Gipfeltreffen - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Monika Waldeck
17,1-9

Gipfeltreffen - Predigt zu Matthäus 17,1-9 von Monika Waldeck

Gipfeltreffen

Wer es auf den Gipfel schaffen will, muss sich anstrengen.
Je höher der Berg, desto mehr Kraft und Ausdauer braucht man.
Ein genauer Zeitplan ist nötig, eine gute Ausrüstung und unbedingt: Durchhaltewillen.

Durchhaltewillen braucht jeder, der etwas vorhat in seinem Leben, der sich Ziele gesetzt hat. Die können manchmal sein wie ein Berggipfel, zu Beginn weit entfernt und scheinbar unerreichbar, mit der Zeit immer ein Stückchen näher rückend, langsam, aber sicher.
Rückschläge sind nie ausgeschlossen. Wer trotzdem seine Ziele nicht aus den Augen verliert, kann Überraschendes erleben.

Durchhaltewillen haben sie, die Drei, die Jesus mitnimmt auf den hohen Berg.
Darüber freuen sie sich sicher, dass er sie auswählt, unter allen Jüngern. Die Aussicht, mit Jesus allein, „ganz für sich“ zu sein, das motiviert zum Anstieg.
Mit dem meditativen Pilgern des Jakobswegs hat diese Bergwanderung wenig zu tun. Der Weg ist hier nicht das Ziel.
Die hier unterwegs sind, die wollen oben ankommen, weil sie etwas erwarten.
Etwas soll sich verändern, das ist ihre Hoffnung.
Was war geschehen?

Das Matthäusevangelium erzählt: Die Jünger Jesu sind besorgt in diesen Tagen. Der äußere Druck wird stärker. Die etablierten religiösen Führer, die Ratsältesten, führenden Priester und Schriftgelehrten beäugen misstrauisch, wie die Jesusbewegung grundlegende religiöse Wahrheiten in Frage stellt.
Die Angst unter Jesu Anhängern wächst, dass ihm etwas zustoßen könnte und nun fängt er sogar selbst davon an zu sprechen, dass er bald hingerichtet werden würde.
Seine Freunde und Weggefährten haben Angst: um ihren Meister, aber sicher auch um sich selbst. Was würde aus ihnen werden, wenn Jesus nicht mehr da wäre?

Äußerer Druck erhöht den inneren Druck, das wissen alle, die sich Sorgen machen um einen anderen Menschen, oder auch um das eigene Leben. Äußerer Druck erhöht das Gefühl eigener Hilflosigkeit. Ob es äußere politische Widerstände sind, eine Krankheit, eine Naturkatastrophe oder finanzielle Sorgen, das ist oft zweitrangig, wenn man selbst betroffen ist. Matthäus weiß, wovon er spricht. Seine Gemeinde wurde verfolgt und in den Untergrund gedrängt.
Manche fangen dann an zu beten, andere ignorieren die Angst, begehren auf und funktionieren weiter, wieder andere brechen zusammen oder fühlen sich wie gelähmt.

Was einen hoffen lässt?
Wenn es einen Menschen in der Nähe gibt, der die Zuversicht behält, sich nicht von Ängsten mitreißen lässt, sondern sie aushält und „überlebt“. Dann können sie auch für einen Ängstlichen verdaulich, erträglich werden. Noch besser: Wenn man mit einer hilfreichen Macht rechnen kann, die einen schützt und trägt.

In unserer Erzählung, da lässt der Evangelist Matthäus Jesus denjenigen sein, der die Ruhe behält. Gegen allen äußeren Druck, gegen alle Widerstände und gegen alle Vernunft weiß er: Am 3. Tag nach seinem Tod würde er auferstehen von den Toten, das sei der Wille Gottes.
Jesu Klarheit und Unbeirrbarkeit macht es Petrus möglich, in dieser belastenden Situation zu sagen: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Ein starkes Bekenntnis in einer unsicheren Zeit.

Und jetzt sind die Jünger auf dem Berggipfel angekommen. Sie warten darauf, dass etwas geschehe, das ihnen helfen würde, mehr Sicherheit zu gewinnen, etwas, das ihnen ihr Selbstvertrauen zurückgebe.
Da passiert es: Jesus verändert sich vor ihren Augen, er erscheint in helles Licht getaucht, ein lichtdurchflutetes Wesen, eine Traumgestalt.
So sehen ihn die Freunde und Weggefährten – in einem neuen Licht. Als ob sie plötzlich eine Erkenntnis haben: Das ist nicht Jesus, der Mensch, den sie kennen, das ist eine Erscheinung direkt aus dem offenen Himmel.

