Göttliche Bandenbildung – oder – Friede sei mit Euch!
Liebe Gemeinde,
es gibt nur einen, der laufend einseitige Friedensangebote ausspricht und auf Gewalt verzichtet, selbst wenn man ihm feindlich begegnet: der Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen.
Er ist Gott allein. Er hält die rechte Wange hin, wenn er auf die linke geschlagen worden ist. Er lässt sich Gewalt antun, ohne daran zu Grunde zu gehen. Mehr noch: Er geht an erlittener Gewalt nicht nur nicht zugrunde. Sondern er verfügt über derart viel Lebendigkeit, dass er seinen Feinden unablässig Friede in Wort und Tat anbietet.
Kann es so ein Wesen überhaupt geben? Das ist uns durchaus fraglich. Wir sind gewohnt, Lebewesen zu kennen, die an Gewalt zugrunde gehen, sei es weil sie sie erleiden oder sie selber ausüben – denken sie nur daran, wie es Soldaten mit dem posttraumatischen Belastungssymptom PTBA ergangen ist. Daran leiden auch die, die erfolgreich ihre Feinde bekämpft haben.
Oder wir kennen für gewöhnlich Lebewesen, die auf Gewalt mit Gegengewalt antworten, übrigens oft im Übermaß, solche also, die nach erlittener Gewalt versuchen, ihre Gegengewalt im Verhältnis zur ersteren zu steigern. Da reicht Auge um Auge, Zahn um Zahn oft nicht aus, statt eins zu eins muss es dann zehn zu eins heißen.
Wir selbst wissen uns davon nicht ausgenommen, sondern eingeschlossen in den Kreis und Kreislauf von Gewalt und Unfriedfertigkeit. Selbst körperliche Gewalt ist uns als Täter oder Opfer nicht fremd. Auch wenn sie weit weniger eine alltägliche Rolle spielt als all die Jahre vor dem schon sieben Jahrzehnte dauernden Frieden in Westeuropa.
Kinder leiden unter körperlicher Gewalt von Gleichaltrigen oder von Erwachsenen, manchmal sogar in der Kirche. Und Heranwachsende üben körperliche Gewalt aus, nicht nur gegen ihresgleichen. Verkehrsopfer leiden unter Gewalt, auch die, denen Arbeitsunfälle passieren.
Und mit körperlicher Gewalt allein ist es nicht getan. Es gibt auch kommunikative Gewalt. Nicht nur Beleidigung und öffentliche Bloßstellung, das gehört auch dazu, der mediale Pranger. So wie die verbale Aufrüstung, die Propaganda. Denken sie nur an den verbalen Schlagabtausch im Kriegskonflikt an der Ostgrenze der Ukraine.
Die größte Lüge jedoch ist die halbe Wahrheit. Kommunikative Gewalt zeigt sich überall vor allem in dem, was ausgesprochen und in dem, was bei diesem Sprechen bewusst verschwiegen wird. An Intrigen. An geheimen Absprachen. Insiderwissen, verdeckten Drohungen oder Bestechungen.
Kommunikative Gewalt, wie sie in Arbeitszeugnissen und Wirtschaftsverträgen vorkommt, in Bewertungen, die vom Recht gedeckt sind und doch nicht moralisch einwandlos. Kommunikative Gewalt, die nach außen Friede erzwingt,
nach innen aber umso mehr Unfriede erzeugt.
Wissen wir uns als Gemeinde und Kirche davon frei? Unterscheiden wir uns da von der Welt und ihren Unternehmungen, seien es wirtschaftliche oder gemeinnützige. Oder herrscht auch hier unter uns Christen nicht zuweilen ein solcher Scheinfriede? Ein falscher Friede, der auf Gewalt, auf kommunikativer Gewalt beruht?
