Glück des Glaubens und falsches Sorgen - Predigt zu Matthäus 6,25-34 von Michael Plathow
6,25-34

Glück des Glaubens und falsches Sorgen

1. Die Provokation

Liebe Gemeinde, Jesu Bergpredigt - und dieser Teil aus ihr - erweist sich immer wieder als Provokation für unser Zukunft-Planen und Zukunft-Verantworten. Mag dieser Predigtabschnitt aussteigenden Blumenkindern und naiver Schäferidylle genügen - dem nüchternen Alltag der Sorge um finanzielles Auskommen der eigenen Familie und des kommunalen Haushalts, des Ausbaus der regionalen Infrastruktur, der Vorsorge gegen eigenes Krankwerden, gegen Altersarmut für soziales Gesundheitswesen und Generationengerechtigkeit, auch für Nachhaltigkeitsstandarts, die allen gutes Leben in der einen Welt sichern und eigene Verhaltensänderung anzeigen wollen - all dem ist die Bergpredigt schlicht inakzeptabel: eine Provokation.

Auch die Beispiele der “Vögel unter dem Himmel”, der “Lilien” in ihrer Blütenpracht und des “Grases” mit seinem frischen Grün überzeugen nicht. Wir wissen, dass Eichhörnchen Nüsse und Hamster Getreidekörner sammeln zum Überleben, dass die “unverdrossne Bienenschar” mit Wachs verdeckelt die Honigzellen der Waben für die kalte Jahreszeit, dass Amseln und hier überwinternde Vögel vorsorgen, wie ja auch die Menschen Obst und Gemüse einwecken, Kartoffeln keltern, in Kühltruhen Fleisch und Fisch einfrieren, in Silos Getreide und in Tanks Benzin sammeln, dass wir zum Schutz bei Krankheiten und Unfälle Versicherungen eingehen. Das alles schliesst Vorausdenken und Vorausplanen für zukünftige Situationen und Lebensphasen ein.

Ja, dieser Abschnitt aus Jesu Bergpredigt erweist sich als Provokation für unser notwendiges, Not wendendes und verantwortliches Vorsorgen. Verbunden ist damit der hier von Jesus gegebene Hinweis auf die Grenze und Vergänglichkeit des In-der-Welt-seins, auf Nichtung und Tod alles Lebendigen: das Gras, das heute wächst und morgen verdorrt und weggeworfen oder entsorgt wird, woran die biblische Botschaft immer wieder als Beispiel verweist. “Wer vermag seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen?” Auch uns fragt Jesus: “Seid ihr denn nicht mehr als sie?” Das fordert unsere Antwort zum Mehrwert unseres Lebens heraus.

2. Richtiges und falsches Sorgen

Liebe Gemeinde, erinnern Sie sich? Goethe, Faust II, Szene “Mitternacht”: vier graue Weiber wollen Eingang in Faust´s Haus; sie repräsentieren Mangel, Schuld, Not und Sorge. Mangel, Schuld und Not vermögen nicht die Tür aufzusperren. Die Sorge spricht: “Ihr Schwestern, ihr könnt nicht, ihr dürft nicht hinein. Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein”. Ja, die Sorge und das Sorgen - als Verfassung menschlichen Daseins in der Welt hat M. Heidegger sie mit dem alten Mythos der cura-Fabel verdeutlicht und analysiert (M. Heidegger, Sein und Zeit, § 42). Sorge und Sorgen, das sind die am häufigsten vorkommenden Worte hier in diesem Teil der Bergpredigt. D. Bonhoeffer schrieb einmal. “Wir wollen durch Sorge sorglos werden und vermehren durch unsere Sorgen nur die Sorgen”.

Betrachten wir daraufhin unseren Alltag, einen Tageslauf etwa, so scheint das irgendwie zuzutreffen:

Da ist zum einen die verantwortliche Sorge um Krankheit und Gesundheit, um Arbeit und Auskommen. Bisweilen halten wir in der Hektik der Besorgungen inne und fragen auch: “Was wird werden?, Werden wir bei der Beschleunigung technischer, gesellschaftlicher, politischer und globaler Veränderungen behalten können, was wir erreicht haben? Was ist wichtig, das wir tun müssen privat und gesellschaftlich? Dieses sorgsame Sorgen mit all den Besorgungen gehört irgendwie wie der Sauerstoff der Luft zum Dasein in der Welt. Und - wie Jesus sagt - auch Gott weiß, was wir als seine Mitarbeiter zur Erhaltung des Lebens in seiner Schöpfung brauchen. Nicht naiver Sorglosigkeit oder dummem Laissez-faire wird das Wort geredet. Nein, gewiss nicht.

