Gott sehen - Predigt zu 1 Korinther 15,1-11 von Maximilian Heßlein
15,1-11

Gott sehen

1 Ich erinnere euch aber, liebe Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, 2 durch das ihr auch selig werdet, wenn ihr's festhaltet in der Gestalt, in der ich es euch verkündigt habe; es sei denn, dass ihr umsonst gläubig geworden wärt. 3 Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; 4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; 5 und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen. 6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden. 9 Denn ich bin der geringste unter den Aposteln, der ich nicht wert bin, dass ich ein Apostel heiße, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist. 11 Es sei nun ich oder jene: so predigen wir und so habt ihr geglaubt.

Liebe Gemeinde,

der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden. Jubelt laut, Ihr Lieben. Es ist der große Freudentag unseres Glaubens. Es ist Ostern. Der Tag, an dem alles begann. Das Grab leer. Der Tod bezwungen. Das Leben wird bleiben. Der auferstandene Herr sichtbar vor den Augen der Menschen. Die sichtbare Gemeinschaft des Glaubens an den auferstandenen Christus hier in diesem Raum. Unser Glaube.

Wie schön ist das!

Dass der Glaube etwas Besonderes ist, wird an den großen Festen immer sehr deutlich. Die sind offensichtlich so prägend und herausfordernd, dass sich Menschen immer wieder daran abarbeiten und dabei manchmal durchaus skurrile Ergebnisse zu Tage fördern.

So erging es mir, als ich neulich für meinen Schulunterricht nach dem Grab Jesu im Internet googelte, um dessen genauen Standort in Jerusalem zu erkunden. Was aber fand ich? – Sie können es sich vielleicht denken. Ich fand nicht einen, nicht zwei oder drei, nein, ich fand mindestens acht oder neun Standorte, von denen ich die meisten schon wieder vergessen habe. Ein Artikel sprach gar von eintausend Möglichkeiten.

Aber klar wurde mir: Da gibt es wirklich merkwürdige Vorstellungen über dieses Grab Jesu, die weit außerhalb meiner Vorstellungs- und Ideenwelt liegen.

Dass das Grab Jesu nicht leer war, ist ja selbst unter christlichen Theologen immer wieder eine eingehende Diskussion wert. Das war mir nichts Neues. Neu aber war mir ein Grab in Kaschmir, ein Familiengrab in Jerusalem, neu waren Mutmaßungen über ein Grab in England und besonders eine Überschrift namens „das Grab Jesu in New York“. Diese Überschrift aber berichtete eigentlich von einem Film und nicht von dem echten Grab Jesu. Ich war erleichtert. Mein Weltbild blieb intakt.

Verbunden sind diese Schlagzeilen alle mit Geschichten, die mit unseren Geschichten der Bibel sehr wenig zu tun haben. Das Grab Jesu hat bisher noch niemand gefunden. Jedenfalls nicht wissenschaftlich belastbar.

Vielleicht, Ihr Lieben, liegt das an dem Ruf, der heute seit dem frühen Morgen erschallt. Genau genommen, geht er ja seit nunmehr fast 2000 Jahren durch die ganze Welt und in die Herzen der Menschen. Der Herr ist auferstanden – er ist wahrhaftig auferstanden. Da braucht es kein Grab mehr.  Das kann ruhig verschwinden. Denn der Herr ist auferstanden.

Die Frauen, Ihr Lieben, haben das zuerst so gesehen und dann nach anfänglichem erschrecktem, ehrfürchtigem Verstummen in die Welt getragen. Sonst säßen wir heute nicht hier. Irgendwann haben es wohl auch die Männer verstanden. [Soll keiner sagen, das sei doch immer so.] Der Glaube nahm seinen Lauf. Die Menschen sahen Gott, sahen Jesus Christus mit anderen Augen.

Mit dem Sehen aber ist das ja so eine Sache. So ganz eindeutig ist das nicht, oder? Selbst die Frauen sind sich ja offensichtlich erst einmal unschlüssig. Haben Sie nun das leere Grab gesehen, oder war das alles nur ein Traum? Und was das alles bedeutet, bleibt ihnen noch verborgen.

Mir fällt in diesem Zusammenhang das alte Kinderspiel: „Weg bin ich!“ ein. Das kennen Sie bestimmt!?

Es lässt sich vor allem mit den ganz kleinen wunderbar spielen. Ein Versteckspiel ist es, und es ist sehr einfach. Wir sitzen uns gegenüber. Dann geht es ans Verstecken. Sie wissen, was jetzt kommt: Für die Kinder reicht es, sich einfach die Augen zuzuhalten. „Ich bin weg!“. Es quietscht vor Vergnügen, dann wird es still.

Als Erwachsener sitze ich daneben, freue mich an dem kindlichen Spaß und dem so einfachen Herangehen an die Dinge. Zugleich aber wundere ich mich: die Kinder verstehen gar nicht, dass es zwar bei Ihnen funktioniert, bei mir aber nicht. Halte ich mir nämlich die Augen zu, dann bleibe ich da. Sichtbar vor ihren Augen. Ich werde jedenfalls immer sofort gefunden von ihnen.