Und schließlich gibt es auch noch eine Art geistiger Gewalt. Die muss zwar keineswegs zwangsläufig zu kommunikativer oder gar körperlicher Gewalt führen. Und doch beunruhigt sie uns. Weiss ein jeder sich frei von Gewaltphantasien oder Rachewünschen. Von Dominanzgelüsten und Herabsetzungswillen?
Gibt es also überhaupt ein lebendiges Wesen, das so geduldig, sanftmütig und demütig, so friedfertig ist? Ein Leben, das sich jeglicher körperlicher, kommunikativer und geistiger Gewalt enthält?
„Der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen!“ spricht durch Jeremia der Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen. Es ist der Friedde eben nicht Schicksalslaune oder Zufall. Gott ist gerecht und heilig. Gott ist autonom und selbst bestimmt, wenn er uns, die wir es gar nicht verdient haben, fortlaufend seinen Frieden in Wort und Tat anbietet.
Er bietet uns Frieden in Wort und Tat, weil es da einen Bund gibt, den er geschaffen hat, einen Vertrag, den Gott sich aus freiem Entschluss ausgedacht hat und eingegangen ist. Dieser Vertrag kann nicht wie unsere menschlichen Vertragswerke gebrochen werden, sondern er steht ewig fest. Dieser Bund wird gehalten, diese Selbstverpflichtung wird von Gott in die Tat umgesetzt.
Bürge und Garant für die Friedfertigkeit Gottes ist Jesus Christus. Am Gekreuzigten und Auferstandenen ist zu sehen, wie der friedfertige und gewaltlose Vater unter von Gewalt bestimmten Tätern und Opfern eine friedfertige Bande bildet, die erste Gemeinde.
Machen wir uns keine falschen Vorstellungn von den Jüngern Jesu. Genaus so wenig wie wir bildeten sie eine Gemeinschaft von friedfertigen, demütigen, sanften und geduldigen Menschen, die mit Gewalt in all ihren Formen nichts zu tun hatten.
Das Unglaubliche und Schrecklichste war geschehen: die Anderen hatten das Spiel gewonnen. Jesu blutüberströmte Körper war vom Kreuz genommen, er war tot, nicht mehr da, vielleicht nicht einmal mehr sein Leichnam.
Und die Jüngerschaft selber! Wie oft hatten sie ihn mißverstanden. Ganz anders als nach seinen Worten gedacht und gelebt, anders als er geredet und gehört, anders als er gelitten und getan. Und als es dann Spitz auf Knopf stand, dann hat einer der ihren ihn verraten um gewisse Summe Geld, da hatten sie ihn alle verlassen und waren geflohen. Nur einer wollte widerstehen und verstieg sich zu einer angesichts der Gegnerüberzahl hilflosen Amokaktion per Schwerthieb und Ohrläppchen. Ihr Anführer Petrus hatte Jesus dreimal verleugnet, obwohl dieser ihn als eine Art Nachfolger tituliert hatte.
Was sollte aus ihnen werden? Da saßen sie hinter verschlossenen Türen, aus Furcht vor ihren Mitmenschen, die ihren Jesus moralisch und rechtlich verachtet und verurteilt hatten, nicht nur kommunikativ, sondern körperlich bis zum Tode hin. Drohte ihnen nicht ein gleiches Schicksal?
Der erste Kirchenraum: ein selbst gewähltes Gefängnis, abgeschottet von der Außenwelt um nicht entdeckt zu werden. Der erste Gemeinderaum im wahrsten Sinne ein Verlies: Belegt von heimatfernen Flüchtlingen, die von Gefühlen wie Rache, Reue, Trauer und Angst überwältigt und zum Verstummen gebracht worden sind. Ein Haufen, wahllos aneinander gekauert, hilflos wie zerstreute Herdentiere in einer eisigen lichtlosen Nacht, jedes seinen Gedanken und Gefühlen nachhängend. Stille, die von Gewalt erzwungen ist, Scheinfriede.
