Geheimtipp - Predigt zu Kol 2,3-10 von Matthias Loerbroks
2,3-10

Jetzt hatten wir die Bescherung. Jetzt ist alles ausgepackt, ausgewickelt. Das gehört ja zum Reiz des Schenkens und Beschenkt-Werdens, dass Geschenke meist nicht roh und unverhüllt überreicht werden: Da, nimm! Da hast du das Deine. Wir geben uns Mühe mit dem Einwickeln, suchen schönes Papier aus, oft glänzendes. Ob es beim Auspacken ähnlich behutsam und sorgfältig zugeht, hängt freilich vom Temperament, von Geduld oder Ungeduld der Beschenkten ab. Dies Verpacken soll die Spannung steigern, soll die Überraschung noch einen kleinen Moment hinauszögern. Vor allem aber wollen wir den Wert und die Bedeutung des Geschenks durch die Schönheit der Hülle hervorheben.

Mit Weihnachten selbst ist es ähnlich. Wir schmücken unsere Kirchen, unsere Wohnungen und hoffen dabei darauf, dass dies eine Hülle sein wird für ein wunderbares Geschenk, etwas Wertvolles und rundum Erfreuliches: große Freude. Das ist auch der Grund, warum zu Weihnachten viele Menschen in die Kirche gehen, die das sonst nicht tun. Sie haben die vage Ahnung, die zaghafte Hoffnung, dass in der vertrauten, trotzdem geheimnisvollen Weihnachtsgeschichte und auch in den Liedern etwas drinsteckt, das für das eigene Leben, vielleicht für das Leben aller Menschen unendlich wichtig und wertvoll ist, hilfreich und tröstlich: große Freude. Diese Erwartung wird vielleicht nicht immer erfüllt – heute sind wir hier ja schon wieder etwas weniger als gestern. Es ist nicht leicht auszusagen, auszupacken, was das Geheimnis, was die Botschaft, das Geschenk der Weihnacht ist.

Doch unser heutiger Predigttext aus dem Kolosserbrief bestätigt und bestärkt diese Erwartung. Er sagt von Jesus Christus: In ihm sind alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis verborgen. Alle Schätze, aber verborgen, verhüllt – das klingt wie ein Geheimtipp: Hier ist was zu finden und was zu holen, was nicht offensichtlich ist, aber sehr, sehr wertvoll. Wenn wir bei einem Schatz an Gold, Silber oder Juwelen denken, spielt gewiss auch der materielle Wert mit, der Tauschwert. Wenn wir einen geliebten Menschen einen Schatz nennen, wird uns sofort klar: Von Tausch kann hier gar keine Rede sein; mit Schatz meinen wir das, was uns freut, uns beglückt. Ich sehe dich mit Freuden an und kann mich nicht sattsehen, heißt es in einem Lied Paul Gerhardts. Und in einem anderen greift der Dichter und Pfarrer unseren Geheimtipp auf und gibt ihn weiter: Die ihr arm seid und elend, kommt herbei, füllet frei eures Glaubens Hände. Hier sind alle guten Gaben und das Gold, da ihr sollt euer Herz mit laben. Wir würden freilich bei solchen Schätzen nicht unbedingt und jedenfalls nicht zuerst an Weisheit und Erkenntnis denken. Doch mit dem Wort Erkenntnis ist nicht graue Theorie, trockener Lernstoff gemeint. Erkennen – das ist in der Bibel auch das Wort für Sex, was signalisiert, dass für ihre Autoren Erkenntnis was mit Lust und Liebe zu tun hat, mit Glück.

Ein verborgener, verhüllter Schatz. Doch anders als bei unseren Weihnachtsgeschenken ist die Verpackung hier kein Schmuck, keine Zier, um die Gabe hervorzuheben, auf ihren Wert aufmerksam zu machen, das Liebevolle des Geschenks zu demonstrieren. Im Gegenteil: so unscheinbar wie nur möglich, etwas paradox gesagt: Geradezu auffällig unauffällig ist diese Verhüllung. Davon erzählt die Weihnachtsgeschichte des Lukas. Geburten gibt es viele, jeden Tag, und die meisten Neugeborenen werden in Windeln gewickelt. Und leider geschehen nicht wenige dieser Geburten unter prekären Bedingungen, in Notunterkünften. Dass in diesem einen Menschen lauter Schätze sind, das sieht man ihm nicht an. Das muss einem erstmal gesagt werden. Und das geschieht auch. Der Glanz, die Herrlichkeit Gottes strahlt auf Erden, erscheint den Hirten, und ein Bote Gottes, ein Engel verkündet große Freude – für alle. Und dann werden die Hirten selbst zu Weihnachtsengeln, zu Boten Gottes. Sie sagen weiter, was ihnen gesagt wurde. Sie loben und preisen Gott wie zuvor die Engel. Auch ihre Botschaft richtet sich an alle: Alle, an die es kam, staunten.

