Glaubenswirklichkeit - Predigt zu Hebräer 11,8-10 von Michael Plathow
11,8-10

Glaubenswirklichkeit: Hebr 11, 8- 10

1. Liebe Gemeinde des Sonntags Reminiscere,

erinnern Sie sich an das World Press Photo 2014 von John Stanmeyer? - Eine Gruppe afrikanischer Migranten an der Küste Dschibutis in der Nacht. Sie halten ihre Handys in die Höhe, in der Hoffnung, ein Signal aus dem Nachbarland Somalia zu empfangen und Kontakt mit ihrer Familie aufnehmen zu können vor ihrem Aufbruch nach Europa per Boot oder irgendwie. Menschen im Aufbruch, Flucht vor Gewalt, Suche, Wünsche und Sehnsüchte nach Freiheit, lebenswertem Leben, Heimat.

An diesem Sonntag “Reminiscere” gedenken evangelische Christen an die wegen ihres Glaubens benachteiligten, diskriminierten oder verfolgten Geschwister, wie überhaupt an alle, die Religionsfreiheit für sich und für andere fordern. In diesem Jahr denken wir an den Exodus orientalischer Christen, an ihre Situation in Saudiarabien, Syrien und Ägypten. So mancher von ihnen mag den eben von uns gesprochenen Psalm 25 mitbeten. “Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit”.

Der für “Reminiscere” vorgesehene Bibelabschnitt spricht zu uns aus Hebr 11, 8 - 10:

“Durch den Glauben ward gehorsam Abraham, als er berufen ward, aufzubrechen in ein Land, das er erben sollte, und er brach auf und wusste nicht, wo er hinkäme. Durch den Glauben ist er ein Gast gewesen in dem verheißenen Lande wie in einem fremden und wohnte in Zelten mit Isaak und Jakob, den Miterben derselben Verheißung; denn er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist”.

2. Liebe Gemeinde, Abraham bricht auf in unbekannte Ferne. Gott ist es, der an Abraham gedenkt, ihm seine Verheißung gibt. Und Abraham glaubt der Verheißung.

Anders als unsere Reisen mit der Faszination des Neuen führt der Weg dieses Hochbetagten unumkehrbar ohne Rückkehr in unsichtbare Zukunft.

Gott aber sieht sie schon.

So entschied sich vor 75 Jahren D. Bonhoeffer in den sicheren USA für die unsichere Zukunft der “Teilhabe an Deutschlands Geschick”. So kommt es - unter ganz anderen Umständen - zu dem Unwahrscheinlichen, das begabte junge Männer und Frauen zum Theologiestudium und ins geistliche Amt geführt und berufen werden; langjährige Begleitung Studierender ließ mich das erleben.

Aber bei uns selbst und bei anderen begegnen wir eben auch dem, für den die Zukunft bedroht die Gegenwart, “in der er lebt und in der alle seine Probleme gelöst seien, mit Unbekanntem. Aus diesem Grund verlangt er von der Gegenwart Garantien gegen die Zukunft. Sein Besitz etwa wird zu einem zinstragenden Kapital, das ihn gegen Risiken absichert, und die derart bezwungene Zukunft fügt sich von nun an in seine Vergangenheit” (E. Lévinas, Ausweg aus dem Sein, Uelzen 2005, 59). Sicherheitsverlangen und Freiheitsbewusstsein sind es, die in ihrer Spannung den Lebensweg durchziehen.

3. “Durch den Glauben” tut Abraham das Unwahrscheinliche. “Durch den Glauben” - litaneihaft in der “Wolke der Zeugen” bezeugt der Hebräerbrief dies der von lähmender Larmoyanz, gepaart mit kurzatmiger Zuversicht, gebannten Gemeinde.

“Glaube” - Was ist das?

Von Glaube, Glaubwürdigkeit und Vertrauen allgemein ist heute viel die Rede im personalen und sozialen Zusammenleben, in Politik und Medien, in Wirtschafts- und Finanzwesen, konkret etwa in der “Großen Koalition” und in den Beziehungen befreundeter Staaten. Ohne Vertrauen, Glaube und Glaubwürdigkeit läuft fast nichts.

Zugleich scheint es in unserer aufgeklärten Gesellschaft nichts zu geben, was nicht geglaubt werden könnte im esoterischen und sektiererischen Bereich, wo Sehnsüchte unkritisch Erfüllung heischen. Zu bestätigen scheint sich das Goethe-Wort in “Dichtung und Wahrheit”: “Beim Glauben kommt alles darauf an, dass man glaube; was man glaube, sei völlig gleichgültig” (DuW III, 14).

4. “Durch den Glauben ward gehorsam Abraham, als er von Gott berufen ward, aufzubrechen”. Liebe Gemeinde, hier wird vom Glauben nicht im allgemeinen, sondern im eminenten Sinn gesprochen: vom Grund legenden, Leben bestimmenden Vertrauen auf Gott, “dessen wir uns versehen in allem Guten und bei dem wir Zuflucht haben in allem Schweren“ (M. Luther: Gr. Katechismus zum 1. Gebot). Anders gesprochen: der Glauben im eminenten Sinn erweist sich als Gemeinschaft mit Gott, der als die alles bestimmende Wirklichkeit uns näher ist als wir uns selbst sind, weil wir “durchsichtig gründen” in seiner “Macht, die uns gesetzt hat”, dich und mich (S. Kierkegaard, Krankheit zum Tode).

Glaube und Gehorsam verbinden sich hier.

