Ihr, die Ihr eintretet, lasst Euch die Hoffnung schenken
„Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“ Dieser Satz steht am Eingang der Hölle in Dantes Göttlicher Komödie, die bei genauerem Hineinlesen alles andere ist als eine Komödie. Die Überschrift über einem Ort der Täuschungen und Verwirrungen, der Qualen und des unsagbaren, weil so oft gänzlich unverstanden Leids.
„Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!“ – Für den einen oder die andere unter uns vielleicht ein Satz, der manchmal über einem neuen Tag steht. Wenn große Lasten auf einem liegen, schwere Aufgaben bevorstehen oder Leid, Not, Zweifel, Unsicherheit und Nicht-mehr-weiter-Wissen den Tag verdunkeln, noch ehe die Sonne überhaupt aufgegangen ist.
„Lasst, die Ihr eintretet, alle Hoffnug fahren!“ – Ein Satz vielleicht auch für den ein oder die andere Glaubende. Wenn nämlich dort Zweifel aufkommen und Fragen, die keine Antwort finden, wo doch Gewißheit, letzte Gewißheit, eine Gewißheit, die Tod und Leben überdauert und umfaßt, sein sollte.
Was tun, wenn das, was Trost sein soll im Leben und im Sterben, ins Wanken gerät?
Was tun, wenn der Gott, dessen Nähe so vertraut war, auf einmal unendlich weit entfernt erscheint?
Was tun, wenn der Glaube, der Halt geben soll und Zuversicht, ins Wanken gerät, der Himmel aus den Fugen und das Fundament des eigenen Lebens ins Wanken?
Und manchmal braucht es ja nicht einmal das. Allein schon die Frage, wie denn lebendig werden kann, was mir mit „Glauben“ meinen, kann ja Kopfzerbrechen bereiten.
Müßte nicht, so fragen ja nicht nur die Menschen um uns herum, die kritisch beäugen, was Kirche tut und was Menschen in der Kirche tun, sondern so fragen wir doch auch immer wieder selber einmal – müßte nicht unser Glaube sichtbar werden in unserem Leben? Oder vielleicht: Sichtbarer?
Müßte nicht, wenn denn der Gott, zu dem wir beten, dem wir singen, auf den wir vertrauen, unser Leben mitten in unserem Alltag viel mehr prägen als er das tut?
Kennst Du das Gefühl, der Glaube fände manchmal nur am Sonntag Vormittag statt und abgesehen davon gelten so viele andere Gesetze, die das Leben (oder das, was dafür gehalten wird) vorschreibt?
Das Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht. schreibt Paulus. Denn das Gute, das ich will, das tue ich nicht; sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich.
Mir sind diese Gedanken des Paulus nicht ganz fremd – und wer weiß, vielleicht bin ich damit heute Morgen ja gar nicht ganz alleine.
Paulus und ganz offensichtlich jenen, die er im Sinn hatte, als er den Brief an die Gemeinde in Rom schrieb, waren die Gedanken, die Fragen, die Zweifel, die ich eingangs geschildert habe, nicht fremd. Das ganze achte Kapitel des Briefes kreist um genau die Frage, wie wir denn – ich drücke es mal ein wenig „fromm“ aus, unseres Heils wirklich gewiß sein können.
Woran mache ich mit anderen Worten fest, daß die Liebe Gottes, auf die ich vertraue, wirklich mir gilt, wirklich mich meint, wirklich mich hält und zwar eben gerade nicht nur dann, wenn ich mir sicher bin, sondern auch und gerade in Zeiten des Zweifelns und Fragens?
Ich möchte vertrauen – aber das Leben um mich herum, stellt so vieles in Frage.
Ich möchte mich vom Geist Gottes treiben lassen – aber ich kann diesen Geist manchmal kaum erkennen und mir erscheint fern und unkonkret, was doch mein Leben im Innersten zusammenhalten sollte.
Ich möchte beten – aber ich weiß gar nicht, wie.
Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebührt; sondern der Geist selber vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.
Ich muß nicht auf mich selber bauen. Genau das heißt „An Gott glauben“ ja schließlich. Gut, leichter gesagt als getan, denn alles, was ich nicht selber in der Hand habe, kann ja auch Angst machen. Aber Paulus ist sich sicher: Wenn wir auf uns schauen und auf das, was wir vermögen, dann kommen wir nicht weit.
Wenn wir in die Welt schauen und ihre Unerlöstheit sehen, das sinnlose Leid, das Menschen einander zufügen, die Zerstörung dessen, was doch Gottes gute Schöpfung ist; wenn wir sehen, wie um uns herum die Dinge vergehen oder ins Verderben gestürzt werden, wenn wir – noch einmal und schon wieder Paulus – das Seufzen und ängstliche Harren der gesamten Schöpfung, die sich nach Erlösung sehnt, erahnen, dann hilft kein Verweis auf menschliche Macht und Möglichkeit; dann hilft es nichts, die Ärmel hochzukrempeln und Dinge anzupacken, weil zu groß ist und zu mächtig, was angepackt und verändert werden müßte, sollte wirklich Erlösung das Ergebnis sein. Dann hilft nur: Gott.
Darauf immer wieder und immer wieder neu und immer wieder gegen den Augenschein zu vertrauen, das ist nicht leicht, das weiß auch Paulus. Umso wichtiger ist ihm: Mit unsrer Macht ist nichts getan, da muss schon Gott selber ran!
