Gnade und Friede dem, der da ist, der da war und der da kommt
4,7-11

Liebe Gemeinde, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

die arme Gnade, sie hat es schwer, hat Martin Paulekun eben gesagt. Und der Predigttext antwortet prompt: Und schwer hat´s der Mensch - ohne Gnade. In Hamburg erinnern wir uns noch gut, wenn auch nicht gern an einen selbsternannten "Richter Gnadenlos", der als Innensenator starke Sprüche klopfte und am Ende "gnadenlos" an sich selbst scheiterte. Gnadenlos ist so kalt. Ist inhuman und beschämend. Für alle. Ohne Gnade kann keine Gesellschaft bestehen, die auf Menschenrecht hält und auf Demokratie.

Als vor gut einem Monat die Amtszeit von US-Präsident Obama zu Ende ging, da gehörte zu seinen letzten Amtshandlungen die Begnadigung von mehr als 200 Häftlingen. Wissend, dass sie Schuld auf sich geladen hatten. Dieser Präsident wenigstens hat noch getan, wozu Präsidenten und Könige die Macht haben: Sie können Gnade vor Recht ergehen lassen. Es ist dies eine Macht der Barmherzigkeit und der Weisheit. Sie weiß davon, dass das Leben mehr ist als ein starres Regelwerk - auch wenn Regeln wichtig sind. Die Gnade jedoch ist ein Geschenk. Geboren aus Herzensweite und Mitgefühl. Ohne diese Gnade würden wir im Eishauch des Gesetzes erfrieren.

Als sie da frierend im Regen standen, die 80 afrikanische Flüchtlinge, da habt Ihr hier in St. Pauli nicht anders gekonnt, als der armen Gnade ein Dach über den Kopf zu geben. Die Flüchtlinge hatten nach Ansicht der Behörden kein Recht, hier zu sein. Sie kamen aus dem libyschen Bürgerkrieg über Italien nach Hamburg, hatten keinen Aufenthaltstitel, keine Duldung. Ihr habt ihnen trotzdem die Türen geöffnet. Sie, die in winzigen Booten übers Meer flüchteten, legten jeden Abend ihre Schlafsäcke auf diesen Kirchenboden, der aus uralten Schiffsplanken besteht. So verweben sich Schicksale und Zeiten. Und Menschen aller Couleur verbinden sich.

Es war hinreißend zu erleben, wie Menschen den alten Räumen neues Leben gaben. Elke Jacob hat vorhin davon erzählt. Das Rentnerehepaar, der Türsteher, die Jugendliche - sie haben gegeben, was sie konnten: Zeit, Aufmerksamkeit, Geduld, Geld. Eine jede, ein jeder mit der Gabe, die er oder sie empfangen hat. Es ist, als hätten viele diesen wahrscheinlich nie gehörten Satz aus dem Petrusbrief verinnerlicht: Dient einander. Ihr seid die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.

Dieses Wort "Mancherlei" heißt im griechischen Originaltext eigentlich "vielfarbig, bunt".  Das ist eine wunderbare Beschreibung für das, was ich hier "live und in Farbe" miterlebt habe an Nächstenliebe. Hier in St. Pauli, wo ja nicht gerade der Reichtum zu Hause ist. Mit all den Seebären, den Genusstouristen und tapferen Fußballfans. Die Gnade ist hier auf die Welt gekommen. Gnade, die jedem einzelnen Menschen Recht gibt. Und Heimat. Sinn und Segen.

Man war gastfrei untereinander, sagt dazu der Petrusbrief. Oder besser: Man war so frei… den Geflüchteten Geborgenheit zu schenken. Ohne Murren und ohne Neid. Im Gegenteil. Viele hier fühlten sich endlich mal wieder gut. Weil sie es waren, die endlich einmal  jemanden etwas geben konnten.

Gnade ist ein Geschenk, das wir auch einander machen. Indem wir zueinander halten. Solidarität üben mit denen, denen es mies geht.  Indem wir denen Ansehen geben, die streng riechen und schon lang keiner mehr genau angesehen hat. Der Tisch des Herrn, an den Christus uns als eben diese bunte Gemeinschaft stets und immer einlädt, steht ja nicht irgendwo im Jenseits, sondern genau in dieser Welt!  Mit all ihren Zerrissenheiten. Und wir, mittendrin, werden uns klar, demütig klar, dass jeder Sonnenstrahl, dass Jazz am Morgen und Geistesgegenwart am Lebensabend, dass dein Kind auf dem Schoß und die Hand auf der Schulter, dass all dies ein Gnadengeschenk ist, das uns hilft zu leben. Und ich denke, genau dies meinte Luther, als er sagte: Sola gratia. Allein die Gnade. Oder auch: Alles gratis. Das wirklich Wertvolle in unserem Leben, das was uns im Innern der Seele glücklich macht und stark, das ist gratis. Nicht zu verdienen. Einfach nur zu empfangen… um dann als guter Haushalter zu schauen, was wir - derart gesegnet - selbst an Segen weitergeben können.

