'Great deal' in gefährlicher Zeit - Predigt zu Jeremia 31,31-34 von Bernd Vogel
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'Great deal' in gefährlicher Zeit - Predigt zu Jeremia 31,31-34 von Bernd Vogel

Ein ‚Deal‘ ist ein ‚Geschäft‘, das zwei Vertragspartner miteinander machen. Sie schließen einen Vertrag. ‚Dealing‘ [with] ist die Handlungsweise, das Verfahren, um zum Ergebnis zu kommen, zur Erledigung eines Vorhabens. Warum also nicht Weltpolitik betreiben mithilfe von ‚deals‘?

 

Unter dem Blickwinkel von ‚America first!‘ muss ‚deal‘ allerdings als ein Ausdruck für imperialistische Machenschaften gelten zum einseitigen Vorteil, als ein Vertrag mit egoistischem Hintersinn, etwas Unsauberes. Das ist eine Deformation dessen, was einmal mit ‚deal‘ gemeint war. Trumps Rede vom ‚deal‘ zeigt an, dass Amerika dabei ist, die Geschäftsgrundlagen der Weltpolitik infrage zu stellen und dabei ganz nebenbei seinen eigenen Mythos, seinen eigenen ‚Spirit‘ aufzukündigen; denn am Anfang der Vereinigten Staaten von Amerika stand der Gedanke des ‚Deals‘, den angeblich Gott mit diesem neuen Volk abgeschlossen hat, präzise: der ‚Bund‘, den Gott mit ihm geschnitten hatte. Und das kam so: Die vor 350 Jahren eingereisten Europäer, die frommen ‚Covenanters‘ aus England und Schottland, die Rebellen gegen die britische Krone, die Eroberer gegen die indigenen Völker, die Sklavenbesitzer und Ausbeuter der Natur, die Kämpfer für Menschenrechte und Freiheit, hielten sich zugute, ‚God’s own country‘ zu sein, als demokratisch verfasste Gesellschaft ein neues ‚gelobtes Land‘ tief im Westen. Das hieß für die meisten, sich persönlich und als Gemeinschaft als Bündnispartner Gottes zu verstehen. Gott hatte mit ihnen einen ‚Bund‘ geschlossen. Menschenrechte, Demokratie, freier Handel und persönliche Frömmigkeit gehörten von nun an zum Zentrum der amerikanischen Ideologie. Wir sind Zeugen dessen, dass dieses Konstrukt erodiert und zerfällt. Was wird daraus werden?

 

In den alten Kulturen des Nahen Ostens vor mehr als 4000 Jahren wurden wichtige Verträge von einem blutigen Ritual begleitet. Damit bekräftigten die Vertragspartner, dass es ihnen tödlich ernst war mit einer wechselseitigen vollkommenen Verpflichtung auf die Einhaltung des Vertrages. Sie zerteilten Opfertiere und legten sie auf zwei Seiten eines in der Mitte geteilten Opfertisches. Dann schritten die Beteiligten zwischen den Teilen durch. Sie gelobten ihren Beitrag zur Einhaltung des Vertrages und verfluchten sich selbst mit Bezug auf die zerteilten Tiere für den Fall, dass sie untreu würden. So wurde ein ‚Bund‘ ‚geschnitten‘.

Das ist die Geschichte des Bundes Gottes mit Abraham. Irgendwann zur Zeit des Königs David mögen erste Züge der Geschichte Abrahams und Sarajs aufgeschrieben worden sein. Wahrscheinlich stammt die Fassung der Erzählung, wie wir sie kennen, aber aus der Zeit unmittelbar vor dem Babylonischen Exil oder danach. Davor wurden die Erzählungen an Lagerfeuern mündlich von Generation zu Generation weitergegeben.

 

Saraj, die ‚Fürstin‘, wurde wider Erwarten im hohen Alter noch Mutter; und Abram nach Jahren von Zweifeln erst erschütterter, dann gestärkter Hoffnung im hohen Alter noch der Vater des Isaak, nachdem er zuvor schon durch Sarajs Magd Hagar, Vater des Ismael geworden war. ‚Abraham‘ als Vater des Volkes der Juden und als Vater des Volkes der Araber. Abram stammte aus Ur in Chaldäa, aus der Gegend, in die 2000 Jahre später ein Teil des Volkes Israel in die ‚babylonische Gefangenschaft‘ deportiert werden sollte.

