Ich möchte nicht allein sein - Predigt zu Mt 26,36-46 von Andreas Schwarz
26,36-46

36 Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu den Jüngern: Setzt euch hierher, solange ich dorthin gehe und bete. 37 Und er nahm mit sich Petrus und die zwei Söhne des Zebedäus und fing an zu trauern und zu zagen. 38 Da sprach Jesus zu ihnen: Meine Seele ist betrübt bis an den Tod; bleibt hier und wachet mit mir! 39 Und er ging ein wenig weiter, fiel nieder auf sein Angesicht und betete und sprach: Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch an mir vorüber; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! 40 Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend und sprach zu Petrus: Konntet ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? 41 Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt! Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist schwach. 42 Zum zweiten Mal ging er wieder hin, betete und sprach: Mein Vater, ist's nicht möglich, dass dieser Kelch vorübergehe, ohne dass ich ihn trinke, so geschehe dein Wille! 43 Und er kam und fand sie abermals schlafend, und ihre Augen waren voller Schlaf. 44 Und er ließ sie und ging wieder hin und betete zum dritten Mal und redete abermals dieselben Worte. 45 Dann kam er zu den Jüngern und sprach zu ihnen: Ach, wollt ihr weiter schlafen und ruhen? Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. 46 Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Herr, segne dein Wort an unseren Herzen. Amen.

Wenn wir aus der Schule nachhause kamen, stand das Essen fertig auf dem Tisch. Unsere Mutter hatte es nicht nur zubereitet. Kartoffeln, Zwiebeln und Gemüse kamen aus dem eigenen Garten. Das Obst für den Nachtisch ebenso. Sie war halt so gern im Garten. Das war ihr Leben. Da fühlte sie sich wohl. Das war ihr Zuhause.
Da ist man mitten drin im Leben. Im Säen und Ernten, im Wachsen und Reifen, im Sterben. Bei Wind und Wetter, allem ausgesetzt, was gut tut und nötig ist, was bedroht und zerstört. So ist das Leben. Der Garten als die kleine eigene Welt, die einen lehrt, wie das Leben ist. Sich einsetzen und mühen, arbeiten und warten. Angewiesen sein. Alles tun, was nötig und möglich ist, aber doch nichts wirklich selbst in der Hand haben. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. So verspricht Gott es Noah und allen Menschen. Der Garten als Bild für das Leben. Der Anfang und die Ernte. Die Hoffnung und die Enttäuschung. Alles ist so direkt, so natürlich, erdverbunden. Schöpfung. Die alte Schöpfung, dem Tod geweiht, als Ort eines neuen Anfangs. Des Anfangs der neuen Schöpfung zum ewigen Leben. Auf einem schmerzhaften und einsamen Weg.

Da kam Jesus mit ihnen zu einem Garten und fing an zu trauern und zu zagen.

Der Garten – so schön ist er, voller Ölbäume, voller Früchte als Erfüllung göttlicher Verheißung; er ist ein Garten der alten Schöpfung, dem Tod noch geweiht. Die Vorboten des Todes bestimmen diesen Abend. Trauer und Angst prägen die Gefühle im Herzen und in der Seele.

Meine Seele ist betrübt bis an den Tod.

