Heile du mich, HERR! - Predigt zu Jak 5,13-16 von Winfried Klotz
5,13-16

Liebe Gemeinde!

Mit einem Zuspruch an die, Die Schweres zu ertragen haben, beginnt unser Wort aus dem Jakobusbrief, der eine Sammlung von Ratschlägen und Mahnungen für ein Leben als Christ/in ist. Während im Abschnitt vorher zum geduldigen Durchstehen notvoller Lebensphasen gemahnt wird, ist hier der Blick aufs Gebet gerichtet. „Wer von euch Schweres zu ertragen hat, soll beten.“ Das klingt kurz angebunden, findet aber in den folgenden Versen nähere Erläuterung. „Wer von euch Schweres zu ertragen hat, soll beten. Wer von euch glücklich ist, soll Loblieder singen.“ Das sind eigentlich Selbstverständlichkeiten für Menschen, die ihr Leben vor Gott im Vertrauen auf Jesus leben. Aber wir brauchen immer wieder einen Anstoß, damit wir nicht vergesslich nur um uns kreisen. Sein Leben vor Gott führen heißt ihn einbeziehen. Das braucht Gott nicht, der alles kennt und weiß, aber wir brauchen es. Es kann sein, dass wir uns in der Not im Stich gelassen fühlen und in der Freude nur uns selbst feiern. Aber da ist doch noch einer, unfassbar und doch persönliches Gegenüber, dem unser Schweres nicht gleichgültig ist und den unsere Freude erfreut. ER ist doch an uns interessiert, jede und jeder sind IHM wichtig. ER hört auf uns, Tränen der Trauer und Tränen der Freude rühren IHN. ER ist nicht taub und blind. „Er, der den Menschen Ohren gab, sollte selbst nicht hören? Er, der ihnen Augen schuf, sollte selbst nicht sehen?“ sagt Psalm 94,9. Gewiss hört und sieht Gott; unser Beten und Singen, Klagen und Loben lässt uns aufatmen und erhebt uns zu IHM.

Christsein ist nicht nur leben vor Gott, sondern auch leben in der Gemeinde. Unser Wort aus dem Jakobusbrief fährt fort: „Wer von euch krank ist, soll die Ältesten der Gemeinde rufen, damit sie für ihn beten und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben.“ Christen leben vor Gott und in der Gemeinde Jesu. Bist Du ein christlicher Einzelgänger, lass Dich korrigieren. Wir brauchen die Schwestern und Brüder, auch wenn sie nicht immer leicht zu ertragen sind. Wir brauchen ihren Rat und ihre Fürbitte. Der Jakobusbrief stellt uns hier eine besondere Fürbittsituation vor Augen: Wer krank ist, braucht nicht nur einen Arzt, sondern auch eine fürbittende Gemeinschaft! Älteste meint damals die Gemeindeleitung; wir sollten das nicht pressen, der Heilige Geist akzeptiert auch junge Menschen, die im Vertrauen auf Jesus über einem Kranken beten.

Jedenfalls habe ich es so erfahren. Vor vielen Jahren ging es einem Ehepaar aus dem Kreis junger Erwachsener schlecht; sie war schwer erkrankt. Auf ihnen lag deshalb eine große Bitterkeit. Wir – mehrere Personen aus dem Kreis – kamen zusammen, lasen den Abschnitt aus Jakobus 5, tauschten uns darüber aus. Not und Bitterkeit kamen zur Sprache. Dann das gemeinsame Gebet, auch auf das Salben mit Öl haben wir nicht verzichtet. Das Ehepaar hat – auch durch Ärzte – Hilfe erfahren. Ich weiß bis heute, dass ich am nächsten Tag noch mit einer großen Freude erfüllt war, obwohl noch ganz offen war, wie es weitergehen wird.

