"Gegen jede Vernunft und Einsicht" - Predigt über Lukas 1, 67-79 von Michael Rambow
1,67
Gegen jede Vernunft und Einsicht
Liebe Gemeinde!
Große Freude und Erwartung. Bald kommt das Kind. Zu Hause ist alles vorbereitet. Dann geschieht Unvorstellbares. Die junge Frau verliert ihr Kind. Kein Mensch kann die schreckliche Fehlgeburt exakt erklären. Aber auch die genaueste und treffendste Erklärung hätte sie und ihren Mann nicht vor dem Absturz in diesen abgrundtiefen Seelenschmerz bewahren können.
Heiligabend sitzt sie verzweifelt in der Kirche, an dem Tag, wenn die Geburt des Kindes in den Kirchen gefeiert und fröhlich erinnert wird. Das ist zu viel. Sie geht und tritt aus der Kirche aus.
Dem Priester Zacharias und seiner Frau Elisabeth blieb ein Kind bisher versagt. Da erreicht Zacharias beim Tempeldienst die Verheißung, dass seine Frau ein Kind bekommen wird. Schreck und ungläubige Freude fahren dem alten Mann so in die Knochen, dass es ihm total die Sprache verschlägt. Die Menschen spüren: dem ist etwas ganz Unglaubliches passiert.
Elisabeth wird tatsächlich schwanger. Und als das Kind geboren wird kommt auch dem alten Vater plötzlich die Sprache wieder. Er singt: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk“ (V. 68).
Der Lobgesang des alten Zacharias sagt: Gott verdient Vertrauen gegen jede Vernunft und Einsicht. Wenn man die Hoffnung nicht aufgibt, zeigt sich am Ende Gottes Barmherzigkeit. Auch wenn es über lange Strecken nicht so aussieht und die Lebensrealitäten eine ganz andere Sprache sprechen.
Advent verändert alles. Adventskränze und Lichterketten lösen das Novembergrau ab. Häuser, Wohnungen und ganze Straßenzüge können nicht fassen und bei sich behalten, was an Lichtersehnsucht in das Dunkel der Welt nach außen drängt. Sie bilden einen Stimmungsumschwung ab.
Die Stadt Dresden hat dabei ihre Einwohner allerdings gewaltig verschreckt. Auf dem berühmten „Strietzelmarkt“ mitten in der Stadt steht eine kümmerliche Weihnachtsfichte. Ein dünner Baum mit hängenden Ästen soll erwartungsvolle Einwohner und Gäste aus nah und fern in Stimmung bringen. „Das ist kein Baum. Das ist eine Krankheit“, empört sich in schönstem Sächsisch ein Dresdner angesichts des dünnen, schiefen Baumes. Auch die vorsichtige Erklärung aus dem städtischen Forstamt, dass es sich um eine harmlose Naturerscheinung handle, tröstet wahrscheinlich nur wenig. Es ist eine Katastrophe in die hellste Freudenzeit im Jahr hinein! Als wenn mitten in der Freude einem gesagt würde: Halte bloß den Mund! Sei still!
Manchmal krampft sich mitten in der Freude das Herz zusammen und der Mund wird stumm. Wie soll jemand sich freuen, wenn die Seele weint? Aus diesem Dunkel holen keine frommen Lieder und strahlende Bäume einen so leicht heraus.
Die Grundstimmung vieler in diesen Wochen überlagert der Schein des Erwarteten als ob angesichts der trüben Welt alle hoffen: So kann es doch nicht bleiben. Da muss doch noch etwas anderes in das Leben kommen. Und wenn diese Grundstimmung erst einmal die Seele erreicht, kommen die Worte von und Taten von ganz allein.
„Gelobt sei Gott!“ Es ist wieder Advent. Gott lässt sich erfahren in Lichtern und Musik und vielen lieb gewordenen Äußerlichkeiten. Das ganze Leben erhält eine neue Stimmung. „Gelobt sei Gott!“
Bei Zacharias und Elisabeth hat es ein Eheleben lang gedauert, bis Herz und Mund in der richtigen Stimmung für das Gotteswunder waren. Gott setzte sein Heilswerk allen Welt- und Menschenwahrscheinlichkeiten zum Trotz um.
