Geheimnisvoll – Predigt zu 1. Timotheus 3,16 von Matthias Loerbroks
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Geheimnisvoll – Predigt zu 1. Timotheus 3,16 von Matthias Loerbroks

Eine geheimnisvolle Zeit – schon wenn Weihnachten herannaht. Bei Kindern ist das deutlich, die angesichts all der Heimlichkeiten vor Neugier platzen, aber auch ihrerseits großen Wert auf Geheimhaltung legen bei ihren Produktionsprozessen und bei ihren Produkten. Doch auch wir Erwachsenen spüren in dieser Zeit so etwas wie eine geheimnisvolle Atmosphäre: irgendetwas liegt in der Luft, bewegt unser Herz, berührt unsere Seele. Es ist zwar nicht so, dass wir in dieser Zeit bessere Menschen werden, aber ein bisschen anders schon – etwas weicher, etwas weniger hartgesotten, empfänglicher, weniger verschlossen, weniger eng als sonst. Und jetzt, da nun richtig Weihnachten ist, nämlich Nacht, spüren wir dies Geheimnisvolle noch stärker.

Auch Menschen, die ganz gut ohne Gott und ohne Jesus, ohne das Evangelium zurechtkommen, beschleicht in dieser Zeit die Ahnung, wenigstens der Anflug einer Ahnung: vielleicht ist doch was dran an der Jesusgeschichte; vielleicht ist unsere Welt doch keine völlig gottverlassene Gegend. Gewiss sind nun nicht alle Menschen angerührt und verzaubert. Weihnachten ist auch die Zeit, in der Einsame ihre Einsamkeit schmerzhafter empfinden; in der aber auch Menschen, die durchaus nicht allein, sondern mit anderen zusammen sind, es irgendwie schaffen, einander besonders kräftig auf die Nerven zu gehen, sich besonders heftig in die Haare zu geraten. Doch auch das zeigt ja: es ist eine besondere Zeit; auch das Vermissen von so etwas wie Licht und Wärme, von Frieden ist ja ein starkes Gefühl, das darauf hindeutet: es ist eine geheimnisvolle Zeit; Weihnachten selbst ist eine Art Geheimnis. Ein Geheimnis ist ja etwas anderes als ein Rätsel, das seinen Reiz verliert, wenn es gelöst ist. Ein Geheimnis hingegen behält seinen Reiz, seinen Zauber auch dann, wenn man ihm nachdenkt und nachspürt, es zu ergründen versucht. Und diesen Reiz, diesen Zauber wollen wir dem Geheimnis gar nicht nehmen, indem wir es in jeder Hinsicht plattmachen.

Nun verrate auch ich sicher nicht meinerseits ein Geheimnis, wenn ich sage, dass auch Theologen und Theologinnen etwas verwundert und erstaunt sind, dass nun gerade Weihnachten diese große Bedeutung, diese geheimnisvolle Wirkung hat. Vielleicht sind manche von ihnen sogar ein bisschen verschnupft darüber, denn z.B. die Osterbotschaft ist doch viel aufregender: der Gekreuzigte wurde auferweckt, der zu Tode Gequälte lebt, der Allerletzte ist zum ersten geworden – das ist doch eine Nachricht, die schier Alles auf den Kopf stellt; die bestehende Welt aus den Angeln hebt. Und schließlich wuchs, blühte und gedieh die Christenheit auch viele Jahre ohne jedes Weihnachtsfest; schließlich kommen zwei unserer vier Evangelien ganz ohne eine Geburtsgeschichte aus. Doch auch die Theologen, jedenfalls wenn es gute Theologen sind, werden nun nicht die verschnupften Nasen rümpfen über die erstaunliche Wirkung der Weihnachtsgeschichte, das lebhafte Echo, das sie Jahr für Jahr hervorruft, sondern sie lassen sich anstecken von dieser geheimnisvollen Atmosphäre, verstehen es zumindest als Wink und Fingerzeig, dass nun gerade Weihnachten, nicht Ostern oder Pfingsten, das Fest ist, an dem besonders viele Menschen vom Evangelium berührt, bewegt und bezaubert werden.