Etwas von einem verborgenen Schatz klingt auch an im Beginn des Johannesevangeliums, in der Weihnachtsgeschichte des Johannes. Das Wort wurde Fleisch, heißt es da – das Wort, das im Anfang war, das Wort: Es werde Licht, das wird nun ein Mensch, wird allen Menschen zum Mitmensch. In unser armes Fleisch und Blut verkleidet sich das ewig Gut, heißt es in einem Weihnachtslied Martin Luthers. Johannes fährt fort: Wir sahen seine Herrlichkeit, seinen Glanz, doch offensichtlich ist das nicht, was da gesehen wurde, sondern verhüllt, verborgen: verkleidet in unser armes Fleisch und Blut. Auch bei Johannes bedarf es darum eines Hinweises, eines Tipps, eines Boten Gottes, der auf diesen verborgenen Schatz aufmerksam macht. Es geschah: Ein Mensch, von Gott gesandt, Johannes sein Name, der kam zum Zeugnis; um das Licht zu bezeugen, auf dass Alle – auch diese Botschaft richtet sich an Alle – durch ihn Glaubende werden. Er war nicht das Licht, sondern kam, um das Licht zu bezeugen.

Wir hörten auch, wie im Jesajabuch ein solcher Bote als Freudenbote gepriesen wird. Er macht die Völker der Welt darauf aufmerksam, dass in Israel Großes geschehen ist: Der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. So hat er seinen heiligen Arm offenbart vor den Augen aller Völker, dass sie sein befreiendes Handeln sehen. Dass im kleinen, weltgeschichtlich unbedeutenden Volk Israel Entscheidendes für alle Welt geschieht, das sieht man ihm nicht an. Dass seine Geschichte der heimliche rote Faden der Weltgeschichte ist, darauf muss man erstmal kommen. Da braucht es Hinweise, Zeugen, Boten: Geheimtipps. Johannes spielt darauf an, wenn er schreibt: Das Licht scheint in der Finsternis – Israel als Licht der Völker in der Finsternis der Völkerwelt. Die Finsternis hat dies Licht nie begriffen, sie hat es aber auch nie ganz auslöschen können. Und Lukas stellt dem Kaiser, dem Goliath in Rom den kleinen Davidsohn in Bethlehem gegenüber und entgegen.

In Kolossä aber sucht und erwartet man Kolossales: allgemeine Theorien, Grundprinzipien und Grundgewalten, nach denen die ganze Welt organisiert ist und funktioniert und durch deren Erkenntnis sich auch Sinn für das eigene Leben finden lässt. Die kleine Geschichte, von der die Bibel erzählt, unbedeutend und unscheinbar, am Rand der großen Weltgeschichte, galt als wenig eindrucksvoll, etwas genierlich auf dem Forum der Weltöffentlichkeit und vor allem ihrer Weisen. Unser Briefschreiber hält davon nichts. Solche angenommenen oder tatsächlichen Grundprinzipien sind ja Mächte des Bestehenden – die biblische Geschichte, so klein und unscheinbar sie ist, zielt hingegen auf Veränderung der ganzen Welt. Der Autor pflichtet da einem späteren Sohn seines Volkes bei und sagt ungefähr: Diese Philosophien der Tradition und der Grundgewalten haben die Mächte des Bestehenden nur verschieden – und nicht einmal sehr verschieden – interpretiert, Jesus aber und dem Evangelium kommt es darauf an, die bestehende Weltordnung zu verändern.

