Himmelfahrt und Führerschein - Predigt zu Apg 1,3-11 von Christoph Kock
1,3-11

Frau Ludewig macht den Führerschein
[Dieser Einstieg stammt von Thomas Hirsch-Hüffel, Die Zukunft des Gottesdienstes beginnt jetzt. Ein Handbuch für die Praxis, Göttingen 2021, digitaler Anhang S. 78.]

Frau Ludewig ließ ihren Mann die Überweisungen für die Bank schreiben. Sie ließ ihn den Wagen steuern bei den Fahrten von Hamburg-Barmbek nach Grömitz zu ihrem kleinen Wohnwagen. Sie schaute mit ihm Lindenstraße, auch wenn sie lieber im Garten im Hof gesessen hätte. Dafür schnitt er am Wochenende das Gemüse und brachte eine Flasche Sekt mit, damit sie beide ein bisschen feiern konnten.
Manchmal träumte sie davon, ein Flugzeug selbst zu steuern. Immer wieder startete sie erfolgreich im Traum, aber nach ein paar Kilometern landete sie im Vorgarten ihrer Eltern. Da großes Theater: Die Hecke kaputt! Wie kannst du nur … Immer wieder diese Szene nachts. Einmal hat sie Paul morgens davon erzählt. Er hat gegrunzt und gesagt: Na, du willst ja hoch hinaus. Mach doch erstmal Führerschein, ich zahl’s auch. Hat sie nicht. Warum auch, er fuhr gern und sie fuhr mit.
Vor zwei Jahren hat sie ihren Mann nach 34 Jahren Ehe hergeben müssen.
Erst ging gar nichts mehr. Die beiden Söhne kamen oft, weil sie kaum essen wollte. Der Pastor sagte: Tragen Sie doch eine Weile schwarz. So machte sie es. Und es tat ihr gut, ihre Trauer zeigen zu können. Die Söhne schrieben die fälligen Überweisungen und bestellten ihr ein Taxi.
Eines Tages wachte sie auf, hörte die Vögel schimpfen, sah die leere und saubere Hälfte des Ehebettes an und schüttelte den Kopf. Sie ging an den Schrank, warf seine Anzüge in einen Karton, zerlegte das Bett und wartete beim Kaffee auf die Ladenöffnung. Eine Woche später stand ihr neues, schmaleres Bett im Zimmer.
Dann ging sie auf die Bank und ließ sich zeigen, wie man Überweisungen ausfüllt. Sie ließ sich vom älteren der Söhne auf einem alten Flugplatz zeigen, wie man ein Auto steuert. Meldete sich beim Führerschein an, fiel einmal durch und bestand beim zweiten Mal. Nun fährt sie – nach Kopenhagen. Weil sie das Licht so schön findet da oben.

Die Jünger sind dran

Wir sehen Jesus stehen mit seinen Jüngern ohne Führerschein. Sie sind ihm nachgefolgt. Dorthin gegangen, wohin er gegangen ist. Sie haben ihn die Richtung vorgeben lassen. Sie haben gemacht, was er gesagt hat. So einfach ist das gewesen. So viel haben sie mit ihm erlebt, Zeichen und Wunder. Manchmal verborgen in überraschenden Begegnungen: Mit Leuten haben sie am Tisch gesessen, mit denen sie wahrscheinlich sonst kaum ein Wort gewechselt hätten. Als Jesus tot ist, sitzen sie herum und können nicht eine einzige Überweisung ausfüllen.

Eines Tages sehen sie, wie Jesus in den Himmel aufsteigt. Sie sehen ihm hinterher, hängen ihren Gedanken nach. Zwei Engel sprechen sie an:
»Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen wurde, wird wiederkommen – genauso wie ihr ihn habt in den Himmel gehen sehen.« (Act 1,11)
Und jetzt? Was sollen sie jetzt tun? Warten, bis Jesus wiederkommt. Ihnen wieder sagt, wo es lang geht. Ihnen wieder sagt, was zu tun ist. Da können sie lange warten. Die Jünger sehen sich ratlos an und schon haben sie die Blickrichtung geändert.

