"Hinterher? Hinterher! Mit Zwischenschritten" - Predigt zu 1. Petrus 2,21-25 von Dörte Gebhard
2,21-25

"Hinterher? Hinterher! Mit Zwischenschritten"

Liebe Gemeinde
"Hinterher ist man immer klüger."
Oder, wie es sogar 'Programm' ist beim Kabarettisten Horst Evers:
"Hinterher hat man's meist vorher gewusst."

1. Hinterher?

"Hinterher ist man immer klüger."
Schnell halte ich meinen eigenen, rasanten Gedankengang auf.
Wirklich?
Zweifel zwacken mich.
Ziemlich viele, wenn ich an den christlichen Glauben denke.
Mein Zaudern zwingt mich zum Nachfragen, ehe ich mit der Nachfolge beginne.

"Hinterher ist man immer klüger."
Wir heutigen Christen sind weit "hinterher", keine Frage.
Aber ist jemand auch tatsächlich klüger als die früher Glaubenden?
Wir Heutigen sind diejenigen, die zur Nachfolge berufen sind und eigentlich schon klüger geworden sein sollten, wenn das Sprichwort stimmt.

Aus dem 1. Petrusbrief lese ich aus dem 2. Kapitel die Verse 21-25:

21 Dazu seid ihr berufen worden; denn auch Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr seinen Spuren folgt. 22 Er hat keine Sünde begangen und in seinem Mund war kein trügerisches Wort.
23 Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.
24 Er hat unsere Sünden mit seinem Leib auf das Holz des Kreuzes getragen, damit wir tot seien für die Sünden und für die Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr geheilt. 25 Denn ihr hattet euch verirrt wie Schafe, jetzt aber seid ihr heimgekehrt zum Hirten und Bischof eurer Seelen.                                                                                                     (Einheitsübersetzung 1. Petr 2, 21-25)

Liebe Gemeinde
Wir hören von unserer Berufung nicht nur ein bisschen später, sondern so richtig nachträglich, deutlich "hinterher". Das Beispiel Christi, von dem im 1. Petrusbrief die Rede ist, gibt es seit 2000 Jahren. Viele Vorfahren von uns hatten also schon viel Zeit, um klüger zu werden.

2. Hinterher!

Christinnen und Christen sind berufen zur Nachfolge. Christi Spuren sollen sie nachgehen.
Luther hat es noch anschaulicher gesagt: Ein Christ soll in seine, in Jesu Fußtapfen treten.

So geht es los: Jesus Christus ... hinterher!
Genau jetzt, mitten in der Predigt, müssen wir aufbrechen zu einem Gedanken-gang. Denn wir bekommen keine Vor-schrift vorgehalten.
Schon gar nicht bekommen wir ein simples, zu kopierendes
Vor-bild vor die Nase gesetzt. Wir sollen vorauslaufenden Spuren folgen.

Das ist ein großer Unterschied, ob man ein Brett mit Bildern vor dem Kopf hat (und mögen die Bilder auch noch so bewegt, animiert und optimiert sein), oder ob man sich selbst auf Spurensuche machen muss.
Vor uns liegt zweifellos ein fast(!) "zu weites Feld"[1].
Im 31. Psalm hatte es geheißen, dass Gott unsere Füße auf weiten Raum stellt. Das ist keinesfalls eine Übertreibung.

Jesus Christus hat auf diesem weiten Feld Spuren hinterlassen. Er hat in seinem kurzen Erdenleben und seiner noch viel kürzeren Wirk- und Wanderzeit viel mehr Spuren hinterlassen, als jeder heute 'normalsterbliche' Hundertjährige.

Auch nicht die größten Feinde und Ignoranten, auch nicht die Spötter und die völlig Stumpfen bezweifeln das.
Aber diese Spuren müssen gesucht werden vor dem Finden.
Sie müssen gefunden werden vor dem Folgen.
Sie müssen verfolgt werden ... bis auf weiteres.
Die Sicht ist dabei mehr als frei. Niemand, auch nicht Jesus Christus selbst, der Auferstandene, steht uns im Blickfeld. Der menschliche Blick schweift frei herum, nichts kann ihn aufhalten. Unsere Freiheit ist zweifellos fast(!)  zu groß.

