige Erdtöne auf.
Dröhnende Stiefel. Ich sehe metallische bedrohliche Formen, spitz zulaufend, und sie lösen Angst aus.
Der blutverschmierte Mantel. Ich sehe Spritzer von einem eindringlichen Rot, das einmal Leben war.
Und das neugeborene Kind. Ich sehe helle Hauttöne, neues Leben, das noch nie die Sonne gesehen hat.
Der Thron Davids. Ich sehe goldene Farben, große Macht und blendenden Prunk.
Das kommende Friedensreich. Ich sehe Farben, etwas, das einem Regenbogen gleichkommt.
Liebe Gemeinde, man muß sich den Propheten Jesaja wie einen Künstler vorstellen, der in jahrelanger Arbeit al fresco ein monumentales Deckengemälde gemalt hat. Er hatte den Auftrag, ein Bild über die Zukunft des Volkes Israel zu gestalten. Der Prophet Jesaja war ein Maler mit Worten, er nutzte die Worte und Sätze als Stifte und Farben. Er malte ein großes Bild, zugleich grell und sensibel, zärtlich und drastisch, gleichzeitig politische und sakrale Kunst. politisch und glaubend, einfühlsam und schrill. Er war ein realistischer Maler, der Ausflüge ins Utopische und Unbekannte unternahm. Ich stelle ihn mir ein wenig vor wie Marc Chagall. Jesajas monumentales Bild wölbt sich über die Geschichte Israels, vom Auszug aus Ägypten bis zur katastrophalen Niederlage gegen die Babylonier und von dort bis zu uns heute. Vier Farbtöne leuchten aus diesem Bild besonders heraus: Tiefschwarz, Lindgrün, Hautfarbe und ein helles Orange.
1. Tiefschwarz
Im Hintergrund von Jesajas Gemälde steht die politische Katastrophe, die voraussehbare und verheerende Niederlage gegen die babylonische Großmacht. Das bedeutete Schock, Schmerzen, Trauer und Depression, für die Politik, für das Zusammenleben und für den Glauben. Im Bild marschieren brutale Soldatenstiefel dröhnend im Gleichschritt. Man stöhnt unter der Last der hohen Reparationszahlungen.
Und wer das alte Bild genauer anschaut, der sieht plötzlich, ohne daß der Prophet und Maler davon wissen konnte, auch die Orte, die uns im vergangenen Jahr zu schrecklichen Mahnmalen von Katastrophen geworden sind. Man erkennt im blutverschmierten Mantel Jesajas die T-Shirts und die Jeans der Jugendlichen, die auf der norwegischen Insel Utoja erschossen wurden, und man erkennt die zerschlissenen weißen Schutzanzüge, welche die mutigen Arbeiter im Kernkraftwerk Fukushima trugen. Sie versuchten zu retten, was zu retten war, bevor sie wegen der übergroßen Strahlenbelastung ihre Hilfsarbeiten für längere Zeit einstellen mußten. Und man erkennt die schwarzen Hemden der Neonazis, die über Jahre türkische Imbißbudenbesitzer und Polizisten ermordeten. Wir erkennen all das schlimme Grauen, welches eine rücksichtslose Geschichte für die Menschen bereithält. Wir erkennen auch die Krisen des vergangenen Jahres, die Schuldenkrise, die Eurokrise und die Bankenkrise, die Eurobonds und die Hebelwirkung, das Geld, das eigentlich niemand sehen kann. Wir erkennen die Krisen, von denen unser alltägliches Leben so seltsam unberührt geblieben ist.
Und man kann in diesen schwarzen Partien des monumentalen Bildes noch viel mehr erkennen, die jeweils eigenen Sorgen und Nöte: den Großvater, der langsam vergeßlich wird und in seinem Alltag nicht mehr zurechtkommt, die schwere Klausur, die der Schüler zweimal hintereinander verhauen hat, die sich anbahnende schmerzhafte Trennung nach vielen Jahren Ehe. Das Schwarz läßt sich nicht übersehen, es ist nicht die Zeit alles zu beschreiben. Aber weil es nicht beschrieben werden kann, muß es nicht geleugnet werden.
