Getragen im Leid, voller Hoffnung für das, was kommt – Predigt zu 2. Timotheus 1,7-10 von Peter Schuchardt
1,7-10

Liebe Schwestern und Brüder,
das Leben ist wunderbar. Es bietet uns so viel Schönes. Mancher von euch hatte im Urlaub und in den Ferien wieder Zeit, um das Wunderbare und Schöne des Lebens zu genießen. Ein Spaziergang am Meer, eine Wanderung in den Bergen, gemeinsam mit lieben Menschen unterwegs sein und ein neues Land entdecken. Passt gut auf diese schönen Erinnerungen auf, denn man ist ganz schnell wieder im Alltag, in der Arbeit, in der Schule eingebunden. Und passt gut auf, dass ihr euch weiterhin Zeit nehmt für einen Spaziergang, für einen Nachmittag mit Freunden, für das Schöne des Lebens.

Denn das Leben ist eben nicht nur wunderbar. Es gibt den Alltag zu Hause, es gibt Ärger bei der Arbeit und Stress in der Schule. Einer macht sich Sorgen, wie lange er noch seine Arbeit hat, eine andere hat gar kein Geld, um in den Urlaub zu fahren. Und noch einer ist froh, dass die Schule endlich wieder losgeht, weil zuhause nur öde Langeweile war und die Eltern betrunken, wenn sie sich nicht gerade gestritten haben. Mancher von euch quält sich mit einer schlimmen Diagnose. Sie lässt dich nicht schlafen, und auch wenn du dich immer mal wieder kurz ablenken kannst, immer ist das Wort in deinem Kopf, das dein Arzt dir gesagt hat. Wie wird es werden?

Das Leben ist nicht nur wunderbar. Das Leben ist manchmal voller Fragen und voller Leid. Krankheit, Krieg, Menschen auf der Flucht, Hass und Terror. Wir sehen und hören so viel davon. Vor einem Jahr kamen unzählige Menschen zu uns. Sie hatten Krieg, Verfolgung und Terror hinter sich gelassen und suchten Ruhe, Hilfe und Frieden. Eine große Hilfsbereitschaft hat diese Menschen hier empfangen. Inzwischen ist bei einigen die Stimmung umgeschlagen. Natürlich ist es wichtig, dass jeder, der Asyl bei uns sucht, ordnungsgemäß registriert wird. Natürlich gelten weiterhin Toleranz, Religionsfreiheit, die Rechte der Frauen und der Minderheiten. Natürlich darf man nach den Folgen für unser Land fragen. Bei allen Fragen sollten wir aber nicht das Leiden vergessen, das die Menschen erlebt haben, die zu uns gekommen sind. Sie tragen die Erinnerung daran weiter in ihrer Seele und in ihrem Herzen, und das ist nicht leicht. Es ist eine große christliche Tugend, dass wir den Menschen helfen, die Opfer von Krieg und Gewalt sind, die Leid in sich tragen. Darum helfen viele den Geflüchteten aus ihrem christlichen Glauben heraus, weil das Leid sie berührt.

Das Datum heute, der 11. September, ist für viele verbunden mit dem Anschlag auf das World Trade Center in New York. Vor 15 Jahren brachten Islamisten zwei Flugzeuge in ihre Gewalt und steuerten sie in die beiden Hochhaustürme. Damals starben 3000 Menschen. Daraus entwickelte sich ein Krieg zwischen den Islamisten und dem Westen, der Zehntausende Menschenleben gefordert hat und auch heute noch fordert. Der 11. September ist aber zum Inbegriff für Leiden geworden, dass Menschen aus religiösen Gründen anderen Menschen antun. Die islamische Welt gegen den christlichen Westen.

