Heute handeln – Predigt zu Lukas 12,42-48 von Tom Mindemann
12,42-48

Heute erinnern wir noch einmal an unsere Toten. Und es tut gut, dass wir dabei nicht allein sind. Wir trauern gemeinsam. Beziehungsweise wir sind in je unserer eigenen Trauer um je einen anderen Menschen untereinander solidarisch. Wir haben öffentlich die Namen unserer Verstorbenen genannt. Wir sind nicht allein dafür verantwortlich, ihre Erinnerung zu bewahren. Wir teilen diese Aufgabe und vertrauen diese Toten Gott an, dass er sie für sich behält.

Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden. Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.

Jesus erzählt seinen Jüngern ein Gleichnis Er erzählt von einem Hausherrn, der, so lange er außer Haus ist, einen Verwalter einsetzt, um sein Haus zu bestellen. Nichts Außergewöhnliches verlangt er von ihm. Nur dass er jedem im Gesinde gibt, was ihm zusteht. Dass er den Mägden und Knechten ihren Lohn gibt, zu essen gibt – und zwar pünktlich.

Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?

Alles gut, wenn alles klappt, wenn der Hausherr nach Hause kommt – unangemeldet – und alles so vorfindet wie er es erwartet hat. Schlimm wenn er den Verwalter erwischt, wie er sich in der Position des Chefs häuslich niedergelassen hat. Wie er nicht nur nicht tut, was ihm aufgetragen wurde, sondern sich im Fressen und Saufen ergibt, und schlägt, die ihm anvertraut sind.

Lukas erzählt die Geschichte in seinem Evangelium. Zuerst einmal meint er nicht uns, sondern seine Gemeinde, an die er schrieb. Man hat sich häuslich niedergelassen im römischen Reich. Versucht sich einigermaßen mit der Staatsmacht zu arrangieren, um nicht unangenehm aufzufallen; um die Gemeinde und den neuen Glauben nicht in Gefahr zu bringen. Fast 60 Jahre, nach dem Jesus gestorben und auferstanden war, ist der Blick darauf, dass Jesus bald kommen würde, ein wenig abgeschweift. Der Hausherr kommt wieder – sicher, lässt Lukas Jesus in dem Gleichnis sagen. Aber sicher nicht, wann ihr es erwartet.

In diesem Punkt sind wir gar nicht so weit weg von der Situation von Lukas und seiner Gemeinde. Immer noch steht aus, dass Jesus kommt. Aber die Frage hat sich geändert. Obwohl manche Prognose des Klimas, manche Entwicklung in Politik und Gesellschaft den Anschein erwecken, jetzt könnte es wirklich bald soweit sein – schauen wir nicht oft auf das Ende aller Zeiten. Was uns beschäftigt – vor allem heute – ist das Ende einer Zeit, je der Zeit eines unserer Menschen, um die wir trauern und an die wir denken.

Und der Herr sprach: Wer ist nun der treue und kluge Verwalter, den der Herr über sein Gesinde setzt, dass er ihnen zur rechten Zeit gebe, was ihnen an Getreide zusteht?Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, solches tun sieht.

Schön ist es, bei aller Trauer, wenn das klappt. Wenn das Haus bestellt ist. Wenn Abschied möglich war. Fragen und Aussprache. Wenn nichts offen geblieben ist an Konflikten und Irritationen. Wenn wir einander loslassen konnten, und das Heft aus der Hand legen; dem Hausherrn das Haus und uns und die, die uns am Herzen liegen seiner Hausherrschaft übergeben konnten.

Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr lässt sich Zeit zu kommen, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen

Schlimm, wenn das nicht klappt.

Ein Streit kann ganze Familien auseinander bringen. Eine Frau hatte einmal geheiratet. Und bei der Hochzeit muss irgendwas passiert sein. Der Bräutigam hatte sich dem Onkel der Frau gegenüber unangemessen verhalten. Es gab Streit zwischen ihrem Vater und eben seinem Schwager. Keiner redete mehr mit dem anderen. Und alle Familienmitglieder bis ins dritte oder vierte Glied wurden aufgeteilt, ob sie zu dem einen oder dem anderen stehen sollten. Die Ehe hielt nicht lange. Doch der Streit dauerte 20 Jahre. Inzwischen sind beide Schwager tot. Eine Aussprache war wohl nie möglich. Und es zerreißt die förmlich, die dazwischen geraten waren.

Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, und hat nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden. Wer den Willen des Herrn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden.

Man spricht oft von einem Schicksalsschlag, wenn ein Mensch stirbt. Und manch einer fragt sich: Hätte ich was anders gemacht, wenn ich nur gewusst hätte, dass es das letzte Mal sein würde, als wir uns sahen? Hätte ich liebevoller, verständnisvoller, klarer sein sollen. Hätten wir uns doch bloß noch mal ausgesprochen.

Ein Beerdigungsgespräch. Ein Mann, 82 Jahre alt, war im Seniorenheim verstorben. Früher saß er oft Zuhause in seinem Ohrensessel, wo man das Fußteil so herausklappen konnte. Er schaute aus dem Fenster und hörte dabei Radio.

Als Egon, so hieß er, wieder einmal ins Krankenhaus musste, hat die Familie Rat gehalten, wie es denn weitergehen sollte. Egons Frau konnte die Pflege allein nicht mehr stemmen. Ein Platz im Seniorenheim war wohl das Beste für alle Beteiligten. Der Ohrensesel sollte natürlich mit. Und eine Stehlampe, die immer in der Ecke stand. Das erste, was Egon sagte, als er sein neues Zimmer sah, war: „Wo ist das Radio?“ „Das bringe ich dir morgen mit“, versprach der Sohn. Am nächsten Tag musste der Sohn länger arbeiten. Und der Reifenwechsel war dringend dran, schließlich könnte es bald kälter werden. Außerdem war Mutter ja an diesem Tag bei Egon gewesen. „Dann fahr ich eben morgen hin.“ Am Abend kam der Anruf. Egon war tot. Eine Nacht hatte er im Seniorenheim geschlafen und einen Tag dort verbracht bis zum Abend. Das Radio aber stand noch immer in der alten Wohnung.

Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.

Bei dem Verwalter hat der Hausherr nur die Erfüllung dieser einen Aufgabe gesucht, als er ihn über sein Gesinde setzte. Er sollte ihnen zur rechten Zeit geben, was ihnen an Getreide zustehe.

Uns hat Jesus die Hoffnung anvertraut.

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde.

Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen.

Gott wird abwischen alle Tränen.

Der Tod wird nicht mehr sein.

Als wir Egon beerdigten, stellten wir die Urne mit seiner Asche in ein Columbarium, in ein Loch in eine Steinwand auf dem Friedhof, was danach mit einer Platte verschlossen wurde. Und Egons Sohn stellte ein kleines UKW-Radio dazu – ohne Batterien, wegen der Umwelt. Natürlich wird Egon niemals dieses Radio benutzen – ohne Batterien. Neben seiner Urne. Und doch: in diesem kleinen Teil Elektro-Schrott steckt Hoffnung. Hoffnung, dass verpasste Gelegenheiten nicht ewig verloren sein müssen. Hoffnung, dass die letzte Minute nicht über ein ganzes Leben entscheidet. Bei den Menschen ist’s unmöglich; aber bei Gott sind alle Dinge möglich.

Amen.

Perikope
26.11.2017
12,42-48