Glaube und Gehorsam - widerständisch und zum Widerspruch reizend mag das manchem scheinen. Für den gelebten Glauben schreibt D. Bonhoeffer entspannend in der “Nachfolge“: “Nur der Glaubende ist gehorsam - das ist dem Gehorsamen im Glaubenden gesagt; nur der Gehorsame glaubt - das ist dem Glaubenden im Gehorsamen gesagt” (S. 57). Durch die Zuwendung Gottes gehören Glaube und Gehorsam, Gottesgewissheit und Offensein für den Willen Gottes, geschenktes Glauben und dankendes Gehorchen zusammen.

Der Gegensatz auf der Reflexionsebene wird im Leben des Glaubenden vom Apostel Paulus einmal als Paränese, als Einheit von Indikativ-Imperativ beschrieben: “Schaffet, dass ihr selig werdet mit Furcht und Zittern; denn Gott ist es, der in euch wirkt das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen” (Phil 2, 11). Indem jemand glaubt, wird er, indem jemand gehorcht, ist er oder sie Christ (K. Barth, KD III3, 288). Gott schenkt mit seinem verkündigten Wort durch den heiligen Geist den unbedingten Glauben, den wir als selbsteigene Antwort im Herzen aufnehmen und mit Kognition und Emotion ins Leben ziehen. Dabei widerspricht Glauben nicht dem Denken, sondern gibt zu denken.

Und indem unser Glaube in der Zuwendung Gottes gründet, in seiner Treue und seiner Zuverlässigkeit, ist er nicht in meinem Bewusstsein, in meinem subjektiven Empfinden, in eigener Überzeugungskraft verortet und diesen gleich. Gott ist es, der uns ruft, seinem Verheißungswort zu folgen, was unseren Glauben zutiefst existentielle Erfahrung werden lässt, eine Erfahrung, die alle Lebensbezüge durchdringt und “das Leben schöner macht” (M. Walser, Mein Jenseits).

Abraham bricht auf zu einer Wanderschaft in der Fremde. Er geht, weil von Gott ergangen; er erfährt Gottes Geleit, weil ihm Gottes Verheißung widerfahren; er erkennt Gottes Treue, weil er immer schon von Gott erkannt ist. Das meint auch der “christliche Indikativ”: Weil Gott mir glaubt, glaube ich, ob jung dynamisch wie D. Bonhoeffer oder hochbetagt wie Abraham. Welch ein Gott!

Als Sein im Werden wird der Glaube gelebt: ein Zugleich von Anfechtung und Zuversicht, Ungewissheit und Beharrlichkeit in der Spannung zwischen Selbstverschließen gegen Gott und Gemeinschaft mit Gott, umfangen immer von Gottes Liebe. Indem wir uns auf Gott verlassen und so uns selbst verlassen, werden wir uns neu gegeben als Glaubende auf dem Weg der Zukunft Gottes entgegen.

Der Weg ist hier nicht das Ziel: für Abraham nicht und für uns nicht. Der Glaube wird gelebt als “gewisse Zuversicht des, das man hofft”, als der Wirklichkeit überführt zu sein, die man nicht sieht (Th. Söding mit Hebr 11, 1). Der Glaubende gleicht dem Vogel - Frühaufsteher erleben es in dieser Jahreszeit-, dem Vogel, der im morgendlichen Dunkel, ehe das Tageslicht aufscheint, schon zu zwitschern beginn; denn der neue Tag bricht an.

5. Liebe Gemeinde, der Hebräerbrief öffnet so die Wegsituation Abrahams für den Blick auf Jesus Christus, “den Anfänger und Vollender des Glaubens” (Hebr 12, 2). Durch sein Leiden und Sterben am Kreuz hindurch lässt er die Hoffnungsgewissheit der beheimatenden Stadt Gottes aufscheinen: Hoffnungs- und Heilsgewissheit als Glaubenswirklichkeit.

Aufscheinen lässt er sie gegen realexistierendes Leid durch Krankheit und Unrecht, durch menschliche Schuldverstrickung in Ungerechtigkeit, in Leben und Zukunft zerstörendes Machsal auf unseren Lebenswegen: die Stadt Gottes, verheißene Heimat, der neue Himmel und die neue Erde, in der Gerechtigkeit und Friede wohnt auch für um des Glaubens willen Benachteiligte oder Verfolgte, auch für Schmerzen, Unrecht, Not Erleidende (2. Petr 3, 13).

Schwerkranke und auf ihr Sterben zugehende haben gerade auch mir, mir als jungem Pfarrer, Zeugnis gegeben, dass das Ziel ihres Lebens- und Glaubensweges die Heimat beim “Gott alles Trostes” ist. Hoffnung ist stärker als Bedrängung und Beschwer.

Diese Verheißung Gottes erweist sich als Grund, jetzt Notleidenden zu helfen, Kranke zu trösten, Flüchtlingen und um des Glaubens willen Bedrängten Gastgeber zu sein und Heimat in der Fremde zu geben; denn, liebe Gemeinde, auch wir sind Fremde auf dem Weg, suchen Gerechtigkeit und handeln in der Liebe. Hier verbinden sich Glaube und Gehorsam im konkreten Ruf: Mache dich auf, brich auf wie Abraham!

Diese Verheißung am Passionssonntag “Reminiscere” will zudem der Grund für die Gewissheit sein, dass unser Gebet “Gedenke, Herr, an deine Barmherzigkeit” erhört wird heute im Geschenk des Abendmahls, in dem Gott unserer gedenkt.

Und der Friede Gottes stärke unseren Glauben, unsere Liebe, unsere Hoffnung. Amen.

Perikope
16.03.2014
11,8-10