Da-dumm. Da-dumm.
Sonntagszeitung, Kleinanzeigen, Stellenangebote: „Herzensschreiber zum nächstmöglichen Zeitpunkt gesucht. Unbefristete Stelle, Vollzeit, für Mann oder Frau mit Erfahrung in Kalligraphie zwecks Beschriftung von Herzen. Einfühlungsvermögen von Vorteil. Aussagekräftige Bewerbung erbeten an Chiffre JER 31 31 34.“
Da-dumm. Da-dumm.
„Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“ (Jeremia 31,31-34, Lutherbibel 2017)
Da-dumm. Da-dumm.
Ach, das hört sich doch sehr nach Liebeskummer an. Da ist der Allmächtige einen ewigen Bund mit einem Menschenvolk eingegangen, und dann lief es ganz anders als von ihm erhofft. Das kleine Israel hatte er für seinen Bund auserwählt: „Sie sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.“ Und wie für ein kleines Kind hatte er alles für Israel getan. An die Hand hatte er sie genommen, mit Mose, und aus der Knechtschaft in Ägypten geführt. Er ist mit ihnen den staubigen Weg durch die Wüste gezogen, hat ihr Genörgel ertragen – „Wann sind wir endlich da?“ – ok, er ist nicht immer seelenruhig geblieben, aber er hat sie mit allem Nötigen versorgt: Mit Himmelsbrot und Lebenswasser, mit Schutz vor Feinden, mit Geboten auf steinernen Tafeln, die das Leben in dem größer werdenden Volk erst möglich machten. Zusammen waren sie im gelobten Land angekommen und hatten das Land urbar gemacht. Er gab seinem geliebten Volk Richter und Könige. Und immer wieder Propheten, die es auf den rechten Weg zurückbringen sollten. Doch im Laufe der Jahrhunderte hatte er immer mehr den Eindruck, dass aus den Kindern Israels pubertäre Jugendliche geworden waren und dass nach der rebellischen Phase nun der Loslösungsprozess begonnen hatte. Wenn es nach ihm ging, würde er seinen Bund ja ewig festhalten, aber offenbar wollten sie nicht mehr. Jeremia hieß jetzt sein Prophet, der dem Volk einen neuen Bund prophezeite. Einen Bund nicht auf steinerne Tafeln, sondern ins Herz geschrieben. Und dafür würde er, Gott, einen Herzensschreiber brauchen.
Da-dumm. Da-dumm.
Was für ein Traum! Gottes Wort im Herzen der Menschen eingeschrieben. Und was für ein Alptraum: Für die Theologieprofessoren, für die Bibliothekare in den theologischen Abteilungen der großen Bibliotheken, für die Hüter der Glaubenskongregation in Rom, und für viele Pfaffen und Pfaffinnen! All das theologische Büchermachen, alles wissenschaftliche Spekulieren und Erklären, was Gottes Wille sei, alle Theologisiererei in ihrer höchsten Kunst hätte dann ein Ende! Und als nächstes schlössen die juristischen Fakultäten und Gerichte, weil alle Menschen automatisch nach Gottes Willen, nach seinen Geboten lebten und in Nächstenliebe handelten. Denn wenn die Menschen Gottes Wort im Herzen haben, dann wissen alle – ach Quatsch, dann spüren alle, was Gottes Wille ist! Dann sind die Menschen eins mit Gott. Und eins mit Gott leben und handeln sie. Und keiner mehr, der den anderen lehrt und sagt: „Das ist aber Sünde.“ Und keine mehr, die die andere lehrt und sagt: „Gott will, dass wir alle Dingens und Kirchens tun.“ Ach, was wäre das für eine Zeit! Aber wie soll Gottes Wort in unsere Herzen kommen? Wer kann die Herzschrift schreiben?
Da-dumm. Da-dumm.
