Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten - Predigt zu 2. Timotheus 2,8a von Henning Kiene
2,8

„Halt im Gedächtnis Jesus Christus, der auferstanden ist von den Toten.“

Von meiner Großmutter habe ich einen Kochlöffel geerbt. Der liegt noch heute in der Schublade, gleich neben dem Herd. Meine Großmutter lebt schon lange nicht mehr, aber ich habe sie noch immer vor Augen: Sie steht am Herd, ganz bei der Sache, rührt ebenso kraftvoll wie konzentriert. Der Löffel schabt hörbar über den rauen Boden des eisernen Kochtopfs. Anbrennen ging schnell, der Topf war – natürlich – nicht beschichtet. Jahrzehnte lang hat sie diesen Kochlöffel benutzt und in den alten Töpfen hat sie das, vormals runde, Löffelholz immer schräger gerührt.

Wenn ich diesen alten Löffel zur Hand nehme, dann spüre ich – natürlich auf einem ganz anderen Niveau – was wir in dieser Osternacht feiern. Das warme, vertraute Holz eines alten Löffels liegt warm in meiner Hand und der würzige Duft, der die ganze Küche erfüllte, steigt mir in die Nase. Ihre Haltung, die sich liebevoll und gründlich dem Kochen widmete, hat sich mir tief eingeprägt. Es gibt eine Nähe, die kann einem selbst der Tod nicht nehmen.

Wir tauchen hier, in der von der Dunkelheit umhüllen Kirche, alle in etwas Vergangenes ein und spüren dessen Gegenwart. Da ist, aus der Perspektive vieler Menschen betrachtet, das Leben für immer verloren und in jeder Hinsicht vorbei, wir aber erleben heute dennoch dessen Gegenwart. Die alten Texte, die wir in der Osternacht lesen und hören, fädeln Vergangenes, schon lange verloren Geglaubtes neu in unser Leben ein. Wir haben eben vom Paradies, von Noah, dem Untergang, Neubeginn und Gottes Versprechen, von Saat und Ernte, Frost und Hitze, wir haben von den toten Gebeinen auf dem Felde, die durch das Wort Gottes wieder ins Leben gerufen werden, gehört, von den Frauen am Grab war die Rede, sie haben den toten Jesus bei den Lebenden wiedergefunden. Sein Leben, sein Wort, die Zeichen, die er tat, haben ihre Kraft behalten, obwohl er tot ist. Und mit jedem dieser Worte, die wir in der Osternacht hören, wird greifbarer, wie die Kraft des Wortes Gottes über die Grenzen, die wir sehen und Tag für Tag erleben, hinaus wirkt.

Als hielte ich einen uralten Holzlöffel in der Hand: Hier wird das letzte Wort nicht dem Tod eingeräumt, sondern am Ende lebt mehr weiter, als jemals tatsächlich sterben kann. Ostern schafft keine Illusion, es sorgt in oftmals unvorstellbarer Weise für eine Realität. Manchmal ist es ein warmes, weiches Holz, das leicht und zuverlässig in der Hand liegt, das eine Brücke baut und den hässlich schwarzen Graben überspannt, der sich zwischen uns, den Lebenden und unseren Toten auftut.

So geht mir der Wunsch der Angehörigen der Passagiere des seit Wochen vermissten Fluges MH 370 nach: Sie wollen endlich und verlässlich wissen, was mit den Menschen, die in dem Flugzeug in die Nacht flogen, geschehen ist. Selbst dann, wenn die Hoffnung auf deren Überleben erloschen ist, versprechen erst zuverlässige Informationen, Gepäckstücke, Teile des Flugzeugs etwas mehr Ruhe. Wer den Tod im ursprünglichsten Sinn des Wortes „begreifen“ kann, hofft trotz der furchtbaren Gewissheit zu einem neuen Anfang finden zu können. Manchen reicht ein kleines Erinnerungsstück, um neue Perspektiven zu erkennen.

Ich bin davon überzeugt, dass viele von uns österlich geprägte Momente kennen und erleben: Plötzlich sind sie wieder ganz nah, die Menschen, die wir einst liebten. Ein Mann erzählt, dass er im Urlaub immer noch seinen Eltern eine Postkarte aussucht. Die Eltern wären heute uralt, aber sie sind, auch Jahre nach deren Tod, noch immer „irgendwie da und nicht ganz tot“. Eine Frau berichtet von der Hoffnung, die die vom Sterben schon deutlich gezeichnete Freundin beseelte. Ihr schenkt diese Hoffnung, obwohl die Freundin noch viel zu jung war, als sie starb, mehr Vertrauen, als deren Sterben, das sie auch miterleben musste. Auferstehung wird in unterschiedlich großer Münze an uns ausgezahlt. Jesu Wort gilt. Es überlebt im Leben erheblich mehr den Tod, als mit ihm stirbt.

Meine Großmutter lebte vor hundert Jahren, als der Erste Weltkrieg ausbrach, schon. In den Hungerwintern nach dem Krieg hat sie mit dem Kochen begonnen. Nachdem ich das erfahren hatte, verstand ich sie besser, wusste genau, warum sie aus den dampfenden Töpfen alles penibel gerecht verteilte, jeder sollte genug auf den Teller bekommen und nicht hungrig vom Tisch aufstehen. Sie erwartete von uns, dass kein Essen weggeworfen wird. „Wie viel Hunger gibt es, Kinder?“, fragte Sie verzweifelt. Natürlich eine rhetorische Frage: Die Antwort war immer: „Viel zu viel!“. Später, in ihrem kleinen Altenheimzimmer hing wieder das gestickte alte Spruchband: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ über ihrem Bett. Jesu Wort, sie hat es Tag für Tag innig gebetet, trägt durch das Leben und es hält darüber hinaus. Gottes Wort überlebt sogar den Tod.

 

Perikope