Ihr seid Salz der Erde - Licht der Welt, Predigt zu Matthäus 5,13-16 von Thomas Bautz
5,13-16

Ihr seid Salz der Erde - Licht der Welt, Predigt zu Matthäus 5,13-16 von Thomas Bautz

Ihr seid Salz der Erde - Licht der Welt

Liebe Gemeinde!

Vermutlich haben wir mehr Potential, als wir denken oder für möglich halten. Dabei hängt so vieles davon ab, was wir uns selbst zutrauen, aber auch davon, wie andere uns sehen. Mit Fug und Recht lassen sich zwei extreme Menschenbilder vertreten: a) Der Mensch als komplexes, mit Vernunft begabtes, kreatives Wesen - verantwortlich handelnd gegenüber Tier- und Pflanzenwelt; sorgsam mit Ressourcen umgehend; mit anderen Menschen ungeachtet ihrer Rasse, Kultur oder Religion im Frieden und Einklang lebend. b) Der Mensch als Zerstörer der Natur; als Verächter anderer Rassen, Völker, Kulturen, Religionen; als wahnsinniger Mörder; als Machtbesessener und Kriegslüsterner; als geldliebender, verblendeter Ignorant.

In der Bergpredigt des Jesus von Nazareth (nach Mt 5,13-16) begegnen uns sehr ermutigende Menschenbilder in Form von sprachlichen Bildern, die ich (aufgrund des Universalismus bei Mt) gern verallgemeinern, also nicht nur auf die Kirchengemeinde beziehen möchte. Erlauben Sie bitte dazu eine vorbereitende Hinführung.

Anthropos mikros kosmos - der Mensch ist eine kleine Welt: alle wesentlichen Kräfte und Eigenschaften des Kosmos lassen sich auch im Menschen wiederfinden. Der Gedanke geht wohl auf Demokrit (ca. 460 - ca. 370 v.d.Z.) in der griechischen Antike zurück, wird im MA aufgegriffen und kommt in der Geistesgeschichte immer wieder anthropomorphem Denken entgegen. Dahinter verbirgt sich eine tiefgründige Sehnsucht: Wenn wir den Menschen als kleinen Kosmos erfassen, mag es gelingen, analog das Universum zu ergründen.

Ein Problem besteht nur darin, dass wir den Menschen als Spezies eben nicht begreifen, und es bleibt fraglich, ob wir tatsächlich fähig sind, den unbegreiflichen Dimensionen des Weltalls fundiert näher zu kommen. Es ist denkbar, dass das Universum (manche Forscher sprechen von Universen) weder Anfang noch Ende hat: es existiert ewig und ist unendlich. Die Theorie vom „Urknall“ erweist sich bei kritischer Betrachtung als Hypothese; Experimente bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) im Schweizer Kanton Genf mit dem derzeit bedeutendsten Teilchenbeschleuniger (seit 2008 im Betrieb) beruhen auf Annahmen und theoretischen Voraussetzungen. Die Art der Durchführung eines Experiments beeinflusst stets auch die Ergebnisse; das ist eine wissenschaftstheoretisch anerkannte Erkenntnis.

Gerade in Naturwissenschaften setzen sich manche Meinungen besser und dauerhafter durch als andere; die Gründe liegen oft außerhalb des eigentlichen Wissenschaftsbetriebes. Man darf nicht die Augen davor verschließen, wie Wirtschaftsvertreter und Lobbyisten die vom Gesetz her garantierte, faktisch aber nur scheinbare unabhängige Hochschulforschung beeinflussen und wohin einseitig interessengeleitete Forschung auf der Basis von Industriegeldern führen kann; s. Christian Kreiß: Gekaufte Forschung. Wissenschaft im Dienst der Konzerne (2015).

Ich finde es verdächtig, wenn sich Hypothesen als scheinbar plausible Theorien präsentieren und unwidersprochen etablieren. Dann werde ich neugierig; mit etwas Glück entdecke ich Vertreter einer Minderheit, die überzeugende Gegenargumente liefern. Fortschritt beginnt mit Kritik am Bestehenden, aber: „Es ist schwieriger, eine vorgefaßte Meinung zu zertrümmern als ein Atom“ (Albert Einstein), zit. n. Manfred Pohl: Die Urknallhypothese, ein Hindernis für die kosmologische Forschung (2011), 3.

