Gegen die Trostlosigkeit - Predigt zu 2. Korinther 1,3-7 von Andreas Schwarz
1,3-7

Gegen die Trostlosigkeit - Predigt zu 2. Korinther 1,3-7 von Andreas Schwarz

Gegen die Trostlosigkeit

3 Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. 5 Denn wie die Leiden Christi reichlich über uns kommen, so werden wir auch reichlich getröstet durch Christus. 6 Haben wir aber Trübsal, so geschieht es euch zu Trost und Heil. Haben wir Trost, so geschieht es zu eurem Trost, der sich wirksam erweist, wenn ihr mit Geduld dieselben Leiden ertragt, die auch wir leiden. 7 Und unsre Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben.

Niemand ist gern trostbedürftig.
Die Situation ist unangenehm.
Man möchte sie so schnell wie möglich verlassen.
Wir tun uns schwer, uns selbst und anderen einzugestehen, dass wir trostbedürftig sind.
Wir tun uns schwer, anderen zu sagen, wenn es uns schlecht geht.
Es ist fast peinlich, andere Menschen zu brauchen.
Und so bleiben viele Menschen ungetröstet.
Sie bleiben allein mit der ungestillten Sehnsucht,
jemand möge ihnen zuhören,
sie in den Arm nehmen,
ihnen ihre Tränen abwischen.
Sie bleiben trostlos allein in ihrem Kummer.
Allein in der Trübsal.
Allein - in dem Wechselspiel von Selbstmitleid und Kampf gegen die Trübsal;
Zwischen: 'Mir kann ja doch keiner helfen'
und: 'ich schaffe das schon allein'
So errichten sie eine Mauer, die keinen Trost mehr ankommen lässt.

Wer weiß, vielleicht verbergen sich dahinter schlechte Erfahrung, weil viele, die vorgeben, trösten zu wollen, doch nur vertrösteten.
Mit gut gemeinten Sprüchen wie: 'es wird schon wieder' oder gar: 'reiß dich zusammen'.
Die erweisen sich als hilf- und wirkungslos.
Damit ist niemandem geholfen.
Die Distanz wird nur noch größer.
Denn viele Menschen erleben gerade, dass manches eben nicht mehr wird.
Manches Leid wird immer nur noch größer –
bis zum Ende jeder Hoffnung und Aussicht auf dieser Erde.

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus und Gott allen Trostes.

Paulus hat Trübsal hinter sich.
Das Verhältnis zur Gemeinde in Korinth war angespannt. Sie hatte ihn angegriffen und kritisiert wegen seiner vermeintlichen Schwäche im Reden, Auftreten und Glauben.
Das haben sie bereinigen können, aber Paulus schwingt sich nun nicht auf zur Pose der Überlegenheit.
Das hätten seine Gegner in Korinth gern gesehen. Souveränität und Ausstrahlung waren genau der Maßstab eines Apostels, dem Paulus nicht genügte.
Für Viele ist das ja immer noch der Maßstab, dass der richtige Christ alles Leid im Gebet und in der Kraft des Geistes besiegt, dass es keine Niederlagen mehr gibt für den, der in Christus ist.
Und so treten sie vollmundig auf mit ihrem Anspruch an sich und an andere.
Paulus haben sie nicht auf ihrer Seite.
Der tritt nicht als Sieger auf.
Vielmehr gibt er sich als angefochten, trostbedürftig und getröstet zugleich zu erkennen.
Was für ein trostreiches Vorbild:
Es tröstet der, der angefochten und schwach selbst auf Trost angewiesen ist.

Es ist das Motto bei uns weit verbreitet:
'Rette sich, wer kann!'
Wir sind aber in Wahrheit nicht anders zu retten, als dass der Eine sich selbst nicht rettet, obwohl er es gekonnt hätte. 'Hilf dir selbst und steig herab vom Kreuz' und 'Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen!'
Doch, kann er, aber er hat es nicht getan.
Seine Schwäche für uns
und seine Liebe, die für den tödlichen Konflikt mit
menschlicher Stärke bereit ist,
sind stärker, als wir Menschen.

