Gott nimmt den Druck vom Herzen - Predigt zu "7 Wochen Ohne" von Susanne Breit-Keßler
8,38-39

"Großes Herz! Sieben Wochen ohne Enge"

Eröffnungsgottesdienst der evangelischen Fastenaktion in Nassig-Wertheim

 

Mit seiner unnachahmlichen Handschrift hat er mir einen Zettel geschrieben. Mein bester Freund, Martin. Es war kurz vor einer Flugreise. Und, liebe Gemeinde, ich fliege nicht gerne. Was alles passieren kann – meine Phantasie und die Realität haben leider keine Grenzen. Martin gab mir diesen Zettel hier. Darauf steht: "Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn." (Römer 8,38-39)

 

Ich habe den Zettel in meinen Geldbeutel gepackt – in ein extra Fach. Da liegt er seit Jahren. Damals hat mir dieses Bibelwort geholfen, getrost meine Reise anzutreten. Getrost, nicht furchtlos – denn natürlich habe ich mir immer noch meine Gedanken gemacht. Aber es war mir nicht mehr gar so eng ums Herz. Das Bibelwort, das mir mein Freund aufschrieb, dieser Denk-Zettel, hat alle meine Sinne, meinen Horizont geweitet: Nichts kann mich letztlich trennen von Gott. Dieses Vertrauen – das brauche ich. Dringend. Und täglich erinnere ich mich daran.

Ich erinnere mich daran – gerade weil dieses Vertrauen zutiefst erschüttert werden kann. Das schreckliche Zugunglück in meiner bayerischen Heimat, in Bad Aibling, erfüllt mich mit tiefer Trauer. Ich bitte Gott, dass er bei den Angehörigen ist, bei den Verletzten. Bei den Rettungskräften, bei Polizei und Feuerwehr, bei den Seelsorgenden, die alle mit den Bildern in ihrer Seele fertig werden müssen. Ja, gerade jetzt schaue ich wieder auf meinen Zettel und lese ihn mir vor: Ich bin gewiss, dass nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes.

Er ist da, wenn ich nicht zurechtkomme, wenn ich mich sorge um mich oder meine Liebsten, wenn es mit meinem oder ihrem Leben tatsächlich irgendwann zu Ende ist. Es gibt eben vieles, das einem Angst machen kann, wo einem richtig eng ums Herz wird... Die Liste der Kriege und Krisen, der gesellschaftlichen Herausforderungen und persönlichen Nöte ist lang. Das alles ist wahrlich nicht leicht zu ertragen. Ich weiß von mir und selbst vielen anderen Menschen, dass ihr Lebensgefühl derzeit aus gutem Grund nicht gerade gegen Himmel hoch jauchzend tendiert.

Was würde geschehen, wenn wir einen solchen Denk-Zettel wirklich im Herzen mit uns tragen? Wenn wir ihn in Trübsal, Angst, Verfolgung oder Gefahr mit Leib und Seele durchbuchstabieren? Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Das ist tiefes Vertrauen. Es verscheucht Enge. Es macht ein großes Herz, wie unsere Fastenaktion sagt. 

Klar: Ich weiß schon, dass man Vertrauen manchmal nicht in großen Portionen hat und das Herz nur zögernd aufmacht. Vertrauen muss wachsen. Es ist manchmal nur leise, tastend. Kann nicht größer sein. Und dann wieder kommt es herzhaft oder trotzig daher: Nichts, nein nichts, null kann mich trennen von der Liebe Gottes. Das gibt die Kraft, schwere, leidvolle Situationen auszuhalten und irgendwann vielleicht zu bewältigen. Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes… So ein Versprechen macht das Herz groß und weit. Ahhh – und ich kann atmen…

Manchmal meint jemand: Es gibt keinen Ausweg in die Weite. Keine Chance für ein großes Herz. Doch! Es gibt eine Menge, was wir selbst tun können, damit unser Herz groß und weit wird. Denken wir daran, wie unser Land im letzten Jahr die Flüchtlinge willkommen geheißen hat. Das war grandios und kreativ. Anderes kriegen wir manchmal nicht so gut hin: Echtes Interesse zu haben für Partner und Kinder. Alten, langsam gewordenen Menschen mit Güte zu begegnen. Da ist unser Herz gelegentlich eng. Wir haben wenig Vertrauen ins Miteinander.  

Auch dieses Vertrauen – dass unsere Liebe Bestand hat, aus Söhnen und Töchtern etwas wird und die, die alt sind, uns so viel bedeuten können – es muss wachsen. Auch dieses Vertrauen ist ein zartes Pflänzchen, darf mal zaghaft sein. Kann trotzig herausposaunt werden: So, wie mich nichts trennen kann von der Liebe Gottes, soll mich nichts trennen von meinen Liebsten, von denen, die mich brauchen. Auch nicht Angst, Enttäuschung, Sorge, Streit. Solches Vertrauen kann wirklich helfen, das Herz wieder groß und das Miteinander weiter zu machen.  

Wer sich und anderen Zeit gönnt, wenn das Herz eng ist, der wird irgendwann den Umschwung spüren. Es braucht Geduld… und das in einer schnelllebigen Zeit, die ein zügiges Funktionieren verlangt. Da müssen wir hartnäckig Widerstand leisten. Im Alten Testament mit seinem Gespür für den Zusammenhang unseres Lebens mit allen inneren Organen wird das Herz als Sitz nicht allein von Gefühlen beschrieben. Wenn die Bibel vom Herzen spricht, dann meint sie auch alles, was wir mit Kopf und Hirn verbinden: Unsere Vernunft, den Verstand, die Fähigkeit zu erkennen.