Der Mensch als „kleiner Kosmos“: er soll forschen, neugierig sein, energisch vorstoßen in die schier unermessliche Weite des Alls. Er soll dabei nur nicht das Staunen verlieren angesichts der sich den Augen - vermittelt durch Teleskope und Satelliten - darbietenden wundervollen, vielfältigen Pracht und Schönheit immer wieder neu entdeckter Galaxien mit ihren Sonnen und Sternen, ihrem Sterben und Neuentstehen. Einstein mahnt: „Wer sich nicht mehr wundern und in Ehrfurcht verlieren kann, ist seelisch bereits tot“ (zit. n. Pohl, 49).

Warum gibt es die Erde, den blauen Planeten, dessen Artenreichtum und Ressourcen der Mensch leider radikal gemindert hat? Wer sind wir: Pflanzen, Tiere, Menschen - angesichts der unbegreiflichen Größe des Kosmos, des Universums? Bleibt nicht alles ein Mysterium? „Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle“ (Einstein; zit. n. Pohl, 33).

„Kosmos“ bedeutet im Griechischen auch „Schmuck“; ich möchte den Menschen einmal als „Schmuck“ - den Menschen mit seinem kreativen, konstruktiven Potential -, als Kunstwerk verstehen. Manchmal bezeichnen wir einen geliebten Menschen als „Schmuckstück“. Was wäre das für ein hoffnungsvolles, positives Menschenbild, wenn wir allgemein und global den Menschen als „Schmuck“ ansehen dürften!

Rabbi Jesus hält andere, gleichwohl ebenso Hoffnung ausstrahlende Bilder für den Menschen bereit: „Ihr seid das Salz der Erde - das Licht der Welt“. „Die Künste sind das Salz der Erde (…)“, schreibt Goethe in Wilhelm Meisters Wanderjahre (vgl. Goethe-HA Bd. 8, S. 242).

Tatsächlich sind es außer den Medien, sofern sie kritische und sachliche Aufklärung betreiben, die Künste, die Widerstand leisten gegen soziale, wirtschaftliche Missstände, gegen politische Unterdrückung, gegen religiösen Fanatismus, gegen pseudopolitischen Extremismus.

Allerdings dürfen weder Medien noch Künste käuflich oder einseitig parteiisch werden, sonst verlieren sie ihre Kraft, ihr subversives Potential. Salz der Erde - nach der rhetorischen Rede des Rabbi Jesus verbietet es sich von selbst, dass das Salz kraftlos werde: „eine unmögliche Möglichkeit“; Ulrich Luz: Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1 (1985), 222). „Ihr seid das Salz der Erde“ - werdet euch dessen bewusst!

Menschen bringen viel mehr naturgemäße Eigenschaften und Potential mit, als sie glauben. Ich gebe allerdings zu, dass auf der anderen Seite im Leben eines Menschen mitunter von Anfang an seine guten Veranlagungen durch familiäre und gesellschaftliche Einflüsse ganz oder teilweise verschüttet werden oder seine Entwicklung ins Destruktive umschlägt. Doch wenn es gelingt, dass eine solche zwangsläufig gescheiterte Existenz Licht bringende Hilfe erfährt, wird dieser Mensch aller Erfahrung und Erwartungen zum Trotz sein Leben erstmals selbst in die Hand nehmen und dabei seiner Kraft als „Salz der Erde“ gewahr werden.

Salz kann seine chemischen Eigenschaften nicht verlieren; dennoch bleibt die Warnung des Nazareners vor der möglichen Unmöglichkeit berechtigt. Denn das Salz bleibt allemal ohne Wirkung, wo es nicht verwendet wird. Ich muss wieder einmal an Nazi-Deutschland denken: Warum ist es dem deutschen Volk nicht gelungen, dem Führer, Hitler, kräftig „die Suppe zu versalzen“?!! Warum gab es nur wenige Widerstandskämpfer? Wodurch wurde das gewaltige, schlagkräftige Wort aus der Bergpredigt: „Ihr seid das Salz der Erde“ derart entkräftet?