Viele erleben heute als Grundstimmung: Du musst voran kommen. Du musst besser sein. Du sollst nicht zufrieden sein. Müsste nicht wirklich viel mehr getan werden zur Rettung der Welt und der Finanzen? Jede Woche ein neues Projekt von der Regierungsbank oder der Opposition. Der Einzelhandel hofft auf bessere Umsätze als letztes Jahr.
Der Begriff „Weihnachtsgeschäft“ ist an sich ja ein schreiender Widerspruch und offenbart eigentlich dramatisch ein Dilemma. Ist die ersehnte Freude ein erhandelbares Geschäft mit unzähligen Feiern, die absolviert werden müssen, mit familiärem Stress, der allen auferlegt wird, mit klingelnden Kassen?
Manchmal frage ich mich: Warum haben die so genannten Realitäten oft entgegen aller Erfahrung und auch ohne Notwändigkeit das Leben so fest im Griff, dass alles tot und grau und trostlos scheint? Natürlich hängen der November und der vielfache Tod dem Leben an. Wir könnten wie die junge Frau oder wie Zacharias und Elisabeth viele individuelle Lieder davon singen, wie wenig es zu lachen gibt mit vergeblichen Mühen, verpassten Chancen, zerbrochenen Hoffnungen, abgelegten Wünschen.
Und trotzdem steht neben all dem eben auch die Erfahrung des Zacharias. Entgegen jeder menschlich vernünftigen Erwartung verkündet Zacharias eine wunderbare Umkehr der Grundstimmung. Er besingt das Geheimnis, dessen Kraft nicht aus dem fordernden „Du musst!“ „Tu das!“ aus Kassengeklingel und der Enttäuschung über das nicht Erfüllte kommt. Das Geheimnis des Lebens erfahren wir durch Gott. Gott kommt zu den Menschen in ihrer Not. Er ist immer und immer wieder da, vor aller Zeit und über alle Vorstellungen. Das erlösende Heil kommt nicht aus unseren Möglichkeiten. Selbst wo nach menschlicher Erfahrung nichts zu erwarten ist, weckt Gott Heil und Leben.
Das Evangelium ist die trotzige Gegenstimmung, die Menschen brauchen, um in ihrem Leben zu bestehen. Es will die Stimmung kippen. Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Liebe, Versöhnung, Frieden - die Sehnsucht nach den alten Werten aus der Höhe ist größer im Advent als zu anderen Zeiten. Wir brauchen diese Himmelswerte für ein neues Leben.
Man muss heraus finden, auf welchem Weg das Heil einen ganz persönlich besucht. Wann und wo hat Gott mich besucht ist die Frage im Advent, der alle Vorbereitungen dienen. Wann und wo hat mein Leben eine Ahnung gehabt von Heil und Leben, die vor mir liegen, reifen und wachsen oft gegen alle Vernunft und viele Widerstände.
Wir singen im Advent von der Gegenstimmung. Wir verkünden eine Anti-Stimmung. Mit Gott kommt ein anderer Ton in das Getöse der Welt. Natürlich muss man die Melodie kennen und wissen, worauf es ankommt beim Licht und Feiern und Schmücken. Gott besucht uns. Er kommt in Herz und Sinn.
Trotz aller Dunkelheit leuchtet sein Himmelslicht. Es kehrt sich alles um zu neuem Leben. Die Ankündigung des Kindes lässt den Tod schon hinter sich. Das neue Leben wächst.
Elisabeth und Zacharias können ihr Glück nicht fassen. Zacharias erzählt gleich die ganze Heilsgeschichte seines Volkes. Bei Abraham fängt er an und sagt allen: Mensch, Gott war doch zu allen Zeiten bei uns. Wie konnten wir daran jemals zweifeln.
Die Geschichte der jungen Frau mit dem Schmerz über ihr verlorenes Kind haben sie und ihr Mann mir übrigens selbst erzählt, als sie mir sagten, dass sie ein Kind taufen lassen wollten und wieder in die Kirche eintraten, versöhnt mit Gott und dem Leben. Das war Jahre danach.
Das aufgehende Licht aus der Höhe leuchtet, damit es erscheint in Finsternis und Schatten des Todes und unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet (V. 78.79). Amen.