 

Von Ur in Chaldäa zog der Vater Abrahams Terach samt Familie 500 Kilometer nördlich nach Haran in das heutige Grenzgebiet zwischen Türkei und Syrien. Dort lebte die Sippe als Halbnomaden außerhalb und innerhalb der Stadtmauern von Haran. Sie verehrten viele Gottheiten, Fruchtbarkeitsgötter und -Göttinnen und vor allem den Mondgott. Der Mond stand ihnen nachts am Himmel vor Augen. Er wurde kleiner, verschwand, kam wieder zum Vorschein, wurde voll und beherrschte die nächtliche Steppe. So hätte es weitergehen können, Jahrhunderte lang weiter. Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Das Aufblühen, die Vollblüte und das Verdorren der Vegetation. Die Menschen im Rhythmus der Natur, der aufgehende und untergehende Mond im Jahreslauf. Nichts Schlechtes daran! Abraham und Saraj als Urahnen der ökologischen Bewegung. Respekt vor den astralen Kräften, den Gesetzen der Natur. Nur konsumieren, was die Natur hergibt, im Respekt vor den Tieren, sie schützend gegen Gefahren, im wohlverstandenen Interesse auch für sich selbst: Die Tiere zu schützen gegen Wüstenfuchs und Feinde hieß ja, die eigene Lebensgrundlage zu sichern.

 

Eines Tages aber, so erzählte man sich später in den Sippen des vorköniglichen Israel, sei dieser Abraham – so musste es seinen Zeitgenossen erschienen sein – auf Abwege geraten. Jedenfalls war eine merkwürdige Idee in ihn gefahren. Dieses Auf- und Ab, Werden und Vergehen, dieses Mitschwingen im Rhythmus der Natur war ihm mit einem Mal nicht genug. Es sprach nicht zu seinen tieferen Sehnsüchten. Es überzeugte ihn nicht mehr. Es machte ihm keine Hoffnung auf Zukunft und auf Sinn. Eine Zeit lang da sein und dann sterben wie seine Tiere. Etwas Lebensfreude, viel Mühe, Kampf ums Dasein und am Ende vergessen von denen, die nach dir kommen? Soll das das Leben eines Menschen sein?

 

Statt dieses vielleicht nicht immer üppige, aber halbwegs sichere und in Traditionen fest gefügte Leben weiter zu leben, damit zufrieden zu sein, eine Zeit lang auf der Welt zu sein, Kinder zu zeugen und zu gebären, Enkelkinder zu erleben, wenn’s gut lief, und dann sich zu den ‚Vätern' und Müttern zu ‚legen‘, hatte Abram eine seltsame Eingebung: Er hörte eine Stimme von nicht näher zu lokalisierender Überzeugung und Stärke, die ihm auftrug, sein Vaterhaus zu verlassen und mit seiner Frau Saraj zusammen ganz woanders ein völlig anderes Leben zu führen. Möglicherweise spielte eine Rolle, dass er philosophisch nachdachte über die vergänglich wiederkehrenden Erscheinungen des Mondgottes und über einen unaussprechlichen Anfang von allem, was überhaupt ‚ist‘. Vielleicht aber sind das spätere Reflexionen, eingetragen in das einfachere Leben eines Halbnomaden, ein oder zwei Jahrtausend zurück.

 

Wie dem sei, ist das Ende von diesem über Generationen weiter erzählten ‚Lied‘, nachzulesen in 1. Mose 15. Da geht es um einen ganz eigenartigen ‚Deal‘, ein ‚Bündnis‘, den niemand anderes als der Herr des Himmels mit ihnen, Abram mit Saraj, machte: Abram bereitete ein eindrucksvolles Opfer vor. Er zerteilte eine dreijährige Kuh, eine dreijährige Ziege, einen dreijährigen Widder in zwei Stücke und legte auf jede Seite noch je eine Taube dazu. „Als nun die Sonne untergegangen und es finster geworden war, siehe, da war ein rauchender Ofen, und eine brennende Fackel fuhr zwischen den Stücken hin. „An dem Tage schloss [schnitt!] der HERR einen Bund mit Abram und sprach: Deinen Nachkommen gebe ich dies Land …“ (1. Mose 15, 17 f.).