Was ich hier geschildert habe, ist kein Rezept für Krankenheilung, aber eine Weisung zum Umgang mit schweren persönlichen Nöten. „Ihr vertrauensvolles Gebet wird den Kranken retten,“ sagt unser Wort. Das ist richtig übersetzt; da steht nicht heilen, sondern retten. Als Jesus in Gethsemane gebetet hat, hat ihn das nicht vor dem Tod am Kreuz bewahrt. Aber er empfing im Gebet Kraft. Sein Gebet soll uns Vorbild sein: „Abba, Vater, sagte er, alles ist dir möglich! Erspare es mir, diesen Kelch trinken zu müssen! Aber es soll geschehen, was du willst, nicht was ich will.“ „Alles ist dir möglich“, Jesus zweifelt nicht an der Macht des Vaters im Himmel, zugleich stellt er sich unter Gottes Willen. Können wir so beten, oder meinen wir, Gott müsse unbedingt tun, was wir erbitten? Auch das habe ich schon erlebt, dass eine Gemeinde um Heilung betete, sich aber nicht unter den Willen Gottes stellte. Halten wir das etwa für Zweifeln, wenn wir wie Jesus sagen: ‚Aber nicht mein, sondern dein Wille geschehe‘?

Noch einmal: „Das vertrauensvolle Gebet wird den Kranken retten!“ Das umfasst alles: Leib und Seele, den ganzen Menschen. Ich verstehe den Fortgang des Satzes als Auslegung des Wortes ‚retten‘: „Der Herr wird die betreffende Person wieder aufrichten und wird ihr vergeben, wenn sie Schuld auf sich geladen hat.“ Das brauchen wir doch, wenn wir schwer krank sind, dass wir aufgerichtet werden und ein belastetes Gewissen bei Jesus Befreiung erfährt. Aufgerichtet aus Niedergeschlagenheit, Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit durch Geschwister im Glauben, die uns anhören, Vergebung zusprechen und für uns beten. Aber dürfen wir die rettende Hilfe beschränken auf den inneren Menschen, so als beziehe sich Gottes rettendes Handeln nur auf die Seele? Gewiss nicht! Jesus hatte den ganzen Menschen im Blick. Als vier Männer einen Gelähmtem zu Jesus brachten (Mk. 2, 1-17), – weil das Haus voller Menschen war, ließen sie ihn durch das flache Dach zu Jesus hinab –, hat Jesus ihm Vergebung zugesprochen, dann aber auch seinen Körper geheilt. Und noch ein zweites, anders gelagertes Beispiel: Als zu den Jüngern ein Kind gebracht wurde, das unter Anfällen litt, konnten sie es nicht heilen. Jesus, vom Berg der Verklärung kommend, äußerte sich über die Maßen kritisch über das Versagen der Jünger: „Was ist das für eine Generation, die Gott nichts zutraut! Wie lang soll ich noch bei euch aushalten und euch ertragen?“ (Mk. 9, 19) Müssen wir uns das heute auch sagen lassen, dass wir – wie die Jünger Jesu – Gott wenig zutrauen? Auf die zweifelnde Bitte des Vaters um Hilfe für sein Kind sagt Jesus: „Wer Gott vertraut, dem ist alles möglich.“ Was sollen wir ‚Kleingläubige‘ dazu sagen? Es bleibt uns nur mit dem Vater des Kindes zu rufen: „Ich vertraue ihm ja – und kann es doch nicht! Hilf mir vertrauen!“ Auf die Frage der Jünger, warum sie gescheitert sind, verweist Jesus nach der Markusüberlieferung auf den Weg des Gebetes. Es geht um geduldiges Beten, um ein Warten auf Gottes Stunde, in der nicht wir etwas tun, sondern ER handelt.

Aber ich muss auch die skeptische, nur der eigenen Ratio- (Grundbedeutung: Rechnung, meint das, was berechenbar ist und überprüft werden kann) vertrauende Gegenseite betrachten: Es gibt in unserer säkularen Gesellschaft Menschen, die grundsätzlich bezweifeln, dass Gott einen Kranken heilt, weil für ihn gebetet wurde. Im Internet fand ich eine Predigt unter dem Titel: „Gott ist kein Wunderheiler und kein Regenmacher“ von Gudrun Kuhn. (https://www.reformiert-info.de/Gott_ist_kein_Wunderheiler_und_kein_Regenmacher-9498-0-0-1.html, abgerufen 30.9.2023) Da schreibt eine Predigerin: „Ach, wie soll ich das glauben? Gott – der Wundermann. Schön zu wissen, dass Gott alles kann. Und? Wenn er es kann, warum tut er es nicht?“ Am Maßstab ihrer Erfahrung dekonstruiert die Predigerin das Bibelwort aus dem Jakobusbrief, um es anschließend neu aufzubauen – scheinbar in Anlehnung an Martin Luther, der die Hl. Schrift las unter der Überschrift „was Christum treibet“. Sie stellt fest, dass Jesus als Heiler auftrat, findet es aber viel aufregender, dass er Sünden vergab. Schlussfolgerung: „Die Heilungsgeschichten im Neuen Testament sind äußere Zeichen für das, was im Innern der Menschen, die auf Jesus trafen, geschehen ist: eine Befreiung, ein Neuanfang. Und das wollte der Jakobusbrief, wie ich ihn jetzt lese, weitergeben. Es heißt ja: der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.

