„Frohe Ostern!“
In diesen Tagen hören wir oft verschiedenste Mitmenschen, bekannte und unbekannte, auf der Straße oder sogar unter dem Verkaufspersonal in den Läden, wie sie uns das wünschen: „Frohe Ostern!“ Was sie sich dabei wohl denken? Wie auch immer, sie spüren dabei wohl etwas Zutreffendes. Von Ostern können wir richtig nur reden, indem wir „Frohe Ostern“ sagen. Und „eine Störung seiner Freude / sucht ein jeder möglichst zu vermeiden“, heißt es bei Wilhelm Busch. Unser Bibeltext erklärt, dass das Ostern nach der Bibel der gute Grund dafür ist, ungestört von allen verkehrten Störungen, frohe Ostern zu feiern und einander zu wünschen. Die Osterlieder im Kirchengesangbuch laden herzlich dazu ein. Man denke, in einem Lied aus dem 18. Jahrhundert heißt es nicht weniger als 12 Mal: „O herrlicher Tag, o fröhliche Zeit“! Und in einem mittelalterlichen Gesang ist radikal davon die Rede: „Wär er nicht erstanden, die Welt, die wär vergangen. Seit dass er erstanden ist, so loben wir den Herren Christ.“ Unser Bibeltext aus dem Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Korinth führt mit gewaltigen Worten aus, warum Ostern uns Freude bereitet.
Zuerst vernehmen wir da: „Christus ist auferstanden“. Das ist doch ungeheuer. Als Paulus auf dem Areopag in Athen, der Stätte der griechischen Weisheit, predigte unter den Leuten auf dem Marktplatz, freuten sie sich allerdings nicht, sondern: „Als sie ‚Auferstehung der Toten’ hörten, spotteten die einen“ und die anderen waren desinteressiert. In der Tat, ist es denn nicht vielmehr so, wie das Lied von Johann Rosenmüller sagt: „Alle Menschen müssen sterben“? Ist der Tod nicht das Ende, „von wo noch keiner kam zurück“? Muss man sich nicht damit abfinden? In manchen Todesanzeigen in den Zeitungen lesen wir: „Wir wollen dich nie vergessen“. Das ist nicht gerade eine Auferstehung. Denn der Dahingegangene kommt nicht zurück. Aber in dieses Traurige hinein ruft Paulus: „Christus ist auferstanden!“ Wie sollen wir das verstehen? Das sagt nicht, dass Christus noch einmal zurückkehrte in sein vorheriges Leben. Geschweige, dass dies bedeutet, dass sein Tod eine Panne war, die für eine Weile rückgängig gemacht wurde, oder ein Irrtum, der nachträglich zu korrigieren versucht wurde.
An Seinem Tod ist nichts rückgängig zu machen und zu korrigieren. Seine Hingabe am Kreuz zur Beseitigung dessen, was uns Menschen von Gott trennt, das ist seine umfassende Heilstat. Seine Aufopferung zur Versöhnung, die bleibt gottlob für immer gültig. Und Er sorgt selbst dafür, dass das nicht vergessen wird. Denn dazu ist er auferstanden von den Toten, dazu lebt er, um sein Versprechen zu halten: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“ (Matth. 28,20). Er ist bei uns – nicht als ein anderer, aber bei uns auf eine ganz neue Weise. Er ist bei uns in einem Leben, das nicht mehr den Tod vor sich hat; sondern das den Tod hinter sich hat. Er ist bei uns und vergegenwärtigt seine Heilstat. Er ist so bei uns, wie es im Johannesevangelium erzählt wird: Als die Jünger erschrocken über den Tod Jesu und voll Angst hinter verschlossenen Türen sitzen, steht er mitten unter ihnen und schenkt ihnen seinen Heiligen Geist und sendet sie damit aus ihren verschlossenen Türen hinaus hin zu ihren Mitmenschen mit der Botschaft der Versöhnung (Joh. 20,19-13). Und er ist so bei uns, wie es dann dort von einer neuen Versammlung Jünger heißt: Da wurde Jesus erneut für einen Moment sichtbar und richtet insbesondere den zweifelnden Jünger Thomas auf mit dem Satz: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Eben bei denen, die ihn nicht sehen, aber an ihn glauben, ist er ebenso erfreulich gegenwärtig wie bei denen, die ihn damals sahen.
