"In ihm ist das Ja", Predigt zu 2. Korinther 1, 18-22 von Rolf Wischnath
1,18
Hinweis: Die folgende Predigt kann wohl nicht am vierten Advent gehalten werden. Denn das „Evangelium“ von 2. Korinther 1, 18 - 22. bedenkt nicht den Advent des Sohnes Gottes, sondern es setzt ihn durch die geschehene Inkarnation voraus. - Vielleicht machen die Schwestern und Brüder, die diese online-Predigt zum vierten Advent gebrauchen, etwas anderes. Möglicherweise könnten sie sich durch diese „Lehrpredigt“ ermutigt sehen, am ersten oder zweiten Weihnachtstag der Gemeinde Anderes zuzusprechen, das nicht durch Lichterglanz, Krippenspiele, Geschenke, Weihnachtsbäume und „ oh du fröhliche“ verdeckt wird.
„In ihm ist das Ja“
Predigt für den Gottesdienst am 4. Advent
oder (besser) am 1. oder2. Weihnachtstag 2011
Text:
Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. -19- Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. -20- Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. -21- Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat. [2. Korintherbrief 1, 18-22]
Diese Sätze klingen dogmatisch Und wer will heute schon dogmatisch sein, gar dogmatisch predigen? Und doch ist die Dogmatik, die reine Lehre so notwendig. Denn in alles Ungewisse und Zweifelhafte, in alles Stickige und Unklare, in alles Verborgene und Verheimlichte, das auch und gerade kirchliches Handeln nicht selten beschwert und bestimmt, da hinein bringt die reine Lehre, die Dogmatik, Luft und Leben, lichtet sie die Nebel allen zweifelhaften und unbestimmten Geredes in der christlichen Gemeinde. Denn, so schreibt Paulus, der Sohn Gottes, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja.
Paulus sagt hier im Sprachbild von Ja und Nein das Weihnachtsevangelium: Gott spricht das Ja. Ein herrliches Ja! Denn Gottes Herrlichkeit selber kommt zu Weihnachten zur Welt. In dem Kind in der Krippe zeigt der verborgene Gott sein wahres Gesicht, spricht er sein wahres, ureigenes Wort: ein Ja, ein menschliches Ja, das doch zugleich vom Wurzelgrund her aus Gott ist. Eine solche Qualität hat dieses Ja, dass wir sagen und lehren müssen:
Wo und wie dieser Mensch Jesus ist, da und in ihm ist Gott selbst; wofür und wogegen dieser Mensch Jesus Ja sagt, dafür und dagegen steht und spricht in ihm Gott selbst mit seinem Ja. Mit wem dieser Mensch Jesus ist, zu dem kommt in ihm Gott selbst. M.e.W.: „Auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja.“ Alle Gottesverheißungen, schreibt der Apostel. Das ist nicht weniger als die Nähe, die Gegenwart Gottes selbst bei den Menschen, - so dass wir sagen müssen: Ganz Gott selbst kommt in Jesus ganz zu uns.
Es ist aber dieses Ja nun zu hören in einer Weise, die dem Wort Gottes eine Qualität zuweist, die all unsere Vorstellungen darüber, wie Gott eigentlich zu sprechen hätte, zerbricht. Das Ja Gottes lässt sich zu Weihnachten hören im Geburtsschrei eines Kindes in der Krippe. „Er äußert sich all seiner G'walt, wird niedrig und gering“, singt der reformatorische Liederdichter Nikolaus Herman in seinem Lied „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“. Nackt und drastisch ohne Melodie sagt es der Schweizer Kurt Marti:
„ ..... damals als Gott
im Schrei der geburt
die gottesbilder zerschlug
und zwischen marias schenkeln runzelig
rot das Kind lag.“
„Im Schrei der Geburt“, im Schrei am Kreuz, im Ja des Auferstandenen: so klingt Gottes Ja., „runzelig rot - zwischen marias schenkeln“ in einer Krippe, als Gekreuzigter am Schandpfahl, und dann in der anderen Gestalt im Lichterglanz der himmlischen Heerscharen des Auferstandenen: so lässt Gott sich sehen. Und so erweist er die Macht menschlicher Liebe und Schwachheit als die einzig wahre göttliche und menschliche Macht. Gottes Ja: Ein wahrer Mensch! Aber eben: Gottes Ja !