Diese Vision gewinnt an Klarheit: Da kommen zwei wichtige Männer der Geschichte auf sie zu. Beide haben ebenfalls nach Gott gesucht, hatten Kontakt mit ihm, haben ihn in ihrem Leben erfahren, auf sehr unterschiedliche Weise.
Mose, der zu ihm betete und mit ihm redete wie mit einem Freund, der aber nur hinter Gott hersehen durfte. Er rechnete mit Gott, konnte seine Gegenwart aber erst im Nachhinein erkennen. So geht es ja manchmal. Das Wirken Gottes begreift man erst, nachdem sich etwas verändert hat.
Und Elias hat erlebt, dass sich Gottes Kraft nicht in dem verheerenden Auftreten vernichtender Naturgewalten zeigt, sondern in dem sanften Säuseln des Windes.
In ganz kleinen, fast unscheinbaren Zeichen, ganz anders als erwartet, kann sich Gottes Macht im Leben zeigen.
Indem diese beiden großen Gestalten Israels in ein lebendiges Gespräch mit Jesus treten, erkennen sie ihn als Gottes Sohn an. Ganz im Gegensatz zu den derzeitigen religiösen Führern.

Diesen besonderen, glücklichen Augenblick will Petrus festhalten. Am liebsten gleich eine Hütte bauen, dort bleiben und wohnen, für immer. Wie ein Foto, das man sich ins Album klebt. Zu Hause im Glück. Ein Menschheitstraum.

Doch dann berichtet die Erzählung etwas, das alles übersteigt und den drei Männern fast den Verstand raubt. Der Himmel öffnet sich und Gott spricht zu ihnen: „Das ist mein Sohn, ihn habe ich lieb. An ihm habe ich Freude. Hört auf ihn.“ Gott selbst beugt sich herab und spricht zu den Menschen dort auf dem Berg.
Keiner überlebt es, Gott zu sehen. Das wussten die Männer. Sie können sich nur furchtsam auf den Boden werfen, bis Jesus sie aufrichtet und ihnen die Angst nimmt.

Ich muss zugeben, für mich klingt diese Szene aufgeladen, fremd, fast wie aus einem Hollywood-Film. Was ich verstehe: Matthäus will uns zeigen, dass Jesus Gottes Sohn ist. Schon jetzt, vor seinem Tod, soll das ganz klar sein.

Ein Glück, dass die Erzählung nun nicht hier endet, sondern der Abstieg ins Tal beginnt, die Rückkehr in die Realität. Das Gipfeltreffen ist beendet.
Mir ist deutlich: Auf dem Berg des Glücks gibt es kein Zuhause.
Aber die Erinnerung an den Moment des Glücks ermöglicht es, Unglück zu überleben.
Ohne diese Erfahrung fehlt die Kraft für die Zeiten, in denen ich leidvolle Erfahrungen machen muss. Solche Lichtmomente können einen durch lange Durststrecken hindurch tragen.
So werden die Jünger gestärkt für das, was kommt.

Sie werden dem Tod ins Auge sehen müssen, sehr bald.
Sie werden Jesus verraten, und damit alles, was ihnen heute wichtig und wertvoll ist.
Sie werden tiefe Trauer erleben.
Sie werden ihre Gemeinschaft verlieren, einsam und heimatlos werden.

Es ist viel, was man in einem Menschenleben aushalten und ertragen muss.
Niemand kommt darum herum.
Vollständiges Glück, Ganzheit, Beheimatung, wie Petrus sich das wünscht, gibt es nicht.

Manchmal blendet man das aus, wenn man in einer reichen, abgesicherten Gesellschaft wie unserer lebt. Mit wachsender Lebenserfahrung aber wird doch klar: das Leben ist zerbrechlich, fragil, in jedem Moment ist der Tod möglich, Schmerz, Versagen, schuldhaft oder zufällig. Glücksmomente scheinen nicht konservierbar, in der Erinnerung aber wichtig.
Wir leben zwischen Sehnsucht und Verlust, Hoffnung auf Ganzheit und der Erfahrung, dass wir auf andere Menschen angewiesen sind und bleiben.

Und Gott?
Der ist nicht nur stark und vollkommen wie in der leuchtenden Christuserscheinung unserer Erzählung. Schon wenig hängt er zu Tode gefoltert und zerbrochen am Kreuz.
Beides gehört zusammen.
Beide Seiten gibt es in uns, mit beiden müssen wir zurechtkommen.
In beiden Seiten sind wir Ebenbilder Gottes.
Am Widersprüchlichsten ist dabei sicher, dass wir von hierher unsere Menschenwürde erhalten. Seit dem Kreuzestod Jesu wissen wir, dass uns diese Würde zugesagt ist, jedem von uns, ob wir gesund sind oder krank, jung oder alt, weiß oder schwarz, Mann oder Frau.

Und wir sind sie denen schuldig, denen wir begegnen:
Der eigenen Familie und den Flüchtlingen aus Syrien oder Somalia.
Das ist der Grundgedanke unseres christlichen Glaubens, des „christlichen Abendlandes“, von dem auf einmal in letzter Zeit so viel die Rede ist.
Davon zu erzählen ist unsere Aufgabe als Christen, sich davon stärken zu lassen, ist unser Trost.


(Bibelzitate nach der BasisBibel, Das Neue Testament, Stuttgart 2010)