Himmlisch unkonventionell!
Liebe Gemeinde,
Es könnte sein, dass Sie einmal gefragt werden! Dass Sie gefragt nach Ihren inneren Bildern und Hoffnungen angesichts dessen, was einmal kommt, wenn wir diese Erde verlassen. Freilich, das ist kein alltägliches Thema, und gerne schieben wir solcherlei Fragen auch weit von uns und raunen etwas irritiert: „Das hat hoffentlich noch lange Zeit!“
Und doch: es könnte sein, dass wir gefragt werden! Am Krankenbett einer lieben Freundin oder eines Angehörigen: „Was glaubst Du, kommt etwas oder nichts, wenn ich jetzt bald gehe?! Und wenn ja, wie wird es sein?“
Und ganz unabhängig davon, ob wir glauben können, dass es eine Auferstehung, ein Leben nach dem Tod gibt oder nicht, so können wir uns nicht einfach aus der Verantwortung stehlen und mit einem Schulterzucken oder einem dürren: „keine Ahnung, ich weiß es auch nicht…“ einen Menschen sich selbst und seiner Frage überlassen.
Berthold Brecht hat in seiner Hauspostille ernüchternde Worte gefunden:
„Lasst euch nicht verführen!
Es gibt keine Wiederkehr.
Der Tag steht in den Türen,
Ihr könnt schon Nachtwind spüren
Es kommt kein Morgen mehr.“ –
So die erste Strophe. Die letzte Strophe endet mit dem schmallippigen Satz:
„Ihr sterbt mit allen Tieren
und es kommt nichts nachher“.
Das ist zu wenig - meine ich. Ein dicker Punkt am Schluss. Dunkles Nichts. Wenigstens ein Fragezeichen könnte am Schluss stehen, oder ein Fragezeichen kombiniert mit einem vagen Doppelpunkt. Wenigstens das.
Wir sind auch uns selbst eine Antwort schuldig. Und wir sind einander eine Antwort schuldig.
Wir könnten nachfragen, ob es Bilder und Hoffnungen gibt, die der Kranke in sich trägt oder ob es eine Vision gäbe, wie das für ihn oder sie im besten Falle aussehen könnte oder was sich jemand im tiefsten Herzen wünschen würde.
Vielleicht ein Sein oder Nicht-mehr-Sein immerhin ohne Schmerz und Leid, ein Sein in der Geborgenheit einer großen göttlichen Liebe, ein Gehen in ein helles freundliches Licht, wie es häufig in der Bildenden Kunst dargestellt ist. Ich meine, wir sind geradezu dazu verpflichtet, wenigstens einige Bilder und Hoffnungen anzubieten, darunter auch Bilder und Geschichten aus der Bibel. Egal, ob wir sie uns zu Eigen machen können oder nicht, wir sollten sie wenigstens kennen und sie einem suchenden Menschen anbieten können. Da sind die kostbaren Auferstehungsgeschichten mit den Engeln am leeren Grab. Da ist die Rede von den Wohnungen Gottes, in welchen Christus uns selbst einen Platz bereitet hat. Da malt uns die Offenbarung das Bild vom himmlischen Jerusalem, einem Ort, an dem es kein Leid und keinen Schmerz und keine Tränen mehr gibt und wir in der unmittelbaren Nähe Gottes uns auf immer geborgen wissen. Es gibt noch viele kostbare Bilder – das Erblicken Gottes von Angesicht zu Angesicht, das Sitzen im Schoße Abrahams. Welches wäre mein Bild, meine innere Vision, was wünsche ich mir?
In unserem heutigen Predigttext geht es um die Frage nach dem Reich Gottes. Es geht um das, was kommen wird, dermal einst. Aber es geht gleichzeitig auch um das, was bereits mit Christi Kommen angebrochen ist, was sich mit ihm in dieser Welt schon heilsam und hoffnungsvoll verändert hat. Und eben auch darum, was wir Menschen tun können, um im Sinne Christi ein Stück Himmel auf Erden beharrlich durchzusetzen. Jede und jeder an ihrem und seinen Ort.
Wir erfahren in unserer Geschichte aus dem Lukasevangelium:
Himmlisch unkonventionell geht es im Reich Gottes zu!
Gottseidank!