Und darum unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und unzerteilt, wie es die alten Kirchenväter ausgedrückt haben: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Gott spricht sein Ja zur Welt nicht so, dass er in diesem Ja aufhörte, Gott zu sein. Gott wurde Mensch, ohne sich darin als Gott, als Schöpfer und Herr der Welt aufzugeben. Das Wort ward Fleisch, ohne darin aufzuhören, das ewige Wort „das Ja vom ewigen Wurzelgrund“ (Wilfried Joest) zu sein.
Dass unser Gott so ist, wie er uns im Krippenkind zu Weihnachten, am Kreuz zu Karfreitag begegnet, dass er so zu uns nicht Ja und Nein, sondern Ja sagt, das offenbaren in der Nacht der Geburt die gottglänzenden himmlischen Heerscharen und das Licht des Ostermorgens. Und das ist das eine und ganze Wunder des Evangeliums, des christlichen Glaubens: der Auferstandene am Ostermorgen. Wäre dies nicht der Felsen unseres Glaubens, dann wäre unser Leben und diese Welt nichts anderes als ein Irrwort, an dem irre zu werden, wir allen Grund hätten. Es wäre auch und erst recht unser ganzer kirchlicher Betrieb, auch das Gebaren und Getue in den Gemeinde- und Kirchenleitungen, es wäre aber auch diese Apostelkirche[1]– wie immer es um ihre Zukunft stehen mag - mit den vielen Menschen, die in 2011 wieder gekommen sind, um hier zu glauben und zu sehen, zu riechen und zu schmecken, wie freundlich der Herr ist. Es wäre aber auch alles Gesinge und Orgeln und Dirigieren und Spielen der Kantoren und Kirchenmusikerinnen, es wäre alles das nur noch das, als was es uns ohnehin schon manchmal erscheinen mag: ganz schön irre! Ja, ganz schön irre wäre das alles, wenn das Evangelium nicht dieses Ja, dieses Ja ohne jedes Nein von Gott her enthielte.
Aber eben nun gilt – mit Paulus gesprochen: „Der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm“. Die, die dieses Ja hören und die darum zu i h m gehören, die können nicht irre sein. - Wer aber hört das? Zu wem, meine Schwestern und Brüder, ist dieses Ja gesagt? Wer gehört zu ihm?
Halten wir unbedingt fest: „Der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist....... der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm.“ Und es ist die „Welt“, der das „Ja“ gilt. Paulus sagt im selben 2. Korintherbrief unzweideutig: „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist (alles) neu geworden .... Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt (was nun einmal nicht weniger als „alle Welt“ heißt) mit sich selbst',' (2. Kor. 5). Es ist die Welt, der das Ja Gottes nicht nur in freundlicher, aber leider noch unvollendeter Absicht - sozusagen „im Angebot“ - zugedacht ist, sondern es ist über ihr schon gesprochen, auch wenn sie das noch nicht weiß. Und worüber Gott gesprochen hat, erst recht worüber er das „Ja vom Wurzelgrund“, von Ewigkeit her gesprochen hat, das ist schon verwandelt. Denn wie sollte Gott sprechen, ohne dass geschieht, was er spricht?
„Gott ist's aber....“ sagt Paulus: Ganz Gott selbst kommt in Jesus ganz zu uns. In dem Kind in der Krippe ist Gott in eine gottlose und gottwidrige Welt gekommen, um den im Abseits von ihm gefangenen Menschen zu befreien. Und darin ist die Welt neu geworden, dass Gott dieses Ja zu ihr gesagt hat: dass Kraft der Gegenwart Jesu in ihr ihre Gefangenschaft in Gottlosigkeitund Gottwidrigkeit schon und endgültig aufgehoben ist, wirklich aufgehoben (im urspünglichen Sinn des Wortes). Diese Nachricht ist wie Gottes Güte wirklich jeden Morgen neu. Sie ist, wenn wir in den Spiegel schauen und unser oft zerknittertes, grämliches Gesicht sehen, stets neu - eine Überraschung, eine freudige Überraschung. Du, zerknitterter und zerknirschter Mensch, Du - zu Dir hat Gott Ja gesagt, ein Ja ohne jedes Nein. Ach? - zu mir? Ja! Zu Dir! Was für eine Überraschung!