Die Kinder, liebe Gemeinde, haben offensichtlich ein sehr individuelles, sehr subjektives Herangehen an das Spiel. Das ist auch nicht weiter verwunderlich; denn wer das auch als Erwachsener schon einmal ausprobiert hat, der wird merken, wie sehr die verschlossenen Augen über mein Leben entscheiden können.

Vielleicht mögen Sie das einfach mal für einen kleinen Moment ausprobieren. Halten Sie sich doch einmal mit der flachen Hand die Augen zu und spüren Sie zugleich Ihrem Leben nach. Sie betreten eine andere Welt. Eine Zwischenwelt ist das. [Pause!]

Unbekanntes Terrain in der Stille. Zugleich weiß ich und spüre ich, da neben mir atmet noch jemand. Ich bin nicht allein, aber ich bin der Welt ein wenig enthoben wie in einem parallelen Raum des Lebens.

Das Sehen entscheidet also für die meisten Menschen, für Kinder und Erwachsenen, über die Anwesenheit im Raum. Das haben die Kinder nicht exklusiv.

Wie klar und wie deutlich das ist, erleben Menschen sicher sehr genau, denen das Augenlicht schwindet. Wenn die Augen matt werden, wird das Leben schwieriger und beschwerlicher. Ich bin stärker auf Hilfe angewiesen oder laufe Gefahr, betrogen zu werden. Wie gut ist es dann, wenn es wirklich Helfer gibt und Menschen, die sich eines oder einer anderen liebevoll annehmen.

Das kindliche Spiel hat dabei einen großen Vorteil: Es kann die Blindheit abstellen. Wenn es genug ist mit dem Verstecken, dann werden die Händen von den Augen abgezogen und dann ist alles klar und deutlich zu sehen. „Hier bin ich!“

Wenn das mal, liebe Gemeinde, im Glauben auch so wäre. Das hat der Paulus sicher auch gedacht. Ach, könnte ich doch einfach die Hände von den Augen der Menschen nehmen, damit sie sehen und glauben und verstehen, was da an diesem Morgen in der Frühe am Grab geschehen ist. Dann bräuchte es nicht die vielen Worten.

Denn dieser Tag, dieser Oster- und Auferstehungstag hat offensichtlich sehr unterschiedliche Reaktionen bei den Menschen ausgelöst. Ganz anders übrigens als der Karfreitag, der eindeutig und klar war, wie der Tod immer eindeutig ist. Das Leben ist das nicht.

Von den Schwierigkeiten der Auferstehung geben die biblischen Schriften nämlich ein eindeutiges Zeugnis. Erschreckte Frauen, ungläubige Jünger, spät erkennende Freundinnen und Freunde, sogar wütende Feinde des neuen Glaubens, wie Paulus einer war.

Das hat sich auch über die Zeiten wenig geändert. Es reicht ein Blick in die Zeitungen und Kommentarspalten der sozialen Netzwerke, um das zu erkennen. Von wegen: Wir haben gepredigt, so habt Ihr geglaubt. Fertig. Der Paulus beschwört das wohl, aber gelingen will es so nicht.

Das weiß der Paulus auch. Das Geschehen rund um Jesus Christus und die Menschen, die sich zu ihm halten, ist und bleibt eine Herausforderung.

Gerade aber weil der Paulus das weiß, legt er sich hier unheimlich ins Zeug, um die Korinther noch einmal deutlich auf seine Seite zu ziehen. Er gibt dem Glauben einen neuen und beständigen Grund.

Entscheidend ist dabei, und das ist das eigentlich Erstaunliche daran, entscheidend ist für ihn das Sehen. Dahin legt er seinen Schwerpunkt. Und er tut das, obwohl er doch weiß, dass das Sehen so ambivalent ist, dass wir Menschen glauben, was wir sehen, und wir nicht glauben und auch nicht adäquat dazu verhalten, was wir nicht sehen.

Vielleich ist das übrigens auch der Grund, liebe Gemeinde, warum sich die Europäer als Ganzes und nun ja auch die Deutschen so schwer tun damit, den Menschen auf der Flucht, die jetzt in Griechenland und in der Türkei gestrandet sind, wirklich zu helfen. Wer das Leid und das Elend nicht gesehen hat, der kann eben die Augen davor zumachen und kann sich alles andere schön reden, in eine andere Welt fliehen. Und je weiter die Menschen aus dem eigenen Land ferngehalten werden, desto leichter ist dieses Verschließen der Augen auch.

Aus den Augen aus dem Sinn aber ist keine Lösung. Das ist vielmehr das Verharren in den Schrecken des Karfreitags und leider nicht der Aufbruch in eine neue Zeit, wie Ostern das verspricht. Dabei hätten das nicht nur die Menschen auf dem Weg so dringend nötig, sondern Europa als Ganzes eben auch. Und wenn ich auf die Ereignisse aus Brüssel in der letzten Woche schaue, dann weiß ich auch, wie sehr neue Wege für das Miteinander der Menschen insgesamt nötig sind. Der Terror, der jeden Tag in der Welt geschieht, rückt gerade noch einmal sehr nah. Und er stellt die neue Zeit massiv infrage.  Nur werden Zäune auch da kaum Abhilfe schaffen.

