Gott gibt nicht auf mit uns! - Predigt über Apostelgeschichte 12, 1-11 (12-17) von Ondrej Prostrednik
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Gott gibt nicht auf mit uns! - Predigt über Apostelgeschichte 12, 1-11 (12-17) von Ondrej Prostrednik

16. Sonntag nach Trinitatis, 23. 09. 2012 - Apg 12,1-11 (12-17)
Gott gibt nicht auf mit uns!
  Predigt für einen Studentengottesdienst in Bratislava
Liebe Gemeinde,
Seit etwa drei Monaten habe ich ein Facebook Konto. Lange habe ich gezögert. Dann hat mich aber etwas überzeugt. Unsere Kinder sind nun erwachsen (18, 22 und 24) und studieren in verschiedenen Ecken von Europa. Doch aber pflegen wir weiter die Gewohnheit, dass wir uns gegenseitig in der Familie informieren wo sich wer befindet und ob er/sie nach einer Reise gut angekommen ist. Einmal haben wir lange und vergeblich auf den Anruf von unserem ältesten Sohn gewartet.  Schließlich habe ich ihn angerufen und mit etwas Mahnung in der Stimme gefragt ob er nun im Ziel sei und warum er uns nicht informiert hat. Er war schon längst sicher im Ziel und seine Entschuldigung klang: Ich habe es doch schon vor drei Stunden über das Facebook bekannt gegeben. Plötzlich ist mir klar geworden: Wenn ich die Welt meiner Kinder verstehen will, muss ich ein Teil ihrer Welt auch werden. Und Facebook gehört sicher dazu. Meine Frau resistiert noch. Ich bin inzwischen stolz auf meine 376 „friends“ und zahlreiche „likes“.
Nun, wie würde wohl die Geschichte über Jakobus Hinrichtung und Petrus Befreiung vom Gefängnis heute berichtet? Die Gemeinde in Jerusalem elektronisch vernetzt mit Rest der damaligen christlichen Welt. „Instant messaging“ über die Entwicklung in Jerusalem, alle Gebete mit „Photo uploads“ sofort allen zugänglich, viel mehr Details – zur Freude, oder zum Kopfweh der Exegeten, wer weiß? Und schließlich der Status auf Petrus Konto: Ich bin frei! Unverwechselbar bin ich das. Die Mittel wohl ganz anders, aber die „Message“ der „Story“ bleibt doch die selbe: Gott gibt nicht auf! 1. Er kann das Leben fordern. 2. Er kann die Freiheit geben. 3. Er will die Gemeinde mehren. (Gottfried Voigt, Die Himmlische Berufung, 371).
1. Er kann das Leben fordern.Welch ein Kontrast: Jakobus stirbt – Petrus wird frei, lebt und predigt weiter. Das ist die alte Wahrheit: Das Blut der Märtyrer wurde zum Samen für die Kirche. Das Leiden der Nachfolger Christi macht den Inhalt ihrer Verkündigung glaubwürdig. Wie ist es gemeint? Sollte es nicht gerade umgekehrt sein?: Ein erfolgreiches und glückliches Leben ist ein Zeichen dafür, das der Christliche Glaube der richtige Lebensweg ist! Nun beides hat einen festen Platz im biblischen Zeugnis: Mit Leiden gekennzeichnetes Leben und auch mit Segen und Erfolg erfülltes Leben als folge vom Glauben.  Doch aber wird der Zusammenhang von Leiden der Gläubigen und Glaubwürdigkeit der Verkündigung oft zurückgedrängt. Wobei der Erfolg als Zeichen des Segens eher überbetont wird.    
Oft erinnere ich mich an die Zeit kurz nach November 1989 in der Kirchengemeinde, wo ich als junger Pfarrer gedient habe. Eine interessante Dynamik  hat sich dort entwickelt. Zu den treuen Gottesdienstbesuchern, die trotz persönlichen Nachteilen zur Kirche gehalten haben, kamen bald neue Gottesdienstbesucher. Das waren die, die bis dahin die Kirche weit umgegangen sind, weil sie wussten es könnte ihrer gesellschaftlichen Stellung in einem atheistischen Regime schädlich sein. Oft waren es begabte, erfolgreiche Menschen, die plötzlich auch bereit waren  mit ihren Gaben der Kirche in der neuen Situation zu dienen. Um die Kirchengemeinde nach vorne zu bewegen, war es ganz natürlich, dass diese neue Menschen bald verantwortliche Positionen in der Gemeindestruktur übernommen haben. Es dauerte aber nicht lange bis der Verdacht der Eigennützigkeit ausgesprochen wurde von den alten treuen einfachen und in keiner Hinsicht materiell erfolgreichen Gemeindeglieder gegen die neuen Mitglieder, die immer nur Glück schienen zu haben. Keine einfache Situation.
Doch aber keine einzigartige und neue Situation. Die Geschichte über Jakobus und Petrus zeigt, dass das Leiden einer und die wirksame Verkündigung anderer in der Kirche eng zusammenhängen. Paulus hat es theologisch sehr gut ausgedruckt: „Wir tragen das Sterben des Herren Jesu an unserem Leibe.“ (2 Kor 4,10) Das Leiden um Glaubenswillen macht die Kirche glaubwürdig. In einem solchen Leiden ereignet sich die Geheimnisvolle Konformität mit Christus (G. Voigt). Wo das in der Kirche geschieht, erweckt Gott den Glauben auch in anderen und macht eine solche Gemeinschaft überzeugend. Eine solche Gemeinschaft hat das Potenzial auch das Leben der anderen zu heilen und fördern.  Und schließlich auch das mögliche Motiv der Eigennützlichkeit zu überwinden und aus kalkulierenden Heuchler wahre opferbereite Zeugen sich schaffen.
