Gott nahe zu sein, ist mein Glück - Predigt zu Psalm 73,28 (Jahreslosung) von Heinz Janssen
73,28

Gott nahe zu sein, ist mein Glück - Predigt zu Psalm 73,28 (Jahreslosung) von Heinz Janssen

Gott nahe zu sein, ist mein Glück

Zum Verständnis der Jahreslosung

"Gott nahe zu sein, ist mein Glück", heißt die Jahreslosung für 2014 A.D. mit Worten aus Psalm 73,Vers 28 nach der Einheitsübersetzung (1980). Bei den sieben Worten handelt es sich um den ersten Versteil, der das einleitende betonte „Und ich / Ich aber / Was mich betrifft“ weg lässt. In der Hebräischen Bibel wird durch diese Voranstellung signalisiert, dass eine gewichtige Aussage über die sprechende Person folgt. Ein Mensch spricht seine Erfahrung mit Gott aus und will sie dankbar weiter geben. 

Im ursprünglich hebräischen  Wortlaut sind es fünf Worte, auf die sich die Jahreslosung bezieht, wobei das erste („wa-ani“/„und ich“) ausgelassen wird. Für das Verständnis der kurzen Jahreslosung, die im letzten Psalmvers steht und der immerhin 28 Verse voraus gehen, in deren Kontext sie gehört, ist ein Vergleich einiger Übersetzungen mit der Einheitsübersetzung der Jahreslosung hilfreich, ich teile sie in drei Versionen ein:

1) Aber das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte. (Martin Luther, 1545/Rev. 1984)
An Gott mich halten, ist mir höchstes Gut! (Moses Mendelssohn 1783/1788)
      Ich aber: Gott zu nahen, ist mir gut. (Elberfelder B. 1905/Rev. 1993)
      …ich aber, Gott nahn ist mir das Gute. (Martin Buber 1958/1982)
      Gott zu nahen, ist köstlich für mich. (Jerusalemer B. 1968)

2) Mir aber ist es köstlich, Gott nahe zu sein. (Zürcher Bibel 1942/1967)
      …dir nahe zu sein, ist mein ganzes Glück. (Gute Nachricht B.1997)
      Dir nahe zu sein, das ist mein Glück. (Artur Weiser, Kommentar, Altes Testament 
      Deutsch 14/15, 1950/1966)

3) Mir aber ist deine Nähe köstlich. (Hermann Gunkel, Kommentar 1929/1968)
      Mir aber ist Gottes Nähe beglückend. (Hermann Menge 1949/2008)
      Ich aber – deine Nähe ist mir köstlich. (Hans-Jochim Kraus, Biblischer
      Kommentar XV/2, 1961/1978)
      Mir aber ist die Nähe Gottes köstlich. (Schlachter 1951)
      Ich aber, Gottes Nähe ist mir Glück. (Naftali Herz Tur-Sinai al. Harry
      Torczyner 1954/1993/1997)
      Mir aber ist deine Nähe kostbar. (Jörg Zink 1966)
      Was aber mich betrifft: Gottes Nähe ist gut für mich. (BigS 2006/2007)
      Für mich aber ist Gottes Nähe beglückend! (Neue Genfer Übers./Psalmen
      2011)

Eine wörtliche Übersetzung des Wortlautes in der Hebräischen Bibel:
טוב ואני קרבת אלהים לי / wa'ani qiravat 'aelohim li tov, ergibt: Und ich – die Nähe / das Nahen Gottes (war / ist / wird sein) mir / für mich gut. Die Verständnisschwierigkeit dieser „Selbsterfahrung“ ist die Rede von der Nähe bzw. vom Nahe Gottes. Im hebräischen Wortlaut klingen zwei Aussagen an: Es kann die Nähe Gottes im Sinne von „Gott ist mir nahe“ gemeint sein und ebenso die Nähe zu Gott im Sinne von „Ich nähere mich Gott (an)“ – Beides, so wörtlich, (war/ist/wird sein) mir/für mich gut (das hebräische Wort für „gut“ kann auch mit „angenehm“ oder „schön“ übersetzt werden). In der hebräischen Sprache schwingen Gottes und des Menschen Aktivität mit. Gottes Aktivität betonen die oben unter 3) genannten (entsprechend der griechischen Septuaginta) Übersetzungen, die Aktivität des Menschen die unter 1) aufgeführten Übersetzungen (sie entsprechen der lateinischen Vulgata). Die Übersetzungen unter 2) stehen dem hebräischen Bibeltext am nächsten, sie deuten auf beide Aktivitäten (wie auch die englische Übersetzung, Rev. Standard Version 1952 / New International Version BR / US 1984: But for me it is good to be near God).

Mein menschliches Suchen der Nähe Gottes (im Gotteshaus, im persönlichen Lesen und Studium der Bibel, im Gespräch darüber, im Gebet) verstehe ich gesamtbiblisch als Antwort auf den Zuspruch der Nähe Gottes im Ersten wie im Zweiten Testament. Darum hat für mich liturgisch der „Gnadenspruch“ auf das Kyriegebet hin eine besondere Bedeutung: Es ist der „Trost des Evangeliums“ (so ein Präfamen aus der liturgischen Tradition), das mir zugesprochen, in meine persönliche Lebenssituation hineingesprochen wird. Gut für mich zu wissen, dass Gott mir nahe ist, seine Nähe tut mir gut, auch und gerade, wenn es mir nicht gut geht, ich in Sorge bin und Unglück mich bedrängt. Darum ist die Übersetzung „mein Glück“ nicht ganz zutreffend und leicht missverständlich. Denn die Nähe Gottes, Sein mir Nahesein in schweren Zeiten, ist gut für mich, auch wenn damit das Schwere noch nicht überwunden ist.