 

Gott allein geht zwischen den Fleischbergen hin und her als ein rauchender Ofen und eine brennende Fackel. Die Leser und Hörerinnen der Erzählung wussten etwas damit zu verbinden: Tagsüber war es die Wolkensäule, nachts die Feuersäule, die dem Volk in der Wüste den Weg wies. So auch hier: Feuer als Symbol der Gegenwart Gottes. Verzehrende Leidenschaft, Kraft der Transformation, Bild von Wärme und Energie. Und hier gibt Gott gibt ein einseitiges Versprechen ohne Gegenleistung zu fordern! Abraham muss nicht mit der Gefahr, sein Leben zu verwirken, für den Bund einstehen. Abraham darf einfach nur EMPFANGEN und es sich gut sein lassen in Hoffnung und Würde und Menschlichkeit gegenüber allen Menschen. In ihm sollen ‚gesegnet‘ sein alle Völker und Generationen auf Erden, heißt es in 1. Mose 12. In Abraham und Saraj segnet Gott bereits alle Menschen, alle Völker, Kulturen, Religionen. Die Juden sind und bleiben das von Gott auserwählte Volk; aber sie haben einen Auftrag: Segen zu sein. Einfach, weil sie da sind. Und auch darum, weil sie vom Willen Gottes etwas erfahren haben und etwas aus Erfahrung wissen, das sie zu leben und weiterzugeben haben: Die Tora, Gottes Weisung für ein gutes Leben der Menschen auf der Erde.

 

Nach Mose und der Landnahme kamen die Könige in Israel und Juda. Die Geschichte nahm ihren Lauf. Israel versuchte mitzumischen, sich Vorteile zu verschaffen oder auch nur, zu überleben zwischen den Großmächten. Vor Jahrtausenden schon wie heute. Propheten kamen und gingen. Sie prangerten soziales Unrecht an. Sie mahnten zum Frieden. Sie versuchten, im Namen Gottes die Könige, die Priester, die Gelehrten und das Volk aufhorchen zu lassen auf Gottes Weisung in der Tora. Kriege wurden geführt und am Ende verloren. Der letzte König aus dem Hause Davids namens Zedekia wird von der babylonischen Großmacht im Jahre 586 v. Chr. gefangen genommen, geblendet, seine Söhne vor seinen Augen ermordet, der Tempel zerstört, die Stadt Jerusalem verwüstet, die Priester, Lehrer und die Oberschicht in die Sümpfe rund um die Flüsse Babylons deportiert. Denen, die überlebt haben, gilt das Wort Jeremias:

 

31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der HERR; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken (Jeremia 31,31-34).

 

Dieser Text wird im christlichen Gottesdienst zu Heiligabend gelesen. Das hat seinen Sinn und sein Problem; denn was da steht, meinte zur Zeit des Jeremia nicht den Messias Jesus im Stall zu Bethlehem, sondern Gottes neuen ‚Bund‘ mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda, ausdrücklich diesen beiden, dem lange untergegangen Nordreich und dem gerade eben zerstörten Königreich Juda samt Jerusalem.

 

Christen lesen diese Verheißung heute – nach Jahrhunderten eines offenen und eines versteckten Antisemitismus mit furchtbaren Folgen – als ein Wort des jüdischen Propheten Jeremia an sein Volk. Über den Juden Jesus haben auch wir, Christen und andere, Zugang zu dieser Prophezeiung. Das eine nicht ohne das andere.