Und geheimnisvoll ist sie auch, die Weihnachtsgeschichte des Lukas, die wir gerade wieder gehört haben: der Kaiser in Rom, der den Beschluss fasst, alle Welt auszunehmen, und die militärischen Mittel hat, ihn durchzusetzen – und demgegenüber eine junge Frau, die schwanger ist, guter Hoffnung, die mehr erwartet als ein Kind: eine neue, eine andere Welt, was auch in uns zaghafte Hoffnungen weckt. Sie finden keinen Raum, keinen Ort – das erinnert uns daran, dass auch wir dazu neigen, Gott und Jesus zu verdrängen, ihrem Einfluss keinen oder nur wenig Raum geben in unserem Leben. Doch die frohe Botschaft ist: Jesus kommt trotzdem, schafft sich Raum, nicht nur in unseren Herzen, auch im Weltgeschehen. Da gibt es Hirten, deren Nacht plötzlich strahlen hell wird – und wir sehnen uns danach, dass das auch mit unseren Finsternissen geschehen möge, denen in uns und denen in der Politik, in der Gesellschaft. Ein Bote des Gottes Israels bringt eine Botschaft, die sich – wie die des Kaisers – an alle richtet, doch er verkündet Freude allem Volk, denn der Heiland, der Befreier, der Messias ist geboren. Und dann stellt sich heraus: auch der Gott Israels, nicht nur der Kaiser, verfügt über Streitkräfte, eine ganze Menge himmlischer Heerscharen. Doch die setzten nun nicht ihrerseits mit militärischen Mitteln das Reich Gottes gegen das Kaiserreich durch, sondern loben und preisen Gott, besingen einen Zusammenhang zwischen der Ehre Gottes im Himmel und dem Frieden auf Erden. Könnte da was dran sein? Sind wir so friedlos in uns selbst und unter uns, weil wir selbst ehrgeizig sind, statt Gott die Ehre zu geben, ihn verdrängen, ihm keinen Raum geben? Das Zeichen, das der Verkündigungsengel den Hirten nennt, deutet deutlich darauf hin, dass Gott nicht auf große Männer setzt: ein neugeborenes Kind, in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend, in einer Notunterkunft zur Welt gekommen – das soll der Befreier sein? Gottes Held, der die Welt reißt aus allem Jammer? Ein hilfloses und hilfsbedürftiges Kind, wehrlos; ein Mensch, der später von anderen Menschen verraten, verkauft und umgebracht wird. Das klingt in der Tat geheimnisvoll, das klingt aber auch etwas abenteuerlich. Wir wundern uns, wir staunen, sind aber auch etwas beklommen. Die Hirten aber teilen diese Skepsis nicht, sondern machen sich eilends auf, wollen das, was sie gehört haben, nun auch sehen. Und werden selbst zu Engeln, zu Boten Gottes – verkünden, was sie gehört haben, loben und preisen nun selbst Gott. Und alle staunen. Auch Maria, die doch schon eingeweiht war in dies Geheimnis, ist auf die Botschaft dieser Verkündigungs- und Deute-Engel angewiesen, bewahrt und bewegt ihre Worte in ihrem Herzen. Ich wünsche mir, auch so ein Hirt zu sein, der weitersagt, was er gehört hat, und damit – nicht nur zur Weihnachtszeit, allem Volk große Freude verkündet, Gott in der Höhe die Ehre gibt und Ehre macht und so auch beiträgt zu Frieden auf Erden.

Der Predigttext nimmt dies allgemeine Staunen auf – ein uraltes Lied, das sich im 1. Timotheusbrief findet, kein Weihnachtlied, aber ein Jesus-Lied und damit jedenfalls auch ein Weihnachtslied:

Darin stimmen alle überein: Groß ist das Geheimnis des Glaubens:

Er – Jesus Christus – ist erschienen im Fleisch,

gerecht gesprochen im Geist,

zu sehen gegeben den Engeln,

verkündet unter den Völkern,

geglaubt in der Welt,

hinaufgenommen in die Herrlichkeit.

Groß ist das Geheimnis des Glaubens – das ist Luthers Übersetzung, und der staunende Ausruf „Geheimnis des Glaubens“ ist in manchen Kirchen Teil der Liturgie. Doch diese Übersetzung ist zu massiv – wer wagt schon, vollmundig zu behaupten: ich glaube?; und wer ist so kaltblütig zu sagen: ich glaube das alles nicht? Das Wort, das da steht, ist zarter, schwebender. Geheimnis der Frömmigkeit, könnte man übersetzen und tut das auch hier und da, aber das ist nicht recht hilfreich, weil wir bei fromm und Frömmigkeit an Menschen denken, die ein bisschen eng sind, vielleicht liebenswert, aber doch etwas weltfremd. Das Geheimnis der Anbetung, könnten wir sagen – ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht sattsehen, und weil ich nun nicht weiterkann, bleib ich anbetend stehen. Oder: das Geheimnis der Ehrfurcht, was vielleicht noch deutlicher unser Staunen, das geheimnisvolle Berührtsein ausdrückt. Denn mit Geheimnis ist ja nicht gemeint, dass unser Glaube, unsere Frömmigkeit, unsere Anbetung, unsere Ehrfurcht so geheimnisvoll sind, sondern ihr Gegenstand ist das Geheimnis: Jesus Christus.

