„Heute ist hier der Teufel los!" Dem verdienstvollen Küster platzte der Kragen. Nach einem langen Festgottesdienst mit Kirchenmusik und Abendmahl warteten im Kirchenportal zwei Tauffamilien auf den Taufgottesdienst, der im Anschluss stattfinden sollte. Irgendwie war der Taufgottesdienst zwischen den vielen Terminen der Woche untergegangen. Nun musste schnell das Taufbecken geschmückt, die Taufkanne und die Taufkerzen bereitgestellt werden. Während die vielen Besucher des Festgottesdienstes zum Ausgang drängten, suchten die beiden Tauffamilien mit Kinderwagen und großem Anhang ihre Plätze. Im Gewühl des Kirchenschiffes schoss es aus dem Küster heraus: „Heute ist hier der Teufel los!"
Alle Umstehenden mussten herzlich schmunzeln! Mitten in einer Kirche, zwischen Fest- und Taufgottesdienst, lag ein besonderer Witz in der dahingeworfenen Floskel, die den Teufel wie an die Wand malte. Natürlich meinte der gehetzte Küster den unerwarteten Betrieb und Trubel in der sonntäglichen Kirche.
Doch zugleich hat der Ausruf des Küsters den Nagel auf den Kopf getroffen. Der Glaube mitten in der Kirche hat es mit einem Kampf zu tun - mit einem Kampf auf Leben und Tod wegen der „listigen Anschläge des Teufels" (Eph 6,11). Wer es mit dem christlichen Glauben zu tun bekommt, der steht mitten auf einem Kampfplatz.
„Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels" (Eph 6,11), heißt es im Wort der Bibel für die Predigt am heutigen Sonntag. Darin hören wir, sagt Martin Luther, „dass wir Christen sollen Krieger sein, und dass unser Stand kein müßiger ist, bei dem sich ruhig schlafen ließe". Der christliche Glaube ist keine behagliche Aue. Er ist ein Kampfplatz zwischen den Gewalten, zwischen der teuflischen und der göttlichen Macht.
Gleichwohl suchen viele Menschen gerade in der Kirche so etwas wie Frieden und Harmonie und eine möglichst konfliktfreie Atmosphäre. Man sehnt sich nach einer Ruhezone vom Alltag ohne teuflische Herausforderungen und Konflikte.
Es ist eine große innere Gefahr für die Kirche, wenn der christliche Glaube zu einer Verlängerung der behaglich gewärmten und ordentlich aufgeräumten Wohnstube wird, in der nichts die Ruhe am Sonntag stören darf. Denn nicht die behagliche Aue, sondern der Kampfplatz ist die wahre Situation des Christenmenschen. Ein Christenmensch lebt zwischen den Fronten und Gewalten. „Der Mensch ist ein Reittier", sagt Martin Luther, „entweder wird er von Gott oder vom Teufel geritten."
1. Die teuflische Macht (Eph 6,10-13)
Das Wort aus dem Brief an die Epheser, das wir in der Predigt miteinander bedenken, spricht völlig unverkrampft von den „listigen Anschlägen des Teufels" (V 11) und den „bösen Geistern unter dem Himmel" (V 12). Es schwingt eine mythische Redeweise und Bildersprache mit, die wir heute nicht einfach nachsprechen und nachvollziehen können. Zwischen der Abfassung des Briefes an die Epheser und unserer Zeit liegen immerhin zwei Jahrtausende.
Doch die Sprachbilder der alten Zeit sind nicht einfach naiv. Sie stellen nicht etwas in den Raum, was es nicht gibt. Das wäre Illusion wie in einer Bühnenshow. Vielmehr machen die alten Sprachbilder sichtbar, was unsichtbar ist. Das ist die Kunst des Sprache und ihrer Bilder. Nach dem Brief an die Epheser ist der Teufel kein „Gegner aus Fleisch und Blut" (V 12), sondern eine unsichtbare Macht, die die menschlichen Kräfte weit übersteigt.
Es gibt einige Kunstwerke in dieser Kirche, die die unsichtbaren teuflischen Mächte zu versinnbildlichen und sichtbar zu machen versuchen. So sitzen im Unterbau des Taufbeckens aus dem 15. Jahrhundert kleine Bestien und Dämonen, die hinaufkriechen und den Täufling bedrohen. Bereits mit der Taufe wird deutlich: Der christliche Glaube ist kein Müßiggang.
Des Weiteren finden sich Fratzen und Drachen als Kapitelle und Schlusssteine im Mauerwerk dieser Kirche. Fratzen und Drachen versinnbildlichen, welche Gewalten und Mächte Menschen bedrohen und beherrschen können.
Man könnte all die Dämonen und Fratzen als alte Kunst und naiven Volksglauben abtun. Und als aufgeklärte Menschen tun wir das in der Regel ja auch. Wir haben uns nicht zuletzt dank der Reformation von vielen altertümlichen Legenden und Bildern befreit. Erstaunlich ist allerdings, dass beispielsweise in vielen Fantasy- oder Science-Fiction-Filmen skurrile Gestalten auftauchen: Gnome, Geister, Elfen, Zauberer und andere mehr. So alt die Rede von teuflischen Mächten im Brief an die Epheser auch sein mag – in modernen Filmproduktionen tauchen sie wieder auf der Leinwand auf: dämonische Figuren, teuflische Gegner, fratzenhafte Gestalten. Der Filmregisseur Steven Spielberg hätte die kleinen Dämonen, die unter dem Taufbecken hocken, nicht besser erfinden können!
