Glaube – was ist das? - Predigt zu Hebräer 11,8-10 von Rudolf Rengstorf
Glaube – was ist das?
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte. (Hebr.11,8-10)
Liebe Gemeinde!
Abraham, ein Mann, der tat, was Gott von ihm erwartete. Abraham, das Urbild des Menschen, wie Gott ihn haben will. Richtungweisend nicht nur für Juden und Christen, auch für Muslime, also die drei monotheistischen Weltreligionen.
Was hat er denn so Großartiges getan? Er hat sich für Glauben entschieden. Der hat ihn zum
Gehorsam, zur Bindung an Gottes Willen gebracht. Wohlgemerkt: hier kommt Gehorsam aus frei gewähltem Glauben und nicht umgekehrt der Glaube aus zwanghaftem Gehorsam, wie das heute gerne unterstellt und analysiert wird. In der Öffentlichkeit, in Medien zumal in Talkshows gehört das doch zum guten Ton: Wer sich da für aufgeklärt hält, spielt sich blasiert auf gegenüber Menschen, die sich „noch“ zu einem Glauben bekennen. Als rückständig werden sie belächelt - als Deppen, die es noch nicht geschafft haben, sich von der Bevormundung anderer zu emanzipieren, sich freizumachen und selbstbestimmt zu leben.
Der Glaube Abrahams aber kommt micht daher, dass er irgendwo hängengeblieben ist - an seinem Elternhaus, an seiner Heimat, an liebgewordenen Gewohnheiten und Traditionen. Von all dem, woran Menschen von Natur aus hängen, hat Abraham sich frei gemacht, um auf eine ganz andere nach vorne weisende Stimme zu hören.
Und ich bin sicher: Auch bei unserem Glauben ist sehr viel mehr Freiheit im Spiel als Abhängigkeit von undurchschauten Zwängen.
Doch was ist das für ein Glaube, für den Abraham sich entschieden hat? Sein Glaube,
der wegweisend sein soll für Juden, Christen und Muslime, hat klare Konturen. Und die werden in den wenigen Sätzen, die der heutigen Predigt vorgegeben sind, deutlich benannt:
1 .Glauben ist Aufbruch, Unterwegssein
Durch den Glauben wurde Abraham gehorsam, als er berufen wurde, in ein Land zu ziehen, das er erben sollte; und er zog aus und wusste nicht, wo er hinkäme.
Das ist das erste Merkmal des Glaubens Abrahams: Wer glaubt, bricht auf, macht sich auf den Weg, weil er hört, dass Gott etwas vorhat mit ihm und ihr. Das zieht sich durch
die ganze Bibel von Anfang bis Ende: Das beginnt mit Abraham. Und das geht weiter bei seiner Nachkommenschaft, Israel muss zum Volk in der Wüste werden, wenn das erste Gebot über ihm aufgerichtet wird. Die Propheten verkünden alle Aufbruch und Exil und Heimkehr, also ein dauerndes Unterwegssein. Des Menschen Sohn hat nicht, da er sein Haupt niederlegen kann. Er zieht ruhelos durch Palästina, statt feste Gemeinden zu gründen. Die Apostel werden in alle Welt gesandt, statt im heiligen Land bleiben zu dürfen. Und die ganze Kirchengeschichte muss unter dem Motto gelesen werden: "Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir." Und das Gleichnis von den 10 Jungfrauen stellt das ganze Leben unter das Wort: "Ihr müsset ihm entgegengehn."
Das Bleibende, Gewohnheiten, Sitten und Traditionen haben ihr Recht, besonders wenn es um den Aufbau der Persönlichkeit in der Kindheit geht, keine Frage. Aber es gibt keinen Grund, den christlichen Glauben dafür zu bemühen, dass sich auch unter Erwachsenen und gar den lieben Alten tunlichst nichts ändern soll und wir unseren Gemeindegliedern keine Neuerungen zumuten dürfen. Keinem Kirchenvorstand ist das Pochen auf den status quo fremd, und kirchliche Institutionen und Ämter sind oft davon geprägt. Desto deutlicher ist dagegen zu halten: Der Glaube ist Zumutung durch und durch, die Zumutung sich um Gottes Willen auf den Weg zu machen, statt hocken zu bleiben und den status quo zu erhalten.
Das geht doch schon los mit dem, was Gottesdienstbesucher am Sonntagmorgen tun. Sie
lösen sich aus den heimischen vier Wänden, machen sich auf den Weg, um zur Kirche zu gehen. Weil christlicher Glaube nicht in sich selber schmort, nicht die eigene
Innerlichkeit beweihräuchert. Christlicher Glaube lebt davon, dass ich mich rufen und ansprechen lasse, mich auf den Weg mache zu Gott.