Es ist gut und absolut notwendig, dass über die Gräueltaten der Nazis weiterhin international aufgeklärt wird. Denn es ist eine zum Himmel schreiende Schande, dass zum Kriegsende 1945 und danach die meisten nationalsozialistischen Verbrecher entkommen konnten. Lange Zeit war in Deutschland ohnehin die systematische Ermordung in den Konzentrationslagern kein nennenswerter Anlass zur Selbstkritik. Das notwendige Bewusstsein wurde stattdessen eingeholt von der Entwicklung zum Wirtschaftswunderland.

Nicht nur Einzelne, sondern eine ganze Gesellschaft kann somit vergessen, welches Potential in ihnen steckt - und wenn es niemand ihnen sagt, verfehlen sie ihr Ziel, hilfreich zu sein für ihre Mitmenschen, friedliebend, zuvorkommend, für die Familie und für sich zu sorgen - die Menschen versündigen sich:

Eichendorff dichtet in „Geschichte der poetischen Literatur Deutschlands“ (vgl. Eichendorff-W Bd. 3, S. 846):

             „Wir haben alle schwer gesündigt,
            Wir mangeln allesamt an Ruhm,
            Man hat, o Herr! uns oft verkündigt
            Der Freiheit Evangelium;
            Wir aber hatten uns entmündigt,
            Das Salz der Erde wurde dumm (…).“

Das Bildwort vom „Salz der Erde“ wird verstärkt durch die Lichtmetaphorik: „Ihr seid das Licht der Welt“; eure Ausstrahlung kann nicht verborgen bleiben: Niemand zündet ein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter (Lichtständer). Und doch lässt das bekannte deutsche Sprichwort: „Du sollst oder du musst dein Licht (doch) nicht unter den Scheffel stellen“ aufmerken, weil es uns auf die negative Möglichkeit hinweist.

Was bei Rabbi Jesus als unmögliche Möglichkeit erscheint, ist im Leben vieler Menschen doch unabweisbar nicht nur möglich, sondern knallharte Wirklichkeit. Vom Kindergarten über die Grundschule bis zu den weiterführenden Schulen und seit der Durchführung der Studienreform an den Hochschulen werden Kinder, Jugendliche und junge Leute mit Wissen vollgestopft - und das im Turbogang, der viele auf der Strecke bleiben lässt. Auch das Abitur am Schluss des 12. Schuljahrs bringt keinen realistischen Gewinn. Lernprogramme lassen wenig Spielraum, sogar die Curricula an den Hochschulen. Dem sind Lehrkräfte ebenfalls unterworfen. Ein hohes Maß an Reglementierung, ein geringes Maß an freier Gestaltung.

Weniger spezielles Wissen sollte vermittelt werden, dafür mehr Allgemeinbildung. Komplexe Zusammenhänge verstehen können; Probleme erkennen, Lösungen versuchsweise erarbeiten und Ergebnisse kommunizieren lernen - mit dem Ziel, Aus- und Weiterbildung den Gaben der Einzelnen anzupassen. Ein junger Mensch muss die Chance erhalten, seine Fähigkeiten zu entdecken, um sie dann entfalten zu können. Viele Grundschulkinder erleben aber schon zwei Arten Korsett, die einander bedingen: das Korsett des Leistungszwangs und das Korsett der Gleichschaltung. Jedes einzelne Kind hat nach einem vorgegebenen allgemeinen Maßstab zu funktionieren und sich ihm leistungsmäßig anzupassen. Individuelles wird ausgeblendet.

Wie soll ein Mensch unter solchen Bedingungen überhaupt seine persönlichen Fähigkeiten entdecken und ausbauen? Unter den geschilderten Voraussetzungen werden Individuen nur sehr erschwert, wenn überhaupt, zu originellen, unverwechselbaren Persönlichkeiten reifen. Für sie müssten neue, förderliche Maßnahmen getroffen werden, damit beide Worte in ihrem Fall überhaupt Anwendung finden:

„Ihr seid das Licht der Welt! Eine Stadt, die oben auf einem Berge liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter (…).“ - „Du sollst oder du musst (doch) dein Licht nicht unter den Scheffel stellen“!

