Bei Twitter klappt das gut mit den Followern. Wie sieht es mit der Nachfolge Jesu aus, liebe Gemeinde? Im Bibeltext geht alles klar. Obwohl er mit über 700 Zeichen mehr als fünf Mal so viel hat wie ein Tweet haben darf. Aber die Satzwechsel zwischen Jesus und seinen Jüngern sind twitterkurz. Die maximal 140 Zeichen braucht keiner der Sprecher. Die meisten Sätze kommen mit 14 aus. Jesu Schlusssatz braucht 50. Und zack, gleich neue Follower gekäscht.
Die Welt der Bibel damals ist nicht mehr die von heute. Die Zahl der Nachfolger Jesu scheint zu stocken. Zumindest in unseren Breitengraden. Die beliebtesten Tweeter der Welt werden von fast 100 Millionen Followern favorisiert. Mesut Özil, Deutschlands Spitzentweeter, folgen zehn Millionen.
Die Kirche ist mit ihren Häuptern weit entfernt von solchen Ziffern. Unbeschadet der hohen Zahl an Christen. Woran mag das liegen? Haben Christen keine Smartphones? Liegt es daran, dass man Fotos, Videos und Musikdateien an die Kurztexte anhängen kann? Was hat es mit der Nachfolge auf sich?
Crossmedial ist unser Nachfolgebibeltext nicht zu nennen. Jedenfalls nicht in diesem Sinn. Er ist nur und nichts als Text. Und als Text ist er im Vergleich recht schlecht geraten. Da ist keine Musik drin, eher der Ton eines Stücks von Beckett. Die einzigen Bilder: Lamm Gottes und Fels. Dann ein bisschen „Name Dropping“, etwas Mund zu Mund Propaganda, zum Schluss ein nickname – und fertig ist die Story vom Anfang eines Welterfolgs.
Dazu kommt ein Cliffhanger. Ein Cliffhanger ist etwas aus der Trickkiste von Erzählern. Dabei wird so vorgegangen, dass das Ende einer Story offen bleibt. Und damit der Fortgang der Geschichte. Zum Beispiel so:
Der Held hält sich mit aller Kraft einarmig fest an einer schmalen Kante in offenem Fels hoch über dem Meer. Der Wind stürmt, das Gestein bröckelt. Schwarzblende, Unterbrechung, Ende des Kapitels. Wie geht es weiter? Wird er abstürzen? Wird er sich retten? Wird er gerettet werden? Ein Cliffhanger sorgt dafür, dass man an der Story dran bleibt. Dass man wissen will wie es weiter geht. Dass man dem Helden quasi im Gedanken beistehen möchte.
In unserem Bibeltext findet sich ein Cliffhanger, der nie zu Ende erzählt werden wird. Gegen jede Regel! Kommt und seht! Jesu Antwort weckt Neugier. Neugier, die nicht befriedigt wird. Jesu Bleibe über den Tag. Ja, was ist mit der? Was hat die Zwei veranlasst, sich Jesus zu verschreiben? Das will ich wissen, verflixt und zugenäht.
Heute kaum mehr Follower. Kein Wunder bei diesem Dialogangebot, oder? Als das sorglose Zwitschern und Treiben der Vögel noch Gottes Tun zeigte, da mag das noch gefunzt haben. Aber heute? Crossmedial ist unser Bibeltext nicht zu nennen. Jedenfalls nicht in diesem Sinn.
Aber in einem anderen Sinn. Dieser Text ist crossmedial schlechthin. Ihn kann man besser verstehen, wenn man das Kreuz Jesu versteht. Crossmedial heißt: Sein Sinn vermittelt sich im Kreuz Jesu. Oder wie der Bibeltext gesagt: Im Dasein Jesu als Lamm Gottes. Und das heißt, in dessen Bedeutung für Gott und sein Tun. Im Blick auf Gott bedeutet das Kreuz Jesu:
Er erschafft mit seinem Wort aus dem Nichts einen Neuanfang. Ansatzlos, unvorhergesehen, unvermittelt. Ohne unser Tun und Denken. Gegen unser Tun und Denken. Gott arbeitet still und leise in unserem Gehirn. Aber nicht nur in unserem Geist. Sondern weil das Gehirn ein Organ ist, zugleich in unserem Körper. Gott schafft neues Denken, neues Tun, neue Bedeutung. Ohne unser Wissen und Wollen, gegen unser Wissen und Wollen. In uns neues Wissen und Wollen.
Gottes Tun im Kreuz wirkt unwiderstehlich. Wen es berührt, der kennt nichts anderes mehr. Der sieht nur noch die Wahrheit von Gottes Kreuz. Was immer ihm sich sonst noch als Wahrheit einflüstert oder anbietet. Die Wahrheit vom Kreuz wirkt bei uns wie ein Adblocker.
Als Adblocker wird ein Programm bezeichnet, das im Hintergrund des Computers arbeitet. Es sorgt dafür, dass beim Surfen Werbung nicht angezeigt wird. Und zwar, obwohl sie mit Webseiten gekoppelt ist. Solch unterdrückte Werbung spielte sich sonst ein als Musik, Bild, Video, Verbal- oder Schrifttext oder auch als Pop-Up.
Unser Bibeltext erzählt von diesem Wirken Gottes in Jesus. Da steht geschrieben: Zwei Johannesjünger hörten Jesus reden, folgten ihm nach und Jesus wandte sich um. Was kann das heißen? Zunächst einmal sonnenklar: Das kann den Vorgang beschreiben, den einer wahrnimmt, der am Weg steht und Jesus und die Jünger beobachtet. Sie sind ihm auf der Spur. Er dreht sich um zu ihnen.
