Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen? - Predigt zu 1. Timotheus 2,1-6a von Dieter Splinter
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Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen? - Predigt zu 1. Timotheus 2,1-6a von Dieter Splinter

Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen?

1 So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus,  6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.

I.

Liebe Gemeinde!

Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen? Die Antwort auf diese Frage entwickelt der Apostel Paulus (oder einer seiner Schüler) in drei Schritten.

II.

Der erste Schritt beginnt mit einer Ermahnung: „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen...“. Viele haben die mahnenden Worte des Apostels befolgt. Jede Kirche zeugt davon. Wer eine Kirche betritt, betritt einen Gebetsraum. In jeder Kirche wurde gebetet. In jeder Kirche wird gebetet – und so lange eine Kirche steht, wird darin gebetet werden.

Das ist gut so. Die Welt braucht Gebete. Wichtig sind sie zunächst für den, der betet. Eine kleine Geschichte macht es deutlich: „Dem Missionar einer Buschkirche in Neuguinea fiel ein Mann auf, der immer nach dem Gottesdienst noch lange Zeit in der Kapelle sitzenblieb. Dieser Mann schaute dann immer mit auf der Brust verschränkten Armen zum Altar, der jetzt abgeräumt und leer war. Einmal nahm sich der Missionar ein Herz und fragte den Mann, was er denn da die ganze Zeit bete. Der antwortete nur lächelnd: 'Ich halte meine Seele in die Sonne.'“

Wer betet, spürt etwas von der Wärme Gottes. Wer betet, bekommt neue Energie. Wer betet, taucht ein in ein Licht, das er nicht selber gemacht hat. Wer betet, weiß: Ich bin nicht allein. Gott ist da für mich. Er hält mich. Er trägt mich. Denn ja, es ist so: „Der Herr ist mein Hirte - mir wird nichts mangeln!“ Jedes Gebet ist ein Sonnenbad für die Seele.

Wenn Christen und Christinnen zusammenkommen, dann beten sie aber nicht bloß jeweils für sich selber. Es ist uns aufgetragen „für alle Menschen“ zu beten. Ein christlicher Gottesdienst ist darum immer auch ein öffentlicher Gebetsdienst. Wir tun es vor allem im Fürbittengebet. Darin nehmen wir die Welt ins Gebet. Wir beten für jene, die mühselig und beladen sind. Wir beten für jene, die krank sind und von Krieg heimgesucht werden. Wir beten für jene, die fliehen müssen und nicht mehr ein noch aus wissen. Ihre Not legen wir Gott ans Herz und bitten ihn um Beistand. In unserer Ohnmacht nehmen wir Zuflucht zu seiner Allmacht. In unserer Schwäche vertrauen wir auf seine Stärke.

„Für alle Menschen“ zu beten heißt darüber hinaus noch etwas anderes. Der Gebetsdienst der christlichen Gemeinde im Gottesdienst geschieht immer auch für jene, die nicht da sein können oder wollen. „Für alle“ zu beten, ist immer auch ein Akt der Stellvertretung.

Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen? Die Antwort, die im ersten Schritt im 1. Timotheusbrief entwickelt wird, lautet: Im Gebet halten wir gleichsam unsere Seele in die Sonne. Wir tun es aber nicht bloß für uns allein, sondern ebenso für jene, die mühselig und beladen sind – und für jene, die nicht da sind und am Gottesdienst teilnehmen.

III.

Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen? Um diese Frage zu beantworten, kommt der Apostel nun auf den Gesetzgeber zu sprechen; also auf die Regierung. Der Apostel fordert dazu auf, „für alle Menschen“ zu beten. Und das bedeutet eben auch zu beten „für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“

Diese Worte wurden in einer Zeit geschrieben, in der Christen immer wieder um Leib und Leben fürchten mussten. „Für die Könige und alle Obrigkeit“ zu beten, war zunächst ein Akt der Stellvertretung. Die so ins Gebet Genommenen waren gewiss nicht da. Sie beteiligten sich nicht am Gottesdienst. Vielmehr war damit zu rechnen, dass die Regierenden Christen drangsalierten. Wer dann dennoch für die Regierenden betete, wollte an seiner Staatstreue keinen Zweifel aufkommen lassen.

Man mag das als Duckmäusertum verunglimpfen. Doch ist das Ansinnen, den christlichen Glauben in Freiheit und Menschenwürde zu leben, selbst heute noch nicht  überall in die Tat umgesetzt. Im Gegenteil. Die Christenverfolgungen nehmen zu. Papst Franziskus beschreibt die Situation zu Recht darum so:

“Es ist nicht erforderlich, in die Katakomben oder ins Kolosseum zu gehen, um die Märtyrer zu finden: die Märtyrer leben jetzt, in zahlreichen Ländern. Die Christen werden ihres Glaubens wegen verfolgt. In einigen Ländern ist es ihnen untersagt, ein Kreuz zu tragen: sie werden bestraft, wenn sie es doch tun. Heute, im 21. Jahrhundert, ist unsere Kirche eine Kirche der Märtyrer.”

