Ich will euch von Ostern erzählen - Predigt zu 1 Kor 15,1-11 von Michael Greßler
1-11

I. Mein Ostern
Ich will Euch von Ostern erzählen.
Ich hab’s geliebt, dieses Fest, schon immer.
Klar, als ich klein war: Ostereier suchen.
Und der schöne Sonntagmorgen am weißgedeckten Kaffeetisch.

Aber dann eben auch: In die Kirche gehen.
Und die Orgel braust, und hundert Menschen singen:
»Christ ist erstanden«.
Und diese Worte:
»Dass Christus gestorben ist
für unsere Sünden nach der Schrift,
und dass er begraben wurde,
und dass er auferstanden ist
am dritten Tage nach der Schrift

Die kamen jedes Jahr.
Als Kind hab ich’s nur gefühlt.
Später dann meinte ich: Ich hätte es verstanden.
Inzwischen bin ich mir da nicht mehr so sicher.
Das Wunder ist ja so groß.

Ich will Euch von Ostern erzählen.
Von meinem Ostern.
Nicht nur, als ich klein war.
Auch von meinem Ostern jetzt.

Ich stehe auf den Friedhöfen
und muss welche von uns zu Grabe tragen.
Wir stehen ums Grab.
Gleich werden wir uns verabschieden:
»Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staube«.

Und wenn ich da nicht die Worte hätte …
diese Worte – ich rufe sie laut übers Grab:
»Der Tod ist verschlungen in den Sieg …«
Wenn ich da nicht diese Worte hätte,
ich könnte es nicht ertragen:
Dieses Sterben. Das Trauern. Tod und Abschied.
Aber ich habe die Worte.
Darum geht es. Darum kann ich das.

Ich will Euch von Ostern erzählen.
Und da kann ich nur von mir erzählen.

II. Mal ganz von vorne
Paulus fängt auf der anderen Seite an;
in seinem ersten Korintherbrief im 15. Kapitel:

»Ich erinnere euch aber, liebe Geschwister,
an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe,
das ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht,
durch das ihr auch selig werdet,
wenn ihr’s so festhaltet, wie ich es euch verkündigt habe;
es sei denn, dass ihr’s umsonst geglaubt hättet

Ich will Euch von Ostern erzählen.
Und Paulus auch.
Ich hab’ bei meinem Ostern angefangen,
bei meinen Herzenssachen.
Paulus fängt ganz vorne an.

Er hatte Jesus ja gesehen.
Also nicht vor Jesu Tod, zu seinen Lebzeiten auf Erden.
Er hatte Jesus nicht gekannt, nicht zu ihm gehört,
Paulus hat nicht an Jesus geglaubt.
Im Gegenteil: Er wurde ein eifriger Christenjäger.
Und er hat sich gefreut,
als sie den ersten, den Stefanus,
zu Tode gesteinigt haben.
Später zog er dann von Jerusalem gen Damaskus.
Da wollte er auch die Christinnen und Christen,
diese Anhängerinnen ‚des neuen Weges’, diese Ketzer –
da wollte er sie, wenn er sie fände,
gefesselt nach Jerusalem führen.

Und auf dem Weg dahin kam Jesus zu ihm.
Da hat er ihn gesehen. Auferstanden und lebendig.
Und da ist etwas mit ihm passiert.
Da hat er sich verwandelt.
Aus dem Christenverfolger wurde ein Apostel.
Und der richtig Böse ist richtig anders geworden.

Aber dann – dann hat Paulus erst einmal gelernt.
Er hat sich etwas sagen lassen;
hat sich im besten Sinne »informiert«.
Und sie sagten ihm, was man von Jesus wissen kann.
Wie er gelebt hat, gelitten, gestorben und auferstanden ist.
Ostern hat auch was mit den Grundlagen zu tun.
Mit dem Wissen um unseren Glauben.

»Denn als Erstes habe ich euch weitergegeben,
was ich selbst auch empfangen habe, nämlich:
Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;
und dass er begraben worden ist;
und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift

Ich will Euch von Ostern erzählen.
Ich hab’ bei meinem Herzen angefangen.
Paulus zeigt uns die Basics.

III. Vertrauen
Und er zeigt uns noch etwas:
»Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;
und dass er begraben worden ist;
und dass er auferweckt worden ist am dritten Tage nach der Schrift;
und dass er gesehen worden ist von Kephas,
danach von den Zwölfen.
Danach ist er gesehen worden
von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal,
von denen die meisten noch heute leben,
etliche aber sind entschlafen.
Danach ist er gesehen worden von Jakobus,
danach von allen Aposteln.
«

Man kann mir ja viel erzählen.
Und es wird viel erzählt, jeden Tag  – viel zu viel.
Gute Sachen. Und Erkenntnisse. Und kluge Gedanken.
Und auch jede Menge Mist und Lügen.

Ich muss immer überlegen: Kann ich dem trauen?
Ist das glaubwürdig?
Und was ist mit denen, die mir das sagen?
Vertrauenswürdig oder nicht?
Ich muss überprüfen und überlegen.
Und irgendwann muss ich mich entscheiden:
Ich muss mich entscheiden, zu vertrauen.
Oder eben nicht.

Paulus hat das auch gemacht.
Er hat sich angehört, was ihm die anderen gesagt hatten.
Wie sie ihm erzählt haben: Wir haben Jesus gesehen.
Auferstanden und lebendig.