Unsere Welt scheint vom Leid durchzogen zu sein. Und das ist wahr: Es gibt kein Leben ohne Leiden. Doch kein Mensch will leiden. Die Sehnsucht nach dem schönen wunderbaren Leben wird im Leid umso größer. Und wo ist Gott in all dem? Gerade seit dem 11. September 2001 wird von manchen jede Religion sehr kritisch gesehen. Sie fordern, alle Religionen abzuschaffen, egal, ob Islam oder Christentum. Dann, so sagen sie, würde auch das Leid verschwinden. Das ist natürlich Unsinn. Denn Religionen werden missbraucht für politische und wirtschaftliche Zwecke. Gott tötet nicht, es sind Menschen, die einander töten und einander Leid antun.

Für andere ist eine Welt, in der es Leid gibt, nicht mit dem Gedanken an Gott zu verbinden. Sie sagen: Wenn es einen Gott gibt, dann darf es doch eigentlich kein Leid geben! Doch das ist zu einfach gedacht. Die Bibel erzählt am Anfang von der Welt, in der der Menschen in Frieden lebt. Doch weil er mit seiner Freiheit nicht umgehen kann, verliert er diesen Frieden und lebt seitdem in einer leidvollen Welt.

Der Frieden ist Gottes Ziel für unsere Welt. Am Ende werden wir in einer Welt ohne Leid und ohne Schmerz sein. Aber noch sind wir nicht da. Gott sei Dank aber lässt Gott uns in dieser leidvollen und zugleich wunderbaren Welt nicht allein. Gott sei Dank ist er bei uns und begleitet uns durch die Zeit. Sonst würden wir völlig verloren sein und durch das Leben irren, ohne Hoffnung, ohne Ziel, ohne Sinn. Denn das Leid, das Menschen einander antun, kann einem Angst und Schrecken einjagen. Das war zu allen Zeiten so, auch in den Jahren des Apostels Paulus. Der sitzt im Gefängnis, weil der Glaube an Jesus Christus die Mächtigen seiner Zeit stört. Paulus droht der Tod. So werden auch heute viele, viele Christen verfolgt, unterdrückt und getötet. Denn Jesus Christus ist der wahre Herrscher der Welt. Er herrscht nicht mit Gewalt, Unterdrückung, Terror oder Korruption. Er herrscht allein durch seine Liebe. Nein, die Welt ist nicht gottlos. Die Welt, Politik, Wirtschaft, die handeln oft gottlos. Die wollen von Christus und seiner Liebe nichts wissen. Da zählen nicht Barmherzigkeit oder Nächstenliebe, da geht es um Profit und um Macht. Gott aber wirkt trotzdem in dieser Welt mit seinem guten Geist. Von diesem Geist erzählt Paulus seinem Freund Timotheus in einem Brief:

Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Bekenne dich daher ohne Scheu zu unserem Herrn, und schäme dich auch nicht, zu mir zu stehen, nur weil ich ein Gefangener bin – ich bin es ja um seinetwillen! Sei vielmehr auch du bereit, für das Evangelium zu leiden. Gott wird dir die nötige Kraft geben. Er ist es ja auch, der uns gerettet und dazu berufen hat, zu seinem heiligen Volk zu gehören. Und das hat er nicht etwa deshalb getan, weil wir es durch entsprechende Leistungen verdient hätten, sondern aufgrund seiner eigenen freien Entscheidung. Schon vor aller Zeit war es sein Plan gewesen, uns durch Jesus Christus seine Gnade zu schenken, und das ist jetzt, wo Jesus Christus in dieser Welt erschienen ist, Wirklichkeit geworden. Er, unser Retter, hat den Tod entmachtet und hat uns das Leben gebracht, das unvergänglich ist. So sagt es das Evangelium. (2 Tim 1, 7-10, Übersetzung NGÜ)

