Glaube vor dem Tribunal der Philosophen - Predigt zu Apostelgeschichte 17, 22-34 von Rudolf Rengstorf
17, 22-34

Glaube vor dem Tribunal der Philosophen - Predigt zu Apostelgeschichte 17, 22-34 von Rudolf Rengstorf

Liebe Leserin, lieber Leser!

Eine weite Reise wird uns heute zugemutet - eine Reise in das alte römische Weltreich, in dem der Apostel Paulus unermüdlich unterwegs war, um das Evangelium unter die Leute zu bringen. Drei Städte hatten auf seinen Missionsreisen eine ganz besondere Bedeutung. Einmal natürlich Jerusalem - der Mittelpunkt des Volkes Israel, Ort des Leidens und Sterbens wie der Auferstehung Jesu und der Ausgangspunkt der christlichen Kirche. Deshalb kommt Paulus immer wieder nach Jerusalem zurück, um die Verbindung zu Israel und zur Mutterkirche nicht abreißen zu lassen. Und als Ziel seiner Reisen hatte Paulus natürlich Rom im Auge - die Hauptstadt der damaligen Welt. Dort im Zentrum der Macht wollte er dafür einstehen, dass Jesus Christus zum Weltgericht kommen und er allein über das Wohl und Wehe der Menschheit entscheiden wird. Und ziemlich auf der Mitte zwischenm dem Anfang und dem Ziel seiner Reisen liegt die dritte wichtige Stadt - nämlich Athen.

Athen war so etwas wie der geistige Mittelpunkt des römischen Weltreiches. Die Stadt der großen Philosophen Sokrates und Plato und Aristoteles. Das waren damals schon große Denker der Vergangenheit, aber noch ganz lebendig in den philosophischen Schulen, die Studenten aus aller Welt anzogen. Gleichzeitig war Athen auch so etwas wie eine Hochburg der Religionen. Nicht nur der griechischen Religion, die selber ja schon eine Fülle von Göttern hatte, Neben ihnen gab es damals eine Menge von religiösen Kulten, die sich mit Sicherheit auch im Stadtbild bemerkbar machten. Und so war die Stadt voll von Tempeln, , Götterbildern und Altären.Ja, man  scheint es geradezu darauf angelegt zu haben, möglichst alle bekannten Gottheiten der damaligen Welt in der Stadt darzustellen. Um sicher zu sein, dass  dabei kein Gott übersehen war, hatte man auch einen Altar mit der Aufschrift „Dem unbekannten Gott“ errichtet. Und merkwürdigerweise vertrug sich in dieser durchaus überschaubaren Stadt: das aufgeklärte Geistesleben mit Akademien, Professoren und Studenten mit dem religiösen Betrieb von Prozessionen, Beschwörungen, Orakelsprüchen, Tieropfern. In dieser Hinsicht war Athen gar nicht so furchtbar weit weg von uns. Denn das kennen wir ja auch: das schiedlich-friedliche Nebeneinander von wissenschaftlicher Rationalität auf der einen Seite und der Anziehungskraft von Esoterik, Okkultismus und Verschwörungstheorien auf der anderen: der Hang nach dem Verborgenen, Geheimnisvollen, Dunklen, nach all dem, was sich klarer geistiger Durchdringung und wissenschaftlicher Analyse entzieht.

Auf diese Atmosphäre traf Paulus in Athen. Als er beim Streifzug durch die Stadt sah, was da alles verehrt und angebetet wurde, ergrimmte er. Nichts hielt ihn im geheimnisvollen Dunkel der Tempel und Kapellen. Ihn zog es samstags in  die Synagoge und  am Alltag auf den Marktplatz, wo er das Evangelium von Jesus Christus verkündigte. Natürlich hörten ihn auch Anhänger der verschiedenen philosophischen Schulrichtungen, Die einen taten ihn ab als Schwätzer, andere meinten, der Mann käme mit etwas Neuem. Und da – wie Lukas erzählt – alle Athener bekannt waren für ihre Neugier, nahmen sie ihn mit auf den Areopag, das politische Zentrum der Stadt. „Sei so gut“, sagten sie zu ihm, „und erzähl uns, was du an Neuem in die Stadt bringst.“ Und so kam Paulus zu der Ehre im erlauchten Kreis der Philosophen die folgende Rede halten zu können:

Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch,was ihr unwissend verehrt.

Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts. Da wir nun göttlichen Geschlechtes sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.  

Na, das muss die Philosophen überrascht haben, die Paulus eben noch für einen Schwätzer gehalten hatten.  Diese Predigt vertrug sich gut mit dem, was die Philosophen über die Religion dachten.  Dass es unsinnig ist, sich ein Bild von Gott machen und ihn darstellen zu wollen. Denn Gott transzendiert. überschreitet alles Denken und Begreifen. Mit dem ganzen religiösen Betrieb der Stadt konnten die Philosophen genauso wenig anfangen wie Paulus. Aber der eine Altar mit der Aufschrift: Dem unbekannten Gott, der Altar, mit dem die Religiösen sich dagegen absichern wollten, möglicherweise einen Gott nicht berücksichtigt

zu haben, mit diesem einen Altar hatten sie unbeabsichtigt dem Gott der religionskritischen Philosophen einen Platz eingeräumt. Und das hatte ausgerechnet dieser fremde Prediger entdeckt! Den Blick dafür hatte Paulus aus dem Judentum, in dem er aufgewchsen war, mitgebracht. Der Gott Israels hatte sich stets jedem menschlichen Zugriff entzogen. Einen Tempel hatte er nur bauen lassen, damit die Juden einen Platz hatten, an dem sie Gott  in großer Gemeinschaft anrufen konnten.  Der Raum, der sonst im Tempel als das Allerheiligste galt und in dem das Bild des Gottes, der dort verehrt wurde, stand, im Tempel des Gottes Israels war dieser Raum leer, Die Kritik der Religion, die von  den Philosophen betrieben wird, haben die Juden sozusagen im Blut. Und das ist ein Erbe, das wir Christen im Umgang mit Religion sorgsam bewahren wollten. Bei aller gebotenen Toleranz gegenüber anderen Religionen und religiösen Praktiken in unseren Kirchen darf es keinen Zweifel daran geben, dass es dem Menschen nicht gegeben ist, Gott aus dessen Hand wir kommen, in unsere Hand zu nehmen und dingfest zu machen. Und wir haben keinen Grund, religionskritischen Philosophen aus dem Wege zu gehen. Mit Juden und Muslimen haben wir vieles gemeinsam mit ihnen.