Herz, das sind unsere Einsicht und unser Gedächtnis; das, was wir wissen und wollen, worüber wir nachdenken und urteilen, woran wir uns orientieren. Die Frage nach einem großen Herzen ist die Frage nach dem ganzen Mann, der ganzen Frau. Ein großes Herz: Das ist die Fähigkeit, zuzuhören, nachzudenken und anderen beizustehen, wenn sie leiden. Ein Mensch mit einem engen Herzen schottet sich ab, macht dicht. Einer mit großem Herzen ist hellwach für die Wirklichkeit. Er oder sie weiß um die Sorgen anderer, nimmt Anteil und kümmert sich darum.

So wie es jetzt - Gott sei Dank - Menschen gibt, die denen nahe sind, die bei dem Zugunglück einen Angehörigen verloren haben. Viele Menschen zeigen in diesen schweren Tagen ein großes, ein mitfühlendes Herz. Ein solches Herz – das ist auch vergnügtes Lachen und echte Lebensfreude. Ein großes Herz ist Neugier auf Mensch und Gott. Was denkt die andere? Was fühlt er? Was treibt sie um? Woran glaubt er? Jemand mit einem großen Herzen freut sich mit anderen mit und gönnt ihnen alles, was sie haben. Einer mit einem weiten Herzen ist attraktiv – anziehend. Mit so jemand mag man gerne beisammen sein.

Aber es ist uns nicht immer danach, für alles offen  zu sein und Größe an den Tag zu legen. Dann, wenn das Herz eng ist, wenn wir hin und her gerissen sind zwischen Missmut, Ungeduld und erschöpfter Abwehr, dann hilft Gottvertrauen. Eines, in dem man nicht die Hände in den Schoß legt, sondern sie faltet und betet – so  weitet sich das Herz ganz allmählich. Zuerst merkt man oft gar nicht, wie einem wieder kleine Flügelchen wachsen, die irgendwann, nach langer Zeit, große Schwingen sind, mit denen man sich neu in ungeahnte, lichte Höhen erheben kann.

Übrigens: Nicht nur wir haben ein Herz. Auch Gott. Und ausgerechnet Hiob, der wirklich ein elend schweres Leben hatte, dem alles genommen wird, dieser Hiob staunt: "Was ist der Mensch, Gott, dass du so groß ihn achtest, und gar dein Herz auf ihn setzt?" (Hiob, 7,17). Eine bewegende Einsicht: Gott hat ein Herz. Und noch dazu ein Herz für uns – ist das zu fassen? Er hat uns, er hat Sie, er hat Dich auserwählt und uns fest in sein Herz geschlossen. Da wird es einem gleich warm ums eigene - an diesem Valentinstag heute… Gott feiert ihn mit uns ewig – aus lauter Liebe.

Gott hat uns Leben und Zukunft versprochen, die mehr sind als alles, was wir selbst schaffen können. Sehen tun wir das nicht immer. Aber wir können daran glauben, dass Gott sich mitnichten von uns abbringen lässt – nicht im Leben. Nicht im Tod. Trübsal, Angst, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr, Schwert – alles, was der Apostel Paulus an einengenden Erfahrungen aufzählt, ist nach wie vor beinharte Wirklichkeit. Wir wissen das - und das kann das Herz immer wieder beklommen machen. Aber unser Glaube, unsere Liebe und Hoffnung sind größer als alles das.

Wirklich groß und offen wird unser Herz, wenn Kreuz und Schatten nicht weggewischt werden. Schmerzliche Erlebnisse sind der Hintergrund für die Weite, die sich mit Gott Bahn bricht. Ja, wir wissen um unseren gefährdeten Lebensraum, um bittere Erlebnisse persönlicher und gemeinsamer Geschichte. Begrenztheit der eigenen Möglichkeiten, Engpässe in unserem Leben, ein wüstes Gedränge von Gedanken in unserem Kopf und Gefühlen im Herzen, das alles gibt es – genauso wie Angst durch das, was an Schrecken um uns herum und in unserer Welt geschieht.   

Und dennoch kann uns nichts scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. Der leidenschaftlich lebt und liebt – bis ans Kreuz. Aus dem Glauben heraus ist es möglich, Enge und Angst hinter sich zu lassen und ein großes, hoffnungsvolles Herz zu bekommen. Verrückt? Ja, weil es die üblichen Maßstäbe verrückt. "Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein" hat Wolf Biermann in seinem Lied für Tochter Marie gedichtet. Und er singt: "Um deine Wiege drumherum / Wuchern die Waffenwälder / Du liegst im Schlachtfeld mittendrin…"

"Und trotzdem: "Wir müssen vor Hoffnung verrückt sein / Marie, du dunkle Sonne / Dass wir dich warfen in diese Welt - / schlaf ein, du Dickmadonne / Schlaf ein mit einem hellen Traum / Von Milch und nassen Küssen / Du wirst noch bald genug aus deiner Wiege steigen müssen". Ja, wir müssen alle aus unseren engen Wiegen steigen – und dürfen in Gottes Namen vor Hoffnung verrückt sein, uns vom Fleck bewegen, uns mit Milch, mit Wein und Brot stärken und uns mit respektvoller Zärtlichkeit und liebevoller Fürsorge verwöhnen. Ein großes Herz…

Der Gott, der Steine von Gräbern wälzt, der kann den Druck von unseren Herzen nehmen und sie weit und groß machen. So, dass wir Luft zum Atmen haben und anderen den Raum zum Leben gönnen. Das Leben, die Weite haben einen Vorsprung bekommen. Sie laufen vorneweg, dem Tod und der Enge davon, lassen sich von ihnen nicht mehr überholen. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi. Das Leben eines jeden Menschen ist so viel wert, dass es niemals verloren gehen wird. Wer einer und eine ist, das ist aufgehoben bei Gott – für immer und ewig.

Amen.

Perikope
14.02.2016
8,38-39