Ich benenne eine unvergleichlich schöne Interpretation dieses Predigttextes: Sie ist zu finden in Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium. In deutlichem Anklang an das Wort des Paulus singt in der vierten Kantate die Solo-Sopranistin vom Echo-Sopran und der Oboe begleitet ihre erste Arie:
„Flößt, mein Heiland, flößt dein Namen
Auch den allerkleinsten Samen
Jenes strengen Schreckens ein?
Nein, du sagst ja selber Nein.“
- Und dann das himmlische Echo:-„Nein!“ -
Dieses ist ein „Nein“, das nun in der Tat ein „Nein ohne jedes Ja“ genannt zu werden verdient. - Und weiter singt die Sopranistin:
„Sollt ich nun das Sterben scheuen?
Nein, dein süßes Wort ist da!
Oder sollt ich mich erfreuen?
Ja, du Heiland sprichst selbst ja.
- Und dann das himmlische Echo:„Ja!“-
Es darf das nicht so gesungen werden, als käme das Echo nur verhalten, gar gebrochen und dissonant zurück. Nein, nein, das Echo-Ja muss aus der Höhe – etwa hier in der Apostelkirche von der Orgelempore her - von oben kommen – ganz von oben -, so dass wir verführt wären, die Hälse zu recken und Ausschau zu halten nach der Stimme, die dort von oben kommt …, uns umzusehen und uns wenigstens einmal im Weihnachtsoratorium als Zuhörende auch selber zu bewegen. Denn theologisch gesehen ist der Echosopran, der nur in dieser Arie seinen Part hat, die allerwichtigste Stimme im ganzen Weihnachtsoratorium. Ist doch dieses Echo die Stimme des Höchsten, die Stimme des ewigen Sohnes Gottes selber, die im ganzen Oratorium nur an dieser Stelle vorkommt: ein einmaliges „Nein“, und viel-mehr noch: ein einmaliges „Ja“! Man müsste das eigentlich von der Kanzel aus singen, aber ich bin nun einmal kein Sopran.
Aber selbst wenn ich es singen könnte, ich schaue nach den Weihnachtstagen – dies alles wieder im Ohr – in den Spiegel und sehe doch immer noch einigermaßen zerknittert aus. Und überhaupt? Ist das nicht gerade zu Weihnachten alles eine falsche Feierlichkeit und Wahrnehmung unserer Welt? Ist das denn gedeckt, was wir hier predigen und singen? Wo denn? Wo denn? Bei all den Nachrichten von den Morden, vom Hungersterben in der unermesslichen ostafrikanischen Katastrophe und den Katastrophen dieser Welt. Lässt uns nicht das Nein jeder todbringenden Krankheit, jedes Todes, das Nein jedes von uns erfahrenen und miterlebten Leides ein so uneingeschränktes Ja nur noch stotternd sprechen? Auch hier in dieser Kirche sitzen nicht wenige, die in diesem Jahr in ihrem Lebens- und Beziehungsumfeld ein Nein zu spüren bekommen haben? Und wir wissen alle auch von denen, die dieses Weihnachten selber im Schatten zubringen mussten. Im Schatten der Enttäuschung - oder gar im Schatten des Todes. Sollen die, die so dran sind, dazu auch noch Ja sagen? Soll ihnen und uns was eingeredet werden, was die Wirklichkeit nicht trägt?
„Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an Euch nicht Ja und Nein zugleich ist“, sagt Paulus. „ Gott ist mein Zeuge!“ und: „Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.“ Paulus gibt hier keine Antwort auf das Rätsel des Leidens, auf die Frage, warum nach dem geöffneten Himmel in der Weihnachtsnacht und dem leeren Grab des Ostermorgens, noch so viele Himmel verschlossen bleiben und sich so viele Gräber öffnen. Er ruft Gott zum Zeugen an - wissend, dass nur Gott diesen Widerspruch von verkündigtem Ja und erlebtem Nein aushalten und beenden kann:
„Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus .....“, schreibt Paulus. Jawohl, Gott muss es sein, meine Schwestern und Brüder, Gott in Christus, der in der Kraft seines Geistes sein Ja festmacht gegen allen Augenschein in unseren Herzen. Gott muss es licht machen, wo es für uns noch finster Ist: „Denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht“, heißt es im Psalm. Das muss Gott tun - nicht wir. Und Er tut es auch. Verlasst Euch darauf, Ihr Traurigen zur Weihnacht 2011, verlasst euch drauf: „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein neuen Schein, es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht.“ Verlasst euch drauf.