Nun könnte man vielleicht denken: Wenn es denn so ist mit der Auferstehung Christi, nun, aber das ändert doch nichts an der Aussage jenes Liedes: „Alle Menschen müssen sterben“. Das bestätigt uns jeder Gang über den Friedhof. Müssen wir also nicht sagen, die biblische Ostergeschichte redet von einer Ausnahme? Und diese Ausnahme bestätigt die Regel der Macht des Todes über jeden Menschen? Sehr wohl, es ist richtig, der Tod ist unser Ende. Aber er ist nicht das Ende Jesu Christi. Er lebt und, indem er lebt, bestätigt er nicht jene Regel. An Ostern durchbricht er diese Regel. Wie er für uns gestorben ist, so ist er für uns auferstanden. Ist es wahr, dass wir sterben, so werden wir in unserem Tod doch nicht ihm wegfallen und nicht aus seiner Hand verschwinden. Unsere Osterlieder jubilieren geradezu darüber: „Lässet auch ein Haupt sein Glied, welches es nicht nach sich zieht?!“ (in: Jesus meine Zuversicht, Berlin 1635) „Ich hang und bleib auch hangen / an Christus als ein Glied., Wo sein Haupt durch ist gangen, / Da nimmt er mich auch mit. /Er reißet durch den Tod,/ Durch Welt, durch Sünd’ und Not, /Er reißet durch die Höll’, / Ich bin stets sein Gesell“, (so Paul Gerhardt). Oder mit dem frühaufklärerischen Christian Gellert (1757): „Jesus lebt, mit ihm auch ich. ... Er, er lebt und wird auch mich / von den Toten auferwecken.“
Wohlgemerkt: „auch mich“. Denn der Horizont des Paulus reicht viel weiter nach unserem Predigttext. Er schreibt: „Er muss herrschen, bis dass er alle seine Feinde unter seine Füße lege.“ In diesen Worten bezieht er das, was im Psalm 110 vom alttestamentlichen König gesagt ist, auf den auferstandenen Christus. Der muss herrschen, und dies solange, bis er alle seine Gegner entkräftet hat, sagt die Schrift. Er ist ja in seinem Erdenleben heftig angefeindet worden. Und er hat noch heute Feinde. Tatsächlich gibt es auch heutzutage Mächte, die sich gegen ihn, gegen Gottes heilsamen Willen richten. Paulus nennt den Tod „den letzten Feind“. Aber das heißt nicht, dass er sein ärgster Feind ist. Mit dem aller ärgsten hat sich Christus in seinem Kreuzestod buchstäblich auseinander-gesetzt. Er ist der ärgste Feind, weil er uns von unserem Angewiesensein auf Gott und sein Erbarmen fernhalten will. Den hat er vor allem entkräftet.
Das Arge an diesem Feind ist, dass er bevorzugt nach solchen greift, die nicht irgendwo fern vom Glauben leben, sondern die durchaus religiös aktiv sind. Seine Meisterleistung ist es, dass er uns von Gott weghaben will, ohne dass wir es merken, ja, ohne dass wir es gerade in unseren frömmsten Gefühlen wahrhaben wollen. Wir merken es nicht, weil wir uns mit uns selbst trösten und zufrieden geben. Das ist der ärgste Feind, der uns zu einem Leben ohne Gottes Gnade anstiftet. Dieser Feind wurde im Tod Jesu Christi erledigt, indem der uns auch in dem tiefsten Dunkel der Gnadenlosigkeit dort nicht verlassen hat. Aber seit diese böse Dunkelheit besiegt ist, gibt sich ihre Macht nicht geschlagen. Noch und noch versucht sie, uns Gottes Zusage seines Beistands madig zu machen und als unglaubwürdig auszugeben. Noch und noch haben wir deshalb zu beten: „Erlöse uns von dem Bösen“. Dieses Böse bedrängt uns von vielen Seiten. Und jener Feind hat ganz zuletzt noch einen Pfeil in seinem Köcher: er will uns einbläuen, dass wir jedenfalls, wenn wir gestorben sind, keinen Heiland mehr haben und nichts mehr von seiner rettenden Macht. Der auferstandene und erhöhte Christus hat gleichsam alle seine Hände voll zu tun, zu „herrschen, bis er alle seine feindlichen Widersprecher unter seine Füße lege“. Aber weil er lebt und kämpft und nicht aufgibt, darum ist dies ein hoffnungsvoller Kampf. Darum ist sein Ausgang nicht zweifelhaft. Und darum wird der Kampf nicht endlos dauern.
