Gottes endlose Liebeserklärung - Predigt zu 5. Mose 7, 6-12 von Claudia Trauthig
7,6
Liebe Gemeinde,
abends um viertel nach sechs kennt Sofie kein Pardon: Da kann die Mutter noch so dringend mahnen:Sofie, Du musst noch Cello üben. Oder: Sofie, nun hilf mir doch bitte mal beim Tisch decken! - Diese halbe Stunde zwischen 18 Uhr fünfzehn und 19 Uhr fünfundvierzig gehört… der Liebe. - Wie alle ihre Freundinnen aus der Schule guckt die Konfirmandin Sofie in dieser Zeit täglich Anna und die Liebe. Am nächsten Morgen oder vielleicht schon am Abend auf Facebook werden die neuesten Entwicklungen besprochen...
Für die meisten erwachsenen Betrachter geht es immer um das Gleiche. Da wird sich ver- und entliebt. Da treibt einer ein falsches Spiel mit der Liebe. Eine will nur ihren Spaß, zeigt kein wahres Gefühl. Und noch eine andere kapiert gar nicht, dass „derjenige welcher“ doch schon Hals über Kopf insie vernarrt ist. Musst Du das jetzt gucken? seufzt die Mutter und weiß: es ist zwecklos: Die Liebe ist eine Himmelsmacht. Das ist doch alles nur Kitsch, mäkelt der Vater. Aber wenn niemand hinsieht (wie beim Frisör) blättert selbst er gerne durch die zuckersüßen Bilder der Royal Weddings. Für die jungen Leute gibt es einfach nichts Aufregenderes als die Liebe – und wenn wir Älteren ehrlich sind, dann vielleicht eigentlich auch für uns nicht. Noch einmal jung wird das „Goldpaar“, das die Pfarrerin bittet, ihr doch das Kennenlernen und die Zeit bis zur Hochzeit zu schildern. Und eine sehr alte Frau kann schwärmen:Die erste (grüne) Hochzeit war schön, die goldene Hochzeit war schöner, aber die diamantene Hochzeit war die allerschönste! Vielleicht erinnern Sie, erinnert Ihr Konfirmanden Euch, wie das war, als Ihr das letzte Mal einen Liebesbrief bekommen habt? Heute kommt der ja eher per sms oder „E-Mail für Dich“. Gleichgültig, wie er uns erreicht, es ist aufwühlend – unabhängig davon, wie man zu dem Verfasser steht. Man fühlt sich aus der Masse der anderen herausgehoben, erwählt, auserwählt. Man sieht sich selbst wieder neu, in einem neuen Licht, mit neuem Glanz, weil da einer ist, der sagt: Dich liebe ich.
Auch heute, liebe Gemeinde, bekommt jeder und jede von uns einen Liebesbrief. Noch dazu ist es einer, der in sich nicht schon („wie jede Blüte“, Hermann Hesse:Stufen) die Vergänglichkeit trägt. Es ist ein Liebesbrief mit einer in Ewigkeit gültigen Botschaft. Es ist ein Brief des lieben, liebenden Gottes, diktiert sozusagen dem Mose, vor mehr als 3000 Jahren. Es ist der Predigttext für diesen Sonntag. Er steht im 5. Buch Mose und lautet (nach der Einheitsübersetzung der Jerusalemer Bibel) wie folgt:
Denn du bist ein Volk, das dem Herrn, deinem Gott, heilig ist. Dich hat der Herr, dein Gott, ausgewählt, damit du unter allen Völkern, die auf der Erde leben, das Volk wirst, das ihm persönlich gehört. Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völker wäret, hat euch der Herr ins Herz geschlossen und ausgewählt; ihr seid das kleinste unter allen Völkern. Weil der Herr euch liebt und weil er auf den Schwur achtet, den er euren Vätern (und Müttern) geleistet hat, deshalb hat der Herr euch mit starker Hand herausgeführt und euch aus dem Sklavenhaus  freigekauft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. Daran sollst du erkennen, Jahwe, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott; noch nach tausend Generationen achtet er auf den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und auf seine Gebote achten. Denen aber, die ihm feind sind, vergilt er sofort und tilgt einen jeden aus; er zögert nicht, wenn einer ihm Feind ist, sondern vergilt ihm sofort. Deshalb sollst du auf das Gebot achten, auf die Gesetze und Rechtsvorschriften, auf die ich dich heute verpflichte und du sollst sie halten.
