„Friedensangebot“ - Predigt zu Johannes 14,23-27 von Monika Waldeck
14,23-27

„Friedensangebot“

Ein ganzer normaler Montagmorgen mit der lokalen Tageszeitung. Ich lese:

1. Ein Boot voll mit Flüchtlingen aus Myanmar wurde am Samstag von der thailändischen Marine wieder aufs offene Meer geschleppt. Die Menschen waren drei Monate auf dem Wasser und dem Verhungern nahe.

2. Nach dem Erdbeben in Nepal wurden Babys, die von nepalesischen Leihmüttern ausgetragen worden waren, zu wohlhabenden Paaren nach Israel ausgeflogen.

3. Die Trendfarben des Sommers 2015 könnten kontrastreicher nicht sein. Liebliche Aquatöne treffen auf leidenschaftliches Orange und feuriges Grün.

4. 70 von 241 an einer Essstörung erkrankten Jugendlichen sagen, dass Heidi Klums Sendung: Germanys next Topmodel einen starken Einfluss auf ihre Erkrankung hat.

5. Die Firma Hauser Reisen wirbt mit Trekkingtouren in Tibet auf den Pfaden der Erleuchtung zum heiligen Berg Kailash.

O.K. denke ich, der ganz normale Wahnsinn. Trinke meinen Kaffee aus und mache mich auf den Weg zu meiner Arbeit.
Vermutlich bin ich nicht die Einzige, die jeden Tag diesen Spagat hinter sich bringt aus dem Wahrnehmen von irrsinnigen Meldungen aus aller Welt und dem Bemühen, sich einen sinnvollen, strukturierten Alltag zu gestalten.

Oder sind wir selbst etwa wahnsinnig geworden?
In der Regel schaffen es überraschend viele Menschen, die beunruhigenden Signale einer aus den Fugen geratenen Welt zu ignorieren. Und finden das, was täglich geschieht eigentlich ganz normal. Kein Problem. Oder wie man neuerdings gerne sagt: „Alles ist gut.“
Dann rege ich mich höchstens in Stammtischgesprächen darüber auf  oder in Leserbriefen. Und kaufe Möbel in den neusten Trendfarben. Oder buche eine Reise nach Tibet. Weil da bisher noch nicht so viele Leute waren.

Ein paar Ausnahmen gibt es zwar.
Die, denen die Normalität nicht gelingt. Die zu einfühlsam sind, zu ängstlich, zu verzweifelt, zu hoffnungslos. Die dann schwierig werden, nicht funktionstüchtig, depressiv, aggressiv, süchtig.
Aber für die ist ja gesorgt, mit Beratungsstellen, Ärzten, Medikamenten, Psychiatrien.

Und uns selbst haben wir vor allen möglichen Risiken des Lebens versichert. Das mindert die Angst vor den Unwägbarkeiten und Schicksalsschlägen des Lebens, meinen wir. Oder doch nicht so ganz…?

„Um uns vor dem Wahnsinn zu bewahren, müssen wir den Wahnsinn verdrängen, in dem wir leben“, schrieb der Theologe Henning Luther 1991.

Manchmal allerdings, da gelingt das nicht. Da rücken uns Geschehnisse unversehens näher, nämlich dann, wenn wir uns emotional mit ihnen verbinden.

Wie geht ein thailändischer Soldat nach seinem Einsatz nach Hause? Kann er die schwankende, überladene Nussschale auf dem Meer vergessen, von der aus ihn hungrige und durstige Männer, Frauen und Kinder um Hilfe angefleht haben?

Wie fühlt sich das 14-jährige Mädchen, das von ihren Klassenkameraden täglich als „fette Kuh“ beschimpft und wegen ihres Körpers nie zu anderen eingeladen wird?

Wie erlebt ein Schulkind in den Bergen Tibets die europäischen Touristen, die ihm auf ihrem Schulweg ins Tal entgegenkommen? Die Touristen in ihren teuren Bergschuhen, während es selbst barfuß den steinigen Weg bewältigen muss?
Sind das nur Einzelschicksale, traurig, aber nicht zu ändern?