Man kann diese beiden Gedanken als klar erkennbare Gegensätze verstehen; s. Lutz Röhrich: Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten, Bd. 3 (2. Aufl. 1995): Licht, 959-963: 960-961. Sprachwirklichkeit oder Sprachgebrauch sehen vor, dass es unmöglich ist, Licht zu verbergen, und vom Nazarener wird auch vorausgesetzt, dass niemand, der z.B. eine Kerze anzündet, das Kerzenlicht sogleich versteckt oder gar wieder auslöscht. Wer sein Licht dennoch unter den Scheffel stellt, gerät sprichwörtlich unter den Verdacht falscher Bescheidenheit.

Im Falle des Rufes in die Nachfolge Jesu versäumt man gar, einen persönlichen Beitrag zur Verherrlichung des himmlischen Vaters zu leisten, wie Rabbi Jesus es aber vorsieht:

„Ebenso soll auch euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der im Himmel ist, preisen.“

Angefangen beim Reformator Martin Luther haben Protestanten immer wieder grundsätzliche Probleme mit „den guten Werken“. Das hat dogmatische Gründe, die zu beleuchten ich mich hier nicht anschicken möchte. Biblisch besteht gar kein Problem, weil Werke und Früchte oft als Synonyme auftreten. Früchte erwachsen oder werden sogar geschenkt, wie die „Früchte des Heiligen Geistes“; auch entspringen „Werke“ nicht allein menschlicher Leistung, sondern haben ihre Ursache im göttlichen Wirken (Eph 2,10):

„Denn sein Gebilde sind wir, geschaffen in Christus Jesus zu einem Leben voller guter Taten  (Werke), die Gott schon bereitgestellt hat“, s. Neue Zürcher Bibel (2007), 307.

Natürlich sehen wir unsere hilfreichen Taten, pflichtgemäßen Handlungen, berufsbedingten Werke ebenso wie unsere Defizite und Unterlassungen als unsere ureigensten Belange an. Nur allzu enthusiastische, überspannte oder selbsternannte Charismatiker und fromme Fanatiker wagen es, ihre guten Taten direkt von „Gott“ oder dem „Heiligen Geist“ abzuleiten.

Für Jesus ist es fraglos, dass Menschen in seiner Nachfolge als lichtvolle Existenzen ihr Licht nicht unter den Scheffel stellen, sondern es in Gestalt von „guten Werken“ für Mitmenschen sichtbar leuchten lassen. Der Rabbi verbindet das sogar mit der Hoffnung, wenn nicht gar mit der Gewissheit, dass diese Werke ohne Eigennutz zum Lob des himmlischen Vaters führen.

Der Nazarener ruft Menschen in seine Nachfolge, die darauf vertrauen, dass sie wirklich Salz der Erde und Licht der Welt sind. Diese Identität gilt es nicht lauthals zu verkünden, sondern vielmehr im Leben zu verwirklichen, wobei die Metaphorik sprechend genug ist: Salz ist nur nützlich, wenn es zum Würzen gebraucht wird; es vermag dem Leben der Menschen Würze zu verleihen, es so zu durchdringen, dass es durch Verfeinerung genießbarer, erträglicher wird. Licht ist zum Leuchten da. Es kann in Seenot Geratenen den Weg zurück zur sicheren Küste weisen. Das Licht des Verstandes vermag aufzuklären über verbreitete Irrtümer, Aberglauben, Ideologien, trügerische Versprechungen. Ein erleuchtetes Herz kann Mitgefühl (compassion) wecken für Mitmenschen und die permanent bedrohte Natur. Licht erhellt die dunkelsten Winkel, in die sich verzweifelte Menschen voller Furcht zurückgezogen haben.

Wer vorgibt, „das Licht der Welt“ zu sein, dabei aber selbst im Dunkeln tappt, wird nicht nur ständig ins Stolpern geraten, sondern wird auch Suchenden zum Stolperstein. Wer behauptet, „das Salz der Erde“ zu sein und dabei seinen Mitmenschen ihre Suppe versalzt, wird alsbald weggeschüttet und von den Medien zertreten.  „Es ist nicht Sache der Kirche, zu sagen, sie sei das Salz der Erde; ihre Sache ist es, Salz für die Erde zu sein, eben dadurch, daß sie das Beste tut zum Nutzen der Welt“; Hans Weder: Die „Rede der Reden“ (2. Aufl. 1987), 90.