Liebe Gemeinde, vor allem liebe Konfirmanden (und Konfirmandinnen), vermutlich habt Ihr Euch einen Liebesbrief jetzt doch etwas anders vorgestellt. Von einem gelungenen Liebesbrief erwarten die meisten wenigstens ein paar blumige Worte: Romantik. Er sollte zumindest das Bemühen erkennen lassen, deutlich zu machen, WAS man am Geliebten so verehrt, ja begehrt: die blauen Augen, die schlanke Gestalt oder (noch besser!) das unvergleichliche Wesen, das man in der Tiefe der eigenen Seele so lang gesucht hat. Ein Liebesbrief ist etwas ganz Exklusives, so meinen wir. Wie kann das mein ganz persönlicher Liebesbrief sein, wenn er sich doch an ein ganzes Volk richtet? Wie kann das überhaupt ein Liebesbrief sein, wo er doch mit einer Drohung schließt, nicht zu knapp auch von Pflichten spricht? Dennoch -  es IST Dein ganz persönlicher Liebesbrief. Er ist exklusiv - und zugleich so inklusiv an uns Menschen gerichtet, wie man es sich nicht in den kühnsten Träumen ausmalen könnte. (HIER könnte, wenn Zeit ist, eine kurze Bezugnahme auf den Wahnsinn der fundamentalistischen Gewalttat in Norwegen erfolgen.) Der jüdische Philosoph Franz Rosenzweig schrieb dazu: Es gibt „die eine Gewissheit, dass sie (sic: die Liebe Gottes) einmal auch das noch Unergriffene ergreifen wird…“ (vgl. Werkstatt für Liturgie und Predigt; 5+6/2011, 221). Gottes Liebe kann, was Menschen Vernunft unvorstellbar erscheint: universal und ganz, ganz persönlich lieben: Ich habe dich bei deinem Namen gerufen (Jes 43,1).
Wer hat ihn alles schon gelesen, diesen Liebesbrief des ewigen Gottes? Wem hat er Flügel wachsen lassen, die das Erdenschwere, die Fesseln der Sklaverei, alle Versuchungen der Götzen in immer neuem, modischen Outfit vergessen ließen?
1300 Jahre vor Christus
Da ist Mirjam. Nein, sie ist nicht die berühmte Schwester des Mose. Aber ihren Namen hat sie von ihr. Das hat ihr die Mutter erzählt, seit sie ein kleines Mädchen ist. Lebhaft, dramatisch und fröhlich hat die Mutter beschrieben, wie es war, als Mirjam ihr Lied sang. Völlig ungehemmt, weil überschäumend vor Freude über die Rettung im Schilfmeer, die Befreiung aus Ägypten. Sklaven waren sie gewesen, die Eltern und alle Verwandten – ausgebeutet, gedemütigt vom stolzen Pharao. Mirjam aber ist ein Kind der Freiheit. Mirjam ist in der Wüste geboren. Sie kennt nur die Wanderschaft ihrer Eltern, ihres Volkes, die Liebe ihres Gottes und die Liebe zu ihm. Natürlich kennt sie auch die tiefe Sehnsucht nach dem gelobten Land, in das der Herr sie führen wird. Sie freut sich darauf, sie kann es nicht mehr abwarten. Über dem Wandern ist Mirjam erwachsen geworden. Jetzt mit 15 sollte sie selbst allmählich eine Familie gründen. Sie spürt, was sie hört, weil Mose es sagt:Nun ist es nicht mehr weit. Mose weiß viel mehr von Gott als sie. Mose gibt Gottes Worte weiter. Er war auf dem heiligen Berg. Trotzdem hat Gott Mose nicht lieber, sondern liebt sie alle gleich. Manchmal ist Gott einfach zu geheimnisvoll für Mirjam. Sie mag Jona, ihr Herz klopft, wenn sie ihn sieht. Jona hat wunderschöne dunkle Augen, und sein Lächeln glitzert darin. Aber Gott sucht sich dieses kleine Bettelvolk aus: Du bist mein Schatz. Du bist meine erste Wahl – vor allen anderen. Rätselhaft und geheimnisvoll ist dieser Gott. Doch Mirjam spürt: Es ist kein anderer Gott. Ihn wird sie im Herzen bewahren, achtsam sein, dass sie ihr Herz nicht fesseln lässt vom Reichtum und Glanz der Kanaaniter. Davon trennen sie nur noch wenige Kilometer. Nein, Mirjam nimmt sich vor, das Leben zu wählen, die Gebote zu achten, im Land der Verheißung
1521 Jahre nach Christi Geburt