Fängt ein Mensch mit dem Nachfolgen an, so bemerkt er gleich und nicht erst später oder gar erst hinterher, dass sich um die Spuren Jesu herum alles gewandelt hat: die Zeiten und die Leute, die weite Welt und das alltägliche Wetter, die Weggefährten und die Wegweiser sowieso.
Dazu muss sich niemand erst groß umgucken.
Und die Fußtapfen, die im 1. Petrusbrief, die überhaupt im Neuen Testament aufgezeichnet sind, wurden auch erst hinterher festgehalten, nachträglich, nach Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen.
Denn wenn überhaupt, ist man frühestens hinterher etwas klüger, wenn auch nie klug genug für Gottes Wege in der Welt.

Folgt man dem ersten Petrusbrief, so lebt und glaubt man mit den dort nachgezeichneten Fußtapfen gleich auf wahrlich großem Fuß.

Vom 'Vorläufer' Jesus Christus heißt es:
Er hat keine Sünde begangen und in seinem Mund war kein trügerisches Wort.
Er wurde geschmäht, schmähte aber nicht; er litt, drohte aber nicht, sondern überließ seine Sache dem gerechten Richter.

Wenn ich mich umgucke, sehe ich zuerst die Spuren, die ich schon hinterlassen habe. Zweifellos sind sie nicht nur schön.
Es gibt zweifelhaftes Zickzack und anhaltendes Zaudern, auf der Stelle treten, ohne dass ich auf dem Wege der Besserung gewesen wäre. Verirrt wie Schafe, so klingt es wenig schmeichelhaft im 1. Petrusbrief, aber es ist wahr.

Wie oft passierte es schon , dass ich genau das zurückgegeben habe, was ich bekam? Unfreundlichkeiten, ein unhöfliches Wort, Kränkungen auch, manche waren leider auch noch leicht zu überbieten.
Schlagfertig.
Zynisch.
Dabei halte ich mich gar nicht für besonders rachsüchtig.

Ehrlicherweise muss ich auch zugeben, dass ich mit dem Schmähen auch schon angefangen habe, dass ich schon gedroht habe, ohne dass sich etwas zu erleiden hatte, dass ich vor allem gar nichts vom Streiten irgendwem überlassen habe, sondern selbst gerichtet habe und mir dabei noch eingebildet habe, so käme die Gerechtigkeit wieder, jedenfalls in meine, kleine Welt.

Die vorauslaufenden Spuren Christi zeigen den Weg in die Gewaltfreiheit, der schon in Kopf und Herz und im Mund, nicht erst mit Hand und Fuß beginnt.
Die Gewaltfreiheit muss sich zuerst in Gedanken und Worten den Weg ebnen, sie fängt nicht erst bei den Werken an.

Mahatma Gandhi war im 20. Jahrhundert ein Mensch, der es nicht nur weiter als die meisten gebracht hat auf diesem Weg, sondern auch in der Lage war, von den ferneren Gefilden noch einen gute Landkarte zu zeichnen.
Mahatma Gandhi war zugleich ein Mann, der nicht nur den Anfang des Weges viel weiter vorn sah, sondern auch viele andere bewegen konnte, dorthin umzukehren, immerhin in Gedanken, also in Kopf, Herz und Mund.
 
Gandhi sah nicht nur die Gewaltlosigkeit vor, also den Verzicht auf Gewalt in einer bestimmten Situation, sondern sogar die völlige Gewaltfreiheit, also die prinzipielle Abkehr von jeglicher Gewalt.
Ihm ging es um die Kraft der Wahrheit und der Liebe, die jedem Menschen zur Verfügung steht. Gandhis Vorstellung war geprägt von fast(!) unvorstellbarer Einseitigkeit beim Denken und Tun des Guten:
„Jede und jeder soll unabhängig davon, was irgendeine andere Person tut, damit beginnen gut zu sein ...“[2]
Bei Gandhi zählten z. B. schon negative Gedanken und übermäßige Eile zu jener 'Gewalt', die einer umfassenden Leidensfähigkeit, tiefgehendem Mitgefühl, der Geduld und dem Frieden mit sich und den Mitmenschen im Wege steht.
Er war ein weit Fortgeschrittener in den Spuren, die im 1. Petrusbrief Jesus Christus nachgezeichnet werden.