Das Gleichnis Jesu vom Reich Gottes steht im Zusammenhang einer theologischen Auseinandersetzung Jesu mit Pharisäern und Schriftgelehrten. Wichtige kluge Leute. Honoratioren. Ehrengäste, man kennt sich. Glaubensexperten. Gesetzestreue. Zum Essen war er geladen im Haus eines Oberen der Pharisäer. Vornehm wird es zugegangen sein. Höflichkeit und Etikette werden gewahrt, selbstverständlich! Aber argwöhnisch stellen sie ihn auf die Probe, sie „belauerten ihn“, heißt es in der Lutherübersetzung. Wir kennen das: Freundliche Minen, aber dahinter finstere Gedanken, wie man jemanden bloßstellen und eines Fehlers überführen könnte. Geistige oder geistliche Überlegenheit demonstrieren, so ganz nebenbei. Machtspiele, bisweilen ganz subtile.
Jesus aber lässt sich nicht beirren, er heilt am Sabbat, nachdem auf seine Frage, ob es am Sabbat erlaubt sei, zu heilen – nur vielsagendes Schweigen kommt. Er heilt. „Wer ist unter euch, dem sein Sohn oder sein Ochse in den Brunnen fällt und der ihn nicht alsbald herauszieht, auch am Sabbat?“
So schlicht sind mitunter scheinbar hochkarätige theologische Fragen zu lösen.
So menschenfreundlich. Die Liebe wird eindeutig der Gesetzestreue übergeordnet.
Die Anwesenden schweigen dazu.
„Sitz- und Rangordnung“ ist das nächste Thema. Jesus stellt fest, dass die anwesenden frommen Leute, wie alle anderen auch, gern den besten Platz einnehmen möchten, aber
die Sucht nach Ehre vergiftet alle Gemeinschaft. Er stellt die himmlische Ordnung dagegen: „Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöht werden.“ Irritierend. Himmlisch anders: Ehrung von Gott erhält nur der, er unten am Tisch sitzt und sich gerade keiner Ehrung für wert hält. Ehre von Gott bekommen wir Menschen durchaus, aber unberechenbar, unverdient, aus reiner Gnade. Aus göttlicher Liebe.
Und dann wird es noch unkonventioneller, wenn Jesus zum Gastgeber sagt:
„Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade weder deine Freunde noch deine Brüder noch deine Verwandten noch reiche Nachbarn ein, damit sie dich nicht etwa wieder einladen und dir vergolten wird. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Verkrüppelte, Lahme und Blinde ein, dann wirst du selig sein, denn sie haben nichts, um es dir zu vergelten, es wird dir aber vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“
Eine Zumutung. Heute wären es Bootsflüchtlinge, körperlich Entstellte, geistig Behinderte, Geschlagene und Missbrauchte. Obdachlose, Bettler dort in den Fußgängerzonen und unter den Brücken. Kinder, deren Blick keinerlei Hoffnung mehr spiegelt. Alte Menschen, die vor dem Fernseher einsam verelenden. Und je mehr wir nachdenken, und je achtsamer wir uns umblicken, desto länger könnten wir die Reihe derer fortsetzen und erschrecken darüber.
Sie alle können eine Einladung nicht erwidern, geschweige denn diese überbieten. Sie können nichts zurückgeben, denn sie haben nichts.
Tischgemeinschaft ist im Orient ein Bild engster Freundschaft. Auch Jesus selbst ist eingeladen und nicht in der Lage, eine Gegeneinladung auszusprechen. Selig preist er den Gastgeber, weil er mit dieser Einladung an ihn die starre weltliche Ordnung durchbrochen hat, in der alles auf Leistung und Gegenleistung zielt. Daraufhin greift einer der Gäste die Seligpreisung des Gastgebers auf und weitet sie aus: „Selig, wer das Brot isst im Reich Gottes.“ Er hat verstanden, dass es hier und jetzt bei diesem Essen am Sabbat um das Reich Gottes geht. Und Jesus erwidert ihm und den anderen Gästen:
Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen, ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen, ich bitte dich, entschuldige mich. Und der dritte sprach: ich habe eine Frau genommen, darum kann ich nicht kommen.
Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast, es ist aber noch Raum da. Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde. Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird.