Liebe Gemeinde!
Große Freude und Erwartung. Bald kommt das Kind. Zu Hause ist alles vorbereitet. Dann geschieht Unvorstellbares. Die junge Frau verliert ihr Kind. Kein Mensch kann die schreckliche Fehlgeburt exakt erklären. Aber auch die genaueste und treffendste Erklärung hätte sie und ihren Mann nicht vor dem Absturz in diesen abgrundtiefen Seelenschmerz bewahren können.
Heiligabend sitzt sie verzweifelt in der Kirche, an dem Tag, wenn die Geburt des Kindes in den Kirchen gefeiert und fröhlich erinnert wird. Das ist zu viel. Sie geht und tritt aus der Kirche aus.
Dem Priester Zacharias und seiner Frau Elisabeth blieb ein Kind bisher versagt. Da erreicht Zacharias beim Tempeldienst die Verheißung, dass seine Frau ein Kind bekommen wird. Schreck und ungläubige Freude fahren dem alten Mann so in die Knochen, dass es ihm total die Sprache verschlägt. Die Menschen spüren: dem ist etwas ganz Unglaubliches passiert.
Elisabeth wird tatsächlich schwanger. Und als das Kind geboren wird kommt auch dem alten Vater plötzlich die Sprache wieder. Er singt: „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk“ (V. 68).
Der Lobgesang des alten Zacharias sagt: Gott verdient Vertrauen gegen jede Vernunft und Einsicht. Wenn man die Hoffnung nicht aufgibt, zeigt sich am Ende Gottes Barmherzigkeit. Auch wenn es über lange Strecken nicht so aussieht und die Lebensrealitäten eine ganz andere Sprache sprechen.
Advent verändert alles. Adventskränze und Lichterketten lösen das Novembergrau ab. Häuser, Wohnungen und ganze Straßenzüge können nicht fassen und bei sich behalten, was an Lichtersehnsucht in das Dunkel der Welt nach außen drängt. Sie bilden einen Stimmungsumschwung ab.
Die Stadt Dresden hat dabei ihre Einwohner allerdings gewaltig verschreckt. Auf dem berühmten „Strietzelmarkt“ mitten in der Stadt steht eine kümmerliche Weihnachtsfichte. Ein dünner Baum mit hängenden Ästen soll erwartungsvolle Einwohner und Gäste aus nah und fern in Stimmung bringen. „Das ist kein Baum. Das ist eine Krankheit“, empört sich in schönstem Sächsisch ein Dresdner angesichts des dünnen, schiefen Baumes. Auch die vorsichtige Erklärung aus dem städtischen Forstamt, dass es sich um eine harmlose Naturerscheinung handle, tröstet wahrscheinlich nur wenig. Es ist eine Katastrophe in die hellste Freudenzeit im Jahr hinein! Als wenn mitten in der Freude einem gesagt würde: Halte bloß den Mund! Sei still!
Manchmal krampft sich mitten in der Freude das Herz zusammen und der Mund wird stumm. Wie soll jemand sich freuen, wenn die Seele weint? Aus diesem Dunkel holen keine frommen Lieder und strahlende Bäume einen so leicht heraus.
Die Grundstimmung vieler in diesen Wochen überlagert der Schein des Erwarteten als ob angesichts der trüben Welt alle hoffen: So kann es doch nicht bleiben. Da muss doch noch etwas anderes in das Leben kommen. Und wenn diese Grundstimmung erst einmal die Seele erreicht, kommen die Worte von und Taten von ganz allein.
„Gelobt sei Gott!“ Es ist wieder Advent. Gott lässt sich erfahren in Lichtern und Musik und vielen lieb gewordenen Äußerlichkeiten. Das ganze Leben erhält eine neue Stimmung. „Gelobt sei Gott!“
Bei Zacharias und Elisabeth hat es ein Eheleben lang gedauert, bis Herz und Mund in der richtigen Stimmung für das Gotteswunder waren. Gott setzte sein Heilswerk allen Welt- und Menschenwahrscheinlichkeiten zum Trotz um.