Und dann denken sie: Was Jesus konnte, das können wir auch. Kommt, wir ziehen los und feiern das Licht, das wir aus seiner Nähe kennen. Wir sammeln Menschen und erzählen von ihm, feiern Taufe und Abendmahl, suchen nach dem, was verbindet.
Die Jünger werden selbständig unterwegs sein, eigene Entscheidungen treffen. Klar, sie werden Fehler machen. Aber das ist nicht entscheidend. Das Leben geht weiter und das Evangelium zieht weite Kreise. Darauf kommt es an. Ohne es zu merken, machen die Jünger den Führerschein. Zu Pfingsten wird das gebührend gefeiert.

Geschenkte Kraft

Zugegeben, Gott hat ihnen dabei geholfen. Oder Jesus selbst. Das ist kaum voneinander zu unterscheiden. Das haben die Jünger später gemerkt. Worte sind ihnen in Erinnerung geblieben. Jesu Worte. Ihre Fragen und seine Antworten. Wann sich Gottes Reich durchsetzen wird? Jesus hat ihnen kein Datum genannt. Bis es soweit ist, bekommen sie alle Hände voll zu tun: „Aber wenn der Heilige Geist auf euch herabkommt, werdet ihr Kraft empfangen. Dann werdet ihr meine Zeugen sein – in Jerusalem, in ganz Judäa und Samarien und bis ans Ende der Erde.“ (Apg 1,8)
Gottes Geist, ihre Kraft. Kraft fürs Reden und für weite Wege. Fürs Begegnen, Lernen, Reisen. Ein Geschenk mit Ansage: „Johannes hat mit Wasser getauft. Aber ihr werdet in wenigen Tagen mit dem Heiligen Geist getauft werden.“ (Apg 1,5)

Immer deutlicher tritt zu Tage, wie Jesus sie auf den Abschied vorbereitet hat. Was sie mit ihm erlebt haben, was er ihnen erklärt hat, was er angekündigt hat. Alles zielt darauf, dass sie selbständig unterwegs sind, in seinem Namen zwar, aber auf ihren eigenen Füßen. Mit ihrem Denken und Handeln. Gottes Reich, Sehnsucht und Motivation gleichermaßen. So anders und doch mittendrin. Was manche sehnsüchtig erwarten, hat schon längst angefangen. Jesus war davon durchdrungen, hat davon gesprochen, bis zuletzt (Apg 1,3).
Dann wird den Jüngern klar: Das war erst der Anfang. Jetzt sind sie gefragt. Sie schauen sich an und freuen sich auf das, was da noch kommt.

Musikalisches Intermezzo: Max Giesinger und Lotte, 2018

Es geht grad erst los, ich will so viel noch sehen
Will gegen die Wand fahren und wieder aufstehen
Will der größte Optimist sein, wenn's tagelang nur regnet
Will Stunden verschwenden und nicht so viel planen
Mich in Träumen verlieren und von vorne anfangen
Ich will nie mehr Pessimist sein, wenn wir uns mal begegnen

Wenn ich so an all das denk‘
Will ich, dass es jetzt beginnt

Auf das, was da noch kommt
Auf jedes Stolpern, jedes Scheitern
Es bringt uns alles ein Stück weiter zu uns
Auf das, was da noch kommt
Auf das, was da noch kommt
Auf Euphorie und alles Leichte
Hoff‘, das wird lange noch so bleiben für uns
Auf das, was da noch kommt

(nach 1:19 min. ausblenden)

Auf das, was da noch kommt

Was da noch kommt. Wenn man heute Jüngerinnen und Jünger fragt, wird von Problemen die Rede sein. Dort, wo sie in Presbyterien Verantwortung für die Kirche übernommen haben, steht eine lange Liste auf der Tagesordnung. Schutzkonzept, Arbeitssicherheit, KiTa. Besonders schwierig: Die Verbindung von Steinen und Menschen. Gemeinden werden heute kleiner. Anders als am Anfang, von dem die Apostelgeschichte noch berichten wird. Wie man kleiner wird? Dazu kein Hinweis in der Bibel. Ich habe nachgeschaut. Vom Größerwerden wird erzählt und von den Herausforderungen, die das mit sich bringt. Wir haben andere Baustellen.