Freilich ist das nicht alles, was Paulus zu sagen hatte. Was ihn auf seine Weltreisen triib, ist, dass er sich gesandt weiß von dem, an dem das Wohl und Wehe der Menschheit hängt. Und davon redete er jetzt:    

Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun. Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

Also: Dass wir über Gott letztlich nichts sagen können, unser Leben lang in Skepsis oder auf der Suche nach ihm bleiben müssen, dabei hat Gott es nicht bewenden lassen. Er hat einen Menschen dazu bestimmt, uns Gott so nahezubringen, dass wir unser Leben in Verantwortung vor ihm führen können. Das gilt nicht nur für die Lebenszeit dieses Menschen, sondern für alle Zeit, weil Gott ihn von den Toten hat auferstehen lassen und alle von seinem Leben mitbekommen. Den Namen Jesu Christi lässt Paulus hier unerwähnt. Offenbar hat er auf die Neugier seiner Höhrer setzt und damit gerechnet, dass sie nachfragen würden und er ausführlich von Jesus erzählen könnte. Doch weit gefehlt:

Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, so b erichtet Lukas weiter, begannen die einen zu spotten, die andern aber sagten: Wir wollen dich darüber ein andermal hören

Kommt uns das nicht bekannt vor? So allgemein lässt sich ganz gut über Religion reden. Und zumindest unter klugen Leuten macht man sich damit nicht lächerlich. Doch wenns darum geht, dass wir unseren Glauben an diesem einen Menschen festmachen und wir in ihm auch heute den Platzhalter Gottes sehen, dann setzen wir uns leicht der Lächerlichkeit aus, zumindest stellt sich Distanz ein. Ich jedenfalls kenne das nur zu gut: Da öffne ich mein Herz, versuche, deutlich zu machen, worum es mir im Innersten geht: um  diesen Menschen Jesus,  der mir  in  seinem einprägsamen Reden und beispielhaften Tun Gott so nahe bring t, dass sich dabei eigentlich alle Fragen von selbst erledigen. Und dann merke ich, wie Gesprächspartner oder auch Predigthörerinnen und –hörer auf Distanz gehen. Das ist zutiefst enttäuschend. Doch dann tröstet es mich, dass es Jesus und seinen Aposteln nicht anders gegangen ist. Und dennoch haben Menschen sich ja auf den Glauben eingelassen. Denn, das war bei mir ja nicht anders, das Herz braucht seine Zeit, braucht Abstand Einsicht, bevor es sich festzumachen vermag.

Davon ist am Ende etwas zu spüren.

Er ging von ihnen fort. Einige Männer schlossen sich ihm an und wurden gläubig. Unter ihnen war auch Dionysius, einer aus dem Rat, und eine Frau mit Namen Damaris und andere mit ihnen.

„Er ging von Ihnen fort“. In diesen Worten steckt: „aufrecht, erhobenen Hauptes“. Weil er ihn, den er gerade verkündigt hatte, an seiner Seite wusste. Er ist die Kraft, die Paulus hielt.  Das müssen die paar Männer, unter ihnen Dionysios, der spätere Bischof der Gemeinde, und eine Frau namens Damaris, gespürt haben. Sie schlossen sich ihm an, bekamen etwas mit nicht nur von seiner Lehre, sondern auch von seinem Leben und kamen zum Glauben. Und dass dieser Text für den Sonntag Jubilate ausgesucht wurde, hat wohl seinen Grund zum einen darin, dass christlicher Glaube den Dialog mit den Klugen dieser Welt nicht zu scheuen braucht. Zum andern aber auch und wohl vor allem darin, dass der Glaube an Jesus Christuser auch unter Spott und Skepsis Früchte trägt. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Superintendent i.R. Rudolf Rengstorf: 

1.    Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Mir steht vor Aaugen, dass meine Predigt von Menschen gelesen wird, die ich nicht ken-ne, die  offenbar  Interesse an einer  Predigt für diesen Sonntag haben.. Einige von ihnen sind möglicherweise KollegInnen, dioe Anregungen für ihre Predigt am Sonntag suchen. Ich hoffe, dass ich ihnen mit dieser Predigt dienen kann, weise allerdings daraufhin, dass Veränderungen fürs Hören vorgenommen werden müssen, vor allem durch Kürzen der der  längeren Sätze.0

2.    Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Nähe des Gottes Iaraels, von dem kein Bild zu machen ist, und philosophischer Religionskritik.

3.    Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Das religiöse Diskurse wie auch PredigtenEleicht auf Distanz stoßen, gerade  wenns um den Kern  des christlichen Glaubens geht.Mich darauf einzustellen, dass Glaube Ab-stand, einsicht, Zeit braucht, um  sich in den Herzen zu verankern.

4.    Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Das Coaching hat mir geholfen, gerad diesen Punk t am Ende deutlich herauszuarbeiten.

Perikope
Datum 25.04.2021
Bibelbuch: Apostelgeschichte
Kapitel / Verse: 17, 22-34