Wenn einer spürt, es geht auf den letzten Weg, es geht hier in diesem Garten zu Ende, dann kommt die Trauer hoch. Natürlich, das Leben war doch ein Geschenk, es war schön. Was jetzt noch kommt, wird nicht mehr schön werden. Unangenehm, schmerzhaft und vor allem furchtbar einsam. Das ist vielleicht das Schlimmste an diesem Weg, dass man ihn tatsächlich allein gehen muss. So lange Menschen da sind. Am Bett stehen, die Hände falten, singen, beten. Mitgehen können sie nicht. Es ist der Weg eines anderen. Irgendwann gehen sie dann ihren eigenen. Aber jetzt einen fremden Weg mitgehen können sie nicht. Ehrlicherweise möchte ich ihn auch nicht gehen.
Muss es – so – sein? Geht es nicht anders? Einfacher, harmonischer, friedvoller? Gibt es keine andere Möglichkeit? Muss es dieser bittere, schmerzhafte, demütigende, entwürdigende Weg sein? Kannst du die Menschen nicht anders retten, erlösen? Wenn es nach mir ginge, … Aber es geht um deinen Willen. Dann aber bitte, solange es irgend geht, sollen sie dabei sein, bei mir bleiben, mitfühlen, mitleiden, mitbeten, wach bleiben. Wenigstens das. Das Gefühl möchte ich haben, die Freunde sind nah, sie teilen, was zu teilen geht. Ich war immer für euch da, ich habe für euch gesorgt, für eure Seele, euer Herz und euren Leib. Jetzt, dies eine Mal, wo es zu Ende geht, da wünsche ich mir bloß, dass ihr wach bleibt, mit euren Gedanken bei mir und im Gebet für mich bei Gott. Aber es geht nicht. Beim besten Willen geht es nicht. Einmal nicht, zweimal nicht, dreimal nicht. Nicht einmal in Gedanken und im Gebet ist der Weg des anderen auszuhalten, nur wach sein, beten und nahe sein, das kann doch nicht zu viel verlangt sein, von den besten Freunden. Doch – es ist zu viel. Das ist ein großes Stück der Traurigkeit, wenn es darauf ankommt, doch alleine zu sein. Den schwersten Weg allein gehen zu müssen.

Jesus wünscht, was jeder wünscht: dass der Weg einfach wäre. Dass er nicht allein sein müsste. Dass andere an ihn denken, in Gedanken bei ihm sind, für ihn beten, Gott an seine Seite beten. Das ist die zweite der doppelten Traurigkeit. Neben der, dass die Jünger schlafen und ihn alleine lassen. Der Vater schweigt. Jetzt, wo ein Wort gut täte. Jetzt, wo es immer enger und bedrohlicher wird. Wo die Angst von Stunde zu Stunde größer wird. Entlastung. Befreiung. Oder wenigstens Trost. Zusage. Ein spürbares Zeichen der tiefen inneren Verbundenheit. Zwischen Vater und Sohn. Zwischen Gott und dem, der verzweifelt betet. Vater unser, führe uns nicht in Versuchung, erlöse uns von dem Bösen. So hat er selbst seine Jünger beten gelehrt. Wir sprechen es ihm nach. In der Not vor Augen besonders, wenn Leben und Glauben angefochten sind, wenn die Angst sich ausbreitet. Jetzt betet Jesus selbst so. Spürt die Versuchung, ahnt das Böse, das auf ihn zukommt. Er möchte bewahrt werden, erlöst werden davon. Das sagt er seinem Vater. Aber in dieser Nacht schweigt der Vater. Kein Wort. Kein Trost, keine Zusage. Das tut weh; Schweigen tut weh. So weh, dass Jesus am Kreuz schreien wird: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Diese Nacht im Garten bleibt ohne Lichtblick. Da kündigt sich in der tiefsten Stunde kein heller Morgenschein an. Da ist nicht demnächst einfach alles wieder gut. So wird gar nichts gut. Im Gegenteil. Es wird immer schlimmer. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Er hat es gewusst, von Anfang an.

Nicht das Schicksal schlägt unbarmherzig und blind zu. … sondern wie du willst. Es geschehe dein Wille. Unvorstellbar schwer kann das auf einem Menschen liegen. Leiden und Angst haben. Die Diagnose ist aussichtslos. Inständig betet er um Bewahrung, um Erlösung. Kein Freund ist mehr da. Und der Vater schweigt. Es geschehe dein Wille? Wer kann das sagen? Siehe, die Stunde ist da. Es ist unausweichlich. Es kommt, was kommen musste. Irgendwann. Aber jetzt ist es soweit. Der Tod spielt sein grausam-machtvolles Spiel.
Der Garten der Erholung und Entspannung, der Garten der Schöpfung und des Genusses von Öl und Wein war zum Garten der Angst und der Trauer geworden, zum Garten der Einsamkeit. Jetzt wird er der Garten des Verrates. Und der Verhaftung. Im Garten fängt das Elend von Folter und Todesqualen an.