Jeder von uns braucht mehr Liebe, als er verdient,
und mehr Trost, als er zugibt.
Im Kreuz seines Sohnes zeigt Gott sich als der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes.
Vom Gott allen Trostes bekommen wir Trost und wissen dann überhaupt erst, was das ist.
Daher rühren nämlich die vielen schlechten Erfahrungen, wenn einer trösten will, ohne zu wissen, was das ist.
Dann bleibt er in der Distanz und möchte gern schnell weg aus der Atmosphäre des Leides.
Oder er möchte den Traurigen, den Klagenden gern zur Ruhe bringen.
Und dann erleben traurige Menschen, dass man meint, man könne sie trösten, indem man sie mit ihrer Klage zum Schweigen bringt.
Trösten heißt dann: beschwichtigen;
Menschen fühlen sich nicht verstanden,
nicht gehört in ihrer Not.
Zu trösten aber heißt, hellhörig sein für die Not anderer.
So entsteht ein Raum für seine Klage.
Dazu werden wir ermutigt, damit Klage geäußert und nicht besänftigt wird.
Menschen des Gottesvolkes aus dem Alten Testament geben der Klage Worte; sie drücken aus, was für einen Trost sie erbitten und erhoffen.
Zu ihren Herzen soll geredet werden, weil sie müde sind, in Not und Klage verzagt. Ihre Klage soll sich nicht durch fromme Beschwichtigung den Mund verbieten lassen.
Wie Hiob, der in seiner Beziehung zu Gott nicht aufhört zu klagen, bis er den Weg zur Zuversicht neu findet.
Wer getröstet wird, kann wieder aufatmen. Wer tröstet, lässt aufatmen. Der Trost erstickt nicht die Klage, sondern schenkt neuen Lebensmut und neue Lebenskraft.
Denn jedes Leid lässt uns teilhaben am Leid unseres Herrn Jesus Christus. Es stellt uns sozusagen unter sein Kreuz. Da haben wir nicht nur einen, von dem wir sagen können: 'der hat auch gelitten, der versteht mich, ich bin nicht ganz allein, wenn ich leide'. Es ist nicht nur sein Mitleiden, das da deutlich wird; es ist vor allem das Leiden für uns.
Sein Leiden, das er aus Liebe angenommen und ausgehalten hat bis zum bitteren Ende. Bis dahin, wo Gottes Liebe ihm für ihn selbst entschwindet.
Er hört nicht auf, zu uns zu halten. Er schenkt uns den Raum, in dem wir leben können. Da ist Platz für uns, auch mit unserem Leiden.
So viel bist du ihm wert, dass er für dich und dein Leiden aus Liebe den Tod am Kreuz erleidet. Sein Trost richtet auf, weil er Leiden nicht klein und schon gar nicht weg redet; er lässt es zu, lässt es gewähren, gibt Möglichkeiten zur Klage, zum Weinen.
Die Botschaft von Christus und unser Glaube an ihn machen das Leben nicht leichter.
Aber sie bewahren uns davor, irgendein Leiden auf die leichte Schulter zu nehmen und immer nur zu beschwichtigen.
Der Blick auf das Kreuz Jesu Christi bewahrt uns davor, aus Traurigkeit in Verzweiflung zu versinken.

… damit auch wir trösten können.

Wir verkündigen und hören die frohe Botschaft von Jesus Christus. Liebevoll gehen wir  in der Gemeinde miteinander um. Hören aufeinander, fragen nacheinander, reden miteinander.
Wir lassen Raum für die Klage, damit Menschen gegen Gott zu Gott rufen können. Das Leiden, das viele Menschen erleben, braucht diese Möglichkeit. Das Leid auch in unserer Gemeinde ist wahrscheinlich größer, als wir ahnen.
Körperliche Einschränkungen, die Angst vor der
todbringenden Krankheit; die ständige Pflege eines hilfsbedürftigen Menschen; die unerklärliche Traurigkeit, die Sprachlosigkeit in Ehen, die Zweifel im Glauben, die Überforderung durch Beruf und Familie.
Wer sich auf Menschen einlässt, wird immer auch anfangen, ihr Leid aufzuspüren.
Aber genau darin liegt der Weg zum Trost.
Er führt uns zueinander.
Er bindet uns als Gemeinde aneinander.
Und wir werden so etwas wie eine Trostgemeinschaft.
Wir gehen hin und besuchen Menschen im Krankenhaus. Halten es aus, dass niemand sagen kann, wie es weiter geht und ob irgendetwas wieder gut wird.
Wir gehen zu Beerdigungen, gehen mit ans Grab, reichen Angehörigen die Hand und wissen nicht, was wir sagen sollen. Sind einfach nur da. Wir weichen nicht aus, wir lassen Trauernde nicht allein.
So haben wir teil am Leiden Christi.
Und werden an den einzigen Ort geführt, wo uns Ermutigung von Grund auf geschenkt wird.
Paulus war in größte Bedrängnis geraten; er dachte, sterben zu müssen. Aber Gott erhielt ihm das Leben.
Andere kommen nicht wieder zurück.
Und gehen den Weg, den Jesus gegangen ist: in den Tod.
Im Vertrauen darauf, es ist nicht das Ende.
Der gekreuzigt wurde, ist auferstanden.
Darin liegt die Kraft von Gottes Trost. Wir werden befreit, vor Leiden und aus Konflikten davonzulaufen oder dem Wunschbild unangefochtenen Glaubens hinterherrennen zu wollen.
In Bedrängnis schenkt Gott Trost; in Verzweiflung Mut, in Schwachheit Kraft, in Schuld Vergebung, im Tod das Leben.
So werden wir getröstet von Gott und mit Hoffnung beschenkt: 'wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben'. Amen.