Wir werden die Bilder von dämonischen Figuren, teuflischen Gegnern und fratzenhaften Gestalten nicht los, weil wir uns selbst nicht loswerden! Das Teuflische, das Böse ist immer auch eine dunkle Potenz im Menschen, tief verborgen. Mit einem Mal kann das Böse ohne Vorwarnung ausbrechen und die scheinbar so festen zivilisatorischen Maßstäbe und Gepflogenheiten sprengen: ein Volk folgt wie hypnotisiert einem Potentaten oder einer Partei. Ein Amokläufer erschießt ohne Vorwarnung Mitschüler und Lehrer. Ein Copilot fliegt trotz aller Sicherheitsvorkehrungen ein Flugzeug gegen Felsen. Fanatiker aus bürgerlichen Familien zünden Bomben an Flughäfen und in Innenstädten. Journalisten stellen im Brustton der Aufklärung Sündenböcke an den medialen Pranger. Ein Vater reißt mit dem Sprung von einer Brücke zwei Söhne mit in den Tod. Eruptiv und explosiv bricht sich das Böse Bahn.
Das Teuflische am Teufel ist, dass er sich in unseren Sehnsüchten und Wünschen verbirgt. Aus dem Gutgemeinten wird auf einmal das Gegenteil. Der Weg zur Hölle ist häufig mit guten Vorsätzen gepflastert. Der Teufel steckt nicht nur im Detail, er steckt auch in unseren Träumen und Fantasien.
Als Jesus ganz am Anfang seines Weges vom Teufel in der Wüste versucht wird, stellt der Teufel Fragen, die in jedem menschlichen Herzen aufblühen und Blüte treiben: Wie wäre es, denkt sich ein gutmeinender Entwicklungshelfer, die Macht zu haben, „Steine in Brot zu verwandeln" (Mt 4,3)? Wie wäre es, denkt sich eine gutmeinende Sozialpolitikerin, „alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zu besitzen"? (Mt 4,8) Der Weg zur Hölle, wie gesagt, ist häufig mit guten Vorsätzen gepflastert.
Das Böse fällt nicht einfach vom Himmel. Es ist die eigene dunkle Möglichkeit in jedem Menschen selbst. In einer Tagebuchnotiz heißt es: „Man unterscheidet zwei Arten von Teufeln: degradierte Engel und beförderte Menschen." Je mehr Macht Menschen anhäufen - von Beförderung zu Beförderung -, um so teuflischer kann es zugehen: in Vorstandsetagen, in Ministerien, in Parteizentralen, in Fußballverbänden, in Kirchenämtern. Die teuflische Macht findet Verbündete in uns, ohne dass wir es merken.
In Goethes "Faust" heißt es: „Den Teufel spürt das Völkchen nie, und wenn er sie beim Kragen hätte." Auf einmal überkommen den Menschen Gewalten, die seine Kräfte übersteigen. Dann brechen die zivilisatorischen Dämme, die man mit vielen Gesetzen und Konventionen meint gesichert zu haben. Dann wird das Edle und Gute im Menschen überrannt, auf das man so viele gute Stücke gehalten hat. Nichts hält, nichts dichtet, nichts hilft, wenn „der böse Tag" kommt (Eph 6,13):
Man möchte Gott die Ehre geben – „Ich bin der Herr, dein Gott" (Ex 20,2) - und vergöttert das Geld und die Karriere.
Man möchte seinen Ehepartner lieben – „Du sollst nicht ehebrechen" (Ex 20,14) - und macht einem anderen schöne Augen.
Man möchte aufrecht sein – „Du sollst nicht falsch Zeugnis reden" (Ex 20,16) - und redet über andere hinter vorgehaltener Hand.
Man möchte rechtschaffen sein – „Du sollst nicht stehlen"(Ex 20,15) - und unterschlägt Kapitaleinkünfte bei der Steuererklärung und „hübscht“ die eine oder andere Rechnung auf.
Es gibt teuflische Kräfte, die wir nicht beherrschen. Es gibt teuflische Kräfte, die alles durcheinander bringen: das Gute und das Böse, das Hohe und das Tiefe, das Göttliche und das Menschliche. Am Ende weiß man nicht mehr, wo oben und unten ist, was des Menschen Aufgabe und was Gottes Gnade ist. Diabolos heißt der Teufel im griechischen Urtext im Brief an die Epheser. Diabolos heißt wörtlich übersetzt: der Durcheinanderbringer. Am „bösen Tag" (Eph 6,13), der da kommen wird, kommen die diabolischen Kräfte und stiften ein Durcheinander. Dann hält man den Krieg für Frieden, die Lüge für Wahrheit und den Menschen für einen Gott, der Steine in Brot zu verwandeln vermag. Hier wird jeder von „Mächtigen und Gewaltigen" (Eph 6,12) überrannt als kämen die teuflischen Heerscharen hernieder. Hier gibt es kein Halten aus eigener Kraft. Deshalb erinnert und mahnt der Apostel Paulus seine Freunde in Ephesus:
„Seid stark in dem Herrn und in der Macht seiner Stärke. Zieht an die Waffenrüstung Gottes, damit ihr bestehen könnt gegen die listigen Anschläge des Teufels."