Siehe, die Stunde ist da, dass der Menschensohn in die Hände der Sünder überantwortet wird. Steht auf, lasst uns gehen! Siehe, er ist da, der mich verrät.

Jetzt nehmen die Sünder die Sache in die Hand. Der Verrat löst das Unheil aus. Das Böse siegt. Und mit ihm der Tod. Predigen und Wirken Jesu sind zu Ende. Endgültig. Jetzt. Offenkundig. Die Jünger, verschlafen und ohne Orientierung, müssen das so sehen. Nun ist es vorbei. Was soll noch Gutes kommen? Wo ist das Evangelium? Wo die frohe Botschaft des Lebens? Hoffnung, Zuversicht, Ausblick. Nichts davon zu sehen und zu hören. Nur noch finstere Nacht. Ohne die Aussicht auf einen neuen Morgen. Den Weg geht Jesus. Alle Menschen gehen ihn. Den Weg in die Nacht, aus der es kein fröhliches Erwachen mehr gibt. Weiter kann niemand sehen. Keiner weiß, was dann kommt.

Die Jünger ahnen nichts davon, dass zwei Nächte später wieder etwas geschieht, womit sie nicht gerechnet hatten. Vermutlich haben sie wieder geschlafen. Als sie aufwachen, ist der Ort des Todes Jesu leer. Das Grab im Garten wird zum Beginn des neuen Lebens. Das ist Gottes Wille: das Leben. Für ihn, Jesus Christus. Für seine Jünger. Für alle. In dieser Nacht ist es nicht zu sehen. Darum bleibt der Weg so schwer, wenn die Freunde schlafen und der Vater schweigt. Aber sein Schweigen ist nicht sein letztes Wort. Am Ende wird sein Sohn Jesus wieder sagen: Steh auf. Ins Leben. Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Pfarrer Andreas Schwarz

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Im Zentrum gottesdienstlicher Gemeinde ist es in den vergangenen Wochen zu einigen Todesfällen gekommen. Lebenslang gelebter Glaube, gerade auch in äußerlich schwierigen Zeiten, viel familiäre Nähe bis in die letzten Stunden, Gebet und Gesang am Sterbebett waren Ausdruck dieses Vertrauens. Das alles angenehm begleiten zu dürfen hat die Erfahrung nicht verdrängt, dass jeder Mensch seinen letzten Schritt allein geht. Diese Spannung war in der Vorbereitung ständige Begleiterin.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Ein Bibelvers, der in jedem Traugespräch und in allen Konfirmandenjahrgängen eine Rolle spielt, kommt in dieser Perikope neu ans Licht: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. Dies in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen zu entdecken, gerade am Ende, war motivierend.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
Dass Jesus Christus, von dem ich glaube, dass er Gott und mein Herr ist – in Anlehnung an Luthers Erklärung zum 2. Glaubensartikel – die tiefste und schwerste Einsamkeit erleben musste. Und darunter gelitten hat, wie Menschen darunter leiden. In dieser Erzählung rückt Jesus Christus nahe an uns (Menschen) heran. Ich erhoffe mir dadurch für Predigthörer bzw. -leser und  für mich selbst Trost und Kraft in eigener persönlicher Erfahrung.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Der Coach hat mir sehr geholfen, die Struktur meiner Predigt zu sehen und zu korrigieren. Sie hat mich auf sprachliche Beobachtungen hingewiesen – Füllwörter z.B. – die dem Verständnis hinderlich waren und meiner eigenen Idee auch gar nicht entsprachen. Mit ihrer Hilfe konnte ich meine eigene Predigt besser verstehen und habe z.B. einen künstlichen, eher formellen, Schlusssatz gestrichen und so den jetzigen Schluss markanter werden lassen.

Perikope
13.03.2022
26,36-46