Ich danke meinem Gott immer wieder für die Gnade, die er euch durch Christus Jesus geschenkt hat. Durch ihn hat Gott euch an allem reich gemacht: Reich an der Fähigkeit zu reden und reich an Erkenntnis. 6 In gleicher Weise hat Gott der Botschaft von Christus bei euch einen festen Grund bereitet. Deshalb fehlt euch keine der Gaben, die er in seiner Gnade schenkt. So vorbereitet, erwartet ihr das Erscheinen unseres Herrn Jesus Christus.1
Das sind wohlklingende Worte, voller Anerkennung, Lob und Wertschätzung.
Es ist eine Art zu schreiben und Briefempfänger anzusprechen wie es in der antiken Briefkultur üblich war. Vergleichbares kann einem heute – in akademisch universitären Kreisen oder in diplomatischen Zusammenhängen begegnen. Man startet sein Schreiben, eine Rede mit einer höflich freundlichen wertschätzenden Anerkennung, um die Angesprochenen anschließend dann seine Sicht der Dinge zu präsentieren.
Und so macht mich Paulus mit seiner Wortwahl neugierig. Was kommt da noch?
Mir fällt auf: Er dankt nicht den Angesprochenen direkt und persönlich, für ihre Gaben, Fähigkeiten und ihre Haltung.
Er dankt Gott.
Er dankt Gott für dessen Gnade und Zuwendung gegenüber den Angesprochenen,
er dankt Gott dafür, dass Gott bereichert und befähigt.
Er appelliert nicht an die Angesprochen im Blick darauf was zukünftig zu tun wäre.
Er unterstreicht Gottes Wirken auch im Blick auf das was noch kommt.
Gott wird euch helfen, bis zum Schluss fest auf diesem Grund zu stehen. Es kann keine Anklage gegen euch erhoben werden. Gott ist treu. Er selbst hat euch berufen zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn.
In Anlehnung an die Für-Bitte lesen bzw. hören wir hier einen Für-Dank.2
Obwohl es reichlich Zoff gibt, in Korinth. Konflikte, Streit, Diskussionen, innerhalb der Christengemeinde und einzelnen darunter und Paulus.
Und so frage ich mich, will Paulus mit seinem ausführlichen Für-Dank vielleicht - die ihm entfremdete Leserschaft – gewinnen? Ihnen ein wenig schmeicheln?
Bevor er darauf zu sprechen komm, dass es Starke und Schwache, Freie und Sklaven, Arme und Reiche, Enthusiasten und Ernüchterte, Gewissenhafte und Gewissenlose gibt, die nicht einmal beim gemeinsamem mahl in einer Gemeinschaft zusammenfinden?
Will er die gewinnen, die als Charismatiker mit ihm nicht klarkommen? Will Paulus gerade die gewinnen, zu denen er in Schwachheit und mit Furcht und Zittern kam?3
Je mehr ich mich in die Situation, in die Vielschichtigkeit der Beziehungen hineindenke, umso näher rückt sie mir. Umso bekannter wird sie mir. Und umso spannender empfinde ich die einleitenden theologischen Gedanken des Paulus und seine Haltung, die mich anfangs so irritiert hat.
Das meiste klicke ich einfach weg, erzählt ein Journalist unserer Tage. Aber eine Wirkung bleibt, fügt er hinzu. Was manche von ihm halten und was ihm wünscht, das bekommt er bisweilen aufs hässlichste mitgeteilt, aus allen Bevölkerungsschichten. Von Leuten mit und ohne Titel. Es ist wirklich krass, meint er.
Die Menge, die Dichte, die Brutalität und Hässlichkeit der Wutschreiber ist enorm gewachsen. Da ist irgendwann eine Hemmschwelle weggeschwemmt worden.
Verletzende, menschenfeindliche beleidigende Kommentare gelten als mutiger Tabu-Bruch, mit dem man Applaus erntet. Man kann wieder derb sein und ungeschönt reden. Und manche sind richtig stolz darauf. Sie sagen: Es gilt ja Meinungsfreiheit!4
Ein neuer Ton geht um. Eine – im wahrsten Sinne des Wortes - gnadenlose Art und Form des Redens und Schreibens. Eine bislang nicht gekannte oder nicht offen erkennbare, anstandslose, hässliche Streit-Unkultur kommt zum Vorschein. Keiner kennt das Rezept, meint der Dresdner Dichter Durs Grünbein5, wie aus diesem Labyrinth wieder herauszufinden sei. Es ist an der Zeit – auch in Theologie und Kirche -, über den Umgang mit starken Emotionen in Politik und Gesellschaft und Religion nachzudenken.6
Paulus macht einen ungewöhnlichen Anfang, so wie er an die schreibt, mit denen er im Streit liegt und die mit ihm und untereinander.
Ich danke meinem Gott immer wieder für die Gnade,
die er euch durch Christus Jesus geschenkt hat.
So seid ihr reich an der Fähigkeit zu reden
und reich an Erkenntnis.
Es fehlt euch keine der Gaben,
die er in seiner Gnade schenkt.
Ich verstehe es als einen Ansatz, um aus diesem Labyrinth wieder herauszufinden. Ich will zu erläutern versuchen warum. Die Haltung und die Botschaft des Paulus in diese unschöne, hässliche Tabu- und Gnadenlosigkeit hinein lautet:
Ihr, ihr Gekränkten, Beleidigten, Vergessenen ihr gereizte Wutschreiber, ihr Hassverliebte und recht-haben-wollende, auf eure Rechte beharrende, ihr Sündenbocksucher, ihr polternde und beachtet werden wollende, ich möchte, ich wünschte mir, dass ihr eine Gewissheit habt, aus der ihr leben könnt, nämlich,
dass ihr - und wir alle - den Weg zum Glück nicht als Suchende beginnen, sondern als schon gefundene7, als angenommene, als mit Gnade überschüttete, als wahrhaft Begnadete.