Zum andern widerspricht Jesus der Sorge - wie es da heisst - “um den kommenden Tag”, die zukünftige Zeit, der Angst um das möglicher Weise Zukommende. Es ist ein Sorgen, das bindet, fesselt, gefangen hält mit Jammern und Klagen bis in Schlaf und Träume. Bisweilen sind es Sorgen, die hervorgerufen werden vom Wunsch nach Mehr, Mehr-haben-wollen, das jetzt gelebte Leben vergessend. Da treibt die Sorge um die Finanzierung des Hausbaus beengend die Eheleute in gegenseitige Vorwürfe und Beschuldigungen. Da verstrickt die Sorge um ehrgeizige Benotung den Schüler in die Korrumpierung seiner Freundschaft. Da droht die Sorge um Sicherheit die Allgegenwart geheimdienstlicher Datenspeicherung Privatheit und Freiheit zu verletzen und zu beeinträchtigen. Da wird in Lebenssorge als Zukunftsangst vor dem Aus und dem Nichts “all inclusive” versichert und abgesichert. So ergreift die Sache, um die wir sorgend fürchten, Macht über uns. Sie verfügt wie die Drogensucht über Kopf und Herz, bestimmt unser Leben ganz und das eigene Selbst total.

Diese Angst um die Möglichkeit des eigenen Selbst, eben das verzweifelte Sichselberwollen, lässt die Bestimmung menschlichen Lebens, meines Lebens, verfehlen. Verweisend, weil erwiesen, entdeckend, weil entdeckt, erfahren, weil widerfahren ist das die Beziehung zu und mit Gott und seinem Reich. Denn “woran du dein Herz hängst, das ist eigentlich dein Gott”, wie M. Luther sagt in der Auslegung des 1. Gebots im Großen Katechismus: “Ich bin der Herr, dein Gott; du sollst nicht andere Götter haben neben mir” mit der Erklärung. “Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen”.

Verwiesen und bestimmt ist der Mensch - darin liegt sein Mehrwert über den “Vögeln unter dem Himmel”, den “Lilien” und dem “Gras auf dem Felde” - verwiesen und bestimmt sind wir zur Gemeinschaft mit Gott: ein Vertrauens- und Treueverhältnis in Zeit und Ewigkeit. Als Gottes- und Lebensgewissheit wird sie von uns entdeckt, weil schon entdeckt. Als Fürsorge konkret, jetzt an einem “jeglichen Tag” durch Gottes Zukommen wird sie erfahren, weil widerfahren, wie Jesus in der Predigt vom Reich Gottes vollmächtig verheißt.

3. Glück des Glaubens

Liebe Gemeinde, Jesus ruft - nach den Glückwünschen der Seligpreisungen - hier in diesem Abschnitt seiner Bergpredigt: “Sorget nicht!” Alles, was lebt ist doch von Gottes Fürsorge getragen und begleitet. Vielmehr “trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit; so wird euch solches alles zufallen”. Das Trachten, Suchen, wird hier dem Sorgen entgegen gesetzt. Jesus kontrastiert dem alles bezwingenden und total beherrschenden Ängsten und Sorgen des möglichen Morgen das Trachten nach der sich schenkenden Gegenwart des Reiches Gottes jetzt, hier und heute. Er meint die Wirklichkeit des Zukommens Gottes, wie sie in seiner Person, in seinem Predigen und Heilen, in seinem Leiden und Kreuz angebrochen ist befremdlich und anstössig, in seiner Auferstehung da ist und sich zukommend erschließt und vollendet - nicht selbstverständlich, provokant. Wende der Zeit, die sich uns zuwendet und der wir uns hinwenden - Kehre in unserem Leben, das neue Wirklichkeitsverständnis. Gegen unser Vergessen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit wendet sich Jesus in der Bergpredigt, indem er vollmächtig den adventlichen Anbruch verkündigt. Dabei stellt Jesus die Frage nach dem Stellenwert, den die Dinge, um die wir uns sorgen und die wir besorgen, wie überhaupt das Trachten und das Sorgen, bei uns haben in unserm Denken und Tun. Was hat Priorität? Was gilt letztlich?