Das tiefe Schwarz läßt sich nicht aus dem Bild wischen – nicht aus der Politik, nicht aus dem Alltagsleben eines Menschen, nicht aus der unausgesprochenen Verborgenheit jeder Seele, nicht aus den Katastrophen des vergangenen Jahres, deren Orte wir mühsam zu buchstabieren gelernt haben. Schwarz ist eine Farbe, die sich aufdrängt und die das Leuchten anderer Farben verschlingt. Der nüchterne Jesaja hat das alles gewußt, und deswegen vollbringt er mit seiner malenden Prophetie eine wahrhafte Heldentat des Glaubens. Wenn er nur ein Schwarzmaler wäre, wir müßten ihm an diesem Heiligen Abend keine Aufmerksamkeit zuwenden. Aber Jesaja war ein Meister des Lichts, ein Meister des Helldunkel, Chiaroscuro.
2. Lindgrün
Denn im Bild des Jesaja finden sich überraschenderweise Töne eines zarten, unaufdringlichen Grüns: Lindgrün wie die Farbe von Blättern, die im Frühling neu sprießen. Jesaja entdeckt in der Wirklichkeit, die er mit düsteren Farben gezeichnet hat, kleine, sich erweiternde Risse, aus denen plötzlich neue Farben in das Bild hineindrängen. Er verbreitet die Hoffnung auf eine Erlöserfigur. Der Erlöser, ein neuer König, er wird es richten. Mit zweitausendfünfhundert Jahren Abstand läßt sich das sagen: Zwar redete Jesaja von der Geburt eines Kindes, dennoch hoffte er auf ein Kind, das älter und erwachsen wird, das für Israel als König politische Befreiung bringen wird: ein Vorgänger von Gorbatschow, Kennedy und Obama, vielleicht auch von Mahatma Ghandi. Jesaja hoffte auf einen politischen Erlöser. Vielleicht ist auch Erlöser das falsche Wort, und wir sollten besser von einem Gestalter, Lenker, Befreier sprechen. Aber dieses Lindgrün der Hoffnung wäre noch zu blaß, zu sehr beschränkt auf den Bereich des Politischen, in dem nicht nur das Volk Israel schon viele Male getäuscht wurde – und zwar von Schlimmerem als von Doktorarbeiten, bei denen ein späterer Minister nachhaltig die Disketten mit eigenem und fremdem Material verwechselt hat.
Jesaja verstärkt die Wirkung der lindgrünen Hoffnungsfarbe, indem er sein ganzes Bild, seine Vision zu einem Gespräch zwischen Gott und den Menschen gestaltet. Die Befreierfigur, die geboren werden soll, kommt nicht von den Menschen. Sie kommt von Gott. Daraus erst gewinnt das Lindgrün der Hoffnung bei Jesaja seine besondere Leuchtkraft.
3. Hautfarbe
Wichtiger als das Lindgrün sind die Hauttöne, die Jesaja seinem Bild beimischt. Die ersten Christen, die dieses visionäre Bild Jesajas sehr genau kannten, lenkten den Blick in besonders auf die Hauttöne: Ein Kind ist uns geboren. Jesaja dachte an das Kind, das älter wird. Die ersten christlichen Leser des Jesaja dachten an das Kind in der Krippe. Diese klitzekleine Verschiebung birgt das ganze Wunder von Weihnachten in sich. Das Kind in der Krippe ist hilflos, schwach, noch nicht selbständig, auf die Hilfe seiner fürsorgenden Mutter angewiesen. Weisheit, politischer Weitblick, gute Ratschläge, Heilungskräfte und Predigtbegabung fehlen ihm noch ganz.
In der Krippe liegt ein Baby.
Ein Baby, das friedlich schläft.
Ein hungriges Baby, das gestillt werden will.
Ein Baby, das schreit, wenn es auf sich aufmerksam machen will.
