Hauptsache Christus! - Predigt zu Philipper 1,15-21 von Martin Burger
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Hauptsache Christus! - Predigt zu Philipper 1,15-21 von Martin Burger

Einige zwar predigen Christus aus Neid und Streitsucht, einige aber auch in guter Absicht: diese aus Liebe, denn sie wissen, dass ich zur Verteidigung des Evangeliums hier liege; jene aber verkündigen Christus aus Eigennutz und nicht lauter, denn sie möchten mir Trübsal bereiten in meiner Gefangenschaft. Was tut's aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, dass mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich erwarte und hoffe, dass ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern dass frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod. Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn.
(Übersetzung: Lutherbibel 2017)

 

I.

Allmählich hat sich Epaphroditus an die Besuche im Gefängnis gewöhnt. Die Wärter kennen ihn schon. Der Weg zu der Zelle ist ihm vertraut geworden. Trotzdem: es bleibt ein mulmiges Gefühl, wenn er die Gefängnismauern betritt. Überall so viel Not und Elend. Die heutige Begegnung mit Paulus geht ihm noch besonders nach. So nachdenklich und grüblerisch hat er den Apostel selten erlebt. Nagt die Zeit, die er im Gefängnis verbracht hat, doch zu sehr an ihm? Bereitet er sich gar auf sein Ende vor? Wie sonst sollte er die Worte deuten, die Paulus gesagt hat: „Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn“. Sollte das tatsächlich das Ende sein? Hat Paulus mit dem Leben hier auf dieser Erde abgeschlossen? Epaphroditus kann es nicht glauben. Als er abends in seinem Bett liegt, wird er die Worte von Paulus nicht los. Er kann nicht einschlafen. Wälzt sich herum. Er muss daran denken, wie alles angefangen hat. Damals, als er sich von Philippi auf den Weg gemacht hat, um Paulus im Auftrag der Gemeinde im Gefängnis aufzusuchen.

II.

Die Gemeinde in Philippi hat von der Gefangenschaft des Paulus gehört. Da die Gefangenen von den Essensrationen, die ihnen zustanden, mehr schlecht als recht leben konnten, waren sie auf die Unterstützung durch Verwandte und Bekannte angewiesen. In Philippi wurde eine Sammlung für Paulus durchgeführt, um ihm zu helfen. Dieser fühlte sich mit der Gemeinde besonders verbunden. Der Gemeinde ging es finanziell gut und konnte Paulus deshalb, ohne selber Not zu leiden, unterstützen. Deshalb nahm er ausnahmsweise die Spende für sich an. Für Epaphroditus war es eine besondere Ehre, dass er ausgewählt wurde nach Rom zu reisen, um den berühmten Apostel zu besuchen um die Gabe zu überbringen. Und nicht nur das. Er sollte ihn für eine Weile begleiten und ihm, so gut es eben ging, im Gefängnis behilflich zu sein. Der Gedanke, Paulus im Gefängnis eingesperrt zu wissen, nahm Epaphroditus den Atem. Unvorstellbar, dass der, der unentwegt unterwegs war, um den Menschen Gottes Evangelium vom Heil in Jesus Christus zu verkündigen eingekerkert wurde. Und das unter einer fadenscheinigen Anklage. Als wäre Paulus ein Schwerverbrecher, ein gefährlicher Rädelsführer, wenn er bekennt, dass Jesus der Christus der Herr ist. Der sein Reich nach ganz anderen Maßstäben errichtet, wie das römische Herrscher tun. Paulus hatte noch große Pläne. Er wollte noch viele Länder bereisen, um das Evangelium von Jesus Christus bekannt zu machen. Und nun dies: Apostel und Evangelium in Ketten gelegt, zum Schweigen gebracht. Paulus, der große Apostel, der viele Gemeinden gegründet hat, der von Freiheit gepredigt hat, jetzt in Ketten. Schwach und ausgeliefert. Wie soll denn das weitergehen? Sind die Herren dieser Welt so stark und mächtig, dass sie Gottes Wort binden und ohnmächtig machen können? Zwar freute sich Epaphroditus auf die Begegnung mit Paulus, er hatte aber doch auch Angst davor, wie er diesen antreffen würde. Doch die Befürchtungen waren nach der ersten Begegnung mit dem Apostel wie weggewischt. Da saß keiner im Gefängnis, der Trübsal geblasen hat. Keiner, der am Boden zerstört war. Paulus begegnete ihm offen, mit festem Händedruck und klarem Blick. Der, der ihm da in der Zelle gegenübersaß, war trotz der widrigen Lebensumstände voller Hoffnung und Zuversicht. Das hat sich wohl auch im Gefängnis herumgesprochen. Andere Gefangene wandten sich vertrauensvoll an ihn und wurden ermutigt. Selbst die Wärter behandelten ihn mit Respekt. Eine eigentümliche Kraft ging von diesem Mann aus, der doch so geschwächt war. Man hätte den Eindruck gewinnen können, er sei ein freier Mann – und das im Gefängnis!

III.