Die Verfasserin verweist später auf den historischen Abstand zu Jesus: „Jesu historische Gegenwart lässt sich nicht wiederholen und nicht imitieren. Dafür gibt es keine Stellvertretung. Und – wie ich meine – darf man um solche Heilungen auch nicht beten. Als könne man Gott erpressen und herausfordern, sich dann wunderwirkend zu zeigen, wenn wir es wollen.“

Historischer Abstand – gewiss, aber behaupten wir nicht, Jesus, der Herr, sei unter uns gegenwärtig, wenn wir in seinem Namen versammelt sind? Heißt es Gott erpressen, wenn wir auf Grund der Weisung Jesu beten und bitten? (Mt. 7, 7f) Kinder erbitten manchmal Unmögliches von ihren Eltern; Kinder des Vaters im Himmel dürfen von dem Einen, bei dem nichts unmöglich ist, alles erbitten im Wissen, dass ER ihnen Gutes gibt – seinen Geist schenkt. (Mt. 7, 11- Lk. 11, 13)

Ich kehre zurück zum Predigtwort; im 16. Vers heißt es: „Überhaupt sollt ihr einander eure Verfehlungen bekennen und füreinander beten, damit ihr geheilt werdet. Das inständige Gebet eines Menschen, der so lebt, wie Gott es verlangt, kann viel bewirken.“ Wir sind jetzt, bildlich gesprochen, nicht mehr im Krankenzimmer, um für jemand zu beten, der schwer krank ist. Wir sind vielleicht in einem Hauskreis zusammen oder einem Gremium der Kirchengemeinde, z. B. einer Gemeindeversammlung. Unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Sichtweisen eines Ereignisses prallen aufeinander; es werden Schuldige gesucht, weil etwas schief gelaufen ist. Bei solchen Gesprächen geht es leider immer wieder nicht nur um die Sache, sondern auch um verletzte Ehre, um das eigene Ansehen, den persönlichen Stolz. Das verleiht einem solchen Gespräch eine besondere Dynamik, die Sache wird diskutiert, ist aber eigentlich Nebensache, weil persönliche Befindlichkeit unausgesprochen die Hauptsache sind. Wie befreiend könnte es da sein, wenn jemand ehrlich seine Sicht schildert, eingeschlossen sein Versagen, verbunden mit der Bitte um Vergebung. Wenn also jemand den Mut hätte, Helm und Panzer abzulegen, das Schwert aus der Hand zu legen, und im Vertrauen auf Jesus zu sich zu stehen. Die Masken werden abgelegt, das Versteckspiel beendet, offen und verletzlich wenden wir uns einander zu und gewinnen Gemeinschaft. Es kann sein, dass, wer so handelt, der Dumme ist; das macht nichts, bei deinem Herrn bist du angesehen. Wo aber neue Gemeinschaft entsteht im Bekennen von Schuld und Vergeben von Schuld, da öffnet sich der Himmel, da wird voller Vertrauen gebetet, da geschieht Gesundung an Leib und Seele. Möge unser Herr Jesus uns dazu befreien. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Winfried Klotz

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ergibt sich aus der Predigt.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
--

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Gott unbegreiflich ist, zugleich aber mit IHM zu rechnen ist. ER kann helfen, es kommt darauf an, dass wir auf Jesus schauen!

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
--

Perikope
15.10.2023
5,13-16