Aber eben das kann ich – der Prediger - selber nur eben sagen und ankündigen. Jedoch machen kann ich es nicht. Hier eben ist die Grenze all unseren Predigens und Musizierens und Singens, die Grenze von allem Menschlich-Allzumenschlichen, das mit unserer immer nur bedingt zuverlässigen Person, ganz egal wie die Menschen uns ansehen und betiteln, gegeben ist. Das ist meine Grenze, und das ist auch Eure Grenze, meine Schwestern und Brüder. Einmal wird es vorbei sein mit meinem langen Predigen - und auch mit dem kirchlichen Betrieb, mit dem Orgeln und Singen, dem Leiten und Lenken, dem Verheimlichen und Verbergen. Einmal geben wir das alles wieder ab, was uns Menschen zugeflüstert und angetragen, zugemutet und umgehängt haben, dann werden wir verstummen und es ist ein anderer dran zu reden und zu predigen: der, der allein das Evangelium in uns versiegeln und beglaubigen kann – in der Kraft seines Geistes, nicht unseres. Das ist unsere Grenze. Und das ist unsere Zukunft.
Ich schließe mit einigen Sätzen des von mir verehrten lutherischen Theologen aus Ostpreußen Hans-Joachim Iwand, der zu diesem Weihnachtstext vor mehr fünfzig Jahren geschrieben hat, was Ihr alle, und ich und jeder und jede in dieser Gemeinde nun so hören möchten, als wären es Worte gesagt in d i e s e m Augenblick zu Dir und mir, zu Euch und Ihnen jetzt eben gerade und direkt geschrieben und gesagt:
„Hier ist die Grenze zu allem Menschlich-Allzumenschlichen, das mit unserer immer nur bedingt zuverlässigen Persönlichkeit gegeben Ist. Diese Grenze muss gehalten, muss mit dem Einsatz der ganzen Person verteidigt werden. Der Kampf um diese Grenze ist der Kampf darum, dass die Offenbarung, das Jawort Gottes, Sein Wort und die Gemeinde S e i n W e r k bleibt. 'Dafür halte uns Jedermann: für Christi Diener und Haushalter über Gottes G e h e i m n i s s e ‘(l. Kor 4, 1). Von hier aus könnte alles Streiten und Rechthaben-Wollen, alles Verdächtigen und Sich-Reinwaschen wie auf ein Kommando von oben her abgeschnitten sein, es könnte um dieses längst erklungene und immer wieder aufs neue vernehmbare Ja aus einem Haufen verhetzter Menschen wieder die G e m e i n d e erstehen, (eine Kirche,) die dem Ja Gottes antwortet mit der einzigen Antwort, die Ihm gemäß ist, mit dem 'Amen, zum Preise Gottes … eben dem Ja Gottes, dem kein Nein zur Seite geht, antwortet 'durch ‘Christus’ .... das Amen 'durch uns' ...... durch unseren Mund!“
Gebe Gott dasswir an diesem Weihnachtstag „zwischen den Jahren“ (wie man zu sagen pflegt) alle dieser Grenze in unserem Leben, in unserem Tun und Lassen gewärtig und treu bleiben, dass wir alle einmal dieses Predigen und Musizieren und Hören und Singen, aber auch allem Weinen und Trauern und Zweifeln, eben unser aller Tun und Lassen, unsere Jahre und unser Leben mit diesem „Ja und Amen“ beschließen können - zum Preise Gottes: Ja und Amen.
Lit.:
Hans-Joachim lwand, Predigtmeditationen, Göttingen 1963, S. 162ff. und S. 371ff.
Wilfried Joest, Die Gegenwart Gottes In dem Menschen Jesus, In: Wilfried Joest, Gott will zum Menschen kommen (Aufsätze), Göttingen 1977, S. 140ff.