Jeder Mensch kann zum Segen für andere werden. Jeder Mensch ist begnadet. So viel Schönheit und Fähigkeit ist in dir, raunt Gott dir zu, gleich wie jung oder alt du bist. Keiner darf dir das absprechen! Auch du dir selbst nicht.

Das ist manchmal vielleicht das schwierigste: in sich selbst zu entdecken, dass so viel Liebe sich sehnt und so viel Zartheit und Schöpferisches in einen hineingeschenkt ist. Wir sind reich an Gnade, sagt der Petrusbrief. Geboren wurden wir aus lauter Liebe. Und so Gott will gehen wir am Ende geliebt von dieser Welt. Dieses Vertrauen darin, ein in der Spanne des Lebens gesegneter Mensch zu sein, ist ein Reichtum an innerer Kraft, an Klar-Sicht, an Großzügigkeit.

Und also kann man gar nicht anders, als sich der  Welt zuzuwenden und sich ihr zu öffnen. In unseren Kirchen zuallererst. Sie sollen ein Ort sein, wo erschöpfte Menschen die unerschöpfliche Gnade Gottes erleben. Mit einer Stimme, die sich für die Schwächeren erhebt und Händen, um sie Flüchtlingen zu reichen. Das letzte Jahr hat es gezeigt - und es ist unglaublich, was sich immer noch an Hilfsbereitschaft ereignet. Ich behaupte: wir sind in unserem Land dadurch reicher geworden. Wacher. Herzlicher. Nur geredet wird davon zu wenig.

Geredet wird davon, dass wir nichts zu verschenken hätten. Dass da längst schon die Obergrenze erreicht sei. Diese Stimmen werden lauter in diesem Land. Und in anderen Ländern leider auch.

Um der armen Gnade willen müssen wir hier gegenhalten, liebe Gemeinde. Gnade braucht Menschen, die Worte und Gesten für sie finden. Damit Menschenrecht wächst und Zusammenhalt. Darum geht es!

Und dazu gehört dann auch zu sagen, was nicht geht. Und zwar klar und deutlich. Unser Glaube wurzelt in der Wahrhaftigkeit. Und die ist heutzutage so wichtig, weil über die sozialen Medien so viel Lüge und Falschmeldungen und Hasspostings an Reichweite gewinnen. Wir Christen dürfen uns nicht mehr zurückhalten, liebe Gemeinde. Es ist keine gute Zeit, sich zurückzuziehen ins Private. Im Gegenteil: Seid gastfrei, seid so frei und sucht das Gespräch. Mit denen, die uns fremd sind oder fremd geworden sind. Von Angesicht zu Angesicht. Nicht alle, die sagen, "Das wird man doch mal sagen dürfen" sind unerreichbare Ideologen. Reden wir mit ihnen, in der Hoffnung, dass das Argument wirkt, nicht zuerst das gnadenlose Urteil!

So seid nun besonnen und nüchtern, sagt unser Predigttext  – vor allem habt untereinander beharrliche Liebe… und dienet einander als die guten Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.

Mancherlei - tatsächlich: Die Gnade Gottes ist bunt. Deshalb kann sie überall auf die Welt kommen. Nicht nur hier in St. Pauli. Auch in deinem Leben. Beim Hören, Singen, Schweigen oder Deutschlernen, im Lachen und Gebet, im Begehren, in der Liebe. Überall dort, wo du dich hinein-, ja hin- gibst. Und auf einmal kann es passieren und Gott selbst nimmt neben dir Platz. Als ältere Dame, gewitzter Junge, als Börsenmakler, Bettler und als Flüchtlingskind auch. Und dann sagt er: Ein guter Haushalter bist du. Du lebst, je mehr du gibst. Das ist unsere christliche Botschaft auf dem Marktplatz der Welt: Reich das Leben, je mehr wir geben, werden wir doch - wundern wir uns nicht! - selbst zum Segen. Nichts weniger. Vielmehr erhellt ein wundervolles Lächeln unser Land geben wir der Gnade ein Zuhaus. Und dem Frieden, der höher ist als alle Vernunft. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

Perikope
12.02.2017
4,7-11