Ich gehe gerne auf Feste, wo es ein gutes Essen, kostbare Begegnungen und gute Gespräche gibt. Ja, wer ginge nicht gerne auf ein Fest! Noch dazu zu einem Gastgeber, der wirklich alles daran setzt, dass es ein besonders schönes Fest wird und: der es an nichts fehlen lässt!
Nichts schien dagegen zu sprechen, die Einladung anzunehmen. Sonst hätte man das ja bereits getan, nachdem man die Einladung bekommen hatte. Gründe gibt es ja durchaus, eine Einladung auch abzulehnen. Man fürchtet, es kämen Menschen, mit denen man nicht recht ins Gespräch kommt. Man ist vielleicht dem Gastgeber nicht allzu sehr verbunden ist oder mutmaßt, dass manche einem durch ihre ewig gleichen Geschichten oder ihr Gehabe gewaltig auf die Nerven gehen.
Diese Einladung aber schien verlockend! Auf solch ein Fest freut man sich lange im Voraus und hält sich den Termin frei von anderen Verpflichtungen. Und wie in der damaligen Zeit üblich, ergeht kurz vor dem Fest noch einmal eine persönliche Erinnerung. Ganz und gar ungewöhnlich ist aber nun das Verhalten der geladenen Gäste. Für sich genommen sind die einzelnen Motive und Entschuldigungsgründe durchaus begreiflich: Stress in der Arbeit, dringende Geschäfte, familiäre Beweggründe. Ackerkauf, Ochsengespanne, eine junge Ehefrau, die man aber schließlich auch mitbringen könnte. Aber im Gesamtzusammenhang sind die Absagen weder begreiflich noch vernünftig, sondern geradezu anstößig.
Die Erzählung handelt, wenn Jesus sie erzählt, nicht von einem menschlichen Gastgeber, sondern von Gott. Und ihm gegenüber verhalten wir Menschen uns manchmal ganz und gar unverständlich, stellen die Notwendigkeiten des Alltags über das Fest der Gegenwart Gottes, und halten womöglich die Einladung für einen Dauerkarte, die man auch später noch nutzen könnte. Wir merken nicht, dass gerade jetzt der Moment ist, nichts anderem als dieser Einladung zu folgen! Es gibt keinen Aufschub! Gott gibt sich die Ehre. Wir sollten seine Ehre nicht verletzen!
Die Antwort Gottes auf die Meldungen seines Knechtes ist Zorn! Aber, erstaunlich: der Zorn führt nicht, wie beim menschlichen Kränkungen, zur Absage des Festes. Nicht wie bei den Großen und Kleinen dieser Welt. Im Gegenteil! Er folgt einer anderen Logik. Er folgt der Logik der Liebe. Und die ist, wie wir ja schon festgestellt haben, ganz und gar unkonventionell. Himmlisch anders. Hat einen langen Atem.
Das Fest Gottes findet statt, allem zum Trotz! Es muss unbedingt stattfinden. Seine Liebe zu uns Menschen muss unbedingt gelebt und gefeiert werden. Sie duldet keinen Aufschub, keine Absage.
An die Stelle der zuerst Geladenen treten nun andere Gäste. An ihnen wird deutlich, wie wenig angewiesen der Gastgeber auf den Wert und Rang seiner Gäste ist. Jesus selbst sitzt ja bereits bei Zöllnern und Sündern. Mit ihm hat das Fest schon längst begonnen, ist das Reich Gottes angebrochen! Und nach dieser Regel werden nun Menschen eingeladen, die sonst keinen Platz in der feinen Gesellschaft haben: Blinde, Lahme, Krüppel, Mittellose. Dem Gastgeber kommt es einzig und allein darauf an, die Tafel zu besetzen und sei es durch Leute von der Straße und aus den finstersten Gassen und den stinkenden Unterführungen. Mehr noch: sogar die von den Landstraßen und Zäunen und den Booten auf dem Mittelmeer, die Allerletzten der Aussichtslosen sind eingeladen, auf dass sein großzügiges reiches Haus voll
werde! Ein Gastgeber, der sich, wer weiß, wenn sein Zorn verflogen ist, sich doch noch selbst derer in Gnade erbarmen könnte, die seine Einladung ausgeschlagen haben?!