[1]Name der Gütersloher Stadtkirche.
„In ihm ist das Ja“
Predigt für den Gottesdienst am 4. Advent
oder (besser) am 1. oder2. Weihnachtstag 2011
Text:
Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an euch nicht Ja und Nein zugleich ist. -19- Denn der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist, durch mich und Silvanus und Timotheus, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. -20- Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja; darum sprechen wir auch durch ihn das Amen, Gott zum Lobe. -21- Gott ist's aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat. [2. Korintherbrief 1, 18-22]
Diese Sätze klingen dogmatisch Und wer will heute schon dogmatisch sein, gar dogmatisch predigen? Und doch ist die Dogmatik, die reine Lehre so notwendig. Denn in alles Ungewisse und Zweifelhafte, in alles Stickige und Unklare, in alles Verborgene und Verheimlichte, das auch und gerade kirchliches Handeln nicht selten beschwert und bestimmt, da hinein bringt die reine Lehre, die Dogmatik, Luft und Leben, lichtet sie die Nebel allen zweifelhaften und unbestimmten Geredes in der christlichen Gemeinde. Denn, so schreibt Paulus, der Sohn Gottes, der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm. Denn auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja.
Paulus sagt hier im Sprachbild von Ja und Nein das Weihnachtsevangelium: Gott spricht das Ja. Ein herrliches Ja! Denn Gottes Herrlichkeit selber kommt zu Weihnachten zur Welt. In dem Kind in der Krippe zeigt der verborgene Gott sein wahres Gesicht, spricht er sein wahres, ureigenes Wort: ein Ja, ein menschliches Ja, das doch zugleich vom Wurzelgrund her aus Gott ist. Eine solche Qualität hat dieses Ja, dass wir sagen und lehren müssen:
Wo und wie dieser Mensch Jesus ist, da und in ihm ist Gott selbst; wofür und wogegen dieser Mensch Jesus Ja sagt, dafür und dagegen steht und spricht in ihm Gott selbst mit seinem Ja. Mit wem dieser Mensch Jesus ist, zu dem kommt in ihm Gott selbst. M.e.W.: „Auf alle Gottesverheißungen ist in ihm das Ja.“ Alle Gottesverheißungen, schreibt der Apostel. Das ist nicht weniger als die Nähe, die Gegenwart Gottes selbst bei den Menschen, - so dass wir sagen müssen: Ganz Gott selbst kommt in Jesus ganz zu uns.
Es ist aber dieses Ja nun zu hören in einer Weise, die dem Wort Gottes eine Qualität zuweist, die all unsere Vorstellungen darüber, wie Gott eigentlich zu sprechen hätte, zerbricht. Das Ja Gottes lässt sich zu Weihnachten hören im Geburtsschrei eines Kindes in der Krippe. „Er äußert sich all seiner G'walt, wird niedrig und gering“, singt der reformatorische Liederdichter Nikolaus Herman in seinem Lied „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich“. Nackt und drastisch ohne Melodie sagt es der Schweizer Kurt Marti:
„ ..... damals als Gott
im Schrei der geburt
die gottesbilder zerschlug
und zwischen marias schenkeln runzelig
rot das Kind lag.“
„Im Schrei der Geburt“, im Schrei am Kreuz, im Ja des Auferstandenen: so klingt Gottes Ja., „runzelig rot - zwischen marias schenkeln“ in einer Krippe, als Gekreuzigter am Schandpfahl, und dann in der anderen Gestalt im Lichterglanz der himmlischen Heerscharen des Auferstandenen: so lässt Gott sich sehen. Und so erweist er die Macht menschlicher Liebe und Schwachheit als die einzig wahre göttliche und menschliche Macht. Gottes Ja: Ein wahrer Mensch! Aber eben: Gottes Ja !
Und darum unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und unzerteilt, wie es die alten Kirchenväter ausgedrückt haben: Wahrer Mensch und wahrer Gott. Gott spricht sein Ja zur Welt nicht so, dass er in diesem Ja aufhörte, Gott zu sein. Gott wurde Mensch, ohne sich darin als Gott, als Schöpfer und Herr der Welt aufzugeben. Das Wort ward Fleisch, ohne darin aufzuhören, das ewige Wort „das Ja vom ewigen Wurzelgrund“ (Wilfried Joest) zu sein.