„In meinen Herrn, JHWH, habe ich meinen Zufluchtsort (M. Buber: „meine Bergung“) gesetzt, heißt es in der Fortsetzung der Jahreslosung. Der Psalmist hat neues Vertrauen gefasst. Es war tief erschüttert worden, wie wir im Psalm erfahren: Warum wird er, der sich zu Gott halten will, so (durch Krankheit, V.26) geplagt, warum muss er so leiden, während ein anderer, der von Gott nichts wissen will, sich so selbstsicher, sich selbst genug, als Maß aller Dinge sieht, scheinbar im Glück badet (V.2-16)?  „Beinahe"(V.2) wäre er "ausgeglitten"/ "ausgerutscht", vom geraden Weg abgekommen, an Gott irre geworden. Was ihm in seinem Umfeld sichtbar vor Augen war, konnte ihm zu einem beängstigenden Widerspruch zu dem „guten“ Gott (V.1) werden.

Aber der sich wie von Gott und der Welt verlassen fühlte und lange Zeit vergeblich über sich nachsann (V.16), hatte im "Heiligtum Gottes", dem Tempel, die Nähe Gottes, seine innige Zuwendung, erfahren, die Wende, die sein weiteres Leben bestimmen wird (V.17). Er weiß sich jetzt von Gott an die Hand genommen (V.23) und von der Gewissheit getragen, wie sie später Joachim Neander besingt: „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“ (EG 316,3). In diesem Sinn sehe ich die bildnerische Gestaltung der Psalmworte auf der Jahreslosungsfahne für die Gemeinde in Langensteinbach / Ev. Landeskirche in Baden durch den Pekinger Künstler Dao Zi (www.ekiba.de und www.evkila.de): Ich bin umhüllt, beschützt und geborgen in der Nähe Gottes. Nichts, aber auch gar nichts, kann mich scheiden von Seiner Liebe, durch Jesus von Nazareth ist der Raum der Gottesnähe und innigster Gemeinschaft neu geöffnet (Römer 8,37-39).

Zur Vertonung und zum liturgischen Gebrauch der Jahreslosung

(Vertonung der Jahreslosung siehe unten unter "Downloads")

Die Vertonung der Jahreslosung im Vierviertel-Takt symbolisiert den unaufhaltsamen Weg der Zuwendung Gottes zu seinem Volk Israel und den Völkern. Sein „Heilsplan“ ist unumstößlich, keine Macht kann ihn verhindern. Heilsam für die Menschen, wenn sie sich zu diesem Gott hinwenden. Die Vertonung endet harmonisch auf der Dominante, die eine (Auf)lösung in die Tonika erwarten lässt. Sie signalisiert zunächst musikalisch, dass nach dem zweimaligen Durchgang weiter gesungen werden kann. Inhaltlich soll mit der Dominante ein „offener Schluss“ markiert werden, weil das volle, vollkommene, Glück zum eschatologischen Heilsgut gehört, zu dem von Gott verheißenen und von uns im Glauben erhofften ewigen Leben.  Die Stetigkeit und Unermüdlichkeit Gottes, Seine Treue, betont das ostinato-Motiv: „Gott ist nahe, nahe ist Gott“, jetzt schon, in Zeit und Ewigkeit.

Die Jahreslosung kann in der Liturgie zuerst einstimmig in Verbindung mit dem liturgischen Gruß (Salutatio) oder einer freien Begrüßung, die an die Losung erinnert, gesungen werden, ein zweites Mal als Antiphon zum Eingangspsalm, wobei sie nach dem Psalm statt des "Gloria patri" angestimmt werden kann. Ein drittes Mal kann sie den Gnadenspruch / Zuspruch aus Gottes Wort aufnehmen. Ferner eignet sie sich als Übergang aus einer Stille nach dem Fürbittgebet zum Vater unser. Hier und nach dem Gnadenspruch ist eine Beschränkung auf den ersten Teil gut möglich. Schließlich kann sie - nachdem inzwischen die Melodie bekannt ist -  als zweistimmiger Kanon zusammen mit der (nicht nur in der tiefen Lage singbaren) ostinato-Strophe  vor dem Segen erklingen.

Dass ich neben der englischen Übersetzung auch den ursprünglich hebräischen Wortlaut unterlegt habe, ist dem tiefen Respekt und der großen Dankbarkeit geschuldet, die ich gegenüber unseren jüdischen „älteren Schwestern und Brüdern“ und ihrer Religion empfinde: Aus ihren Händen haben wir die Hebräische Bibel, einen unermesslichen köstlichen Schatz, den wir leicht missverständlich „Altes Testament“ nennen. Ist uns, wenn wir in unseren Gottesdiensten und persönlich z. B. in die wunderbaren Psalmen einstimmen, immer bewusst, wem wir sie verdanken?  Und nicht zuletzt: Aus ihrem Volk, aus Nazareth, kommt Jesus, „das Geheimnis Gottes“, „in welchem verborgen liegen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ (Kolosser 2,2f.), mehr als alles Glück der Welt, unser Glück.
 

Perikope
Datum 19.01.2014
Kapitel / Verse: 73,28

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