Liebe Gemeinde,
Freude steckt an. Die Freude des Apostels Paulus steckt an. In seiner Freude weiß er sich mit den Freunden in Philippi verbunden. Ihrer aller Freude hat einen Grund: die Nähe Gottes, die in Jesus Christus erfahrene wohltuende Nähe des himmlischen Vaters.
Freude steckt an. Die Freude des Apostels Paulus steckt an. Dabei scheint sein Leben gar nicht auf Freude ausgerichtet sein zu können. Denn Paulus sitzt im Gefängnis. Haltlose Verleumdungen haben ihn in Ephesus hinter Kerkermauern gebracht. Seine Botschaft vom auferstandenen Gekreuzigten, mit dem eine neue Weltzeit angebrochen ist, eckte an. Die Händler, die im religiösen Geschäft mit allerlei Devotionalien um die große Artemis von Ephesus gut verdienten, suchten ihn in die Ecke zu treiben. Sie strebten danach, ihn mundtot zu machen. Sie konnten zwar seinen Leib treffen, aber nicht seine Seele. Die gehörte seit Damaskus einzig noch seinem Herrn Jesus Christus, seinem Erlöser, seinem Befreier aus den Zwangsordnungen des Gesetzes. Seit Christus in sein Leben getreten war, war Paulus von einer absoluten Gewissheit erfüllt, dass nichts, nichts, gar nichts, weder Engel, noch Mächte, noch Gewalten ihn je wieder trennen können von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn (Römer 8,38f).
Freude steckt an, erst recht, wenn sie in erfahrener Liebe gründet. Wem ein anderer zur Freude wurde, der will auch ihm Freude schenken. Freude schafft einen eigenen Kreislauf des Gebens und Nehmens. Das Geheimnis der Liebe besteht nicht zuletzt darin, auch noch inmitten der tiefen Vertrautheiten einander immer wieder neu spüren zu lassen, was einen erfreut, was einen dankbar sein lässt. Es ist die Welt der kleinen Aufmerksamkeiten, der Freude am Morgen, des guten Wortes am Tage, der Ruhe am Abend. Freude und Liebe leben im Strömen, können nicht stillstehen. Das gilt für die vertraute Liebe eines Paares, für die aufmerksame Liebe in einer Familie, für die großherzige Nächstenliebe und auch und vor allem für die Liebe Gottes.
Er, der Weltenlenker ist uns in Jesus Christus als Mensch genaht. Er hat uns an ihm zu erkennen gegeben, was wahres, erfülltes, auf Freude gestimmtes Leben sein darf: ein Leben in Würde, ein Leben in mit-und füreinander geteilter Würde. Er hat uns reich beschenkt, indem er uns zu erkennen gegeben hat, dass Er nicht das Opfer von Böcken will, sondern ein inniges Herz, dass Er sich nicht an unserer Angst weidet, sondern unser Glück, unser Wohl und Heil sucht. Er hat uns reich beschenkt, Er, der uns krönt mit Gnade und Barmherzigkeit (Psalm 103,4), seit er uns in Jesus gezeigt hat, was Frieden bedeutet und Versöhnung schafft. Er hat uns reich beschenkt, Er, der die Hungrigen füllt mit Gütern (Lukas 1,53), indem er uns dank Jesus zu verstehen gegeben hat, dass die wahren Güter Frieden und Freude sind. Alles wirklich Gute, alles was es wert ist, für rein, ehrbar und liebenswert zu gelten, kommt aus der Liebe. Die Liebe Gottes, ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist (Römer 5,5). Sie ist der Grund unserer Freude.
Freude steckt an. Dabei kennt die Freude vielfältige Formen. Sie drückt sich mannigfaltig aus. Sie kennt wechselnde Zeiten und Orte. Lebendige Freude ist niemals starr. Freude empfindet Elisabeth, wie sie das Kind in ihrem Leibe spürt. Es ist eine ganz und gar ursprüngliche Freude, die Freude über das anbrechende Neue, das werdende Kind im Mutterleib. Da öffnet sich ein Raum freudiger Erwartung. Eine Freude, gleicher und doch anderer Art ist die des Kindes selbst, das da hüpft und tanzt. Eingebunden in die schützende Sphäre ist das Kind ganz im Werden, schöpft es Atemzug um Atemzug die Freude des Lebens. Es wächst nicht nur dank der Nahrung, die ihm zuströmt, es wächst auch aus dem, was seiner sich entfaltenden Seele zukommt, die Stimmen seiner Eltern, der Klang eines Hauses. Es ist das Wunder der göttlichen Gegenwart, dass aus seinem Geiste heraus Leben sich formt, ein Kind wird, das anfängt zu hüpfen und zu tanzen und das dann in diese Welt geboren wird, die Augen aufzuschlagen und zu staunen.