Dass unser Gott so ist, wie er uns im Krippenkind zu Weihnachten, am Kreuz zu Karfreitag begegnet, dass er so zu uns nicht Ja und Nein, sondern Ja sagt, das offenbaren in der Nacht der Geburt die gottglänzenden himmlischen Heerscharen und das Licht des Ostermorgens. Und das ist das eine und ganze Wunder des Evangeliums, des christlichen Glaubens: der Auferstandene am Ostermorgen. Wäre dies nicht der Felsen unseres Glaubens, dann wäre unser Leben und diese Welt nichts anderes als ein Irrwort, an dem irre zu werden, wir allen Grund hätten. Es wäre auch und erst recht unser ganzer kirchlicher Betrieb, auch das Gebaren und Getue in den Gemeinde- und Kirchenleitungen, es wäre aber auch diese Apostelkirche[1]– wie immer es um ihre Zukunft stehen mag - mit den vielen Menschen, die in 2011 wieder gekommen sind, um hier zu glauben und zu sehen, zu riechen und zu schmecken, wie freundlich der Herr ist. Es wäre aber auch alles Gesinge und Orgeln und Dirigieren und Spielen der Kantoren und Kirchenmusikerinnen, es wäre alles das nur noch das, als was es uns ohnehin schon manchmal erscheinen mag: ganz schön irre! Ja, ganz schön irre wäre das alles, wenn das Evangelium nicht dieses Ja, dieses Ja ohne jedes Nein von Gott her enthielte.
Aber eben nun gilt – mit Paulus gesprochen: „Der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm“. Die, die dieses Ja hören und die darum zu i h m gehören, die können nicht irre sein. - Wer aber hört das? Zu wem, meine Schwestern und Brüder, ist dieses Ja gesagt? Wer gehört zu ihm?
Halten wir unbedingt fest: „Der Sohn Gottes, Jesus Christus, der unter euch durch uns gepredigt worden ist....... der war nicht Ja und Nein, sondern es war Ja in ihm.“ Und es ist die „Welt“, der das „Ja“ gilt. Paulus sagt im selben 2. Korintherbrief unzweideutig: „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist (alles) neu geworden .... Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt (was nun einmal nicht weniger als „alle Welt“ heißt) mit sich selbst',' (2. Kor. 5). Es ist die Welt, der das Ja Gottes nicht nur in freundlicher, aber leider noch unvollendeter Absicht - sozusagen „im Angebot“ - zugedacht ist, sondern es ist über ihr schon gesprochen, auch wenn sie das noch nicht weiß. Und worüber Gott gesprochen hat, erst recht worüber er das „Ja vom Wurzelgrund“, von Ewigkeit her gesprochen hat, das ist schon verwandelt. Denn wie sollte Gott sprechen, ohne dass geschieht, was er spricht?
„Gott ist's aber....“ sagt Paulus: Ganz Gott selbst kommt in Jesus ganz zu uns. In dem Kind in der Krippe ist Gott in eine gottlose und gottwidrige Welt gekommen, um den im Abseits von ihm gefangenen Menschen zu befreien. Und darin ist die Welt neu geworden, dass Gott dieses Ja zu ihr gesagt hat: dass Kraft der Gegenwart Jesu in ihr ihre Gefangenschaft in Gottlosigkeitund Gottwidrigkeit schon und endgültig aufgehoben ist, wirklich aufgehoben (im urspünglichen Sinn des Wortes). Diese Nachricht ist wie Gottes Güte wirklich jeden Morgen neu. Sie ist, wenn wir in den Spiegel schauen und unser oft zerknittertes, grämliches Gesicht sehen, stets neu - eine Überraschung, eine freudige Überraschung. Du, zerknitterter und zerknirschter Mensch, Du - zu Dir hat Gott Ja gesagt, ein Ja ohne jedes Nein. Ach? - zu mir? Ja! Zu Dir! Was für eine Überraschung!