Es steckt aber noch mehr drin. Es kann den Vorgang meinen, der in den Köpfen der Jünger geschieht, während sie Jesus auf der Spur sind. Oder ihn tracken, wie man heute im Computerdeutsch sagt. Tracken heißt: Man verfolgt - zu welchem Zweck spielt hier keine Rolle - die Datenspur, die einer im WorldWideWeb hinterlässt.
Und dann würde der Satz „Jesus dreht sich um“ bedeuten: Sie bekamen ein anderes Bild von ihm. Jesus wurde für sie ein anderer, während sie ihm nachfolgten. Er bekam für sie eine sich wendende Bedeutung. Zum Beispiel von einem Allerweltmenschen zu einem ganz besonderen. Zum Messias. Zu dem einen Menschen Gottes. Ist das nicht schön, diese Nachfolgestory? Dank Tracking und Following kann man auch im Netz Gott ins Netz gehen!
Hören wir, wie es weiter zugeht. Sie sind unterwegs und entdecken eine interessante Frau. Oder einen interessanten Mann. Nun, das passiert immer wieder mal. Aber stellen Sie sich vor: Angesichts dessen vergessen Sie sowohl sich als auch das, was Sie eigentlich vorhatten. Und in einem Anfall blinder Gefühle gehen Sie diesem interessanten Menschen einfach hinterher, folgen ihm nach. Ohne dass dieser etwas weiß von Ihnen, geschweige denn, von den Ihnen selbst verborgenen Gefühlen.
Und plötzlich dreht dieser Mensch sich um. Und sie erkennen, dass er an ihrer Mimik und Gestik erkennt: Der da will etwas von mir. Verfolgt irgendein Ansinnen. Und Sie hören, dass er Ihnen wie Jesus die Frage stellt: Was willst Du eigentlich?
Bei aller Liebe, würden Sie sich da nicht irgendwie ertappt fühlen? Leicht peinlich berührt. Aus dem vermeintlich sicheren Versteck der Distanz versetzt in offene Nähe? Genötigt vom Beobachter zum Teilnehmer? Zum Teilnehmer in Not, weil er weiß, dass er abgewiesen werden kann. Raus gedrängt werden vom Spielplatz. Nicht mal auf den Zuschauerrängen bleiben darf.
Da gewinnt man per Gegenfrage gleich Abstand zwischen sich und dem Angebeteten. Unterdrückt die eigene Unsicherheit. Betont die eigene Herrlichkeit. Will den anderen unter Zugzwang setzen. Ihn damit etwas schwächen: Zeig mir erst mal, was du drauf hast! Was ist Deine Bleibe?
Wie das wohl ausgeht? Was soll da schon passieren, allen Abstandsspielchen zum Trotz. Einer weiß nicht recht um die eigene Liebe für jemand. Und wird vom Geliebten angesprochen. Der wiederum die Liebe dieses Gegenübers erkennt, die dem selbst nicht recht klar ist.
Der Beobachter, der schon Teilnehmer ist, ohne es zu wissen - der hat keine Wahl. Dem bleibt nichts anderes übrig, als ein Teilnehmer mit Haut und Haaren zu werden. Auf Gedeih und Verderb. Und bei Jesus heißt das: auf Gedeih. Also ein Teilnehmer, dessen Liebe, die ihm nicht gewahr ist, nicht ausgenutzt wird. Ein Teilnehmer, der mitspielen darf. Der aussetzen darf, auf der Ersatzbank, oder auf den Zuschauerrängen. Ein Teilnehmer, der wieder Beobachter sein darf.
Was ist deine Bleibe? Die Antwort lautet: Mein Lieber, ich habe keine Bleibe, ich bin die Bleibe. Und du wirst mein und bleibst mein Jünger und Freund.
Zur Jüngerschaft kommt man wie die Jungfrau zum Kind. Der christliche Glaube kennt nicht nur die Jungfrauengeburt. Er kennt so gesehen auch eine Jungmännergeburt. Das Geheimnis der Jungfrauengeburt bedeutet: Jesus wurde als leibhaftiger Mensch geboren und gezeugt. Aber anders als alle anderen. Nicht nur der Geist Jesu wird einseitig und nur von Gott erzeugt und bestimmt. Auch sein Leib. Damit wird klar gestellt: Kein Mensch hatte und hat je von sich aus die Fähigkeit, Gott aufzunehmen. Weder mit seinem Geist, noch mit seinem Leib. Allein Gott sorgt dafür, dass einer ganz an Leib und Seele dazu fähig ist.
Zur Jüngerschaft kommt man also wie die Jungfrau zum Kind. Der christliche Glaube kennt nicht nur die Jungfrauengeburt. Er kennt so gesehen auch eine Art Jungmännergeburt. Will sagen: Jüngerschaft ereilt einen. Das hat Mann nicht in der Hand. Gleich ob einer dagegen kämpft. Oder ob einer mit aller Gewalt Jesu Nachfolge antreten will. Zum Jünger wird man. Man macht sich nicht selbst dazu. Das heißt für die Nachfolger: Sie bleiben grundsätzlich Schaf. Selbst als Hirte bleiben sie immer Herdentier.
Jünger zu werden, das beruht auf nackter Gnade. Vielleicht kommt deshalb unser Bibeltext so nackt und bloß daher. So unscheinbar und unansehnlich. Ohne beeindruckendes Wunder, ohne Musik, kaum Bilder. Zusammen gestückelt aus Standards der Dramakunst. Hölzernes Personal, unmotivierte Dialoge. Neugier stiftend, diese mit Erklärungslücken nicht stillend. Damit die Neugier auf Gottes Tun schön hungrig bleibt. Und damit unsere uns verborgene Schwäche für Gott zu neuer Kraft und Stärke wird. Amen.