2. Die göttliche Macht (Eph 6,14-17)
Hätten wir doch so etwas wie eine geistliche Waffenrüstung im Kleiderschrank hängen! Wenn der „böse Tag" graut, der früher oder später kommen wird, wäre sie Gold wert. Der Brief an die Epheser hat die Ausrüstung eines römischen Fußsoldaten vor Augen und beschreibt detailliert die einzelnen Ausstattungsteile der „Waffenrüstung Gottes" (V 11): den Waffengürtel der Wahrheit, den „Panzer der Gerechtigkeit", die Stiefel des Friedens, das „Schild des Glaubens", den „Helm des Heils und das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes" (V 14). Es fällt auf, dass nahezu alle Ausrüstungsteile dem eigenen Schutz und der Verteidigung dienen. Allein „das Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes", kann aktiv und kämpferisch eingesetzt werden. Die Angriffswaffe eines Christenmenschen ist das Wort. Das Wort Gottes, um sich gegen teuflische Attacken zur Wehr zu setzen. Jesu Waffe in der Wüste, als er versucht wurde, war das Wort und nichts als das Wort:
„Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (Dtn 6,13): 'Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.' Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel zu ihm und dienten ihm." (Mt 4,10f)
Das Wort kann entwaffnen, selbst teuflische Mächte. Sehr eindrücklich sind mir die Erzählungen in Erinnerung geblieben von Christian Führer, Pfarrer an der Nikolaikirche in Leipzig. Ich besuchte Pfarrer Christian Führer mit einer Studentengruppe, um über die Wendezeit in Leipzig und in der Nikolaikirche zu hören. Immer wieder schwor Christian Führer seine Mitstreiter darauf ein, vorbereitet zu sein, wenn der böse Tag kommt. Der Tag der Verhaftung, der Tag des Verhörs, der Tag der Anklage. Dann müsse man ein Wort bei sich tragen. Din Wort, an das man sich halten könne, um im Kampf zu bestehen oder zumindest zu wissen, für welchen Kampf man eingesperrt werde. Das rechte Wort kann entwaffnen – die Unwahrheit, die Indoktrination, die Anwerbung und Verführung. Auf einmal verschwanden in der Wendezeit die bösen Geister wie der Teufel in der Wüste verschwand, als Jesus das rechte Wort fand und sprach.
Flüchten wir uns ins Wort wie ein Hase in die Steinritze flieht! So etwas wie eine riesenhafte Steinritze ist die gemauerte Stadtkirche Wittenberg. Sie ist ein besonderer Ort des Wortes.[1] Hier lässt sich ins Wort flüchten: in das gelesene, in das gesungene, in das gepredigte, in das gemalte Wort. Hier werden wir in vielen Gottesdiensten und Konzerten zugerüstet mit dem „Schwert des Geistes, welches ist das Wort Gottes". Deshalb kriechen und krabbeln am Taufbecken nicht nur Bestien und Dämonen empor. Es steht auch ein Schwertträger abwehrbereit parat - der Apostel Paulus. Paulus spricht in seinem Brief an die Epheser Worte zu, die mit der „Waffenrüstung Gottes" einkleiden. Denn die geistliche Waffenrüstung hat niemand einfach im Kleiderschrank hängen! Niemand besitzt sie. Sie lässt sich nur ausleihen, weil allein Gottes Schränke und Schubladen angefüllt sind mit Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden.
„Heute ist hier der Teufel los!" So platzte es aus dem Küster heraus mitten im Trubel im Kirchenschiff. Mitten in der Kirche und mitten im Leben kommt auf einmal der böse Tag, wenn der Teufel los ist – teuflische Mächte, die die menschlichen Kräfte weit übersteigen. Für den bösen Tag, der da kommen wird, sollte man Worte kennen, die zurüsten und schützen. Man sollte diese Worte am besten auswendig lernen. Dann kann man sie tragen wie eine unsichtbare Rüstung, wie ein unsichtbares Gewand. Man könnte beispielsweise damit anfangen, Jesu Worte auswendig zu lernen, der er in der Wüste sprach, als der Versucher vor ihn trat:
„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht." (Mt 4,4)
„Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen." (Mt 4,10)
Wessen Herz und Seele eine Rüstung aus Worten trägt, der wird „nüchtern" sein an dem bösen Tag, wenn der „Widersacher, der Teufel, wie ein brüllender Löwe umhergeht" (eg 786,1). Wenn es mitten in deinem Leben heißt: „Heute ist hier der Teufel los!"
[1] Der Ort des Wortes. Die Stadtkirche Wittenberg als Ort des gepredigten, des gemalten und des gesungenen Wortes, in: Luther 87 (2016), 154-166.