Ich benenne eine unvergleichlich schöne Interpretation dieses Predigttextes: Sie ist zu finden in Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium. In deutlichem Anklang an das Wort des Paulus singt in der vierten Kantate die Solo-Sopranistin vom Echo-Sopran und der Oboe begleitet ihre erste Arie:
„Flößt, mein Heiland, flößt dein Namen
Auch den allerkleinsten Samen
Jenes strengen Schreckens ein?
Nein, du sagst ja selber Nein.“
- Und dann das himmlische Echo:-„Nein!“ -
Dieses ist ein „Nein“, das nun in der Tat ein „Nein ohne jedes Ja“ genannt zu werden verdient. - Und weiter singt die Sopranistin:
„Sollt ich nun das Sterben scheuen?
Nein, dein süßes Wort ist da!
Oder sollt ich mich erfreuen?
Ja, du Heiland sprichst selbst ja.
- Und dann das himmlische Echo:„Ja!“-
Es darf das nicht so gesungen werden, als käme das Echo nur verhalten, gar gebrochen und dissonant zurück. Nein, nein, das Echo-Ja muss aus der Höhe – etwa hier in der Apostelkirche von der Orgelempore her - von oben kommen – ganz von oben -, so dass wir verführt wären, die Hälse zu recken und Ausschau zu halten nach der Stimme, die dort von oben kommt …, uns umzusehen und uns wenigstens einmal im Weihnachtsoratorium als Zuhörende auch selber zu bewegen. Denn theologisch gesehen ist der Echosopran, der nur in dieser Arie seinen Part hat, die allerwichtigste Stimme im ganzen Weihnachtsoratorium. Ist doch dieses Echo die Stimme des Höchsten, die Stimme des ewigen Sohnes Gottes selber, die im ganzen Oratorium nur an dieser Stelle vorkommt: ein einmaliges „Nein“, und viel-mehr noch: ein einmaliges „Ja“! Man müsste das eigentlich von der Kanzel aus singen, aber ich bin nun einmal kein Sopran.
Aber selbst wenn ich es singen könnte, ich schaue nach den Weihnachtstagen – dies alles wieder im Ohr – in den Spiegel und sehe doch immer noch einigermaßen zerknittert aus. Und überhaupt? Ist das nicht gerade zu Weihnachten alles eine falsche Feierlichkeit und Wahrnehmung unserer Welt? Ist das denn gedeckt, was wir hier predigen und singen? Wo denn? Wo denn? Bei all den Nachrichten von den Morden, vom Hungersterben in der unermesslichen ostafrikanischen Katastrophe und den Katastrophen dieser Welt. Lässt uns nicht das Nein jeder todbringenden Krankheit, jedes Todes, das Nein jedes von uns erfahrenen und miterlebten Leides ein so uneingeschränktes Ja nur noch stotternd sprechen? Auch hier in dieser Kirche sitzen nicht wenige, die in diesem Jahr in ihrem Lebens- und Beziehungsumfeld ein Nein zu spüren bekommen haben? Und wir wissen alle auch von denen, die dieses Weihnachten selber im Schatten zubringen mussten. Im Schatten der Enttäuschung - oder gar im Schatten des Todes. Sollen die, die so dran sind, dazu auch noch Ja sagen? Soll ihnen und uns was eingeredet werden, was die Wirklichkeit nicht trägt?
„Gott ist mein Zeuge, dass unser Wort an Euch nicht Ja und Nein zugleich ist“, sagt Paulus. „ Gott ist mein Zeuge!“ und: „Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus und uns gesalbt und versiegelt und in unsere Herzen als Unterpfand den Geist gegeben hat.“ Paulus gibt hier keine Antwort auf das Rätsel des Leidens, auf die Frage, warum nach dem geöffneten Himmel in der Weihnachtsnacht und dem leeren Grab des Ostermorgens, noch so viele Himmel verschlossen bleiben und sich so viele Gräber öffnen. Er ruft Gott zum Zeugen an - wissend, dass nur Gott diesen Widerspruch von verkündigtem Ja und erlebtem Nein aushalten und beenden kann:
„Gott ist’s aber, der uns fest macht samt euch in Christus .....“, schreibt Paulus. Jawohl, Gott muss es sein, meine Schwestern und Brüder, Gott in Christus, der in der Kraft seines Geistes sein Ja festmacht gegen allen Augenschein in unseren Herzen. Gott muss es licht machen, wo es für uns noch finster Ist: „Denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht“, heißt es im Psalm. Das muss Gott tun - nicht wir. Und Er tut es auch. Verlasst Euch darauf, Ihr Traurigen zur Weihnacht 2011, verlasst euch drauf: „Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein neuen Schein, es leucht wohl mitten in der Nacht und uns des Lichtes Kinder macht.“ Verlasst euch drauf.