Andere in Kolossä schürfen tief in ihrem Inneren, versuchen durch Konzentrationsübungen, bestimmte Ernährung oder Fasten, Meditation und Versenkung das geheimnisvolle eigene Selbst zu erkunden und in dessen Tiefe auch göttliche Geheimnisse aufzuspüren. Auch davon rät der Briefschreiber ab. Die Wahrheit über uns selbst ist nämlich auch noch verhüllt. Unser Leben ist mit Christus verborgen in Gott, schreibt er.

Er will unser ratloses Suchen nach Sinn und Orientierung, unseren verzweifelten Wunsch nach Hilfe ganz woanders hin lenken. Nicht im Großen und Ganzen, auch nicht in deinem Inneren wirst du irgendwas wirklich Tröstliches, Hilfreiches, was zum Freuen finden. Das ist der Pfiff, der Clou, die Pointe der ganzen Bibel: wenn du wissen willst, wer Gott ist und wie er ist und was er will; wenn du in all deiner Finsternis nach Licht suchst, nach Trost und Sinn – dann musst du auf ein kleines Volk am Rand blicken, nicht besonders eindrucksvoll, eher unscheinbar: das Volk Israel. Da muss man erstmal drauf kommen.

Auch Lukas will unseren Blick umlenken, konzentrieren auf eine kleine Randgeschichte, erklärt sie zum Mittelpunkt. Er beginnt mit dem imperialen Blick von oben auf alle Welt. Der Kaiser befiehlt und alle gehorchen. Er will die bestehenden Machtverhältnisse erhalten und finanzieren. Doch sogleich lenkt der Erzähler unseren Blick auf die Randprovinz Syrien, zu der auch das Land Israel gehörte, nennt beiläufig Quirinius, den dort mächtigen Stellvertreter des übermächtigen Kaisers, nimmt dann aber nur ein junges Paar im Lande Israel in den Blick, Maria und Joseph, konzentriert sich schließlich ganz auf den Bauch der Maria: die war schwanger. In dieser Schwangerschaft sind alle Hoffnungen und Erwartungen Israels, alle Sehnsüchte der Menschheit gebündelt.

Am Ende unseres Abschnitts redet der Verfasser vom verborgenen Schatz noch einmal in etwas anderen Worten: In ihm, in Jesus Christus, wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig. Aufs Leibliche kommt es der Bibel an – rein Geistiges ist ihr fremd und unheimlich. Darum ist Weihnachten, ist schon die Geburt Jesu so wichtig. Ehe er überhaupt eins seiner tröstlichen und strengen, seiner beherzigenswerten Worte gesagt, eine seiner befreienden Taten getan hat, wohnt in ihm, dem Armen ohne festen Wohnsitz, die ganze Fülle Gottes; sie ist dein Mitmensch, dein Bruder geworden. Das Ja-Wort Gottes wurde ein Mensch, verkleidet sich in unser armes Fleisch und Blut. Gott hat sich entschlossen, ganz und gar, mit Leib und Seele, mit Haut und Haaren Gott mit uns, auf keinen Fall Gott ohne uns zu sein. Und so konzentriert er seine ganze Fülle in diesem einen Menschen, der allen Menschen zum Mitmensch wird.

Doch wozu dies Versteckspiel, das Verkleiden, Verhüllen und Verbergen? Es ist kein Kinderspiel, kein Fasching. Inkognito aufzutreten, Undercover, das ist eine Kampfform. Im Verborgenen agiert, wen die Verhältnisse dazu zwingen, im Untergrund zu arbeiten. So geht es Gott auch bei seinem Ziel, uns von den Sklavenhaltern unseres Lebens zu befreien. Die internationale Arbeiterbewegung hat, als es sie noch gab, mal frohgemut übermütig, mal verzagt gesungen: Es rettet uns kein höhres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun. Der Gott Israels ist zum selben Ergebnis gekommen: dass er uns nicht – jedenfalls nicht nur – als ein höheres Wesen befreien kann, sondern – jedenfalls auch – verhüllt als unser Mitmensch, der unser Leben teilt und so sein Leben uns mitteilt, uns dafür alles wegnimmt und abnimmt, womit wir uns selbst und einander das Leben so schwer machen.