Der die Herzen erforscht, der weiß, worauf der Sinn des Geistes gerichtet ist; denn er vertritt die Heiligen, wie es Gott gefällt. Wir wissen aber, daß denen, die Gott dienen, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach seinem Ratschluß berufen sind. Denn die er ausersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, daß sie gleich sein sollten dem Bild seines Sohnes, damit dieser der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen; die er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; die er aber gerecht gemacht hat, die hat er auch verherrlicht.
Was wir ein Unheil ist mit der sogenannten Prädestinationslehre getrieben worden, die sich unter anderem auf die hier von Paulus geschrieben Verse beruft! Prädestinationslehre, das heißt: die Lehre von der Vorherbestimmung der Menschen zum Heil und später in der Theologiegeschichte dann auch zum Unheil.
Der Hintergrund dieser Lehre gar nicht weit von den Fragen, die uns hier und heute gerade beschäftigen. Wie kann ich mir meines Heils gewiß sein? Wie kann ich wirklich wissen, daß ich eingehen darf ins Himmelreich, daß ich – ich drücke es mal ein wenig moderner aus – von Gott wirklich gehalten werde im Leben und im Sterben und über das Sterben hinaus?
Antwort: Ich weiß es, was ich mich als von Gott schon lange vor meiner Geburt, ja vor Grundlegung der Welt auserwählt wissen darf. Mein Heil hängt nicht an mir. Weder an meinem Tun, noch an meinem Verstand, noch an meinen Gefühlen. Ob ich mich „gerettet“ fühle oder nicht, spielt keine Rolle. Gott ist es, der mich hält, wenn ich selber mich nicht halten kann (und übrigens auch wenn ich das Gefühl habe, mich selber durchaus halten zu können).
Aus dem Versuch einer Antwort auf die Unsicherheit und die Zweifel, die sich im Vertrauen auf Gott immer wieder einstellen ist im Laufe der Jahrhunderte der Versuch geworden, nicht nur eine Vorherbestimmung zum Heil, sondern auch zum Unheil zu denken; ist im Laufe der Jahrhunderte der Versuch geworden, die eigene Vorherbestimmtheit an weltlichem Wohlergehen oder anderem festmachen zu können; ist im Laufe der Jahrhunderte das genaue Gegenteil geworden von dem, was Paulus hier im Sinn hat: Eine theologisch sanktionierte Angstmacherei und nicht mehr eine Untermauerung der Gewißheit, die eben nicht auf eigenen Mauern stehen kann.
Mein Leben gründet nicht auf meinem Tun.
Meine Rechtfertigung, also die Antwort auf die Frage, ob ich gut genug bin für Gott, gründet nicht auf meinem Tun.
Mein Wohl- oder Nicht-Wohlergehen in meinem Leben ist kein Kriterium für die Frage, ob ich bei Gott einen guten Stand habe oder nicht.
Die Unsichtbarkeit der erhofften Erlösung (übrigens: nicht nur meiner, sondern auch die meiner Mitmenschen und die meiner und unserer Welt insgesamt) ist kein Widerpruch gegen Gottes feste Zusage.
Meine Zweifel, meine Fragen, mein meinen eigenen Maßstäben so oft widersprechendes Handeln, meine Unfähigkeit zu beten, zur Besinnung zu kommen und mich überhaupt ab und an einmal auf das zu fokussieren, worauf es im Leben wirklich ankommt – all das ist kein Kriterium für Gott mir gegenüber.
Ganz eindrücklich ist mir immer wieder das, was von Martin Luther erzählt wird. Er habe in Zeiten des Zweifels und der Ungewissheit und Unsicherheit – und davon gar er nun wahrlich mehr als genug durchlebt – sich groß vor die Augen den Satz gemalt: Ich bin getauft. Ich bin getauft. Gott steht zu mir – und genauso, wie die Taufe nicht an mir hing, wie ich in der Taufe nichts an eigenem Verdienst eingebracht habe, sondern ganz und gar angewiesen war auf Gottes Ja, so bleibt es ein Leben und ein Sterben lang. Ich bin getauft. Das kann durch nichts, was ich tue, durch nichts, was ich unterlasse, durch nichts, was geschieht oder nicht geschieht, zunichte gemacht werden.
In Anlehung an unseren Einstieg möchte im Sinne des Paulus schließen und eine große Überschrift der Hoffnung über Dich und Dein Leben, über uns alle und unser aller Leben, über unseren manchmal festen, manchmal wankenden, manchmal überheblichen, manchmal kaum wahrnehmbaren Glauben an den Gott Jesu Christi malen; eine Überschrift, die gut an den Eingängen und den Ausgängen unserer Kirchen stehen könnte, damit wir sie hier und im Alltag nicht vergessen, sondern sie uns immer wieder vor Augen und vor die Herzen malen: Ihr, die Ihr eintretet, lasst Euch die Hoffnung schenken – die Hoffnung auf den Gott, der Jesus Christus im Tod nicht allein gelassen hat und der im Leben und im Sterben bei Euch sein und bleiben wird.
Und weil diese Hoffnung so groß und so hoch und so tief und so weit ist, müssen wir das achte Kapitel des Römerbriefes nun auch noch zu Ende lesen. Es gibt in der Bibel kaum schönere Worte, diese Hoffnung, diese große Überschrift über unser Leben im Vertrauen auf Gott, auszudrücken:
Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.
Amen.
Ihr, die Ihr eintretet, lasst Euch die Hoffnung schenken - Predigt zu Römer 8,26–30 von Sven Evers
8,26-30
Perikope