„... ein ruhiges und stilles Leben führen (zu) können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit“ - das wird vielen Christen heutzutage in dieser Welt immer noch verwehrt. Religionsfreiheit ist vielerorts nicht selbstverständlich. Das mag hierzulande anders sein. Doch gilt es auch bei uns  wachsam zu sein. So tun wir etwa gut daran darauf zu achten, dass der Sonntagschutz nicht ausgehöhlt wird.

Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen? Im zweiten Schritt seiner Antwort fordert der Apostel dazu auf für die Regierenden zu beten. Und wenn der christliche Glaube unterdrückt wird, gilt es erst recht die dafür Verantwortlichen ins Gebet zu nehmen.

IV.

Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – wie hängen sie zusammen? Um diese Frage zu beantworten, geht der Apostel nun einen dritten und letzten Schritt. Die Gemeinde soll „für alle Menschen“  und „für die Könige und alle Obrigkeit“ beten. Wenn sie es tun, so ist dies „gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, welcher will, das allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen.“

Wer für die Mühseligen und Beladenem betet, legt sie Gott ans Herz. Wer stellvertretend für die betet, die nicht da sind – und seien es jene, die ihm das Leben von Staats wegen schwer machen – macht deutlich: Gott will, „dass allen Menschen geholfen werde...“. Die Gebete der Gemeinde sind für Außenstehende die Einladung, an Gott zu glauben. Auch wenn sie nicht dabei sein können oder wollen, wenn für sie gebetet wird, so wissen sie doch, dass es geschieht. So nimmt es nicht Wunder, dass selbst jene, die am Gottesdienst nicht teilnehmen, sich hierzulande dafür einsetzen, dass Kirchen gebaut und erhalten werden.

Doch geht es dem Apostel noch um mehr. Die Gebete der Gemeinde sollen deshalb eine Einladung zum Glauben sein, damit alle „zur Erkenntnis der Wahrheit“ kommen. Die Wahrheit, die es zu erkennen gilt, beschreibt der Apostel so: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.“

Ein Gott ? Ein Mittler? Viele sind misstrauisch geworden gegenüber dem absoluten Anspruch, der hier formuliert wird. Sie haben Grund dazu. In dunklen Zeiten unserer Geschichte hieß es: „Ein Volk, ein Reich, ein Führer!“ Das war eine gängige Parole der Nationalsozialisten. Steigbügelhalter waren für sie unter anderen die Deutschen Christen. Bei ihnen klang der Absolutheitsanspruch so: „Ein Volk, ein Gott, ein Führer!“

Aus der Religionsgeschichte wissen wir, dass der Ruf „Es gibt nur einen Gott!“ zum Schlachtruf werden kann. Er dient dann dazu, sich gegenüber anderen Religionen zu behaupten und sich gegen sie durchzusetzen.  Heutzutage haben sich extreme Islamisten diesen Schlachtruf auf die Fahnen geschrieben.

Ein Gott ? Ein Mittler? Das ist in Wahrheit kein Schlachtruf. Doch geht es trotzdem um einen Anspruch. Wahrheit erhebt immer einen Anspruch. Sie will eben wahr sein und darum gelten. Misstrauen gegenüber einseitigen Parolen ist geboten. Trotzdem gilt es bei der Wahrheit zu bleiben. An ihr halten wir fest. Sonst wären wir keine Christen.

Die Wahrheit für uns ist: Gott begegnet uns in einem Menschen, in Jesus Christus. Der Mittler zu Gott ist ein Mensch wie du und ich. Den Weg zu Gott stellt er uns da. In der Nacht, in der er verraten wird, betet er im Garten Gethsemane, Gott möge den Kelch des Leids an ihm vorübergehen lassen. Doch kommt es anders. Christus wird gekreuzigt. Und es wird deutlich: Erlösung sieht immer anders aus! Selber Beten und anderen Gewalt zufügen – das geht gar nicht!

V.

Gemeinde, Gebet, Gesetzgeber und Gott – sie hängen für den Apostel in der Tat zusammen. Im Gebet wissen wir: Gott ist für uns da. Seine Nähe wärmt uns. Sein Licht erhellt uns. Im Gebet halten wir unsere Seele in die Sonne von Gottes Gegenwart. In der Gemeinde tun wir das besonders im Gottesdienst. Dort tun wir es nie allein, sondern mit anderen. So soll es sein. Unser gemeinsamer Gebetsdienst im Gottesdienst nimmt die Welt ins Gebet. Wir legen so die Mühseligen und Beladenen Gott ans Herz. Zudem beten wir stellvertretend für jene, die nicht das sein können oder wollen. Unser Gebet schließt die Regierenden mit ein – und besonders jene unter ihnen, die Christen andernorts drangsalieren und verfolgen. All das tun wir im Blick auf Jesus Christus. Er hat uns einen Weg gezeigt, der Erlösung verheißt. Wer Jesus Christus auf diesen Weg folgt, der weiß: Gebete und Gewalt, die man anderen zufügt, gehen nicht zusammen.

Und so bewahre der Friede Gottes, welcher höher ist den all unsere Vernunft, unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.