Aber eben das kann ich – der Prediger - selber nur eben sagen und ankündigen. Jedoch machen kann ich es nicht. Hier eben ist die Grenze all unseren Predigens und Musizierens und Singens, die Grenze von allem Menschlich-Allzumenschlichen, das mit unserer immer nur bedingt zuverlässigen Person, ganz egal wie die Menschen uns ansehen und betiteln, gegeben ist. Das ist meine Grenze, und das ist auch Eure Grenze, meine Schwestern und Brüder. Einmal wird es vorbei sein mit meinem langen Predigen - und auch mit dem kirchlichen Betrieb, mit dem Orgeln und Singen, dem Leiten und Lenken, dem Verheimlichen und Verbergen. Einmal geben wir das alles wieder ab, was uns Menschen zugeflüstert und angetragen, zugemutet und umgehängt haben, dann werden wir verstummen und es ist ein anderer dran zu reden und zu predigen: der, der allein das Evangelium in uns versiegeln und beglaubigen kann – in der Kraft seines Geistes, nicht unseres. Das ist unsere Grenze. Und das ist unsere Zukunft.
Ich schließe mit einigen Sätzen des von mir verehrten lutherischen Theologen aus Ostpreußen Hans-Joachim Iwand, der zu diesem Weihnachtstext vor mehr fünfzig Jahren geschrieben hat, was Ihr alle, und ich und jeder und jede in dieser Gemeinde nun so hören möchten, als wären es Worte gesagt in d i e s e m Augenblick zu Dir und mir, zu Euch und Ihnen jetzt eben gerade und direkt geschrieben und gesagt:
„Hier ist die Grenze zu allem Menschlich-Allzumenschlichen, das mit unserer immer nur bedingt zuverlässigen Persönlichkeit gegeben Ist. Diese Grenze muss gehalten, muss mit dem Einsatz der ganzen Person verteidigt werden. Der Kampf um diese Grenze ist der Kampf darum, dass die Offenbarung, das Jawort Gottes, Sein Wort und die Gemeinde S e i n W e r k bleibt. 'Dafür halte uns Jedermann: für Christi Diener und Haushalter über Gottes G e h e i m n i s s e ‘(l. Kor 4, 1). Von hier aus könnte alles Streiten und Rechthaben-Wollen, alles Verdächtigen und Sich-Reinwaschen wie auf ein Kommando von oben her abgeschnitten sein, es könnte um dieses längst erklungene und immer wieder aufs neue vernehmbare Ja aus einem Haufen verhetzter Menschen wieder die G e m e i n d e erstehen, (eine Kirche,) die dem Ja Gottes antwortet mit der einzigen Antwort, die Ihm gemäß ist, mit dem 'Amen, zum Preise Gottes … eben dem Ja Gottes, dem kein Nein zur Seite geht, antwortet 'durch ‘Christus’ .... das Amen 'durch uns' ...... durch unseren Mund!“
Gebe Gott dasswir an diesem Weihnachtstag „zwischen den Jahren“ (wie man zu sagen pflegt) alle dieser Grenze in unserem Leben, in unserem Tun und Lassen gewärtig und treu bleiben, dass wir alle einmal dieses Predigen und Musizieren und Hören und Singen, aber auch allem Weinen und Trauern und Zweifeln, eben unser aller Tun und Lassen, unsere Jahre und unser Leben mit diesem „Ja und Amen“ beschließen können - zum Preise Gottes: Ja und Amen.
Lit.:
Hans-Joachim lwand, Predigtmeditationen, Göttingen 1963, S. 162ff. und S. 371ff.
Wilfried Joest, Die Gegenwart Gottes In dem Menschen Jesus, In: Wilfried Joest, Gott will zum Menschen kommen (Aufsätze), Göttingen 1977, S. 140ff.
[1]Name der Gütersloher Stadtkirche.
Perikope