2.   Gott gibt nicht auf! Er kann die Freiheit geben.  Kaum zu fassen - der Hergang der Befreiung. Eine Geschichte, die wohl mit heutigem Stand des Wissens und mit modernen  Kommunikationsmitteln ganz anders erzählt würde. Doch aber bleibt unbestritten, dass Petrus gefangen war, denn es ist eher unwahrscheinlich, das im Zuge der Verfolgung  nicht auch er ins Gefängnis gesetzt wäre. Und es ist mehrfach bezeugt, dass Petrus auch nach der Verfolgung seitens Herodes Agripa weiter gepredigt hat. Es gibt sie aber auch Heute: Die Geschichte von unerwarteten Befreiung zur Verkündigung.
Ich habe mein Theologiestudium in 1982 angefangen und 1987 beendet. Es waren nicht viele, die den Weg des Dienstes in der Kirche gewählt haben. Denn irgendwie haben sich alle in der damaligen Gesellschaft so eingerichtet: Die Kirche ist noch da, sie hat ihren streng bewachten Lebensraum, braucht noch einige wenige Pfarrer. Sie darf aber nicht wachsen und so wird es wohl bleiben. Auch wenn wir von mehr Freiheit für die Kirche geträumt haben und hier und da revoltierend etwas gegen das atheistische Regime gesagt haben, haben wir ein plötzliches Ende dieses Regimes kaum erwartet. Wie Petrus im Gefängnis, ruhig schlafend zwischen zwei Wächtern, haben wir uns an das Leben in Unfreiheit eingestellt. 
Und doch kam es! Überraschend schnell ist die ganze Maschinerie der ideologischen Kontrolle der Kirche im November 1989 zusammengefallen. Nichts ist von ihr übrig geblieben. Plötzlich standen wir da, mit freien Händen, mit freien Stimmen, frei zu tun worüber wir bis dahin nur träumen könnten.
So klingt heute die Geschichte über den Gott, der nicht aufgibt und uns Freiheit schenkt.  Die Kirche ist nicht vor Schwierigkeiten und Pressionen bewahrt. Nein, auch in der heutigen gesellschaftlich freien Situation gibt es Zwänge, Ängste, Begrenzungen. Doch aber gerade durch sie und aus ihnen heraus wird die Kirche auf unbegreifliche Weise immer aufs Neue zur Freiheit geführt.  
3. Gott gibt nicht auf! Er will die Gemeinde mehren. Nach seiner Befreiung zieht Petrus weiter. Er bleibt nicht in Jerusalem. Es scheint ein rationaler Zug zu sein: Die Missionsmöglichkeiten sind wohl in Jerusalem für die gegebene Zeit und damals herrschende politische Lage erschöpft. Wir können gut behaupten, dass hier die Entscheidung gefallen ist nach Rom zu ziehen. Das ganze geschieht in einem symbolischen Rahmen. Nach einer Tradition aus dem 4. Jh. ist die Jerusalemer Gemeinde gerade in dem Haus versammelt, in dem der Herr mit seinen Jüngern das Herrenmahl gefeiert und eingesetzt hat. Und noch etwas – die Gemeinde betet und als sie mit der Erhörung ihres Gebetes konfrontiert wird, glaubt sie nicht. „Du bist verrückt!“ haben sie der Dienerin Rhode gesagt, als sie gemeldet hat, dass Petrus vor der Tür steht.
Gott gibt nicht auf. Wenn die Gemeinde in Jerusalem nicht weiter wachsen kann, soll Petrus weiter ziehen. Mit Erinnerung auf die engste Gemeinschaft mit seinem Herrn Jesus und konfrontiert mit der Erfahrung, dass Gott mehr geben kann, als wir beten und glauben können.
Oft reden wir über Mission. Wie soll sie denn Heute gemacht werden. Ist sie überhaupt noch nötig in einem Land mit langjähriger christlicher Tradition? – fragen einige. Wir stellen fest, dass die meisten unserer Gemeinden in ihrer Mitgliederzahl verlieren. Heftig suchen wir nach Erklärungen, emotionsvoll streiten wir über mögliche Lösungen. Die einen sehen die Stagnation und Rückgang als einen Trend mit dem nichts gemacht werden kann. Die anderen schlagen Alarm und suchen kreativ nach neuen Möglichkeiten den heutigen Menschen in seiner Lage, mit seiner Sprache mit dem Evangelium zu erreichen.
Gott gibt nicht auf und will die Gemeinde auch heute mehren. Das ist die Botschaft die uns aus diesem Text erreicht. Gott gibt auch heute neue Möglichkeiten dort, wo wir an das Ende unserer Möglichkeiten gelangen. Das ist wohl das Evangelium dieser Geschichte. Trotz allen statistischen Trends, trotz der in vieler Hinsicht kompromittierter Kirche in der heutigen Gesellschaft, trotz den Nachrichten über Kirchengebäude, die verkauft und zu anderen Zwecken umgestaltet werden - trotz allem dem gibt Gott mit seiner Kirche nicht auf. Er schenkt neue, überraschende Möglichkeiten und ruft zu seiner Mission. Denn er will das Leben fordern, die Freiheit geben und so die Gemeinde mehren. Amen.