2. Dem Glauben wird Fremdheit und Enttäuschung zugemutet
Durch den Glauben ist er ein Fremdling gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden.
Nun hat Abraham sich mit seiner Frau Sara aufgemacht, um den Ruf Gottes in ein Land zu folgen, das der ihm zueigen geben will. Und als er dort ankommt, zeigt sich: dieses Land ist längst besetzt, bewohnt von anderen. Er aber muss damit leben, dass er in dem ihm verheißenen Land nicht mehr ist als ein Fremder, ein Asylbewerber, abhängig davon, dass man ihn als Nomaden am Rande des bewohnten Landes mit seinen Herden duldet. Schutzlos ist er, vor allem seine Frau Sara, den Begehrlichkeiten der Einheimischen ausgeliefert. Von all dem hatte Gott nichts gesagt! Fremdheit erleben und durchmachen - das ist das zweite Kennzeichen des Glaubens.
Mir stehen Menschen von heute vor Augen, die sich bei der Gestaltung ihres Lebensweges ganz bewusst an den Willen Gottes gehalten haben in der Hoffnung, dass er diesen Weg segnen werde. Und dann müssen sie entdecken: Es ist ganz anders gekommen. Ihnen wird soviel Fremdes und Leidvolles zugemutet, dass sie in ihrem Glauben zutiefst verunsichert sind.
Zum Segen berufen und Fremdes finden - das erleben wir doch auch schon bei dem ganz unspektakulären Gang in die Kirche. Wer hier herkommt, muss damit leben, dass er und sie jedesmal wieder auf Befremdendes stößt: mal entspricht die Predigt nicht den
Erwartungen, dann ist Gottesdienst nur in der Nachbarkirche, in der man sich sowieso fremd fühlt, dann ist die Akustik schlecht, die Atmosphäre zu steif, unruhige Konfirmanden, ein Lied, das man nicht mitsingen kann, oder das Ganze nimmt mal wieder kein Ende! Irgendwas ist immer! Sicher lässt sich das eine und andere verbessern, wir arbeiten auch dran. Doch das wird den Glauben nicht davor bewahren, da - wo er zuhause sein möchte – Fremdheit zu erleben. Und immer von neuem entdecken zu müssen: die Wirklichkeit ist weit hinter dem zurückgeblieben, was Gottes Ruf in mir an Erwartungen ausgelöst hat.
3. Glaube lebt im Zelt und erwartet die Stadt Gottes
Abraham wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung. Denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist. Durch den Glauben empfing auch Sara, die unfruchtbar war, Kraft, Nachkommen hervorzubringen trotz ihres Alters; denn sie hielt den für treu, der es verheißen hatte.
Das dritte Kennzeichen des Glaubens heisst also: In Zelten leben. Darüber kommt ein glaubender Mensch nicht hinaus. Dich nie zurücklehnen können mit dem beruhigenden Gefühl: Jetzt habe ich gefunden, wonach ich gesucht habe. Mein Glaube ist ein festes
Haus geworden, in dem mich kein Lebenssturm mehr erschüttern kann. Non tentatus - non Christianus heißt es bei Luther: Wer nicht angefochten, in Zweifel gestürzt, auf seine Anfänge zurückgeworfen wird, ist kein Christ. Und die letzten Worte dieses Mannes, den man so gerne zum unerschütterlichen Glaubenshelden hochstilisiert hat, seine letzten Worte waren: "Wir sind Bettler, das ist wahr." Nicht über das wackelige und kümmerliche Zelt hinauskommen - nie, eine feste Ration für den Ernstfall haben - das gehört zum Glauben dazu.
Aber wenn das so ist - warum dann überhaupt? Warum dann immer noch weiter,
aufbauen, abbrechen und weiter? Warum sich dann nicht irgendwo in einer sturmstillen Ecke als Dauercamper einnisten? Weil Gott eine unbändige Hoffnung in uns wachhält: Dein Weg, liebe Schwester und lieber Bruder, mag er dich auch auf Holzwege und in Sackgassen führen, mag er dir auch eine Fremdheit nach der anderen zumuten und dir nie etwas anderes als ein Zelt zu bieten haben, dein Weg wird letztlich nicht im Niemandsland enden, sondern bei dem, in dessen festgegründeter Stadt du Bürgerrecht hast in Ewigkeit. Amen.