"Gottes Leben in der Waagschale für unser Leben", Predigt über Lukas 1,67-79 von Maximilian Heßlein
1,67
Liebe Gemeinde,
die Zukunft ist sicher. Das Kind ist da und es wird leben. Johannes soll es heißen.
Elisabeth ist Mutter, Zacharias Vater geworden. Beide sind froh und glücklich.
Wer schon einmal das Glück hatte, Mutter oder Vater zu werden, der wird das sehr leicht nachempfinden, was da mit dem Zacharias und seiner Frau Elisabeth geschieht. Eine große Freude ein ungeheurer Umschwung im Leben. Ja, das Leben geht weiter. Wer noch keine Kinder hat, der wird sich sicher vorstellen können, wie das sein mag.
Was aber vielleicht die Erfahrung des Elternwerdens braucht, ist das Wissen darum, wie sehr dieses Elternwerden die eigene Existenz und das eigene Leben und seine Geschichte mit der Geburtsgeschichte des Kindes verknüpft.
Da kommen alle alten Geschichten wieder. Die schöne und die nicht so schönen. Die bedrohlichen und die freundlichen, die dunklen und die sonnigen. Es ist intensive Zeit der Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und mit den dazugehörigen Fragen: Wo soll es mit deinem Leben hingehen? Was musst du jetzt für dein Kind aufbauen? Welche Sicherheiten müssen sein?
Liebe Gemeinde, ich glaube, das liegt an der Verantwortung, die auf einmal mit so einem kleinen Menschen in die Welt kommt. Ich muss mich eben nicht mehr nur um mich selbst kümmern, sondern auch um jemand anderen, klein und zunächst mal ziemlich hilflos. Dass sich das sehr bald ändert und die lieben Kleinen einem bei aller unbändigen Liebe auf der Nase rumtanzen, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht ist das auch deren Ausdruck der Liebe. Sei es drum.
Aber die Geburtserfahrung ist ein wahrer Umschwung im Leben, glaube ich. Es öffnet sich ein neuer Raum der Zukunft.
Genau so ist das auch in der nun zurückliegenden Woche zwischen Ewigkeitssonntag und erstem Advent. Die ist in jedem Jahr eine sehr eigentümliche. So erlebe ich das und habe ich das erlebt auch in diesem Jahr wieder.
Ich vermute, es liegt daran, dass diese Woche sehr schwierig zu gestalten ist. Wie ein Abstandshalter steht sie zwischen dem vergehenden und dem beginnenden Kirchenjahr. Sie markiert eine Zeitenwende. Damit steht sie aber auch zwischen zwei Polen des Lebens. Sie steht zwischen Dunkelheit und Licht.
Wenn ich in dieser Zeit in die Gesichter der vielen schauen, wenn ich auch morgens in mein eigenes Gesicht schaue und mich selbst befrage, dann merke ich: So viele Menschen haben sich nach dem Advent gesehnt und sehnen sich immer noch danach, dass er endlich wahr werde.
Es ist die große Sehnsucht nach dem Licht, das so nach und nach wieder einziehen möge, nach den freundlicheren Klängen der Lieder und der altbekannten Melodien [Ansingen] und auch nach den Texten, die nicht mehr nur Schrecken und Höllenfeuer aus der Tiefe des Todes, sondern aufgehendes Licht aus der Höhe verheißen.
Es geht um Jubel in Jerusalem, Freudengesänge der Menge oder auch des Einzelnen. Hosianna in der Höhe. Gelobt sei der Gott Israels, unser Retter und Bewahrer. Ihr Lieben, das Gericht Gottes möge doch eingebettet sein in den frohen Blick auf das Leben und das heilsame Kommen Jesu Christi in diese Welt.
Dazu gehört ganz profan übrigens auch das Sehnen nach den Süßigkeiten dieser Welt, nach Lebkuchen und Adventskalender, nach Glühwein, Magenbrot und gebrannten Mandeln vom Weihnachtsmarkt, nach den bunten Blinklichtern im Fenster.
Ich kenne viele Menschen, die freuen sich auf diese Zeit, als seien sie noch Kinder. Da gibt es ein ganz klares und schönes Glänzen in den Augen. Es ist wunderbar, das mitzuerleben und sich mit den anderen zu freuen. Auch da glänzt schon die Zukunft.
Zugleich und trotz aller Vorfreude auf diese Genüsse aber halte ich fest und merke das auch an mir selbst, dieser Umschwung ist kein automatischer, weil meine Seele nicht so schnell springen kann, weil mein Erfahren und Erleben in dieser Welt ein ganz eigenes ist. Da steht die Auseinandersetzung mit dem Tod gerade am Ende des Kirchenjahres natürlich vorne an. Die aber ist ja nur die Spitze. Ich sehe die vielen kleinen und großen Konflikte im Leben, die Kriege, die geführt werden, zwischen Staaten oder Einzelnen, die zornigen Streits, die Missachtung meines Lebens, meines Denkens und Handelns, die Bedrohung durch schwere Krankheit, durch Einsamkeit oder Armut. Das ist ja nicht erfunden, Ihr Lieben, sondern das ist die Realität.
Aber und das ist das Zweite dieser Zeit: Meine Seele will den Umschwung auch gar nicht immer. Es gibt ja diese eigenartige Verliebtheit in die eigenen Dunkelheiten. Die kennen Sie bestimmt. Da halte ich dran fest, weil ich finde, dass es mir gerade schlecht gehen muss, dass ich ein Recht darauf habe, oder auch weil ich finde, dass es jetzt mal genug ist mit der ausgelassenen Fröhlichkeit.