So wie Jesus von Nazareth sich als Bruder seiner Mitmenschen verstanden und ihnen gedient hat, sollen die Jesus Nachfolgenden der Gesellschaft zu Dienste stehen. Dem Dienen stehen offenkundig gewisse Faktoren im Wege; in Deutschland birgt die privilegierte Position der Großkirchen schon ein verführerisches Potential. Staatlich sanktionierter Einfluss der Kirchen gerät für die Gesellschaft und einzelne Menschen nicht immer zum Segen oder allgemeinen Nutzen. Man denke nur an die Sonderstellung des Kirchenrechts.

Andererseits besteht für die institutionalisierte Religion die Möglichkeit, das Potential ihres „Salzseins“ und „Lichtseins“ auszuschöpfen. Kirchenvertreter sollten versuchen, dem faden Alltag ermüdeter und zum Teil resignierter Abgeordneter wieder etwas Würze zu verleihen. Sie sollten überparteilich bzw. ohne Parteizugehörigkeit das Augenmerk der Politiker auf das Gemeinwohl lenken und dazu anregen, einen gemeinsamen Nenner bei den verschiedenen Meinungen der Parteien zu erarbeiten. Dabei sollten die Interessen der Benachteiligten, der Pflegebedürftigen, der chronisch Kranken, der Asylanten und Flüchtlinge, aber auch unserer Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt stehen.

Vor allem sollte die gefährliche, trügerische fundamentale Ideologie intensiv durchleuchtet werden, die wir völlig unkritisch von den USA übernommen haben, die nun in unserem Land herrscht: der Turbokapitalismus oder Mammonismus, einfacher: die Liebe zum Geld (griech. silber-, geldliebend). Ich werde nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen. Der Arzt und Evangelist Lukas führt in dieser Hinsicht die deutlichste Sprache, weshalb sein Evangelium treffend als „Evangelium der Armen“ bezeichnet wird. Die Makarismen beginnen bei ihm mit den Worten (Lk 6,20b): „Glückselig seid ihr Armen, denn euer Teil ist das Reich Gottes.“

Wiederum bei Lukas finden wir den wirtschaftsethisch vielleicht weisesten Ausspruch (16,9): „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon (Reichtum)“, bei Mt heißt es quasi ergänzend (6,24d): „ihr könnt nicht (gleichzeitig) Gott und dem Mammon dienen.“

Die Kritiker des Turbokapitalismus bezeichnen diesen zu Recht als Geldreligion; es handelt sich um eine Universalreligion, die sich schon nahezu den gesamten Globus erobert, wenn nicht gar unterworfen hat. In diesem Sinne ist die Rede vom globalen Denken und Handeln durchaus zweideutig. Der Geldreligion geht es nicht um innere oder auch äußere Werte; sie kümmert sich einzig und allein um alles, was verwertbar ist, was transformiert werden kann in Aktien, Wertpapiere, Immobilien, Geld im weitesten Sinne.

Vertreter der Geldreligion gehen - kurzfristig, vor allem aber langfristig - über Leichen: Sie lassen die wichtigsten Regionen unseres Planeten zertreten, verbrennen, auf jede nur denkbare Art ausbeuten, zerstören; Meere und Böden vergiften, kontaminieren. Sie schließen sich mit dubiosen Regierungen zusammen, die Militärdiktaturen gleichen; gemeinsam beuten sie die armen Arbeiter und Bauern aus, die ihnen gezwungenermaßen als Handlanger dienen.

Die globalen (!) Verflechtungen dieses destruktiven pseudowirtschaftlichen Verhaltens sind derart kompliziert, dass es offenbar verschiedener hoch qualifizierter Gremien, bestehend aus intelligenten Fachkräften guten Willens, bedarf, um zumindest erst einmal aufklärendes Licht in die vielfältigen dunklen Geschäfte und Machenschaften zu bringen. Fragt sich nur, welche Instanz die nötigen Vollmachten erhielte, um Entscheidendes zu ändern!

Selbst der - mir zugegebenermaßen sympathische - aus Lateinamerika stammende, von daher wohl auch prädestinierte Papst Franziskus erhebt zwar seine gewichtige Stimme, aber ob er über die Funktion als Sprachrohr der Armen und Verfechter einer konsequenten Umweltethik hinaus tatkräftigen Einfluss wird ausüben können, ob ihm genügend Menschen folgen werden, indem sie sozusagen erkennen, dass sie Salz der Erde und Licht der Welt sind?

