Ihr sollt vor allem wissen, dass in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die ihren Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen und sagen: Wo bleibt die Verheißung seines Kommens? Denn nachdem die Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang der Schöpfung gewesen ist. Denn sie wollen nichts davon wissen, dass der Himmel vorzeiten auch war, dazu die Erde, die aus Wasser und durch Wasser Bestand hatte durch Gottes Wort; dadurch wurde damals die Welt in der Sintflut vernichtet. So werden auch jetzt Himmel und Erde durch dasselbe Wort aufgespart für das Feuer, bewahrt für den Tag des Gerichts und der Verdammnis der gottlosen Menschen. Eins aber sei euch nicht verborgen, ihr Lieben, dass ein Tag vor dem Herrn wie tausend Jahre ist und tausend Jahre wie ein Tag. Der Herr verzögert nicht die Verheißung, wie es einige für eine Verzögerung halten; sondern er hat Geduld mit euch und will nicht, dass jemand verloren werde, sondern dass jedermann zur Buße finde. Es wird aber des Herrn Tag kommen wie ein Dieb; dann werden die Himmel zergehen mit großem Krachen; die Elemente aber werden vor Hitze schmelzen, und die Erde und die Werke, die darauf sind, werden nicht mehr zu finden sein. Wenn nun das alles so zergehen wird, wie müsst ihr dann dastehen in heiligem Wandel und frommem Wesen, die ihr das Kommen des Tages Gottes erwartet und ihm entgegeneilt, wenn die Himmel vom Feuer zergehen und die Elemente vor Hitze zerschmelzen. Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt. (2Petr 3,3-13)
Richtmüller geriet das Glucksen etwas zu laut, lauter als er wollte, für seinen Geschmack jedenfalls. Gut dastehen, wenn es auf´s Ende zuläuft. Dass sich so ein Bibeltext äußerte! In seiner Jugend war er Pfadfinder gewesen. Christlicher Pfadfinder, bei einer der Volkskirchen, dann auch Gruppenleiter und später in der Leitung seines Stammes. Inzwischen war er Gatte, Vater und Hausmann geworden. Seine Frau arbeitete in einem großen IT-Betrieb. Für die ganze Technik dort firmierte ein Mann als Chef. Sie war Chefin für den Sozialkram, der mit einer neuen Technik so aufläuft, egal, ob das bei den Kunden der Fall war oder bei den Leuten des eigenen Betriebs. Eine Aufgabe, die in ihrer Arbeitswelt schön eingebunden und verpackt war mit Vokabeln aus der modernen Betriebswirtschaft.
Wenn sie zu Tisch waren und speisten, klagte seine Liebste immer wieder mal. Wie schwer doch die Menschen mit dem Wandel der Technik Schritt hielten! Bei den Kunden wäre das ja zu erwarten, damit verdiente die Firma ihr Geld. Aber bei den eigenen Kollegen? Es war ein Teil der Leistung ihrer Firma, und damit ihrer Person, und an der war sie zu messen: Die Kollegen jenes Betriebs, die von ihrer Firma betreut wurden, die passten sich mehrheitlich und mehr oder weniger freiwillig den neuen Aufgaben an. Klar, am Anfang kam es zu Widerstand, Dienst nach Vorschrift, Berufen auf alte Anweisung oder Verordnung. Oder das Trotzen geriet sogar weniger passiv und gestaltete sich aktiver. Gottseidank war es bisher nie zu Gewalt gekommen. Irgendwann schließlich sahen viele betreute Kollegen ein, dass die Umstellung notwendig war. Gaben lieb gewordene Gewohnheit auf, bildeten sich weiter. Übten sich in ihre neuen Aufgaben ein. Und nach einigem Ruckeln und Zuckeln lief der betreute Laden dann doch wieder wie neu und etwas besser.
Was seine Frau etwas sprachlos machte, war die Tatsache, dass es mit ihren eigenen Leuten wenig anders lief. Obwohl viele jüngere und sehr junge dabei waren. Frisch von der Uni, vertraut mit der neuesten Technik. Und dank Netz gewandt im neuen sozialen Gewusstwie. Die müssten es doch besser wissen! Die müssten doch mindestens ahnen, was auf sie zukommt! Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche. Wenn sie sich so attackiert fühlte, verzichtete Richtmüller darauf, diesen Spruch rauszuhauen. Tat er es aus Liebe? Oder fürchtete er nur, es mit gleicher Münze heimgezahlt zu bekommen, wenn die Elchkritik einmal von ihm ausging?