Eine eigene Freude ergreift uns im Zauber der Musik. Ich denke beispielhaft an Mozarts große c-Moll-Messe und das Laudamus te darin: Wir loben dich, ein so hinreißendes Stück, dass mir das Herz vor Freude hüpft. Ich denke beispielhaft an ein so großartiges Lied wie Paul Gerhardts Adventschoral: Wie soll ich dich empfangen und wie begegn ich dir, so eine Zeile darin, wie: Mein Herze soll dir grünen in stetem Lob und Preis. In dem Moment, da man solches singt, geht das Herz schon auf, grünt und sprosst und entfaltet sich die innere Freude. Sie stimmt dankbar mit ein. Sie singt: Du hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut, das sich nicht lässt verzehren, wie irdisch Reichtum tut.
Eine eigene Freude liegt über den Stunden der Stille, der einkehrenden tiefen Ruhe. Das Gebet ist ein Weg dahin, die Meditation dient der Sammlung des Gemüts. Wir rasen durch die Tage. Hektik ist allen Ortes. Wir sind Getriebene der Zeit. Wozu? Dabei ist die Zeit doch eigentlich ein aufgespannter Raum, um zu sich selber zu finden, der Boden, aus dem heraus wir uns entfalten können. Aber kann man je zum Frieden, je in die Zufriedenheit finden, solange man durch die Zeiten jagt, solange man als Jäger auf der Pirsch nach immer neuer Beute ist, solange man meint nur im Anhäufen immer höheren Konsums glücklich werden zu können?
Es liegt ein tiefer Verrat über den vorweihnachtlichen Tagen. Der Aberwitz des Hastens nach Geschenken, das Übermaß an Besorgungen, wenn das alles bleibt – und man dann unterm Weihnachtsbaum ankommt, und keinen Sinn hat füreinander, keine Freude mehr empfinden kann, ohne Gott bleibt? Wozu das alles? Was sollen all die Gaben, wenn man dabei sich selber nicht zur Gabe wird und anderen nicht Gabe ist? Was sollen all die Geschenke, wenn sie ohne Liebe daherkommen, ohne Liebe bleiben? Was soll all das Friedensgesäusel, wenn man nicht zum echten Frieden findet? Lass dich los in Gott und was die Menschen angeht: „In der Süße der Freundschaft lasst Lachen sein und geteilte Freude“ (Khalil Gibran, Der Prophet, Ausgabe Olten 1985, S.80). Das wäre schon genug.
Ernst Barlach verdanken wir eine eindrückliche Plastik, die freien Ausdruck mit höchster Innerlichkeit verbindet, sein Bildwerk ‚Der singende Mann‘ aus dem Jahre 1928. Es ist eines seiner bekanntesten und beliebtesten Werken, vielleicht zusammen mit der Skulptur ‚Die Schwebende‘ im Dom zu Güstrow. Ein Schweben liegt auch über dem singenden Mann. Er ist völlig in sich versunken. Er lauscht mit geschlossenen Augen in sich hinein. Der Sänger wirkt völlig gelöst, konzentriert und hingegeben. Hingegeben an den Gesang und hingegeben an den sich nach Innen öffnenden Blick. Die befreiende Wirkung der Musik lässt ihn gelassen werden. Er ist voll Hingabe und Kontemplation. Diese Bronzearbeit ist überaus fein gearbeitet und doch ganz klar strukturiert. Die Gestalt ist ganz bei sich. Die Augen sind geschlossen. Doch der Mund öffnet sich. Aus seinem Herzen strömt die Freude.
Dankbare Erinnerungen mögen ihn leiten. Er erfährt die Sorglosigkeit im Augenblick. Wie er da sitzt, erlebt er eine Gottesstunde. Es geht jetzt nicht um Soll und Haben, nicht um Mühe und Arbeit, nicht um Haschen nach Wind. Jetzt, jetzt ist er ganz bei sich und so ganz bei Gott. Losgelöst und konzentriert zugleich, hingegeben an sich und den nahen Gott. Er ist gelassen und ruhig geworden. So wird er zum Organ der Musik, des Liedes, des Gotteslobes. In solchen gesammelten Momenten wissen wir, was wirklicher Frieden ist. Wir beginnen zu verstehen, warum in der Anbetung sich das menschliche Leben vollendet, so sie frei, heiter und leicht aus uns ströme. Ernst Barlachs Werk ist ein gelungenes Schaubild der Freude, eine Einladung, die Freude zu entdecken, jene Freude, da ungeteilt Lebensfreude und Gottesfreude einander gehören, jene Freude, die sich Gottes verdankt und deshalb aus Dankbarkeit kommt.
Freude steckt an, die des Paulus, die der Elisabeth, die des singenden Mannes. Gehen wir ein jeder für sich und zugleich mit- und füreinander einen kleinen Schritt weiter dieser Freude entgegen, mit der Gott uns entgegenkommt. Freude hat einen Grund: die Nähe Gottes, die in Jesus Christus erfahrene wohltuende Nähe des himmlischen Vaters. Amen.