Zu diesen kam, in ihre Mitte trat der gekreuzigte und auferstandene Jesus. In der Macht des gewaltlosen und friedfertigen Vaters macht er sich zum Haupt dieser geschlagenen Leiber und verwirrten Köpfe. Er tat das in der denkbar einfachsten Weise: „Friede sei mit euch“ hat er zu ihnen gesagt. Eigentlich ein simples Grußwort, das man sich damals untereinander zu jeglicher Tageszeit mitteilen konnte.
Aber wenn Zwei das gleiche tun, ist es nicht unbedingt dasselbe. Jesus brachte, ja Jesus erschuf in seinen Jüngern das, was jenes einfache Grußwort sagte: Frieden. Einen guten Abend, einen guten Tag, ein gutes neues Leben. Denn das am Kreuz geschlachtete Lamm Gottes erwies sich ihnen als der siegreich lebendige Löwe von Juda. Jesus zeigte sich mit seinen offenen Wunden als der wahrhaft selbst bestimmte Mensch des in Wahrheit friedfertigen Gottes. Und als solcher nahm er nun wirksam und endgültig die Unterrichtung, die Strukturierung, die Befähigung und die Leitung jener verlorenen Leiber und Geister in die Hand. So machte er diesen wirren Haufen in seiner ganzen Ohnmacht zu einem Leib mit einem Geist, mächtiger als alle Weltmächte. So wünschte, nein, brachte und schuf er ihm wahren Frieden, einen guten Abend, einen guten Tag, ein gutes Leben, indem er als der gekreuzigte Auferstandene in ihre Mitte trat.
Hier darf und muss etwas hinzugefügt werden: Jesus trat, indem er so grüßend in die Mitte seiner Jünger trat, in die Mitte des Lebens jedes einzelnen von ihnen: ob er nun Petrus oder Johannes oder Andreas oder Thomas hieß. Friede sei mit euch, das gilt jedem persönlich. Das hieß: Friede sei mit Dir! Gerade mit Dir persönlich. Im Heiligen Geist spricht der Gekreuzigte und Auferstandene diesen Frieden auch jedem von uns heute zu, erschafft ihn in und lässt ihn in uns wirklich werden.
Steht Jesu Volk damals mit diesem Gruß nicht mehr vor seinem Leichnam, seinem Grab, vor seiner Niederlage, dann auch keiner von uns heute - mit Hilfe des Heiligen Geistes. Dann ist jeder durch seine Auferstehung neu geboren zu einer lebendigen Hoffnung, angezeigt und symbolisiert durch die christliche Taufe.
Im Heiligen Geist, in diesem Frieden und in dieser Hoffnung gewinnen wir Anteil an Gottes Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit: Wir verzichten auf Gewalt sogar angesichts selbst erlittener Gewalt. Das ist sehr schwer, aber nicht unmöglich und ganz sicher eine eigene Predigt wert. Um dieses Thema zu bedenken, sind sehr viele neue Gesichtspunkte einzuführen und zu erläutern, vor allen Dingen, was die Wissenschaft an Neuem über den Menschen entdeckt hat. Dazu ist in dieser Predigt leider kein Platz mehr.
Trotzdem gilt: Im Heiligen Geist, in diesem Frieden und in dieser Hoffnung gewinnen wir Anteil an Gottes Friedfertigkeit und Gewaltlosigkeit: wir werden geduldig und erkennen den guten Augenblick zum Eingreifen. Wir werden sanftmütig und entschlossen. Wir werden demütig und setzen unser Know-how geschickt in die Tat um. Wir werden überzeugend statt drohend oder bestechend. Wir werden als integrer Mensch gesehen, auch mit unseren biografischen Brüchen, auch wenn wir selber uneins mit uns sind. Wir verzichten auf alle Formen der Gewalt. Wir bilden so den einen Leib Christi, auf dass die Welt den wahren und einzigen und friedfertigen Gott erkenne. Amen.