Eingefrorn, hieß das im BWL-Deutsch seiner Frau. Wenn nichts mehr geht, jedweder Spielraum überall verloren ist. Hoppla, Richtmüller kratzte sich Haar und Haupt, und es purzelte fremdsprachlich aus ihm heraus: Rien ne va plus, freezing, Verstockung. Ein Wort aus der Bibel dafür. Sehr aus der Mode gekommen. Doch eigentlich eine gute Sache. Mir stockt das Blut! Gut, wenn ich eine offene Wunde habe. Gut auch, wenn ich mich beim Horrorfilm gepflegt erschrecke. Mindestens genauso gut: ein Becher süße Sahne, verquirlt mit zwei Eigelb. Bäh, wenn deren Mischung geronnen war. Himmlisch, wenn sie auf dem Lothringer Speckkuchen verschmolzen und Karotten, Erbsen samt weißem Fleischflaum umschloss. Richtmüller krochen Duft und Geschmack aus dem Ofen seiner Mutter ins Bewusstsein. Verstockung - als Ereignis gut und schlecht zugleich. Die müssten es doch besser wissen! Die müssten doch mindestens ahnen, was auf sie zukommt! Richtmüller war leicht verblüfft. Was kann an Ignoranz denn gut sein? Die Doppelmacht der Verstockung ließ ihn sprachlos zurück. Und als wäre Schweigen hoch ansteckend, dickte auch der Fluss seines Denkens ein.
Kehrtum! Irgendwie muss es so in Richtmüller geheißen haben. Denn im Denkstau fragte er sich nun: Waren die Empfänger des Petrusbriefs verstockt gewesen? Er griff zu den Blättern, die auf seinem Hochpult lagen, nahm sich den Text vor, rückte seine Brille zurecht und las ihn sehr, sehr aufmerksam. Ein Wort wie Verstockung oder etwas Ähnliches fehlte dort. Auffällig war, dass das Überraschtwerden so eine große Rolle spielte. Als müsste der Absender den künftigen christlichen Lesern erst klar machen: Es kann sich sehr wohl eine Änderung aus dem Nichts ereignen! Leider sogar eine mit bösem Erwachen. So wie wenn einer nach dem Aufstehen merkt, dass über Nacht in sein Haus eingebrochen wurde. Als Ursachen einer solchen Krise nennt der Text außer einem Dieb auch eine Sintflut und einen Feuersturm. Musste man das so drastisch schildern, wenn jemand darum Bescheid wusste? Richtmüller schüttelte unmerklich leicht den Kopf.
Warum unterließ es der Autor, das Wort Verstockung zu nennen und zu nutzen? Wollte er es als ein böses Wort vermeiden, um seine Leser für sein Anliegen zu gewinnen? Als verstockt betitelt worden zu sein, das käme leicht als Anklage rüber, das könnte einen Empfänger leicht aggressiv machen, gegen einen aufbringen. So etwas kannte er aus den Erzählungen seiner Liebsten von der Arbeit. Und von ihr selbst, wenn sie miteinander stritten! Im Nachklang entschlüpfte Richtmüller, dass er das auch von sich selber kannte. Sehr merkwürdig, das alles. War es förderlich, so bei jemandem zu agieren, der für Krisen gewappnet ist? Schwierig, schwierig.
Na ja, wie dem auch sei! Richtmüller interessierte sich jetzt mehr für Prozess und Ergebnis der Änderung. Für das Gute, das Krise und Wandel mit sich bringen sollten. Zerschmelzen ergab sich als Stichwort aus dem Text. Eisgenuss kam ihm in den Sinn. Aus der Chemie Erzeugen und Verwenden von Amalgam. Richtmüller stoppte. Etwas widerstand ihm tief in sich drin. Als ob das alles zu viel des Guten wäre. Vielleicht auch, weil er spürte, welche Idee in ihm da heranwuchs. Die Arme auf das Pult gestützt, verlagerte er seinen Körper von einem Fuß auf den anderen. Standbein, Spielbein, links oder rechts. Der Text aus dem Petrusbrief erwähnte auch die Sintflut als Krise und Weltende. Und die in der Arche haben die Flutkrise überlebt. Vielleicht ist an deren Ergehen dabei zu erkennen, was an Gutem in einer Krise und einem Ende steckt.