3500 Gramm Wunder-Rat, die rudernden Ärmchen des Gott-Helden, das Bäuerchen des Ewig-Vaters und vielleicht sogar schon das glucksende Lächeln des Friede-Fürsten. Sicher, auch der Gott-Held wird älter werden, sprechen lernen, und Lukas erzählt sogar, wie der Gott-Held in die Pubertät kommt, bevor er zum Prediger, zum Wunder-Heiler und zum Heiland der Welt heranwächst. Aber die tiefe Glaubenskraft des theologischen Gedankens liegt in diesem kleinen Baby verborgen. Dieses kleine Kind mit den Windeln ist der Heiland. Und das Baby ist keine Machtprojektion der hilflosen Menschen, die ihr Unvermögen in die Allmacht eines Retterpräsidentenpolitikerkönigs hineinspiegeln.
Und diese Verwandlung findet sich schon bei Jesaja: Er malt nicht die prunkvollen Farben einer Uniform, sondern die Hautfarben des Babys, das nur in wenige wärmende Stoffwindeln gewickelt ist.
4. Helles Orange
Am Ende kommt noch ein letzter Farbton zum prophetischen Deckengemälde Jesajas hinzu, ein helles Orange. Dieses Orange verstärkt nochmals die Hoffnung, die sich mit der Farbe Lindgrün schon angedeutet hatte. Es stellt sich die Frage nach dem, was es wert ist bewahrt zu werden. Das Wort- und Farbengemälde des Jesaja verweist die Menschen auf das Zentrum, auf den Gott, der den Erlöser in die Welt geschickt hat, und auf das kleine Kind, das in der Krippe liegt und schläft. Alle Risse und Abgründe, alle Katastrophen und Krankheiten, die sich durch unser Erleben der Welt ziehen, werden an Weihnachten aufgefangen von diesem Kind, auf das sich alle Hoffnung richtet. Jesaja malt uns beides ans Gewölbe, sowohl die schwarzen Abgründe als auch die kleinen Zeichen der Hoffnung, aus denen Rettung erwächst. Kleine Babies wecken in jedem von uns den Wunsch, sich zu kümmern, für das Kleine zu sorgen, damit es sicher schlafen und langsam ins Leben hineinwachsen kann.
Dieses kleine Baby in der Krippe aber weckt noch etwas ganz anderes in uns: Glauben und Vertrauen auf Gott. Im Anblick dieses Babys schmelzen erst einmal alle Macht- und Einflußphantasien dahin, und schon das ist eine Befreiung. Aus dem Anblick des Babys wächst der Glaube, daß Gott diese Welt und die Menschen in ihr niemals allein lassen wird. Wieso wird das ausgerechnet an einem kleinen Baby sichtbar? Dieses Gottvertrauen wächst aus dem Anblick des Babys heraus, weil in keinem Menschen soviel Zukunft und Entwicklungsmöglichkeiten stecken wie in einem kleinen Kind. Diese Zukunft besteht darin, daß dieses Baby seine Zukunft noch vor sich hat. Der Friede-Fürst und der Ewig-Vater.
Jesaja konnte mit Worten malen, was wir im Glauben zu sehen bekommen: Dieser kleine Mensch, der Wunder-Rat, der Gottessohn, der Heiland, wird die Welt und die Menschen erlösen. Die Farbe dafür ist das helle Orange all der Kerzen, die an diesem Abend in der Kirche brennen – und genauso an den Weihnachtsbäumen, Weihnachtspyramiden und Adventskränzen zuhause.
Schwarz, Lindgrün, Hautfarbe und helles Orange. Das sind die Regenbogenfarben von Weihnachten. Wohlgemerkt das Schwarz wird nicht wegradiert, es bleibt bei uns. Christlicher Glaube zielt nicht auf ein Schlaraffenland. Aber er zielt auf eine Welt, in der sich alle Ungerechtigkeit und alles Leiden im Lichte Gottes zum Guten und zu Erlösung verwandelt. Am Anfang dieses Weges steht das kleine Kind, der Wunder-Rat. In diesem Sinne gehen Sie behütet und gesegnet nach Hause, zu Ihren Feiern und Bescherungen. Und möge Sie jede Kerze, die Sie sehen, an die Weihnachtsfarben Jesajas erinnern. Amen.
Liebe Gemeinde,
schauen Sie für einen Moment an das Deckengewölbe dieser Kirche und lassen Sie nochmals die Worte des Jesaja auf sich wirken.
Das große, vielgestaltige Volk in der Finsternis. Ich erkenne schemenhafte Köpfe vor schwarzem, verschattetem Hintergrund.