Hier oben nennen sie ihn Junker Georg oder auch Jörg. Längst ist es Herbst geworden auf der Wartburg. Jetzt im Oktober spürt man manchmal schon den nahenden Winter. Der Blick aus dem kleinen Fenster seiner Studierstube stimmt Martin wehmütig. Die Farbenpracht des herbstlichen Waldes da unten erscheint ihm so schön wie nie. Seine Heimat Thüringen liegt zu seinen Füßen - und ist doch unendlich weit weg. Ganz da hinten, das muss Mansfeld sein - das Elternhaus. Szenen aus der Kindheit kommen Martin in den Sinn. Lange hat er die Familie nicht mehr gesehen. Hoffentlich wissen sie, dass er noch lebt. Aber - er darf sich nicht den Kindheitserinnerungen hingeben... Er will die Zeit hier auf der Wartburg nutzen, die Heilige Schrift ins Deutsche übersetzen. Was für ein Glück, nein: Gott sei Dank, dass er so geistesgegenwärtig war, das Neue Testament und die Hebräische Bibel einzustecken. Gestern hat er die wunderbare Stelle von der Taufe Jesu zum ersten Mal übersetzt: (Und siehe, eine Stimme vom Himmel herab sprach:) Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe. In den Sinn kam ihm auch wieder der wunderschöne Abschnitt aus dem 5. Buch Mose, der ihm solche Mühe gemacht hat. „Dich hat der Herr, dein Gott, erwählt zum Volk des Eigentums“ so hat er schließlich die schwierige Wendung aus dem Hebräischen ins Deutsche gebracht. „Volk des Eigentums“ ist im Hebräischen so etwas wie ein gehüteter Schatz, Augapfel, vornehmster Besitz. Nun, er wird es gut sein lassen. Egal was noch geschieht, was in seinem Leben noch auf ihn zukommen sollte, er will und er kann es gut sein lassen. Denn esist gut. Dieser Gott hat ihn durch die Taufe auf den Namen Jesu mit hinein genommen in den ewigen Gnadenbund. Martin Luther kritzelt baptiszatus sum an den Rand des Notizblatts. Ich bin getauft! Und wenn die Welt voll Teufel wär – Du Herr, bist ja mein. Ich bin dein!
Sommer 2011
Dass es soweit kommen würde, hätte Nils nie für möglich gehalten. Bei der Jugendweihe vor mehr als dreißig Jahren hat er sich mit den anderen lustig gemacht, Witze gerissen über die drei Konfirmanden in seinem Jahrgang. „Ich glaube an Gott, den Vater…“ - so ein Quatsch. Und selbst wenn. In der DDR hat man sich damit doch die Zukunft verbaut. „Schön blöd“, hat Nils damals gedacht. Heute lässt er sich in der heimeligen Kirche mit dem Backsteinturm taufen. Heute gibt es die Mauer, die doch in zwei Wochen 50 Jahre alt würde, längst nicht mehr. „Eine Erwachsenentaufe ist etwas Seltenes - wir freuen uns sehr auf Sie!“, hat der Pfarrer gesagt. Nils freut sich auch: „…war ein ziemlich langer Weg für mich“, grinst er und denkt auch an die Konsequenzen, von denen er dem Pfarrer noch nichts erzählt hat. In den Augen mancher Kollegen verbaut er sich nun wahrhaftig ein Stück Zukunft. Aber aus freien Stücken und genau genommen für die Zukunft, aber nicht nur seine. Warum gibst Du Deinen Job auf, wie kannst Du nur? Fassungslos haben die reagiert. Aber Nils will nicht immer noch schnellere Autos bauen. „Wir brauchen eine andere Mobilität, sonst müssen unsere Kinder die Quittung bezahlen. Wir brauchen ein anderes Wirtschaften.“ Auf der neuen Stelle verdient Nils deutlich weniger, doch Geld ist nicht das Wichtigste. Als der Pfarrer den Predigttext liest, muss er sich erst hineinfinden in die alten Worte. Aber dann denkt er: Mensch, Nils -wie geschrieben für Dich.
Denn du bist ein Volk, das dem Herrn, deinem Gott, heilig ist. Dich hat der Herr, dein Gott, ausgewählt, damit du unter allen Völkern, die auf der Erde leben, das Volk wirst, das ihm persönlich gehört. Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völker wäret, hat euch der Herr ins Herz geschlossen und ausgewählt; ihr seid das kleinste unter allen Völkern. Weil der Herr euch liebt und weil er auf den Schwur achtet, den er euren Vätern (und Müttern) geleistet hat, deshalb hat der Herr euch mit starker Hand herausgeführt und euch aus dem Sklavenhaus  freigekauft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten. Daran sollst du erkennen, Jahwe, dein Gott, ist der Gott; er ist der treue Gott; noch nach tausend Generationen achtet er auf den Bund und erweist denen seine Huld, die ihn lieben und auf seine Gebote achten. Denen aber, die ihm feind sind, vergilt er sofort und tilgt einen jeden aus; er zögert nicht, wenn einer ihm Feind ist, sondern vergilt ihm sofort. Deshalb sollst du auf das Gebot achten, auf die Gesetze und Rechtsvorschriften, auf die ich dich heute verpflichte und du sollst sie halten.
Ja, Mensch, wie geschrieben für Dich!
Amen.
Perikope
31.07.2013
7,6