Für Noah war damals ja alles klar gewesen. Kein Wunder, schließlich stand er im direkten Kontakt und Gespräch mit Gott. Richtmüller fragte sich: Aber was ging in den Köpfen seiner Familie vor? Die entbehrten den direkten Draht. Die waren Noah also auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Mussten ihm vertrauen. Mussten an das Bauprojekt Arche für die Sintflut glauben, ob sie wollten oder nicht. Denn vom Aufkommen tödlicher Wassermassen war ihr Leben unter Sonne und Hitze meilenweit entfernt. Vielleicht hatten sie gedacht, dass der Alte jetzt total durchgedreht war.
Und erst in der mit Pech rundum wasserdicht verfugten Arche! Was denkt einer, der da nun hockt im Dunkel und Gestank eines U-Boots ohne Schaurohr und Schnorchel? Muss ja so sein, sonst funktionierte das Ding schlecht angesichts des Wassertodes. Wenn die Wellen derart über einen reinbrechen sollten, dass man nicht mehr wüsste, wo oben und unten ist. Diese Technik und ihr Einsatz, eine wahre Blackbox. Jedes Lebewesen da drin eigentlich nur eine Katze Schrödingers.
Richtmüller war in seine Phantasie versunken und reiste auf deren Welle. Also, die hockten da im Dunkel, lassen wir mal den eigenen Mist und den der Tiere außen vor, die starrten da vor sich hin und harrten des Wassers und der Dinge, die da kommen sollten. Ging es denen dabei wie Nina Ruge? Alles im Lot auf´m Boot, alles in Butter auf´m Kutter! Tanz mit den Insassen, Polonäse von steuerbord nach backbord? Oder geht denen durch Kopf und Magen, auf was sie sich da eingelassen haben? Vielleicht geht ja draußen was ganz anderes vor sich? Die Flut fällt vielleicht aus. Haha, Quatsch gedacht, ausgelacht, Weltende adieu! Oder es kommt stattdessen Hitze, die alles verbrennt. Dann würden wir hier drin doch als erste dran glauben! Und die wenigen, die überleben, das wären dann die Leute von draußen. Andererseits, wenn ich als Insasse hier jetzt anfinge durchzudrehen, dann bräche vielleicht Panik aus. Und das mit all dem Raubgetier hier drin. Dann ginge alles Leben im Schiff erst recht den Bach runter. Wenn dann doch tatsächlich eine Flut käme, dann wäre alles vergeblich gewesen! Ok, ok, ruhig Blut. Alles würde kommen wie zuvor gesagt. Aber was, wenn wir einige Tiere essen müssten, um die Flut zu überleben? Und überhaupt, nach der Flut, wie ginge es da weiter? Alles schmierig, klebrig, feucht, alles voller Moder und Leichen. Pflanzen, Tiere, Menschen. Hielte ich das aus? Würden wir von hier drin das neue Draußen aushalten? Mir wäre übel, schon ganz ohne Wellengang. Lange bevor das Schiff für seine Reise durch das Wasser ablegte. Ja, ich lebte, und nein, denn ich lebte wie lebendig begraben in einem wasserdichten Sarg. Das machte man doch nur mit, so was hielte man doch nur aus, ohne durchzudrehen, wenn tief in einem drin ab und an etwas erklang, das einen beruhigte, Mut und Zuversicht zusprach so wie eine schöne Melodie es vermochte: Wir warten aber auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung, in denen Gerechtigkeit wohnt (V. 13).
Verstockung, die außer Starr- und Widersinn ebenso Hoffnung gebiert: auf Entgegenkommen und einen guten Ausgang. Zergehen, das ein Dahin- und Verschmelzen wird. Verzweiflung und Zweifel vernichtet, altes Wollen und Besserwissen verstorben, dafür Wissen und Sehnen wie neu. Unglaublich! Aber wahr. Zumindest möglich. Laut der Bibel jedenfalls.