„Raus aus Deinem Loch“, kann ich mir da wohl sagen. Aber dass und wie das gelingt, ist da noch eine ganz andere Geschichte.
Also, der Umschwung des Leben ist nötig, und ich kann ihn nicht so einfach herstellen und machen. Nur wie soll er dann gelingen? Schließlich gibt es ja auch noch ein paar Dinge mehr im Leben als die Tristesse des späten November.
Und wie ich das wahrnehme, da steigert sich die Suche nach den Möglichkeiten und der Rettung meines Lebens. So kann das Sehnen nach dem Licht in dieser Woche so groß werden, dass es die Menschen kaum noch aushalten. Die Geduld wird ja auf eine harte Probe gestellt und ist dabei so strapaziert, dass der Advent einfach mal schnell ein paar Tage vorgezogen wird.
Dass er, wie jetzt in Heidelberg geschehen, gleich 10 Tage auf den Buß- und Bettag vorgezogen wird, ist dabei noch die Ausnahme, aber mir ist das auch ein Zeichen einer zunehmenden Schwierigkeit, sich mit dieser Abstandswoche und ihren zwielichtigen Anforderungen auseinanderzusetzen.
Dabei ist das ja alles eigentlich vollkommen normal. Es gibt uns eben nicht als immer tapfere, immer mutig nach vorne gehende Menschen. Es gibt uns nicht als immer starke und mutige Helden. Mich gibt es so jedenfalls nicht – und ich bin sicher, ich bin nicht der einzige, bei dem das so ist.
Also braucht es einen, der das Licht bringt, der das Licht anzündet, sehr äußerlich, vor allem aber in meinem Herzen, in meinen Gedanken, in meinem Gemüt und meiner Seele. Ich brauche den, der spricht, wie er schon immer gesprochen hat: Es werde Licht. Ich, Ihr Lieben, das bekenne ich freimütig, spüre häufig, wie sehr ich Gottes Eingreifen da brauche, weil ich mich allein dazu nicht in der Lage fühle.
Und ich brauche diejenigen, die von diesem Wort und seiner Wahrheit, die von diesem Licht erzählen, wo sie es gesehen und erlebt haben, wo sie selbst mitten darin standen oder von Ferne einen Blick erhaschen konnten. Ich brauche diejenigen, die sagen: Ich habe das Licht gesehen. Es gibt es wirklich, vertrau nur darauf.
So einer ist der Zacharias in diesem wunderbaren Gesang. Zacharias singt, als wisse er alles über dieses Leben, als könne  er aus der eigenen Erfahrung sagen, wie es Ihnen und wie es mir geht. Er singt, als wäre er Gott selbst.
Und wissen Sie, liebe Gemeinde, wenn der Zacharias da so singt und das Lob in seinem Mund kein Ende nimmt, dann tut er das mit vollem Recht, denn er stellt sich selbst in den Dienst Gottes und tut in diesem Augenblick nichts anderes, als dass er Gottes ganze Existenz, seine Geschichte, in die Waagschale wirft, sie ausleuchtet und hell macht und dann eben Ihnen und mir das Leben Gottes und sein Dasein für uns neu vor Augen stellt.
So also singt Zacharias die Geschichte Gottes mit seinen Menschen. Er singt von Schutz und Heil. Er singt von der Zukunft, die Gott uns schenkt und die wir so sehr brauchen. Er singt von der Vernichtung der Feinde meines Lebens. Er singt von der Liebe Gottes, von seinem unbändigen Willen für die Menschen da zu sein, für Sie und für mich, und von seinem unbändigen Willen, dafür das Leben umzuschwingen. Auch sein eigenes.
Das verbindet sich, Sie wissen das, nur mit einem, den hat der Zacharias auch schon im Blick: Jesus Christus.
Und wissen Sie, was ich da gerade erkenne. Gott selbst wird Vater. In diesem Vaterwerden und –sein ist vorhanden, die Auseinandersetzung mit seiner ganzen Identität, mit seiner Existenz, mit seinem Leben für und mit den Menschen.
Ja, Ihr Lieben, unsere Geschichte, Ihre und meine, ist Gottes Geschichte. Das wird an Jesus Christus deutlich. Gottes Leben in der Waagschale für unser Leben.
Deswegen singen die Menschen auf der Straße Jerusalems. Deswegen singt der Zacharias sein Lied des Lobes Gottes. Deswegen singen heute Morgen die Kinder des Kinderchores in diesem Gottesdienst. Deswegen singen wir alle miteinander und werden es zum Lobe Gottes auch noch weiterhin tun.
Nichts anderes übrigens ist auch heute unsere Aufgabe, wenn wir an die Stelle des Zacharias treten. Dass wir von Gott künden und uns nicht von den Dingen dieser Welt gefangen nehmen lassen. Die Menschen brauchen uns als Verkünder des Lichts.
Das alles aber geschieht nun unter dem Vorschein des Lebens und eben nicht mehr unter dem drohenden Schwert der Sterblichkeit und des Todes. Es ist wahr, Ihr Lieben, es brennt ein erstes Licht. Und, es wird mehr werden.
Das ist sicher, damit wir wandeln in Heiligkeit und Gerechtigkeit, im Lichte Gottes für alle Zeit. Amen.
Perikope
02.12.2012
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