Frieden oder Schwert, Leben oder Tod - Predigt zu Mt 10,34-39 von Andreas Schwarz
10,34-39

Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Unser Predigtlehrer im Studium hat uns mit auf den Weg gegeben:
Wenn Sie die Kanzel betreten, haben Sie der Gemeinde den Friedensgruß des Herrn zu verkündigen. Wie Jesus selbst nach Ostern seine erschrockenen Jünger grüßt: Friede sei mit euch.
Das tut gut, zu hören. Es ist genau das, was wir brauchen. Weil wir es so oft vermissen und uns darum so sehr danach sehnen. Mitten in unsere Sehnsucht nach Frieden hinein wird das Evangelium von Jesus Christus verkündigt. Und der spricht vom Schwert.
Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.
Das Schwert ist wie ein Symbol für Gewalt. Für grausamstes Blutvergießen. Es trennt, messerscharf, in zwei Teile. Salomo, der weise König des Volkes Israel, hat das gewusst. Er wollte das Schwert benutzen, um ein kleines Kind zu teilen. In zwei gleichgroße Teile. Damit jeder der beiden Frauen, die behaupteten, Mutter des Kindes zu sein, je ein gleiches Teil bekommt. Allein die Drohung hat gereicht, damit es zu der Bluttat nicht kommt. Grausam, ein solches Schwert.
Jesus findet das auch gar nicht so hilfreich. Jedenfalls hören die Jünger seine Einstellung dazu. Am Abend im Garten Gethsemane, als er gefangen genommen wurde, nahm einer seiner Jünger ein Schwert, um den Herrn und Meister gewaltsam zu verteidigen. Aber Jesus verhindert das und sagt: Wer das Schwert nimmt, soll durchs Schwert umkommen. Also: Vorsicht. Lieber kein Schwert in die Hand nehmen. Am Ende wirst Du selbst ein Opfer werden.
Und nun redet Jesus vom Schwert. Und zwar von einem, das er bringt. Denn seine Worte sind so scharf wie ein Schwert. Jesus, der Friedensstifter, der Friedefürst. Der ohne Gewalt lebte und handelte. Der bringt das Schwert, das trennt. Das Menschen entzweit, sie voneinander trennt. Den Vater von seinem Sohn. Die Tochter von ihrer Mutter. Die Schwiegertochter von ihrer Schwiegermutter. Feindschaft im eigenen Haus, in der eigenen Familie. Weil Jesus gekommen ist.
Ich denke dabei an die brutalen Konfliktherde in der weiten Welt. Mein Blick geht aber auch in unsere Gesellschaft und in unsere Gemeinden hinein.
Die Frage, wie wir uns zu dem Thema Pandemie und dem Umgang mit ihr positionieren, war lange Zeit eine Meinungsfrage. Die einen so, die andern halt anders. Jetzt geht es ums Handeln. Lässt du dich impfen oder nicht? Und dann stehen sich diese Gruppen gegenüber, argwöhnisch, vorwurfsvoll, uneins, zerstritten. Die Dynamik nimmt zu. Die Geimpften ärgern sich, dass Rechte deswegen weiter eingeschränkt bleiben, weil zu viele sich nicht impfen lassen wollen. Die Werbung dafür, sich impfen zu lassen, empfinden viele als unangemessenen Druck. Manche unversöhnlichen Debatten finden in den Familien statt. Da, wo Menschen sich besonders nahe sind. Wo unterschiedliche Haltungen ungeschützt aufeinanderprallen. An den Orten, die doch Zuhause bieten sollen, Geborgenheit, Sicherheit, Gemeinsamkeit. Um des lieben Friedens willen schweigen vielleicht manche Söhne und Töchter. Oder Schwiegertöchter und Schwiegermütter schreien sich an, verletzen einander. Wie belastend, wenn Menschen gerade der Boden entzogen wird. Welche Sicherheiten haben wir denn, wenn Familien zerstritten sind? Wenn sie nicht Orte des Friedens, sondern des Schwertes sind. Gespalten, zerstritten. Und womöglich mit ganz viel Gewalt. Weil das Virus trennt, wie ein Schwert. Messerscharf. Die einen von den anderen. Unversöhnlich stehen sie einander gegenüber.

Jesus Christus spricht: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Nicht Frieden, sondern das Schwert. Weil Jesus gekommen ist. Ich hätte das Gegenteil erwartet. Wie es hier zugeht, wie Menschen miteinander umgehen, das erlebe ich schon genug. Von der frohen Botschaft erwarte ich etwas anderes. Dass sie sich gegen unsere Erfahrungen stellt, gegen unsere Möglichkeiten, gegen unseren Egoismus, unsere Neigung zu Gewalt und Hass. Und auch gegen das tödliche Schweigen. Weil bloß niemand wissen soll, dass der Mann seine Frau geschlagen hat. Sie hat sich halt gestoßen. Weil unter der Decke bleiben soll, wenn ein Kind missbraucht wird. Es ist eben still geworden. Und das Elend geht weiter.
Jesus bringt das Schwert und keinen Frieden. Das verunsichert mich. Ich bin mir so sicher, Jesus zu kennen, zu wissen, was Jesus denn jetzt wirklich will, wofür er steht, was er bringt. Und höre die Botschaft vom trennenden Schwert.
Die Jünger sind mitgegangen. Jesus hat sie bei ihrem Namen gerufen und sie sind ihm gefolgt. Ohne wirklich zu wissen, was auf sie zukommt. Er hat sie beschenkt mit Gaben und Fähigkeiten. Menschen von bösen Geistern zu befreien, sie von Krankheiten zu heilen. Das ist die Welt, in die Jesus gekommen ist.