Oder ist die Welt womöglich gar nicht aus den Fugen geraten, weil sie nie in welchen verankert war?
Gibt es am Ende gar keine Struktur, keinen Trost, keinen Frieden, keinen Sinn in allem?
Zwar haben wir uns gegen viele Risiken versichert, aber dennoch bleibt ein Rest.
Den spüren wir, wenn wir Lebenserfahrungen machen, die nicht zu fassen sind und uns um den Verstand bringen. Krankheit, Trauer beim Verlust eines Menschen durch Tod oder den Abbruch von Beziehungen, Schuld. Dagegen kann man sich nicht versichern.

Dann bräuchte man so etwas …wie Religion. Also ein Sinnangebot, wenn es mal nicht klappt, wie es soll, (…und einem doch eigentlich zustünde, zumindest wenn man in der westlichen Welt lebt.)
Bisher bot sich da in unseren Breitengraden die christliche Religion an. Evangelisch oder katholisch gefärbt. Aber wem das nicht gefällt, der kann sich inzwischen auch eine eigene suchen.

Heute, hier im Gottesdienst zu Pfingsten könnte ich Ihnen also sagen:
„Jesus spricht uns Trost zu. Er schickt den Hl. Geist, damit wir in unserem mit Sorge erfüllten Leben keine Angst haben müssen, der Geist soll in uns wohnen und uns Sinn und Halt geben.“  Schon wäre die Predigt fertig.

Henning Luther allerdings hätte dazu eine klare Meinung. Er würde mir als Predigerin sagen: „Ein Gott, den es gibt, weil wir ihn brauchen, ist ein Selbstwiderspruch.“
Eine religiös überhöhte Vertröstung und Verdrängung eben.

Ich gehe einen anderen Weg und schaue noch einmal in den Bibeltext. Jesus sagt: „Ich gebe euch keinen Frieden, wie ihn die Welt gibt.“ Es ist kein Sinn im Wahnsinn der Welt. Und alles Bemühen, ihn zu finden, mag die Angst für einen Augenblick lindern, aber im nächsten ist sie schon wieder da.
Jesus sagt: Zum Abschied schenke ich euch Frieden. Ich gebe euch meinen Frieden.“

Was das für ein Frieden ist, kann ich in den Momenten spüren, in denen ich es wage, meinen Gefühlen Raum zu geben, die helfen, hinter die Fassaden des Wahnsinns zu schauen.

Wenn ich bereit bin, die Schuldgefühle des Polizisten zu auf mich wirken zu lassen, der seinem Befehl gefolgt ist, aber von den Augen der hilflosen Flüchtlinge im Meer verfolgt wird.

Wenn ich mich auf die Einsamkeit des Mädchens einlasse, das von einer unbarmherzigen Norm für Körpermaße auf ihr Lebensglück schließt.

Wenn ich darüber klage, dass viele Kinder auf der Welt keine Schuhe haben und mich dafür schäme, dass Menschen aus meiner Nachbarschaft  ihren Reichtum in einem bitterarmen Land ungeniert zur Schau stellen.

Der Frieden, den Jesus meint, geht dem Schmerz nicht aus dem Weg, nicht der Trauer und vor allem nicht der Einsamkeit, die aus ihm erwächst.
Das hat Jesus auch nicht getan, er hat erlebt, was es bedeutet, schuldig, ausgeschlossen, beschämt und traurig zu sein.
Sein Friede wird erlebbar im inneren Kontakt mit Menschen, die an Abgründen oder an Schwellen ihres Daseins stehen.

So verstehe ich die Bedeutung des Heiligen Geistes.
Er soll unser Beistand sein, denn „…der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich selbst euch gesagt habe.“
Erinnern und mahnen, sich nicht täuschen zu lassen von der vermeintlichen Sicherheit und den tagesaktuellen Trends, die uns der Zeitgeist verspricht.
Sich an alles erinnern, was Jesus gesagt hat, das meint, dass wir die Hoffnung nicht auf die Dinge setzen, die „die Welt“ wichtig findet, sondern auf Gott allein.
Wie das geht? Jesus sagt: „Wer mich liebt, wird sich nach meinem Wort richten.“

Das sind die Freiheit, die kritische Kraft und der Trost der Religion. Mit dieser Liebe im Herzen werden wir uns nicht fürchten müssen vor dem, was das Leben uns abverlangt.


Zitate:
Henning Luther: Die Lügen der Tröster; Das Beunruhigende des Glaubens als Herausforderung für die Seelsorge, in: PrTh 33 (1998), 163-176
 

Perikope
24.05.2015
14,23-27