Vielleicht hat er Maria Magdalena besucht.
Die hat ihm von ihren Tränen erzählt, an jenem Morgen –
und von der Stimme: Von seiner Stimme: »Maria«.
Und auf jeden Fall hat er Petrus getroffen.
Der hat ihm von dem Wettlauf erzählt,
wie er ganz außer Atem war und zum leeren Grab kam.
Und wie er Jesus dann später wirklich sah.
Vielleicht ist er auch zu Kleopas und seinem Freund gegangen,
die haben erzählt,
wie Jesus ihnen das Brot brach an jenem Nachmittag
und wie ihr Herz brannte und ihre Augen aufgingen.

Und dann hat Paulus beschlossen:
Ich glaube das. Ich vertraue ihnen.
Das sind keine Lügner und Betrüger und Scharlatane.
Die haben Jesus erlebt – wie er lebt –
und sie leben davon.

Ich habe auch so Menschen, denen ich vertraut habe;
und ich tue es noch.
Meine Eltern zuerst.
Und viele, die mir von Jesus erzählt haben. Und dass er lebt.
Und meine theologischen Lehrer, die mir verstehen halfen.

Ihr habt bestimmt auch solche Menschen gehabt.
Menschen, die Euch Jesus gezeigt haben,
Leute, die euch geholfen haben, zu glauben.
Vielleicht die alte Katechetin, wie sie bei Wind und Wetter
durch einige unserer Gemeinden gewandert ist.
Und wie sie erzählt hat – und gebrannt für ihren Glauben.

Ostern kann man nicht beweisen.
Und Umfragen zeigen, dass auch viele Christinnen und Christen
sich schwer tun mit dem Glauben an die Auferstehung
und das ewige Leben.
Das verstehe ich ganz gut.

Ich kann es ja auch nicht beweisen.
Aber ich vertraue denen, die mir davon erzählt haben.

IV. … bin ich, was ich bin
Ich erzähle Euch heute von meinem Ostern.
Und Paulus erzählt uns von seinem.

Ich hab’ bei meinen Herzenssachen angefangen.
Und er ganz von vorn.

Aber am Ende treffen wir uns.
Er hat grade all die vielen genannt, die Jesus gesehen haben.
Jetzt kommt er zu sich selbst:

»Zuletzt von allen ist er
auch von mir als einer Missgeburt gesehen worden.
Denn ich bin der geringste unter den Aposteln,
und bin nicht wert, dass ich ein Apostel heiße,
weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.
Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.
Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen,
sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle;
nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.
Es seien nun ich oder jene:
So predigen wir, und so habt ihr geglaubt

Paulus kennt sich.
Er weiß, was er alles falsch gemacht hat.
Er kennt sein Versagen.
Und ein bisschen staunt er:
Zu mir ist Jesus auch gekommen!
Ich hab’s bestimmt nicht verdient.
Aber das macht nichts.
Jesus ist ja für die Un-Perfekten auferstanden.
Für die ganz normalen.
Für Euch und für mich.
Wir sind alle, wie wir sind,
Die eine so, der andre so.

Am Ende geht es um uns.
Um uns, so, wie wir sind.
Perfekt und unperfekt.
Gläubig und zweifelnd.
Schwach und stark.

Ostern geht’s um uns.
Und es geht darum, was Gott aus uns macht.

Er hilft uns, daß wir an Gräbern stehen können.
Er freut sich, wenn wir Ostern feiern –
mit Ostereiersuchen und weißgedecktem Tisch,
womöglich Ostersonntag in der Kirche –
oder einfach fröhlich, weil es Frühling wird.
Oder eben auch ganz tief im Herzen.
Da, wo ich merke – und Ihr vielleicht auch –
»Jesus lebt, mit ihm auch ich.«

Wenn ich von Ostern erzähle,
dann komme ich irgendwann bei mir selbst an.
Ich bin, der ich bin.
Und Ihr seid, die Ihr seid.
Und Jesus, gestorben und auferstanden,
macht uns zu denen, die wir sind.

»Durch Gottes Gnade sind wir, die wir sind …«
und so sind wir gut und richtig.

Wenn’s Ostern wird, dann in uns.

Amen.

Vier Fragen zur Predigtvorbereitung an Michael Greßler

1. Welche Predigtsituation steht Ihnen vor Augen?
Ich werde am Ostersonntag sechs Gottesdienste in sehr verschiedenen Gemeinden meines Bereichs halten – vom Festgottesdient in der Stadtkirche mit Kantorei bis zum kleinen Gottesdienst in einer Gemeinde mit 25 »Seelen«. Und es wollen in den unterschiedlichen Settings jeweils Herzen erreicht werden.

2. Was hat Sie bei der Predigtvorbereitung beflügelt?
Die Begeisterung für Paulus als Theologe und als Person. Paulinische Theologie ist immer persönlich.

3. Welche Entdeckung wird Sie weiter begleiten?
In meiner Dienstzeit habe ich schon fünf Mal über 1. Korinther 15 zu Ostern gepredigt. Faszinierend ist, wie sich »Runde um Runde« ganz neue Blickwinkel auf den Text ergeben. Zudem schreitet die exegetische Forschung fort, die Homiletik hat sich erstaunlich weiterentwickelt. Und die Welt ändert sich. In diesem Wechselspiel ergeben sich neue Einsichten wie von selbst. Und das macht Spaß.

4. Was verdankt diese Predigt der abschließenden Bearbeitung?
Leider keine direkten. Der angefragte Predigtcoach hat sich nicht zurückgemeldet. Ich habe dann eine befreundete Theologin, die auch die Wittenberger Predigtcoachingausbildung gemacht hat, sowie eine weitere Mit-Pfarrerin, um Lektorierung gebeten. Das war, wie immer hilfreich beim »Scharfstellen« und »Textfeilen«.

Perikope