Aber auch wenn das Sehen so schwierig ist, macht der Apostel Paulus das so stark. Und er tut das, weil er es selbst als heilend und lebensverändernd wahrgenommen und erfahren hat. „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin!“, schreibt er im Blick auf seine Bekehrung und seine Begegnung mit Christus vor Damaskus. Und das heißt ja nichts anderes, als dass er diese Gnade gesehen hat.

Wie? – Davon berichtet er auch. In der Zuwendung zu seinem Leben, die er damals erfahren hat. In der Liebe, die er spürte, obwohl er nur die Verfolgung der Menschen im Sinn hatte, in der Vergebung für alles, was in der Vergangenheit geschehen war und im Öffnen einer neuen leuchtenden Zukunft. Das alles aber ist geschehen in der Gemeinschaft der Menschen, die sich um den Auferstandenen gesammelt haben. Für Paulus war es damals in Damaskus. Für uns ist das heute an jedem Ort der Erde möglich.

Für dieses Miteinander aber ist das Sehen entscheidend und damit auch die Nähe. Nicht zufällig führt der Paulus die vielen verschiedenen Zeugen an, lässt die Frauen dabei ungehöriger Weise außen vor und hängt die Zeugenschaft ausgerechnet an Petrus auf, den er hier mit seinem hebräischen Namen Kephas nennt.

Der hat den Auferstandenen zuerst gesehen und dann auch die Zwölf. Und dann noch 500 und noch Jakobus. Und endlich eben auch er selbst.

Paulus sieht das neue Leben, die neue Welt und die unendliche Liebe, die Gott mit diesem Tag über die Menschen ausgeschüttet hat. Durch Jesus Christus setzt sich das durch. Und es setzt sich durch gegen alles Leid und alles Geschrei, gegen die Schmerzen des Todes und die Verlorenheit der Armut, gegen die Einsamkeit der Flucht und das Weinen der Verlassenen. Gott ist da. Jesus Christus ist da. Das bleibt.

Das ist nicht immer offensichtlich. Gar nicht. Das ist manchmal meinen Augen verborgen. Aber dafür braucht es eben die vielen Zeugen. Es ist, Ihr Lieben, wie das Sehen mit verschlossenen Augen. Wenn ich spüre, dass Menschen um mich sind und über alles, was mir nicht gelingt, mein Leben mittragen, wenn ich merke, dass ich nicht allein bin, wenn ich erfahre, dass so alles Leben von Gott aufgefangen ist und aufgefangen bleibt, dann ist Ostern wirklich vollkommen. So haben wir auch eine Verantwortung füreinander, hier in Heidelberg, in Deutschland, in ganz Europa. Ja, wir tragen Verantwortung für die Welt.

Gemeinsam erleben wir, wie die Katastrophen dieser Welt das Leben nicht beenden, sondern wir weiter mutig unsere Wege in die Zukunft suchen. Gemeinsam erfahren wir, dass wir stärker sind als Armut und Verlorenheit, als Gewalt und Terror. Gemeinsam erwirken wir eine neue Zukunft, die uns verheißen ist, weil Gott sie uns im Miteinander schenkt.

Wo wir beisammen sind, zu zweit, zu dritt oder zu ganz vielen, da ist das Leben Jesu gegenwärtig. Da ist Christus selbst gegenwärtig. Da lebt Gott und wir in ihm. Und wo Gott lebt, da ist in Ewigkeit kein Tod und kein Verderben, sondern allein das Versprechen auf eine leuchtende Zukunft.

Und da können die verschiedenen Menschen und Möchtegernforscher behaupten, was sie wollen, da können sie das Grab in Kaschmir oder in New York wiederfinden, da können sie es auch in Jerusalem verorten und behaupten, es ist voll:

Die Taten und Worte Jesu bleiben bestehen und vergehen nicht. Gottes Anwesenheit vergeht nicht. Stattdessen ist der Durchgang Gottes durch den Tod sogar der Garant dafür, dass Gott auch in allen Phasen eines Lebens, seien es gute, seien es böse, da ist. Das gilt für Sie und das gilt ebenso für mich.

Diese Auferstehung Jesu ist nur gemeinschaftlich erfahrbar, Ihr Lieben. Kommen Sie, wir probieren das noch einmal aus!

Schließen Sie doch noch einmal die Augen, spüren Sie das Pochen Ihres Herzens und merken Sie, wie Gottes Herzschlag Ihrer ist und wie Sie mit verschlossenen Augen in diesem Raum nicht allein sind. Wir sind viele. Und der Auferstandene ist mitten unter uns. Er hütet. Er trägt. Er nimmt sanft auf den Arm. Sein Leben ist auch Ihres. Denn Ich weiß, dass mein Erlöser lebt! Amen.

 

Perikope
27.03.2016
15,1-11