Manche Gebäude werden heute oder spätestens übermorgen nicht mehr gebraucht oder müssen des Klimas wegen umgebaut werden. Wie geht man mit Immobilien um? In der Apostelgeschichten wird von Gemeinden erzählt, aber sie besitzen keine eigenen Häuser. Die Kirche hat am Anfang keine Kirchen. Und den Denkmalschutz gibt es auch noch nicht. Erstaunlich, worüber die Bibel alles schweigt.
Und doch liegt sie vor uns auf dem Altar. Wir blicken zurück in eine fremde Welt. Wir erinnern uns an Jesus und sind zugleich selbständig unterwegs. Jesus wird uns nicht sagen, was wir tun und lassen müssen. Aber Jesus vertraut darauf, dass wir gemeinsam zu Entscheidungen kommen. Wege finden, heute seine Zeuginnen und Zeugen zu sein. Durch das, was wir sagen, und das, was wir tun. Wir schauen auf die Bibel und blicken uns zugleich an.

Was da noch kommt. Gemeinschaft erleben, auf vielfältige Weise und mit Menschen, die verschieden sind. Wie vor sechs Wochen beim Osterfrühstück hier in der Friedenskirche. Mehrere Generationen zusammen am Tisch. Menschen kommen miteinander ins Gespräch, feiern das Fest das Lebens. Was da noch kommt? Ein Gottesdienst zum Stadtradeln auf dem Marktplatz. Ein zweites Tauffest, hoffentlich in diesem Jahr unter freiem Himmel am Auesee. Eine Reise nach Rom. Kirche Kunterbunt, Orgeldinner, Kinderkirche. Was da noch kommt. Die Liste ist lang. Ich freue mich darauf.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Dr. Christoph Kock

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Eine Kirche im Krisenmodus. Bewährte Strukturen (im Rheinland vorzugsweise: presbyterial-synodal) scheinen nicht mehr zu passen. Wahlen zum Presbyterium fallen mangels Kandidat:innen aus. Den Verantwortlichen vor Ort wird immer mehr abverlangt: Schutzkonzept, Arbeitssicherheit, Gebäudeanalyse, energetische Sanierung … Die Verantwortung wächst, während die Gemeinden kleiner werden. Jesus („Ich bin dann mal weg“) mutet seinen Leuten eine Menge zu.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Himmelfahrt und Führerschein: Eine tolle Skizze von Thomas Hirsch-Hüffel hat mich sofort angesprochen. Ich habe seinen Text als Anfang für eine Predigt zu Himmelfahrt verwahrt und war darauf neugierig, was aus der Geschichte von der Witwe, die den Führerschein macht, werden wird.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Die beiden Engel stellen den Jüngern eine Frage: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel?“ Die Blickrichtung beschäftigt mich. Wohin schauen? Was tun? Das korrespondiert miteinander: Nach oben schauen und auf Jesu Rückkehr warten oder einander anschauen und die Zeit nutzen, die bis dahin bleibt. Ich verstehe die Frage als Aufforderung an die Jünger:innen, die Blickrichtung zu wechseln und selbständig unterwegs sein, in Jesu Namen zwar, aber auf eigenen Füßen.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Irgendwann ist mir klar geworden, dass ich mich zuerst mit dem letzten Vers des Predigttextes beschäftigt habe. Wie wäre es, von V 11 an ‚rückwärts‘ zu predigen und den Bogen zu Jesu Reden über Gottes in V. 3 zu schlagen? Ich habe es ausprobiert, zumal der Text als ganzer in der Lesung seinen Raum hat.

Perikope