"Gott liebt auch rote Haare", Predigt zu Römer 15,5-7.13 von Michael Rambow
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"Gott liebt auch rote Haare", Predigt zu Römer 15,5-7.13 von Michael Rambow

Gott liebt auch rote Haare
    
    Ein achtjähriges Mädchen kommt verheult aus der Schule. "Die haben mich heute alle ausgelacht, weil ich rote Haare habe." Die Mutter ver­sucht zu trösten: "Rote Haare sind schön. Der liebe Gott hat sie ge­macht."
    Auf diesen frommen Hinweis schluchzt das Mädchen: "Aber bei dem lassen wir nichts mehr machen."
    
    Wir haben es ordentlich schwer, uns selbst und einander zu ertragen.
    "Nehmt einander an" ist darum eine nützliche Empfehlung. Aber war­um soll ich die anderen ertragen? Paulus antwortet "weil Christus euch angenommen hat." Weil Gott alle gleich liebt. Weil er durch Christus neue Verhältnisse bietet. Weil Gott wollte, dass in unterschiedlichen Menschen seine Liebe aufleuchtet.
    Und weil das Advent ist, wenn Got­tes Liebe spürbar wird über alle Unterschiede weg.
    
    Rote Haare sind längst nicht das Problem. Da könnte ich noch ganz andere Erfahrungen beisteuern. Manche färben sich ihr Haar extra schrill. Sie suchen den Unterschied. Sie wollen aus der gestalt- und gesichtslosen Masse herausfallen. Sie fürchten Gleichmacherei.
    
    Die richtigen Probleme lie­gen anderswo.
    Das Telefon klingelt. Mein Sohn kam am Sonnabend mit seiner Freundin hier an. Sie ist von zu Hause weggelaufen. Drei Tage ist das her. Die Eltern haben bisher nicht nach dem Mädchen gefragt. Was soll ich machen? fragt die Frau, die ich nicht kenne.
  Es gibt die roten Haare und die dicke Frau, den lauten Nachbarn und den mürrischen Kollegen, die alleinerziehende Mutter und die Ausländer, es gibt strenge Väter und überforderte Mütter. Aber es gibt auch die aufmüpfigen Jugendlichen, die Korrekten, die Großzügigen, die alles verstehen und am liebsten jeden umarmen, die keinen Unterschied mehr zulassen und sich an jedem Andersdenken stoßen.
    Nach aller menschlichen Erfahrung haben nicht nur Schüler Probleme mit ihren Lehrern. Lehrer müssen sich oft auch mit problematischen Schü­lern abplagen. Kinder haben Stress mit ihren Eltern und Eltern sind manchmal ihrer Erziehungsaufgabe nicht gewachsen. Und Eltern wissen ein Lied zu singen von den Forderungen uneinsichtiger Jugendlicher. Die Wirklichkeit zeigt, dass es nicht nur Probleme mit bösen, sondern auch mit guten Menschen geben kann. Erfahrungen zeigen, dass es nicht nur Pro­bleme geben kann mit frommen, sondern auch mit weniger frommen Menschen.
    Tausenderlei Unterschiede machen es miteinander ziemlich schwer und manchmal unmöglich nicht anzuecken. Wie kommen wir miteinander klar, wenn wir alle verschieden sind und reagieren?
    
    Unsere Zeit lebt eine scheinbar menschlich elegante Lösung. Wir sagen einfach einander nichts mehr. Wir lassen einfach jeden wie er ist. Jede und Jeder wissen doch selbst viel besser, was gut ist. Wenn ich das so will. Wenn das meine Art ist. Wer will mich daran hindern?
    Ist das tolerant, sich an kein Maß mehr zu halten und jeden leben zu lassen wie er will, vielleicht sogar auf Kosten an­derer? Und wenn der andere mir nicht in meinen Streifen passt, dann trenne ich mich von ihm, dann schlagen manche einfach los, stechen zu, bomben drauflos.
    Jemand sagte dazu: wir haben uns ein falsches Verständnis von Toleranz angewöhnt. Wir lassen einander in Ruhe. Wir werden immer gleichgültiger gegen­einander. Wir nehmen uns nicht mehr an als Menschen, die gemeinsam auf dem Weg sind.
    