Unsere Kirche hat oft versucht und versucht es auch heute, ihre Bindung an diese sehr besondere Geschichte mit Israel und mit Jesus zu lockern, etwas allgemeiner von Gott zu reden oder, noch allgemeiner, nicht von Gott, sondern von Spiritualität, von ethischen Werten und kulturellem Erbe. Sie wollte und will damit zeigen, dass sie trotz der provinziellen Wurzeln ihres Evangeliums nicht eng, nicht beschränkt ist, nicht geistig zurückgeblieben. Sie wollte und will damit vor allem Menschen den Zugang zur Kirche erleichtern, denen das alles gänzlich fremd ist. Doch gerade unsere kirchenfremden und kirchenkritischen Mitmenschen würden eine Kirche interessanter finden, die eigensinnig bei ihrem besonderen, auch etwas absonderlichen Stoff bleibt. Sperriges und Kratziges ist verlockender als Glattes. Menschen spüren, wenn die Kirche da ausweicht, dass das aufweicht.

Liebe Gemeinde, sei nicht verzagt und schon gar nicht verbittert darüber, dass das Evangelium nicht Menschenmassen herbeilockt – oder jedenfalls nur selten –, dass es nicht einmal mehr mehrheitsfähig ist. Erwarte keine kolossalen Erfolge. Unser Predigttext macht uns darauf aufmerksam, dass reiche Schätze, dass Gottesfülle in ganz unscheinbarer und unauffälliger Verhüllung zu finden und zu haben sind. Das gilt auch für unsere Gemeinde. So lasst uns wie Maria die Worte dieser Botschaft in unserem Herzen bewegen, ihre Schätze wahrnehmen. Etwas vom Glanz dieser Schätze wird dann schon ausstrahlen, auch anderen aufleuchten und einleuchten. Unser Briefschreiber ist da zuversichtlich. Er schreibt nicht nur: In ihm, in Jesus Christus, wohnt die ganze Gottesfülle leibhaftig. Sondern er fügt sogleich hinzu: in ihm seid auch ihr Erfüllte.

Amen.

P.S. Die Predigt setzt zum einen voraus, dass im Gottesdienst als Evangelium, Joh 1,1–14, ganz gelesen wird, also einschließlich der Verse 6–8, die die Perikopenordnung rausgeschnitten hat; zum anderen, dass statt der Epistel die alttestamentliche Lesung, Jes 52, gelesen wird, was ohnehin naheliegt, da schon der Predigttext aus den Briefen stammt.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Matthias Loerbroks

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Zum einen: the morning after the night before – der harte Kern, der heilige Rest, wieder unter sich, vielleicht etwas verzagt angesichts seiner kleinen Zahl, soll gestärkt und bestärkt werden.
Zum anderen: Menschen, die den Heiligabend-Trubel meiden und nun am ersten Weihnachtstag genauer hören wollen, als das am Heiligen Abend möglich ist, worum es in der Weihnachtsbotschaft, im Evangelium geht.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Der Kolosserbrief richtet sich an eine winzige Minderheit, in ihrem Glauben unsicher, beeindruckt und angefochten von viel erfolgreicheren Mächten, Gestalten und Wahrheiten. Der Briefschreiber ermutigt sie, indem er gerade der sehr besonderen Israel-und-Jesus-Geschichte höchst universale Bedeutung zuspricht – und damit auch seinen Lesern und Hörern.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die Warnung vor der Philosophie (V.8) hielt ich bisher für ein bisschen borniert, eng und ängstlich, habe aber nun entdeckt: eine Philosophie oder eine Theologie der stoicheia, der Grundmächte, Grundgewalten, begnügt sich damit, das Bestehende zu deuten – Weltdeutung, Lebensdeutung, Sinngebung für Sinnloses –, Jesus aber und dem Evangelium geht es um Weltveränderung.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Mein Coach hat mich erfolgreich dazu ermutigt, kräftiger zu formulieren – ohne „vielleicht“, „möglicherweise“, „könnte“. Weniger erfolgreich war er mit seinem Rat, öfter in Ich-Form zu reden. Der hat mir zwar eingeleuchtet, es ist mir aber – aus Gründen, die mir noch nicht ganz klar sind – nicht gelungen, ihn zu befolgen. Vielleicht (das Wort ist hier, denke ich, vertretbar) gelingt das etwaigen Nutzern der Predigt, wenn sie sie ihrerseits redigieren.

Perikope
25.12.2022
2,3-10