Jesus verheisst mit der Gegenwart des sich ereignenden Reiches Gottes hier und heute, die Gewissheit und das Glück des Glaubens, und zugleich will er gelingendes Leben in der Gemeinschaft mit Gott entdecken lassen und eröffnen: im Vertrauen auf Gottes liebende Fürsorge leben und aus dieser Liebe Gottes in besorgender Sorgfalt “für andere” Liebe üben hier und heute. Wo immer diese Liebe unser Denken, Planen und Tun motiviert, wo Gottes Liebe unser Lebensprojekt bestimmt - Glaube und Leben gehören zusammen - , da bricht das Reich Gottes wie eine Knospe auf, da wird Gerechtigkeit Gottes konkret, da wird nach dem Reich Gottes getrachtet und da ist es gegenwärtig konkret. Und da gründet unser Selbst durchsichtig in Gott, weil wir etwas sind zur Herrlichkeit des Reiches Gottes; denn das Glück des Glaubens wird zukommend unser.

In Segensbildern des Alltags verkündigt Jesus nach den Glücksrufen der Seligpreisungen das angebrochene und anbrechende Reich Gottes. “Glück” ist heute ein Sehnsuchts- und auch Containerbegriff in der Fülle der Glücksrezepte. Dem weltlichen Ausdruck “Glück” entspricht der biblische “Segen”.

Erinnern wir Jesu Gleichnispredigten vom Reich Gottes; das Reich Gottes erschließt sich und wird von den Glaubenden erfahren:

wo gegen Umweltzerstörung und das “Stirb und Werde” die Schönheit der Lilien, das frisch-duftende Gras “auf dem Felde”, eben die Pracht der Schöpfung Gottes heute erlebt wird (Mt 6, 28f.);

wo widerständig gegen Seuche, Katastrophe, Not und Krieg das Wort des Trostes und die konkrete Hilfe des “Samariters” heute weitergegeben und erfahren wird (Lk 10, 29ff);

wo in “dürftiger Zeit” der Same der Evangeliumspredigt heute aufgeht (Mt 13, 24ff.) und extravagant Gemeinde wie ein Senfbaum wächst (Mt 13, 31f);

wo gegen Selbstgenügsamkeit, “Fischen allerlei Art” gleich, auf unwahrscheinliche Weise sich ökumenische Gemeinschaft unterschiedlicher Christen und Kirchen sammelt (Mt 13, 47f), wo heute gegen wechselseitige Schuldzuweisungen der Schuldschein als “Reinigung des Gedächtnisses” wider alle Erfahrung getilgt wird (Lk 16, 1ff.);

wo über Kreuz mit der Skepsis das drängende Gebet “um Mitternacht” erhört wird (Lk 11, 5ff.);

wo, die vorgezeichneten Pflugspuren durchkreuzend, nicht selbstverständlich und unerwartet der “Schatz” zufällt, das Glücks des Glaubens heute (Mt 13, 44f).

So wird uns das Glück erfüllten Lebens von Jesus verheißen und zugesagt: die Gemeinschaft mit Gott, die des Heils in Jesus Christus jetzt und zur ewigen Seligkeit gewiss ist, die Gemeinschaft der Vertrauens- und Liebesgemeinschaft Gottes, zu der wir durch den Glauben bestimmt sind. Eine Provokation? Gewiss! Eine Provokation wie Christi Predigen und Heilen, Christi Kreuz und Auferstehung.

Darum, liebe Gemeinde, “trachten wir am ersten nach dem Reich Gottes  und seiner Gerechtigkeit. Die künstliche Lebenssorge im zwanghaften Sich-selber-wollen angesichts vom möglichen Nichts und nichtendem Tod wird genommen, weil Gott für uns gesorgt hat und weiter sorgt, uns das “Glück des Glaubens” an unseren auferstandenen Herr zuteil geworden ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als Unsere Vernunft, der bewahre euer Herz und Vernunft, euer Wollen und Tun im Glauben an Jesus Christus, unserm auferstandenen Herrn. Amen

Gebet

“Gott, wir leben in dir und du in uns.
Und doch haben wir die Neigung,
in ängstlichem Egoismus um uns selbst zu kreisen,
sodass wir die Geborgenheit und Gelassenheit nicht finden,
die uns deine Nähe schenken könnte.
Vergib uns dieses Misstrauen.
In deiner Nähe erleben wir Heil und Heilung”.(Christoph von Löwtzow)

 

Perikope
13.09.2015
6,25-34