    Advent heißt: Gott kommt in diese intolerante Welt, in der die Rothaarigen sich selbst und Dünne Dicke nicht leiden können, in der Einheimische und Zugewanderte Probleme miteinander haben, wo Reiche und Arme und so viele andere verschiedene Menschen miteinander leben müssen. Mit seiner Liebe trägt er jeden Unterschied.
    Und Christen antworten auf diese jahrtausendealte Botschaft: "Wie soll ich dich empfangen“. Schwierig ist das. Wo zeigt sich greifbar das verborgene Geheimnis des Himmels?
    Der Glaube bindet die Antwort darauf an Jesus Christus. Das ist entscheidend. Das bringt weg von dem Fingerzeigen auf eigene Stärken und andere Schwächen, mit dem ewigen rechtfertigen und vorwerfen, dem besser oder schlechter sein. In Jesus Christus sind wir gleich geliebt und geachtet. Christus, der niemanden ausgrenzte, der alle willkommen hieß, der ein Freund wurde der Ausgestoßenen und ein Heiland der Menschen, die von Gott getrennt und untereinander zerstritten waren, ist unsere einzige Lebenshoffnung sagt Paulus hier. Christus lädt alle ein in eine neue Gemeinschaft.
  Das ist übrigens der Punkt, um den es Paulus hier ei­gentlich geht. Die haben sich nämlich in Rom darüber gestritten, was man als Christ darf und was nicht. Das fing beim Essen an. Die haben sich gewundert, was bei den einen auf dem Teller war und was es bei den anderen zu Mittag gab. Und die haben sich gefragt, ob das alles so im Sinne Gottes sein kann.
    Darüber la­chen wir heute. Aber die Botschaft ist die gleiche: Gott kommt klar mit den roten Haaren, mit dem, was der eine auf dem Teller hat und andere ablehnen usw. Ertragt ihr das also bitte auch.
    Lässt sich aus dem einen Glauben für alle ein gleiches Lebens- und Verhaltensmuster ableiten? Nein ist die Antwort. Das geht nicht. Da macht ihr euch gegenseitig kaputt sagt Paulus. Und es ist nicht einmal im Sinne Gottes. In Christus, der auf die Welt kommt, macht Gott seine Liebe zu allen deutlich, egal wie sie ausse­hen oder sich verhalten. Nehmt einander an und ertragt die Unter­schiede, weil Christus euch so angenommen hat. Man muss trotzdem nicht zu allem Ja und Amen sagen und alles hinnehmen.
    
    Vielleicht liegt hier der Unterschied der Glaubensbotschaft zu allgemein menschlich eleganten Überzeugungen und zeigt sich hier die eigentliche Verantwortung der Christen aus dem Glauben für die Gesellschaft.
    Das Stichwort dafür lautet Hoffnung. Gott setzt in uns seine Hoffnung und schickt Jesus Christus und versöhnt die Menschen. Das klingt kompliziert. Ist aber einfach. Wissen sie was hoffnungsvolle Menschen sind? Das sind die Unternehmer, jungen Frauen oder Männern eine Chance geben und einstellen. Die können längst noch nicht alles, was man von ihnen erwartet. Aber alle rechnen schon jetzt damit, dass aus denen genau das einmal wird, was alle von ihnen erwarten.
    Hoffnungsvolle Menschen sind jene, die nicht aufgeben, die nicht gleichgültig werden, die ihre Leidenschaft bewahren. Der Glaube macht hoffnungsvolle Leute.
    Wir müssen kei­ne perfekten Eltern, Paare oder Nachbarn werden nach dem Advent und unseren Adventsfeiern. Aber wir werden Menschen sein, die etwas erfahren haben von der Entwicklung der Welt durch diese Liebe, die Gott anbietet. Sie hält uns miteinander verbunden durch den, der als Gottes Zeichen der Versöhnung kommt: Jesus Christus.
    
    Ist es zu wenig adventlich? Dieser Text aus dem Römerbrief ist ein üblicher Text bei der Trauung. Nun sind wir natürlich nicht alle hier miteinander verheiratet. Ein Stück, was ein Prediger vor dreihundert Jahren darüber sagt, wie Ehepaare sein müssen, lese ich doch auch uns vor, weil es halt auch allgemein für alle miteinander gilt:
    "Die Eheleute müssen gute Zähne haben. Denn sie müssen gar oft et­was verbeißen. Die Eheleute müssen gute Finger haben. Denn sie müs­sen gar oft durch dieselben schauen. Die Eheleute müssen einen guten Rücken haben. Denn sie müssen gar viel ertragen. Die Eheleute müssen einen guten Magen haben. Denn sie müssen gar viel harte Brocken schlucken. Die Eheleute müssen eine gute Leber haben. Denn es kriecht ihnen gar oft etwas darüber. Die Eheleute müssen gute Füße haben. Denn es drückt sie der Schuh gar vielfältig. Mit einem Wort: Geduld ist die erste Aussteuer, die die Eheleute haben müssen." (Abra­ham a Santa Clara)
    
    „Barmherziger Gott,
    Es brennt die dritte Kerze der Hoffnung.
    In ihrem Schein sehen wir auch
    unsere Müdigkeit
    unsere Ratlosigkeit
    unser Entsetzen.
    Lass uns nicht über unsere Gefühle hinweg organisieren,
    lass uns im Finstern tappen nicht!“
    aus: Mensch, Gott. Das neue Gottesdienstbuch. Gütersloher Verlagshaus 1997, S. 10