Freude bei der Ernte. Der Betrachter sieht gelbe Bündel von Weizenähren und die leuchtenden Strahlen der Abendsonne.
Das drückende Joch. Mir fallen schwere, teigige Erdtöne auf.
Dröhnende Stiefel. Ich sehe metallische bedrohliche Formen, spitz zulaufend, und sie lösen Angst aus.
Der blutverschmierte Mantel. Ich sehe Spritzer von einem eindringlichen Rot, das einmal Leben war.
Und das neugeborene Kind. Ich sehe helle Hauttöne, neues Leben, das noch nie die Sonne gesehen hat.
Der Thron Davids. Ich sehe goldene Farben, große Macht und blendenden Prunk.
Das kommende Friedensreich. Ich sehe Farben, etwas, das einem Regenbogen gleichkommt.
Liebe Gemeinde, man muß sich den Propheten Jesaja wie einen Künstler vorstellen, der in jahrelanger Arbeit al fresco ein monumentales Deckengemälde gemalt hat. Er hatte den Auftrag, ein Bild über die Zukunft des Volkes Israel zu gestalten. Der Prophet Jesaja war ein Maler mit Worten, er nutzte die Worte und Sätze als Stifte und Farben. Er malte ein großes Bild, zugleich grell und sensibel, zärtlich und drastisch, gleichzeitig politische und sakrale Kunst. politisch und glaubend, einfühlsam und schrill. Er war ein realistischer Maler, der Ausflüge ins Utopische und Unbekannte unternahm. Ich stelle ihn mir ein wenig vor wie Marc Chagall. Jesajas monumentales Bild wölbt sich über die Geschichte Israels, vom Auszug aus Ägypten bis zur katastrophalen Niederlage gegen die Babylonier und von dort bis zu uns heute. Vier Farbtöne leuchten aus diesem Bild besonders heraus: Tiefschwarz, Lindgrün, Hautfarbe und ein helles Orange.
1. Tiefschwarz
Im Hintergrund von Jesajas Gemälde steht die politische Katastrophe, die voraussehbare und verheerende Niederlage gegen die babylonische Großmacht. Das bedeutete Schock, Schmerzen, Trauer und Depression, für die Politik, für das Zusammenleben und für den Glauben. Im Bild marschieren brutale Soldatenstiefel dröhnend im Gleichschritt. Man stöhnt unter der Last der hohen Reparationszahlungen.
Und wer das alte Bild genauer anschaut, der sieht plötzlich, ohne daß der Prophet und Maler davon wissen konnte, auch die Orte, die uns im vergangenen Jahr zu schrecklichen Mahnmalen von Katastrophen geworden sind. Man erkennt im blutverschmierten Mantel Jesajas die T-Shirts und die Jeans der Jugendlichen, die auf der norwegischen Insel Utoja erschossen wurden, und man erkennt die zerschlissenen weißen Schutzanzüge, welche die mutigen Arbeiter im Kernkraftwerk Fukushima trugen. Sie versuchten zu retten, was zu retten war, bevor sie wegen der übergroßen Strahlenbelastung ihre Hilfsarbeiten für längere Zeit einstellen mußten. Und man erkennt die schwarzen Hemden der Neonazis, die über Jahre türkische Imbißbudenbesitzer und Polizisten ermordeten. Wir erkennen all das schlimme Grauen, welches eine rücksichtslose Geschichte für die Menschen bereithält. Wir erkennen auch die Krisen des vergangenen Jahres, die Schuldenkrise, die Eurokrise und die Bankenkrise, die Eurobonds und die Hebelwirkung, das Geld, das eigentlich niemand sehen kann. Wir erkennen die Krisen, von denen unser alltägliches Leben so seltsam unberührt geblieben ist.
Und man kann in diesen schwarzen Partien des monumentalen Bildes noch viel mehr erkennen, die jeweils eigenen Sorgen und Nöte: den Großvater, der langsam vergeßlich wird und in seinem Alltag nicht mehr zurechtkommt, die schwere Klausur, die der Schüler zweimal hintereinander verhauen hat, die sich anbahnende schmerzhafte Trennung nach vielen Jahren Ehe. Das Schwarz läßt sich nicht übersehen, es ist nicht die Zeit alles zu beschreiben. Aber weil es nicht beschrieben werden kann, muß es nicht geleugnet werden.