Der Lieddichter – oder die Dichterin – versucht nun nicht, dies Geheimnis zu lüften, zu enthüllen, aber doch, es in Worten zu beschreiben und so: zu bewundern, zu bestaunen, auch zu feiern. Und nicht nur die Worte, auch die Form dieses Lieds sollen den Inhalt dieses Geheimnisses ausdrücken, das Stauneswerte der Jesusgeschichte: in drei Doppelzeilen wird jeweils das Obere mit dem Unteren, das Himmlische mit dem Irdischen, das Göttliche mit dem Menschlichen verbunden – wie im Engelgesang die Ehre Gottes in der Höhe mit dem Frieden auf Erden. Wären wir Romantiker, könnten wir vielleicht singen und sagen: in der Weihnacht hat der Himmel die Erde still geküsst. So romantisch ist unser Lied nicht, versucht aber in seiner Weise ein solches Zusammenkommen von Himmel und Erde auszudrücken.

Erschienen im Fleisch: Jesus wird geboren, ein Mensch von Fleisch und Blut, ein Mensch wie wir alle, ein Mitmensch aller Menschen. Und ist doch anders als wir: gerecht gesprochen im Geist – ein Mensch, der so vom Geist Gottes erfüllt und beeinflusst ist, dass er Gott recht ist, Gott selbst in diesem Menschen redet und handelt, in ihm seine Menschlichkeit zeigt.

Während das erste Zeilenpaar vom Irdischen – Fleisch – zum Himmlischen – Geist – ging, ist es beim zweiten umgekehrt: zu sehen gegeben den Engeln, verkündet unter den Völkern. Engel sind ja Boten Gottes. Die bekommen nun zu sehen, dass Menschen selbst zu solchen Boten werden, den Völkern der Welt das Evangelium von Jesus Christus verkünden. Menschen aus allen Völkern sind durch diese Botschaft zu Anhängern des Gottes Israels geworden, aus allerlei inneren und äußeren Zwängen befreit. Das ist ein Bild – nicht für die Götter – die blicken eher grimmig und besorgt auf dies Geschehen –, aber für die Engel, die nicht neidisch und eifersüchtig, sondern voller Freude ihren irdisch-menschlichen Mitmachern zusehen und wohl auch beistehen.

Das dritte Zeilenpaar geht wieder von unten nach oben: geglaubt in der Welt, hinaufgenommen in die Herrlichkeit. Da fällt es nun doch, das große Wort Glauben. Ja, Jesus hat Glauben gefunden, hat Vertrauen erweckt – vielleicht ein zaghaftes, ein brüchiges, ein immer wieder verschüttetes Vertrauen, aber doch in jeder Generation immer wieder neu, mal bei vielen, mal bei nur wenigen Menschen. Und das liegt nicht nur daran, dass seine Worte und Taten so eindrucksvoll waren, zeigt nicht nur die lange Wirkungsgeschichte eines großartigen Menschen. Jesus wurde aufgenommen in Gottes Herrlichkeit, er lebt und kann darum in aller Welt und in allen Zeiten wirken. Und er hat dabei nicht aufgehört, Mensch zu sein; in ihm sind wir alle bei Gott aufgenommen, in ihm haben wir alle bei Gott Sitz und Stimme.

Das kurze Lied macht einen raschen Durchgang durch die Jesusgeschichte, von Weihnachten über Ostern zu Himmelfahrt und Pfingsten, um das Geheimnis dieser Geschichte zu loben und zu preisen: die innige Verbindung zwischen Himmel und Erde, zwischen Gott und allen Menschen in diesem einen Menschen: Jesus. Gott will nicht nur hoch und erhaben sein, sondern auch niedrig und gering; will nicht ohne uns Gott sein, sondern Gott mit uns. Das alles, diese ganze Geschichte, ist wirklich geheimnisvoll und zum Staunen. So wollen auch wir – wie die Engel, wie die Hirten – Gott loben und preisen, ihm die Ehre geben. Unser Predigttext macht es ja vor: das Wichtigste zu Weihnachten sind die Lieder.

Amen.