Sie sollen kommen, die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Juden und Heiden, die Völker weltweit, die Promovierten und die Einfältigen, die Taktierer und die mit Herzensbildung, die zweifelnden Mittelalterlichen, so viele, die auf Platz – und Sinnsuche sind. Alle eben, die der Liebe bedürfen. Und solcher Liebe bedürfen wir doch alle! Junge wie Alte. Arme wie Betuchte, gepiercte Tätowierte und die in feinen Stoffen. Vernachlässigte und gequälte Kinder ganz besonders, aber auch all die Satten Sinnentwöhnten. Wir sehnen uns nach Liebe, die maßlos und bedingungslos ist, die jeden und jeden wahrnimmt. Die wirklich sieht: nur dich, nur mich, „mich ganz allein“, wie Kinder manchmal selig sagen.
Wir sehen uns nach einem Gott, der mir und dir, jedem und jeder nachläuft. Unermüdlich.
Liebe Gemeinde: bei wem sonst wären wir gleichermaßen bedingungslos geliebt?!
Welch ein grandioses Willkommen-Sein, welch übergroße Liebe, die uns nun aber auch dazu drängen müsste, das wir unsererseits Menschen die Freundschaft zu bieten, die üblicherweise nicht mit uns verkehren. Jetzt gilt es, Gottes bedingungslose Liebe zu teilen, und darin alle erfahrene göttliche Liebe weiter zu geben. Überwältigend. Maßlos. Jeder und jede auf eigene Weise.
Der Gastgeber kommt zum Ziel: das Haus wird voll!
Das Fest gelingt, weil die Gäste gerne kommen. Sie haben nichts zu besorgen und insofern nichts zu versäumen. Sie sind ganz und gar präsent. Sie sind präsent, wie nur Kinder es in vollkommener Weise sein können: im Glück seliger Selbstvergessenheit.
Im Moment absoluter Freiheit und vollkommener Erfüllung. Menschen, die dem Druck der Zeit und der Verpflichtungen entnommen sind. Ja, der Feiernde ist ein Urbild des freien Menschen.
Und wir alle sind einladen, frei oder wenigstens freier zu werden, um aus der Fülle gegebener Zeit zu leben, hier und jetzt.
Das Fest Gottes geht weiter! Es geht dort weiter, wo Liebe unter den Menschen gelebt wird, fassungslos großzügig, bedingungslos und ohne nach Gegenleistung zu fragen.
Wer sich aus den Verpflichtungen lösen kann und feiert, der hat auch wieder Kraft für die alltäglichen Herausforderungen.
Das Fest Gottes geht weiter, das Fest der Liebe, das Lied der Liebe in unseren Herzen.
Und das soll kräftig weiter klingen in Ohren und Herzen der Menschen!
Auf einem Glasfenster in einer kleinen Krankenhauskapelle ist das große Festmahl wunderbar dargestellt. Dort ist der Tisch nicht nur in einem hellen strahlenden Saal festlich und überreich gedeckt, sondern dort hängen auch Instrumente, Geigen, Flöten Harfen. Alles ist voll von Musik und Lachen, das Lied der Liebe spielt im Herzen, fröhliches Sitzen am Tisch Gottes, neben geliebten Menschen und in Gottes Nähe.
Für mich ist das auch ein Bild für die Zukunft im Reich Gottes, wenn es einmal vollendet sein wird. Zu sagen: nichts kommt. Dunkel. Schluss.
Das ist zu wenig. Gebt hungrig fragenden Menschen ein Bild mit vom gedeckten Tisch, dem übervollen Tisch, an dem Gottes Freude Raum nimmt und die Liebe alles erfüllt.
Dort mögen wir einmal alle einen Platz finden, an dem wir ohne Wenn und Aber aus tiefstem Herzen willkommen sind und selige Freude herrscht.
Vielleicht müssen wir dafür wieder werden wie die Kinder. Müssen einfach der Einladung folgen: “Kommt, denn es ist alles bereit.“ „kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen sei, ich will euch erquicken. „ Vielleicht können wir wie Kinder voll Vertrauen den offenen Armen eines liebenden Vaters entgegen eilen. Uns selig aufheben und herumwirbeln lassen. Und dann mit strahlenden Augen sitzen an seinem Tisch, bedingungslos geliebt. Amen.
Vorschlag: Lied: 222