Viele erleben heute als Grundstimmung: Du musst voran kommen. Du musst besser sein. Du sollst nicht zufrieden sein. Müsste nicht wirklich viel mehr getan werden zur Rettung der Welt und der Finanzen? Jede Woche ein neues Projekt von der Regierungsbank oder der Opposition. Der Einzelhandel hofft auf bessere Umsätze als letztes Jahr.
Der Begriff „Weihnachtsgeschäft“ ist an sich ja ein schreiender Widerspruch und offenbart eigentlich dramatisch ein Dilemma. Ist die ersehnte Freude ein erhandelbares Geschäft mit unzähligen Feiern, die absolviert werden müssen, mit familiärem Stress, der allen auferlegt wird, mit klingelnden Kassen?
Manchmal frage ich mich: Warum haben die so genannten Realitäten oft entgegen aller Erfahrung und auch ohne Notwändigkeit das Leben so fest im Griff, dass alles tot und grau und trostlos scheint? Natürlich hängen der November und der vielfache Tod dem Leben an. Wir könnten wie die junge Frau oder wie Zacharias und Elisabeth viele individuelle Lieder davon singen, wie wenig es zu lachen gibt mit vergeblichen Mühen, verpassten Chancen, zerbrochenen Hoffnungen, abgelegten Wünschen.
Und trotzdem steht neben all dem eben auch die Erfahrung des Zacharias. Entgegen jeder menschlich vernünftigen Erwartung verkündet Zacharias eine wunderbare Umkehr der Grundstimmung. Er besingt das Geheimnis, dessen Kraft nicht aus dem fordernden „Du musst!“ „Tu das!“ aus Kassengeklingel und der Enttäuschung über das nicht Erfüllte kommt. Das Geheimnis des Lebens erfahren wir durch Gott. Gott kommt zu den Menschen in ihrer Not. Er ist immer und immer wieder da, vor aller Zeit und über alle Vorstellungen. Das erlösende Heil kommt nicht aus unseren Möglichkeiten. Selbst wo nach menschlicher Erfahrung nichts zu erwarten ist, weckt Gott Heil und Leben.
Das Evangelium ist die trotzige Gegenstimmung, die Menschen brauchen, um in ihrem Leben zu bestehen. Es will die Stimmung kippen. Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Liebe, Versöhnung, Frieden - die Sehnsucht nach den alten Werten aus der Höhe ist größer im Advent als zu anderen Zeiten. Wir brauchen diese Himmelswerte für ein neues Leben.
Man muss heraus finden, auf welchem Weg das Heil einen ganz persönlich besucht. Wann und wo hat Gott mich besucht ist die Frage im Advent, der alle Vorbereitungen dienen. Wann und wo hat mein Leben eine Ahnung gehabt von Heil und Leben, die vor mir liegen, reifen und wachsen oft gegen alle Vernunft und viele Widerstände.
Wir singen im Advent von der Gegenstimmung. Wir verkünden eine Anti-Stimmung. Mit Gott kommt ein anderer Ton in das Getöse der Welt. Natürlich muss man die Melodie kennen und wissen, worauf es ankommt beim Licht und Feiern und Schmücken. Gott besucht uns. Er kommt in Herz und Sinn.
Trotz aller Dunkelheit leuchtet sein Himmelslicht. Es kehrt sich alles um zu neuem Leben. Die Ankündigung des Kindes lässt den Tod schon hinter sich. Das neue Leben wächst.
Elisabeth und Zacharias können ihr Glück nicht fassen. Zacharias erzählt gleich die ganze Heilsgeschichte seines Volkes. Bei Abraham fängt er an und sagt allen: Mensch, Gott war doch zu allen Zeiten bei uns. Wie konnten wir daran jemals zweifeln.
Die Geschichte der jungen Frau mit dem Schmerz über ihr verlorenes Kind haben sie und ihr Mann mir übrigens selbst erzählt, als sie mir sagten, dass sie ein Kind taufen lassen wollten und wieder in die Kirche eintraten, versöhnt mit Gott und dem Leben. Das war Jahre danach.
Das aufgehende Licht aus der Höhe leuchtet, damit es erscheint in Finsternis und Schatten des Todes und unsere Füße auf den Weg des Friedens richtet (V. 78.79). Amen.
Perikope