Das tiefe Schwarz läßt sich nicht aus dem Bild wischen – nicht aus der Politik, nicht aus dem Alltagsleben eines Menschen, nicht aus der unausgesprochenen Verborgenheit jeder Seele, nicht aus den Katastrophen des vergangenen Jahres, deren Orte wir mühsam zu buchstabieren gelernt haben. Schwarz ist eine Farbe, die sich aufdrängt und die das Leuchten anderer Farben verschlingt. Der nüchterne Jesaja hat das alles gewußt, und deswegen vollbringt er mit seiner malenden Prophetie eine wahrhafte Heldentat des Glaubens. Wenn er nur ein Schwarzmaler wäre, wir müßten ihm an diesem Heiligen Abend keine Aufmerksamkeit zuwenden. Aber Jesaja war ein Meister des Lichts, ein Meister des Helldunkel, Chiaroscuro.
2. Lindgrün
Denn im Bild des Jesaja finden sich überraschenderweise Töne eines zarten, unaufdringlichen Grüns: Lindgrün wie die Farbe von Blättern, die im Frühling neu sprießen. Jesaja entdeckt in der Wirklichkeit, die er mit düsteren Farben gezeichnet hat, kleine, sich erweiternde Risse, aus denen plötzlich neue Farben in das Bild hineindrängen. Er verbreitet die Hoffnung auf eine Erlöserfigur. Der Erlöser, ein neuer König, er wird es richten. Mit zweitausendfünfhundert Jahren Abstand läßt sich das sagen: Zwar redete Jesaja von der Geburt eines Kindes, dennoch hoffte er auf ein Kind, das älter und erwachsen wird, das für Israel als König politische Befreiung bringen wird: ein Vorgänger von Gorbatschow, Kennedy und Obama, vielleicht auch von Mahatma Ghandi. Jesaja hoffte auf einen politischen Erlöser. Vielleicht ist auch Erlöser das falsche Wort, und wir sollten besser von einem Gestalter, Lenker, Befreier sprechen. Aber dieses Lindgrün der Hoffnung wäre noch zu blaß, zu sehr beschränkt auf den Bereich des Politischen, in dem nicht nur das Volk Israel schon viele Male getäuscht wurde – und zwar von Schlimmerem als von Doktorarbeiten, bei denen ein späterer Minister nachhaltig die Disketten mit eigenem und fremdem Material verwechselt hat.
Jesaja verstärkt die Wirkung der lindgrünen Hoffnungsfarbe, indem er sein ganzes Bild, seine Vision zu einem Gespräch zwischen Gott und den Menschen gestaltet. Die Befreierfigur, die geboren werden soll, kommt nicht von den Menschen. Sie kommt von Gott. Daraus erst gewinnt das Lindgrün der Hoffnung bei Jesaja seine besondere Leuchtkraft.
3. Hautfarbe
Wichtiger als das Lindgrün sind die Hauttöne, die Jesaja seinem Bild beimischt. Die ersten Christen, die dieses visionäre Bild Jesajas sehr genau kannten, lenkten den Blick in besonders auf die Hauttöne: Ein Kind ist uns geboren. Jesaja dachte an das Kind, das älter wird. Die ersten christlichen Leser des Jesaja dachten an das Kind in der Krippe. Diese klitzekleine Verschiebung birgt das ganze Wunder von Weihnachten in sich. Das Kind in der Krippe ist hilflos, schwach, noch nicht selbständig, auf die Hilfe seiner fürsorgenden Mutter angewiesen. Weisheit, politischer Weitblick, gute Ratschläge, Heilungskräfte und Predigtbegabung fehlen ihm noch ganz.
In der Krippe liegt ein Baby.
Ein Baby, das friedlich schläft.
Ein hungriges Baby, das gestillt werden will.
Ein Baby, das schreit, wenn es auf sich aufmerksam machen will.