Liebe Schwestern und Brüder, es ist voller Trost, was Paulus an seinen Freund schreibt. Er zeigt ihm: Wir sind doch so reich beschenkt von Gott. Seinen Geist hat er uns geschenkt, als wir getauft wurden. Und dieser Geist Gottes ist immer in uns. Es ist der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Dieser Geist hilft uns gegen die Angst zu bestehen. So oft sind wir ängstlich. So oft kriecht die Furcht in uns hoch. Paulus kennt das nur zu gut, auch Timotheus und viele von uns. Doch bevor die Angst uns vollständig gefangen nimmt und lähmt, erzählt Paulus, was der Grund unseres Lebens ist. Es ist Gottes Liebe. Und diese Liebe bringt Jesus Christus in unsere Welt. Gottes Liebe überwindet alle Grenzen. Sie überwindet alle Angst und alle Furcht. Sie überwindet sogar den Tod. Der ist entmachtet. Das heißt: Wir gehen immer ins Leben, sogar durch den Tod hindurch. Den Weg ist Christus ja schon für uns gegangen. Natürlich weiß Paulus: Seine Bewacher werden ihn piesacken, sie werden ihn vielleicht foltern und töten. Doch er gehört ja zu Christus, und darum ist dieses Leiden nicht das Ende. Dietrich Bonhoeffer, der evangelische Pastor, der wegen seines Widerstands gegen Hitler hingerichtet wurde, wusste das genau. Er sagte zu den Soldaten, die ihn hinrichteten: „Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens.“

Wir Christen sehen im Leid, das wir durchleben, immer schon die größere Liebe Gottes durchscheinen, und das hilft uns, durch das Leiden zu gehen.

Natürlich ist es oft schwer. Natürlich greift oft die Angst nach unserem Herzen. Aber in uns ist doch der Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Der will uns helfen, die Furcht und Ängstlichkeit in den Griff zu bekommen. Nicht immer wird uns das gelingen. Die Angst kann uns gefangen nehmen. Aber da sind dann doch die anderen Christen, unsere Schwestern und Brüder, die für uns beten, die uns gute Worte sagen, die uns trösten und uns helfen. Das brauchen wir oft, und wir sollten uns nicht scheuen, andere um Hilfe, um Trost, um ein Gebet zu bitten. Das wird uns auch helfen, wenn wir wegen unseres Glaubens leiden.

In anderen Ländern ist das leider grausame Wirklichkeit. Christen werden unterdrückt und verfolgt. Und auch wir werden immer kritischer gesehen und belächelt. Das ist nichts im Vergleich mit den Dingen, die unsere Mitchristen in anderen Ländern, in Nordkorea, China, in vielen islamischen Staaten, in Indien aushalten müssen. Aber auch bei uns ist es für manchen nicht leicht. Da brauchen wir den Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.

Wir brauchen diesen Geist auch für die Menschen, die zu uns geflüchtet sind. Mit Kraft, mit Liebe und mit Besonnenheit werden wir ihnen helfen können, bei uns zur Ruhe zu kommen. Und natürlich dürfen wir ihnen auch davon erzählen, wer uns diesen Geist der Kraft und der Besonnenheit gibt. Wir dürfen ihnen natürlich auch von Christus und seinem Geist der Liebe erzählen. Warum sollten wir ihnen nichts davon sagen, von der Quelle unserer Nächstenliebe?

Es ist genauso wichtig, dass wir einander davon erzählen. Dem Menschen, der unter der schlimmen Diagnose leidet, zuhören und ihn trösten. Diejenige, die verzweifelt und ohne Arbeit ist, durch ihre schwere Zeit begleiten. So geben wir den Geist Gottes, der in uns ist, weiter. Und er wird weiter in uns bleiben und nicht versiegen. Er wird uns durch das Schwere und das Leiden tragen. Dieser Geist wird uns dann auch selbst die Augen und das Herz öffnen für das Wunderbare, das Gott in seiner Welt für uns bereithält. Immer wieder werden wir seine Liebe aufleuchten sehen: In seiner Schöpfung, in dem Trostwort, das der andere uns sagt, in den Menschen, die er an unsere Seite stellt. Immer ist es seine Liebe, die uns hält und trägt an jedem Tag unseres Lebens - und dann in Ewigkeit.
Amen.

Perikope
11.09.2016
1,7-10