Ob das seine Frau glauben würde? Richtmüller wusste es kaum zu sagen. Als Chefin angesichts ihrer agil trägen Kollegen? Wahrscheinlich würde sie entgegnen: Ja, ja. Der gute Wille. Der möchte wohl gekommen sein. Aber ob der auch trüge? Was wäre mit dem los, wenn´s ans Arbeiten ginge und damit Probleme auftauchten? Wenn Widerstand die Zuversicht schmälerte, so verdünnte, dass diese Aussicht zu und verbaut wäre und dann wie im Nebel ohne Sicht gefahren würde? Dann würde man doch das sinkende Schiff verlassen. Stilles Quittieren hieße das heute, Auswandern ins Innere hat es früher geheißen. Nun ja, Richtmüller ahnte die Einwände seiner Frau. Er selbst war in einer anderen Lage als sie. Sie war es, die letztlich ihrem Chef zu begründen hatte, warum sie dieses getan und jenes gelassen hatte.
Wie dem auch war, er mutmaßte, dass dem Erzähler von Noahs Geschichte solche Einwände bekannt gewesen waren. Und dass der sich zu helfen wusste, indem er allerlei Hindernis und Widerspiel an- und aufführte. Wenn auch nur, um zu zeigen, dass Rettung und Erlösung das alles dann doch überwinden. Noah und seine Leute glaubten in allem Hin und Her dem, was Gott zu ihnen durchtönen ließ: dass das Leben, das Gute, die Oberhand bekäme. Die Menschen gerettet, obwohl sie sich und einander wie lebende Leichen erschauten. Entkommen dem Holzsarg, der sie mit Pech umfasst und festgenagelt hatte. Auf Erden war alles vertilgt, was tötete oder sterblich war. Der Rabe, der vom Ausflug zurückkehrte statt fort zu bleiben. Der steht zum einen für Widerspiel und Verzögern. Der blieb eines Tages dann einfach doch aus. Hatte wohl inmitten all des Todes einen trockenes Fleckchen Erde gefunden. Hielt dort seinen ganz eigenen Hof am Friedensplatz mit Leichenschmaus, der alte Aasfresser. Die Wasser gewichen, so dass dank Gott an einem Fleck neues Leben mitten aus dem Tod entstand. Die Taube wiederum, das alte Neustarttier, steht hier gegen ihren Ruf für Verzögern und Hindernis. Das zeigte sich mit ihrem Mehrmalsflug, nachdem die Flut längst abgeebbt war. Die neue Unschuld brauchte zum Überleben erst noch ein bisschen das schreckliche U-Boot aus altem, krummem Holz. Nach ein paar Flügen und Ausflüchten fand und kam sie endlich auf einen grünen Zweig, und schließlich allein mit sich selbst und der Welt zurecht und blieb aus. Endlich, neues Leben begann überall zu keimen, zu wachsen, zu gedeihen und sich bunt zu färben. Die Menschen standen gut da, als es aufs Ende zulief. Gott steht dafür ein mit seinem Wort. Unglaublich. Richtmüller nahm die Brille ab, hob die Fäuste vor sein Gesicht und rieb sich links und rechts mit den Zeigefingern ausgiebig die Augen. Er schaute zum Fenster hinaus. Draußen im Spätherbst hatte das Dämmern begonnen. Amen.
1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Die Predigt ist nur für das Internet geschrieben. Bestimmte Menschen hatte ich wie fast immer keine vor Augen. Meine IT und ET Azubis dürften bei mir als Berufsschullehrer zwangsläufig mitschwingen. Ohren versuchte ich zu haben für die stumme Stimme, die einem guten Menschen in mir entsprechen mag, und die zu erhören mir leider immer wieder sehr schwer fällt.
2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die im Text des Petrusbriefs erwähnten Endzeitdramen/-szenen und ihre Einschreibung in gegenwärtige Wirklichkeit.
3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dank des Frageadverbs „wie“ ist mir das im Bibeltext explizit fehlende, aber implizit sehr wahrscheinlich vorauszusetzende Verstockungspotential der angesprochenen Empfänger/Leser überhaupt erst aufgefallen.