3500 Gramm Wunder-Rat, die rudernden Ärmchen des Gott-Helden, das Bäuerchen des Ewig-Vaters und vielleicht sogar schon das glucksende Lächeln des Friede-Fürsten. Sicher, auch der Gott-Held wird älter werden, sprechen lernen, und Lukas erzählt sogar, wie der Gott-Held in die Pubertät kommt, bevor er zum Prediger, zum Wunder-Heiler und zum Heiland der Welt heranwächst. Aber die tiefe Glaubenskraft des theologischen Gedankens liegt in diesem kleinen Baby verborgen. Dieses kleine Kind mit den Windeln ist der Heiland. Und das Baby ist keine Machtprojektion der hilflosen Menschen, die ihr Unvermögen in die Allmacht eines Retterpräsidentenpolitikerkönigs hineinspiegeln.
Und diese Verwandlung findet sich schon bei Jesaja: Er malt nicht die prunkvollen Farben einer Uniform, sondern die Hautfarben des Babys, das nur in wenige wärmende Stoffwindeln gewickelt ist.
4. Helles Orange
Am Ende kommt noch ein letzter Farbton zum prophetischen Deckengemälde Jesajas hinzu, ein helles Orange. Dieses Orange verstärkt nochmals die Hoffnung, die sich mit der Farbe Lindgrün schon angedeutet hatte. Es stellt sich die Frage nach dem, was es wert ist bewahrt zu werden. Das Wort- und Farbengemälde des Jesaja verweist die Menschen auf das Zentrum, auf den Gott, der den Erlöser in die Welt geschickt hat, und auf das kleine Kind, das in der Krippe liegt und schläft. Alle Risse und Abgründe, alle Katastrophen und Krankheiten, die sich durch unser Erleben der Welt ziehen, werden an Weihnachten aufgefangen von diesem Kind, auf das sich alle Hoffnung richtet. Jesaja malt uns beides ans Gewölbe, sowohl die schwarzen Abgründe als auch die kleinen Zeichen der Hoffnung, aus denen Rettung erwächst. Kleine Babies wecken in jedem von uns den Wunsch, sich zu kümmern, für das Kleine zu sorgen, damit es sicher schlafen und langsam ins Leben hineinwachsen kann.
Dieses kleine Baby in der Krippe aber weckt noch etwas ganz anderes in uns: Glauben und Vertrauen auf Gott. Im Anblick dieses Babys schmelzen erst einmal alle Macht- und Einflußphantasien dahin, und schon das ist eine Befreiung. Aus dem Anblick des Babys wächst der Glaube, daß Gott diese Welt und die Menschen in ihr niemals allein lassen wird. Wieso wird das ausgerechnet an einem kleinen Baby sichtbar? Dieses Gottvertrauen wächst aus dem Anblick des Babys heraus, weil in keinem Menschen soviel Zukunft und Entwicklungsmöglichkeiten stecken wie in einem kleinen Kind. Diese Zukunft besteht darin, daß dieses Baby seine Zukunft noch vor sich hat. Der Friede-Fürst und der Ewig-Vater.
Jesaja konnte mit Worten malen, was wir im Glauben zu sehen bekommen: Dieser kleine Mensch, der Wunder-Rat, der Gottessohn, der Heiland, wird die Welt und die Menschen erlösen. Die Farbe dafür ist das helle Orange all der Kerzen, die an diesem Abend in der Kirche brennen – und genauso an den Weihnachtsbäumen, Weihnachtspyramiden und Adventskränzen zuhause.
Schwarz, Lindgrün, Hautfarbe und helles Orange. Das sind die Regenbogenfarben von Weihnachten. Wohlgemerkt das Schwarz wird nicht wegradiert, es bleibt bei uns. Christlicher Glaube zielt nicht auf ein Schlaraffenland. Aber er zielt auf eine Welt, in der sich alle Ungerechtigkeit und alles Leiden im Lichte Gottes zum Guten und zu Erlösung verwandelt. Am Anfang dieses Weges steht das kleine Kind, der Wunder-Rat. In diesem Sinne gehen Sie behütet und gesegnet nach Hause, zu Ihren Feiern und Bescherungen. Und möge Sie jede Kerze, die Sie sehen, an die Weihnachtsfarben Jesajas erinnern. Amen.
Perikope