 

Jeremia, Prophet aus einem Priestergeschlecht, kennt sich aus mit all den Riten und Bräuchen im Tempel zu Jerusalem. Seine Zuhörer und Zuhöreinen, die, die seine Briefe und Botschaften lesen konnten und anderen vorlasen, staunten nicht schlecht, was der Priester-Nachkomme da zum Besten gab: Jeremia bezieht sich auf den Mose-Bund, den, den Gott am Sinai mit Mose geschlossen hatte. Dieser Bund, sagt Jeremia, ist von Seiten des Volkes aus zerbrochen. Er ist aufgelöst, nicht mehr gültig. Letztendlich hat er nicht funktioniert. Der Untergang im Jahr 586 ist das geschichtlich gewordene schreckliche Gericht, das sich Israel selbst zugezogen hat.

 

Ist damit das Bündnis Gottes mit Israel ein für alle Mal vorbei, nur noch Schall und Rauch der Geschichte? Das war die Frage des Jeremia. Seine Auffassung war: Bei bestem Willen könnte niemand, der bei Verstand und einigermaßen gerecht in seinem Urteil ist, behaupten, Israel habe weiterhin ein Anrecht auf Gottes Erwählung und Beistand, auf seinen besonderen Auftrag in der Welt, für die Welt ein Segen zu sein. Das Gegenteil ist doch offensichtlich. Die Rede des Jeremia war unerträglich für seine Zeitgenossen. Die Spur des Menschen Jeremia verliert sich irgendwo auf einem Deportationszug nach Ägypten. Seine Worte leuchten bis heute.

 

Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

 

Die Verblendung, der kaum verhüllte Rassenhass zwischen Juden und Arabern, die Ausnutzung dieser vielfältig fragmentierten gesellschaftlichen Lagen im Nahen Osten durch die Interessen von Nationalstaaten wie den USA, Russland, Iran und Saudi-Arabien … all das wirkt sich als ein ‚Gericht‘ aus, das die Beteiligten, ihre Führer und Verantwortlichen, über sich selbst verhängen. Was aber folgt daraus, kann daraus werden?

„Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.

 

Von rechts und von links wird auch in Deutschland Israel attackiert, verwünscht. Alte Schuldkomplexe aus der Vor-Vorgänger-Generation spielen, systemisch gesehen, eine Rolle. Und Sündenbock-Mechanismen: Israel trägt angeblich die ganze die Schuld an der Misere in Nahost, stellvertretend für alle am Konflikt unmittelbar oder mittelbar Beteiligten. Bei manchen Christen gibt es immer noch einen erklecklichen Rest jenes wahnsinnigen und geschichtsträchtigen Gedankens, ‚die Juden‘ hätten ‚unseren‘ ‚Herrn‘ ans Kreuz genagelt. Eine Geschichte mit vielen Anfängen und vielen losen Enden.

 

Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den HERRN«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

 

Es ist nötig, dass sich niemand mehr zum Lehrer über die anderen aufschwingt, meint aufschwingen zu müssen, weil alle Menschen, jede und jeder auf eigene Art, erkennen werden, dass sie einen neuen Geist, einen ‚Spirit‘ brauchen und dass dieser Geist auch schon kommt. Das ist so gewiss, wie es überhaupt noch Sinn hat, an ‚Gott‘ zu glauben, einem Gott zu vertrauen, obwohl das Wort ‚Gott‘, Allah, Elohim-Adonaj bis zur Unkenntlichkeit in den Dreck getreten ist. Allein das Erschrecken darüber wäre für die Menschheit ein Quantensprung, wie er damals vor 2500 Jahren geschah, als die Erzähler der alten Geschichten Israels zum ersten Mal auf die Idee verfielen, es könnte ‚ihr‘ Gott auch der Gott der Anderen sein, es könnte Gott Gott sein für die ganze Welt, alle Völker, alle Geschöpfe, alle Kinder Gottes, es könnte dieser Gott nicht mehr verehrt werden gegen die Götter der Anderen, sondern nur noch als Gott für alle Menschen aller Völker.

 

… sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der HERR; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.

 

Diesen Text, gewöhnlich am Heiligen Abend gelesen, lesen wir in Vorwegnahme von Pfingsten. Veni, creator spiritus!