„Ich komme wegen der Stellenanzeige. Ich bin Herzspezialist.“ „Ach“, sagt Gott, „das klingt gut. Kennen Sie sich denn auch mit Herzschrift aus?“ „Das will ich meinen. Ich leite einer der führenden Universitätskliniken und arbeite nahezu täglich mit dem EKG.“„Mit dem Evangelischen Kirchengesangbuch?“ „Nein, mit dem Elektrokardiogramm. »Das Elektrokardiogramm (…) ist die Aufzeichnung der Summe der elektrischen Aktivitäten aller Herzmuskelfasern mittels eines Elektrokardiografen. (…) Gelegentlich wird es auch Herzschrift genannt. (…) Mit dem EKG lassen sich vielfältige Aussagen zu Eigenschaften und Gesundheit des Herzens treffen. Zu beachten ist, dass das (…)EKG nur die elektrische Aktivität des Herzmuskels anzeigt, nicht jedoch die tatsächliche (…)Leistung widerspiegelt.«1“ „Nein, nein!“, rief Gott. „Ich brauche doch keinen Kardiologen! Und auch wenn die ganze Operation am offenen Herzen stattfindet, brauche ich keinen Herzchirurgen! Ich brauche einen Herzensschreiber, der in die Herzen hineinschreibt. Keine Herzschrift über das Herz. Mitten hinein! Ist das denn so schwierig?!“
Da-dumm. Da-dumm.
Letztendlich gab es nur einen geeigneten Bewerber. „Du also.“, sprach Gott. „Hätt‘ ich mir ja auch denken können.“ „Ja. Wer denn sonst, wenn nicht ich?“ „Stimmt. Wer, wenn nicht du... Okay, du bist ab sofort mein Herzensschreiber!“ Also sandte Gott seinen eingeborenen Sohn in die Welt, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
Und so kam der Herzensschreiber in die Welt, der den kleinen Zöllner Zachäus vom Baum pflückte, der für die Frau am Brunnen lebendiges Wasser schöpfte, der der krummen Witwe den Rücken stärkte, der Pilatus staunend zurückließ, der mit den Jüngern neue Wege ging. Sie alle spürten, dass Jesus eins mit Gott lebte und handelte. Durch gemeinsames Essen, wenn sie am Seeufer zusammen Fische grillten, durch Worte, durch kleine Gesten erreichte er ihr Herz, so dass manch eine hinterher flüsterte: Ich bin Gott selbst begegnet.
Ja, Jesus ist der neue Bund. Denn tief in sein Herz eingeschrieben ist Gott. Und so wird Jesus selber zum Herzensschreiber. So hat sich die Prophezeiung von Jeremia weder an dem Volk Israel noch an der ganzen Menschheit verwirklicht, sondern in nur einem Menschen: Jesus Christus, einig Gottessohn und eingeborener Herzensschreiber.
Da-d..
Und nun ist er weg. Am Donnerstag. Verschwunden. Auf in den Himmel oder wo auch immer hin. Und seitdem ist er nicht wiedergekommen. Bis heute nicht. Stattdessen hat das Büchermachen und die Theologisiererei angefangen. Denn wer wusste jetzt noch genau, was Gottes Wille ist, wenn der einzig wahre Herzensschreiber doch wieder verschwunden war?
Für die Jünger muss das eine Katastrophe gewesen sein, als Jesus verschwand. Auf einmal waren sie auf sich alleine gestellt. Da aber Jesus wusste, wie es den Jüngern ergehen würde, ließ er ein Abschiedsgeschenk da, den Heiligen Geist. Nur ist dieser Heilige Geist, dieser Windhauch, diese Feuerflamme, nicht so fassbar wie ein Jesus von Nazareth, mit dem ich Wasser schöpfen oder Fische grillen kann. Und doch spüre ich manchmal diese Geistkraft. Wenn sie nämlich Menschen begeistert. Wenn zum Beispiel beim Kirchentag (jetzt beim Katholikentag) alle anfangen zu summen, zu singen. Dann ahne ich etwas von der Begeisterung, mit der die Jünger unterwegs waren.
Insofern ist der Geist kein Herzensschreiber, sondern ein Erinnerer.
Er erinnert uns an die Geschichten, die wir vererbt bekommen haben.
Von Generation zu Generation, von Herz zu Herz.
Bei den Jüngern war das durch das gemeinsame Leben mit Jesus noch eine komplette Herzensschrift. In unseren Herzen finden wir mit Hilfe des Geistes
einen Abglanz durch die Zeiten.
Klangreste, Wüstenspuren,
leuchtende Buchstaben einer Schrift,
die der eingeborene Herzensschreiber
irgendwann einmal vervollständigen wird.
Amen.
1 I www.wikipedia.org/wiki/Elektrokardiogramm, abgefragt am 8. Mai 2018