Jesus sagt: Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Menschen sind unfrei. Sie können nicht, wie sie gern möchten. Sie sind gefangen in Strukturen und Ängsten. Sie sind gefesselt von Traditionen und Denkmustern. Da kommen sie alleine nicht raus. Sie sind bedroht von Krankheiten. Von Viren und Bazillen. Unter manchen leiden sie. Andere spüren sie nicht und halten sie für eine Erfindung.
Aber noch mehr werden die Jünger erleben, wenn sie zu den Menschen gehen. Verleumdungen, Anklagen, Verurteilungen. Ablehnung, Gewalt. Das ist die Welt, in die sie geschickt wurden. Das ist die Welt, in der wir leben. Menschen sind entzweit. Wie mit einem Schwert geteilt. Unversöhnlich, unvereinbar. Dann kann einer eine Waffe nehmen und sein Gegenüber erschießen, weil ihm dessen Meinung nicht passt. Das Schwert hat gewirkt. Menschen sind voneinander getrennt, in zwei Hälften geteilt. Die Bereitschaft, Gewalt auszuüben oder sogar zu töten, steigt. „Ich weiß, was richtig und gut ist.“ „Ich lasse mir nicht vorschreiben, was ich denken und tun soll.“ Und wenn das im Frieden nicht funktioniert, dann halt mit dem Schwert. Oder mit der Faust oder mit der Pistole.

Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Nicht, dass Jesus das Schwert in die Hand nimmt. Aber er kommt als Schwert ist in die Welt. Seine Worte trennen Menschen voneinander. In die, die ihm folgen. Und die, die ihn ablehnen. Das können die Jünger mit dem Schwert nicht verhindern. Aber sie müssen erleben, dass es ihn trifft. Das Schwert, das mit Jesus in die Welt gekommen ist, trifft ihn selbst. Persönlich. Tödlich. Der stört. Haben sie damals gedacht und gesagt. Die das Sagen hatten im Volk. Die verantwortlich waren für den Glauben. Der ist uns im Weg. Der hält sich nicht an unsere Traditionen. Der verunsichert uns. Auf einmal soll nicht mehr gelten, was immer galt? Ich will mir den Zugang zu Gott mit meiner Frömmigkeit verdienen. Ich will das nicht geschenkt. Ich will nicht vertrauen, sondern handeln. Ich will nicht mit leeren Händen zu Gott kommen, sondern das vorweisen, was mir gelungen ist und gut war.

Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Das trennt. Das Vertrauen vom Anspruch. Das Geschenk von der Leistung. Die Vergangenheit von der Zukunft. Das Leben vom Tod.
Die Jünger machen diese Erfahrungen, als Jesus sie zu den Menschen schickt. Sie erleben, wie das Schwert wirkt, wie es trennt und gerade nicht Frieden bringt. Einen Frieden, in dem egal wäre, was jemand denkt und glaubt. Wo jeder nach seiner Einstellung einen Weg zu Gott findet. Diese Harmonie bringt Jesus nicht. Er ruft zu sich. Ihm zu vertrauen. Die Jünger erleben, wie gut er den Menschen tut. Wie gerne sie hören, was er zu sagen hat. Wie sehr Menschen sich freuen, wenn er sie befreit und heilt. Wie sie ihm danken, ihm Loblieder singen. Ihm nachfolgen. Sie ahnen nichts von dem Schwert, das sich zeigen wird. In Ablehnung und Widerstand. Und schließlich am Kreuz.
Es sieht so aus, als spräche das Kreuz eine deutliche Sprache. Und das Kreuz behielte bis zum Schluss die Oberhand. Aber mit Jesus ist es nie so, wie es scheint. Am Ende lacht er über die, die dachten, ihn beseitigt zu haben. Und die ihm vertrauen, denen blüht das Leben. Ohne Gewalt und Schwert. Aber mit Frieden. Den er schenkt. Als Auferstandener grüßt er sie: Friede sei mit euch!

Amen.

 

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Pandemie belastet weiterhin Gemeindeleben und Gottesdienst. Hinzu kommt die schärfer werdende Auseinandersetzung zum Thema ‚Impfen‘. Diese Spannung und z.T. Gereiztheit ist ein Hintergrund für die Formulierungen.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Zwei Erfahrungen waren für mich wichtig, auch wenn nur eine davon direkt in die Predigt eingeflossen ist. Die erste: Ich habe über diesen Text während eines halbjährigen Gemeindepraktikums im Ruhrgebiet gepredigt, meine zweite Predigt überhaupt. Kurz zuvor fand in Bonn die größte Demo gegen den Nato-Doppelbeschluss statt. Es gab heftige Reaktionen der Hörer, es sei zu politisch. Die andere war der Ratschlag meines Homiletikprofessors in Heidelberg zum Friedensgruß.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Wir werden auch weiterhin mit Spannungen leben, die dadurch entstehen, dass es sehr verschiedene Positionierungen in Sachfragen gibt. Im aktuellen Fall ‚Impfen‘ fällt es mir sehr schwer, das zu akzeptieren. Das Zweite, dass ich erneut lernen muss: Jesus steht mir nicht zur Verfügung, er ist nicht, wie ich erwarte, er bleibt auch fremd. Verwirrung und Neugier werden mich weiter begleiten.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Es fiel mir schwer zu predigen. Das machte meine Predigt unausgewogen und sprunghaft. So wie es mir persönlich mit dem Text und seiner Fremdheit ging. Bessere Struktur, Verzicht auf ‚Darlings‘ haben mir zu einem besseren Verhältnis zu meiner eigenen Predigt geholfen. Unklare Behauptungen konnten durch persönliche Botschaften ersetzt werden. Ich bin meinem Coach von Herzen dankbar.

Perikope
24.10.2021
10,34-39