Und wenn er beendet sein wird, so sagt Paulus, dann wird erst recht nicht alles zuende sein. Im Gegenteil, dann wird „Gott alles in allem“ sein. Der heute in der Welt bedrängte, der so oft von uns vergessene oder mit allerlei angeblich Heiligem verwechselte Gott wird nicht verschwunden sein, selbst wenn die Gewalthaber und Einflussreichen der Welt allesamt von ihren Lautsprechern und aus ihren Einschaltquoten verschwunden sind. Er, Gott, wird „alles“ sein und wird überall in alle Ecken und Winkeln sein. Es gibt dann definitiv kein Versteck mehr vor ihm. Nicht nur ein klein wenig, nicht beschränkt auf den von uns allenfalls reservierten Raum des Religiösen wird er da sein. Und er wird alles mit seinem hellen, guten, warmen Licht alles erleuchten und durchleuchten, alles, was gewesen ist und was nun doch in ihm aufbewahrt ist.
Nikolaus von Zinzendorf hat daran Anstoß genommen, dass Paulus hier anscheinend so redet, wie wenn Christus ganz zuletzt abgetreten sei und Gott nur noch ohne ihn da ist. Aber wir haben den Satz besser zu verstehen. Paulus sagt: „Der Sohn wird sich selbst dem unterwerfen, dem er alles unterworfen hat.“ (V 28), und dies, damit Gott alles in allem sei. Aber damit ist ja nicht gesagt, dass er die Gottessohnschaft dann abgelegt haben wird. „Er kommt aus seines Vaters Schoß ...“ und er wird auch zuletzt nicht daraus vertrieben, sondern er ist und bleibt Gottes geliebter Sohn, an dem Gottvater Wohlgefallen hat (Matth. 3,17; 17,5). Dieses Wohlgefallen hört zuletzt nicht etwa auf. Vielmehr darum geht es: Er hat zuletzt seine Aufgabe in der Sendung unter uns vollendet. Seine Arbeit ist dann getan und zwar zur vollen Genüge getan. Es wird dann herauskommen, dass es stimmt, was er nach dem Johannes-Evangelium (6,38) kühn erklärte: „Ich bin aus dem Himmel herabgekommen, nicht damit ich meinen Willen tue, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ Aber diesen Willen tut Gott der Vater nicht ohne, sondern mit dem Sohn. Das macht sie unzertrennlich. Das eint sie.
Machen wir damit ernst, dass Gott auch zuletzt kein heilandsloser Gott ist, dann verstehen wir, dass Gott zuletzt auch kein menschenloser Gott ist. Das Schriftwort sagt uns: Gott wir dann sein der „Gott alles in allem“. Gott wird dann nicht ohne alles, sondern mit allem, ja, in allem sein. Daher wird Gott alles sein nicht ohne seine Menschen, eben kein unmenschlicher Gott, keiner, der uns vergessen hat, und keiner, der uns nicht ewig liebt. Ja, wir dürfen sagen: Gott wird dann auch nicht sein ohne all die zahllosen Pflanzen und Tiere, deren Schöpfer er ist und mit denen wir Menschen heute mehr denn je zügellos und räuberisch umgehen. Auch sie sind allesamt keine zeitlosen, sondern sind zeitliche Wesen, die eines Tages geboren werden und eines Tages sterben und vergehen. Aber wie Gott uns und alle schon geliebt hat, bevor an uns auch nur zu denken war, so wird er auch nach aller Zeit uns und alle lieben. Und in seiner Liebe kommt ihm nichts und keiner abhanden.
Pfarrer Hermann Kohlbrügge, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Wuppertal predigte, hat es eindrucksvoll so ausgesprochen: „Darum, wenn ich sterbe – ich sterbe aber nicht mehr – und es findet jemand meinen Schädel, so predige es ihm dieser Schädel noch: Ich habe keine Augen; dennoch schaue ich ihn; ich habe keine Zunge, dennoch lobsinge ich Ihm mit euch allen, die ihr Seinen Namen anruft. Ich bin ein harter Schädel, dennoch bin ich ganz erweicht in Seiner Liebe; ich liege hier draußen auf dem Gottesacker, dennoch bin ich drinnen im Paradies! Alles Leiden ist vergessen!. Das hat uns seine große Liebe getan.“ Gott sei Dank! Liebe Gemeinde, wie sollten wir da nicht einander grüßen mit einem herzlichen „Frohe Ostern!“