Nach ein paar Tagen in der Stadt. Epaphroditus versteht die Welt nicht mehr. Immer wieder hört er in den Häusern der Christen Menschen, die Paulus angreifen. Ja, manche verspotteten ihn regelrecht und klagten ihn an. Wenn er der große Apostel ist, warum ist er dann in Ketten? Wenn er wirklich von dem mächtigen Gott redet, warum ist er dann ohnmächtig und ausgeliefert? Seine Position als Apostel wurde massiv in Frage gestellt. Wie können diese Menschen dann trotzdem noch das Evangelium verkündigen? Wie können sie in Anspruch nehmen, im Namen von Christus zu reden? Das passt doch nicht zusammen. Das muss der Apostel erfahren, wie über ihn geredet wird, wie andere über ihn herziehen. Aufgelöst läuft Epaphroditus ins Gefängnis und berichtet Paulus. Dieser hört geduldig zu und bleibt erstaunlicherweise sehr gelassen. Dann sagte er etwas, mit dem Epaphroditus nicht gerechnet hat: „Weißt du, Epaphroditus, es kommt doch nicht darauf an, was die Menschen über mich sagen oder denken. Nicht ich bin die Hauptsache, sondern Christus. Auch wenn andere neidisch sind auf mich, wenn sie Streit mit mir suchen und aus Eigennutz handeln: es ist doch allein wichtig, dass Christus verkündigt wird.“ Epaphroditus traut seinen Ohren nicht. Paulus geht doch sonst nicht so zimperlich mit seinen Gegnern um. Oder besser gesagt, mit den Gegnern des Evangeliums, das er predigt. Epaphroditus merkt, dass Paulus da genau unterscheidet. Es geht nicht um seine Person, sondern darum, dass Christus gepredigt wird. Und das können auch andere, auch wenn sie es auf andere Art und Weise oder aus welchem Grund auch immer tun. Es geht nicht um menschliche Gereiztheiten, um Ansehen, um die eigene Person. Unweigerlich musste Epaphroditus an so manche Auseinandersetzung denken, die sie auch in Philippi hatten. Wie kleinkariert er sich doch vorkam. Wie schnell streitet man sich über geringe Dinge. Wie schnell hat er über andere geurteilt, die anderer Meinung sind oder das in Frage gestellt, wie sie leben oder was sie sagen. Beschämend dagegen, wie großherzig Paulus hier mit anderen Meinungen und Haltungen umgeht. Das hätte er dem Apostel, der auch ganz schön auf den Tisch hauen konnte, nicht zugetraut. Paulus vertraut ganz auf den Heiligen Geist. Er vertraut darauf, dass Gott sein Reich baut. Er vertraut darauf, dass gerade da, wo es „menschelt“, Christus wirkt. Er möchte sich nicht damit aufhalten, die Motive von anderen zu bewerten. Denn wer will schon darüber urteilen, aus welchen Motiven heraus etwas geschieht? Was er nicht halten und verhindern kann und muss, lässt er los. Dieses Vertrauen lässt ihn kleinliche Streitigkeiten ertragen und anderen etwas zugestehen. Da relativieren sich Feindschaften und Gegnerschaft. Da relativieren sich Unterschiede und Veränderungen. Auf das Wesentliche kommt es an!
Auch wenn Paulus das nicht hören will: Epaphroditius bewundert ihn immer mehr. Er ist fasziniert von der Gelassenheit und Gewissheit, die Paulus ausstrahlt. Durch die Gespräche mit dem Apostel ahnt er, woher das kommt. Paulus betont immer wieder, dass er diese Situation nur durch die Gebete der Gemeinde und den Beistand des Geistes Jesu Christi ertragen kann. Dadurch findet er zu einer heiteren Gelassenheit im Glauben. Die Krise verändert ihn. Er kommt zu einer neuen Haltung gegenüber seinen Gegnern. Und er findet eine neue Haltung zum Leben und zum Sterben.

 

IV.
Eine harte Zeit liegt hinter Epaphroditus. In Rom ist er schwer erkrankt. Lange war nicht klar, ob er mit dem Leben davonkommt. Doch jetzt, da alles überstanden war, drängte es ihn nach Hause zu seinen Geschwistern nach Philippi. In seinem Gepäck hatte er einen Brief, den ihm Paulus mitgegeben hatte. Ein Brief, in dem er vieles von dem wiederfand, was er mit dem Apostel so leidenschaftlich diskutiert hatte. Zeilen, in denen Paulus ungewohnt offen über sich sprach. Zeilen, die tief in das blicken lassen, was für den berühmten Apostel existentiell wichtig ist. Epaphroditus liest über die Situation im Gefängnis, über den Umgang von Paulus mit denen, die ihn angreifen und verspotten und er liest das, was ihn im Gespräch besonders betroffen hat. Worte über das Leben und das Sterben. Gedanken am Ende eines Lebens? Wer weiß das schon. Doch Paulus ist nicht lebensmüde. Es ist eher eine Darstellung dessen, was für den Apostel wohl die Summe seiner Erkenntnis und Grundlage seines Glaubens ist: Christus ist sein Leben und Sterben sein Gewinn. Die Philipper wollten wissen, ob es ihm gut geht. Doch für Paulus sind „Gut“ oder „schlecht“ keine Kategorien. Für ihn ist wichtig, dass er in Christus das Leben hat und im Sterben sein Gewinn liegt. Das stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Weil er weiß, dass er in der Hand von Christus ist. Egal was passiert. Das gibt ihm Kraft zu lieben, zu leben und zu hoffen. Über den Tod hinaus. Er ist durch und durch mit Christus verbunden. Das ist eine neue Lebensqualität. Das ist seine Lebensquelle.

Epaphroditus überlegt, was er denn antworten soll, wenn ihn seine Geschwister fragen, wie es Paulus geht. Er ahnt die Antwort, die wohl Paulus geben würde: „Danke, dem Evangelium geht es gut!“