Und so würde ich euch schlicht einfach sagen, euch erinnern und vergewissern wollen: worin ihr stark seid welche Gaben euch ausmachen welche Fähigkeiten euch gegeben sind, geschenkt wurden - umsonst wie ihr bereichernd wirkt was in euch ist, ohne dass ihr selbst etwas dazutun konntet was euch gegeben ist
Und ich würde euch gerne daran erinnern: Das findet ihr vor, das ist das, wovon ihr lebt, vorrausetzungslos, was ihr nicht kaufen, nicht herstellen oder verdienen könnt. Es ist euch schon gegeben - als Geschenk.
Jesus vermochte es seine Gegenüber als ein Geschenk anzunehmen. Und darin war und ist er uns ein Geschenk.
Er hat damit die Umstehenden irritiert, aber auch fasziniert, verändert, bekehrt. Das hat Wunder gewirkt, Menschen aufgerichtet, motiviert, manchen enorme Kraft gegeben, sie gestärkt weiter zu leben, neu anzufangen, nicht zu verhärten oder zu versteinern.
Die dramatische Begegnung mit der sog. Ehebrecherin8 macht das auf eindrückliche Weise deutlich. Gerade weil es da so viele gejuckt hat diese Frau zu verdammen, sie zu verurteilen und ihr den Tod zu wünschen.
Mit dem Blick auf Jesu charmante Umgangsweise mit schimpfenden und niemals fehlerfreien Menschen, mit den großen wertschätzenden Worten im Gedächtnis, höre ich die gegenwärtige gnadenlos gewordenen Wut- und Gewaltsprache, mit zum Teil vernichtenden Aussprüchen. Und dann denke ich:
Bedürften wir es wieder mehr eine Ahnung von Gott zu bekommen, vielleicht auch nur den Hauch einer Ahnung von Gott? Weil die Tatsache, dass Menschen immer mehr nur in den Grenzen dessen fühlen und denken, was sie als Einzelne überschauen können und wollen, dabei aber die Frage nicht mehr stellen, auch nicht mehr stellen wollen, woher wir kommen, wohin wir gehen. Ist nicht das ein Ausdruck des Verlustes von Gott? (Vaclav Havel, 1997)9
Paulus inständige, wiederholte Erinnerung an Gott ist eine Aufforderung zu fragen:
Ich denke ein Anfang wäre gemacht uns bewusst zu machen wo mir Gutes getan wurde, wodurch ich im wahrsten Sinne des Wortes stark gemacht, wertgeschätzt, gekrönt und aufgebaut wurde – einfach so. Was ich vorgefunden und erlebt habe, und wie ich bereichert wurde, ohne etwas dafür getan zu haben.
Und vielleicht fällt einem beim Innehalten und Besinnen auf: Es gibt so manches, das verdanke ich nicht mir selbst, da ist ein unverfügbares gewährtes Geschenk. Manchmal muss man es sich sagen lassen, von anderen.
Paulus Für-Dank wirkt zunächst befremdlich, eben weil wir es nicht gewohnt sind so zu reden und angesprochen zu werden. Weil wir es für unangemessen halten für umsonst Geschenktes, für Begabungen und Fähigkeiten, womit wir andere bereichern, einfach zu danken. Zu danken, dass wir über das uns Geschenkte verfügen können. Im Grunde ticken wir nämlich nicht so, schon gar nicht wir Protestanten. Wir sind weit aus gnadenloser, kritischer, pessimistischer, hoffnungsarmer und unschöner mit uns selbst und mit anderen. Und da grätscht Paulus dazwischen. Vielleicht ist es ein Weg raus aus dem Labyrinth, der uns etwas dankbarer stimmt.
Deshalb danke ich meinem Gott für diese Art von aufrüttelnder Gnade.
Sie lässt mich aufhorchen und gibt Impulse.
Ich danke Jesus, diesem begnadeten Menschenfreund
Ich danke dem so irritierend nachdenklich stimmenden Schreiber, Paulus.
Er hat mich gewonnen.
Er vermag mir in seiner Sprache eine wahrlich anregende hoffnungsvolle Gewissheit zu vermitteln:
Gott wird euch helfen,
bis zum Schluss fest auf diesem Grund zu stehen.
So kann an dem Tag,
wenn unser Herr Jesus Christus kommt,
keine Anklage gegen euch erhoben werden.
Gott ist treu.
Er selbst hat euch berufen
zur Gemeinschaft mit seinem Sohn Jesus Christus,
unserem Herrn.
Möge er auch auf Sie liebe Gemeinde und uns Christengemeinden immer wieder neu so wirken.
Amen
1 I Nach der Übersetzung der Basisbibel
2 I M.Frettlöh, GPM H.1/73.Jg, S.113ff
3 I Vgl. M. Frettlöh aaO.
4 I Vgl. Hasnain Kazim, Post von Karlheinz, Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte
5 I Wie aus Sprache Gewalt wird, ZEIT 10. Januar 2019, S.39
6 I Theologische Impulse 4 "Von blinder Wut, heiligem Zorn und politischer Empörung", von Dr. Thorsten Latzel, unter: https://www.evangelische-akademie.de/
7 I Dorothee Sölle, Vortag am Tag vor ihrem Tod, Bad Boll 2003, zit. In Gottfried Orth „Gnade“, in: Hübner/Orth, Wörter des Lebens, Stuttgart 2007
8 I Johannes 8,1-11, mein Vorschlag für die Schriftlesung
9 I Vaclav Havel, Moral in Zeiten der Globalisierung, 1998, S. 237