3. Mit Zwischenschritten

Christi Spuren nachfolgen?
Oder auch nur Gandhis Gedanken ernsthaft und konsequent nachgehen?
An dieser Aufgabe kann man verzagen!
Zwischenschritte sind nötig!

Ein erster Zwischenschritt: Nicht klaglos Schmähungen und andere Qualen erleiden, passiv und tatenlos, sondern mit Fantasie Widerstand leisten, aktiv und wenn es sein kann, sogar mit Humor. Ich weiss nicht, ob Sie den Fussballverein von Deinste in Niedersachsen kennen. Er ist eine kleine Weltreise mit der Maus wert - im Internet.

Der Fussballkreisligaverein Deinste SV ist nicht heimgesucht von wunderbaren Erfolgen oder völlig unglaublichen Talenten. Im Gegenteil, auch dort hat man mit leider alltäglichem Rassismus zu kämpfen.
Ein sudanischer Fussballspieler wurde wegen seiner Hautfarbe fremdenfeindlich beleidigt und geschlagen, nicht bei einem Fußballspiel, sondern anlässlich eines Osterfeuers.
Der Verein reagierte und änderte kurzerhand sein Profilfoto auf Facebook. Nun posieren die Spieler in drei Reihen, alle tragen den rot-schwarzen Vereins-Trainingsanzug, blicken in die Kamera. Und alle haben ein schwarzes Gesicht.

Mit dem digital bearbeiteten Mannschaftsbild setzt der Verein ein Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Sie schreiben auf facebook: "Gewalt gegenüber Flüchtlingen ist erbärmlich! Emad und Amar - ihr gehört zu uns, wie jeder andere vom Deinster Sportverein und wir freuen uns, dass ihr bei uns seid!!!"[3]
(Zu Ostern waren dem Fussballverein übrigens drei Siege vergönnt, aber diesmal kam es darauf nicht an.)

Ein Spieler litt, und dann hatte einer eine gute Idee. Ganz gleich, wer es war.
Einer wurde beschimpft, aber alle waren dann bei diesem speziellen Gruppenfoto dabei.

Christi Spuren nachfolgen?
Mit Humor und ohne Angst.
Dennoch:
An dieser Aufgabe kann man verzagen!
Und wir spielen auch nicht alle Fussball ...
Zwischenschritte sind nötig!

Ein ganz anderer Zwischenschritt:
In die Oper gehen und Mozart hören. In der "Zauberflöte" singt Sarastro seit 1791: "In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht."
Und wenn man dann die Rache gar nicht mehr kennt, geht man leichtfüßig auf die Suche nach solch 'Heil'gen Hallen'!

So kann man Christi Spuren nachfolgen.
Aber Oper ist nicht jedermanns Sache!

Aber wir Jetzigen sind nun doch etwas dahinter gekommen!
Ich zweifle nun auch nicht länger, dass wir jetzt - hinterher - doch ein wenig klüger geworden sind - oder sogar gemerkt haben, dass wir es doch schon vorher gewusst haben.

Hinterher ist man doch klüger!
So wird jeder selbst und jede für sich einen Zwischenschritt, bald viele Zwischenschritte finden, die helfen, den fast(!) zu grossen Fußtapfen Jesu Christi zu folgen, ihm hinterher zu gehen und zuletzt, auch wenn wir uns verirren wie Schafe, heimzukehren zu Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bei jedem Schritt, Amen.

[1] Theodor Fontane: Effi Briest, 1894/95, wiederkehrende Leitformulierung.

[2] Zitat und ganzer Absatz vgl. Wikipedia, Art. Gewaltlosigkeit. Von Hans Ruh ist mündlich folgender ethischer Lehrsatz überliefert: "Einseitig das beidseitig Richtige tun."

[3] Vgl. facebookseite des Deinster SV. 

Perikope
10.04.2016
2,21-25