Die schlimmsten Auswüchse der Geldreligion mit ihren direkten Folgen für die Menschen sind Drogenhandel, Menschenhandel, Zwangsprostitution, Kinderpornographie im Internet,  Waffenindustrie und Kriege, von denen die Geldreligion profitiert. Streng genommen, müsste man die fortschreitende Entwicklung nuklearer, chemischer und biologischer Kampfmittel dazu rechnen. Schon längst weiß auch der einfache Arbeiter: Politik wird von Industrie und  Wirtschaft regiert, auch hierzulande, ergo bestimmt oder herrscht letztlich die Geldreligion?

Ich formuliere es als Frage, weil ich noch voller Hoffnung bin, dass sich ein rabbinisches Wort hier und dort durchsetzt: „Das Salz des Geldes ist die Wohltätigkeit“ (H. Weder, 87).

Das gleicht dem Wort: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon! Geld lässt sich bekanntermaßen auch für gute Zwecke, für Arme, für Kranke, zur Unterstützung hilfreicher, uneigennütziger Organisationen, Einrichtungen und Verbände einsetzen. Geld als solches ist weder gut noch böse; nur die Gier danach, die Liebe zum Geld ist Wurzel allen Übels.

Mit Salz verleihen wir Speisen - jeweils in der richtigen Dosierung - die gewünschte Würze; sie würden sonst fade schmecken. Wir können mit Salz aber auch Nahrung konservieren, die sonst leicht verderblich wäre. Bei Drewermann finde ich noch einen weiterführenden Hinweis: Salz wirkt, indem es sich auflöst; gesalzene Lebensmittel vermitteln Lippen und Zunge den Geschmack des Salzes. Aber dieser kristalline Stoff ist selber in der Speise wie verwandelt und ist nicht mehr sichtbar, obwohl er natürlich noch vorhanden ist und wirkt. „So offenbar sollen im Sinne Jesu Menschen werden, die an ihn glauben.“ Kein ängstliches Bedachtsein auf „Selbstbewahrung“ „vor jeder Verwechslung und Vermischung“, keine feste „ehrwürdige, normierte Identität“; s. Eugen Drewermann: Das Matthäusevangelium 1. Teil (1992), 429.

Doch weil wir „Salz der Erde und Licht der Welt“ sind, fragen wir uns: Wie nützen wir den Menschen, die uns brauchen? Wie öffnen wir uns so weit, dass es anderen hilft? Wie helfen wir bestehende Schranken unter Menschen abzubauen? Wie vermitteln wir unseren Kindern, dass auch sie „Licht der Welt“ sind, auch wenn sie womöglich in den Augen der Lehrkräfte keine „große Leuchte“ darstellen? Wie ermutigen wir Menschen, die am herkömmlichen dogmenhaften „Glauben“ zweifeln oder sogar verzweifeln, zu dem Selbstbewusstsein, dass gerade sie wie Salz in der Gemeinschaft wirken können.

Wie können wir uns einbringen in Betrieben, Firmen und Konzernen, in denen Menschen kurz- oder langfristig die Arbeitslosigkeit droht? Gibt es in der Wirtschaftswelt noch Raum für Mitmenschlichkeit, gibt es eine gemeinsame Basis für Unternehmer und Beschäftigte? Könnte es Kirchenvertretern gelingen, ihren Einfluss geltend zu machen?

Wäre es uns nach Prüfung all unserer Kräfte möglich, Langzeitarbeitslosen zu helfen, die ständig unter dem Vergleichsdruck mit der arbeitenden Bevölkerung stehen, die zwischen Schamgefühlen, Resignation, Trotz und Sinnlosigkeitsverdacht pendeln? Wie vermögen wir es, diesen armen Menschen zu zeigen, dass sie nicht wertlos sind, dass Erwerbslosigkeit nicht mit Wertlosigkeit gleichzusetzen ist?

Werden wir es schaffen, Menschen aus dem Ausland - Flüchtlinge, Asylanten und anderen Ausländern, die schon länger bei uns leben - eine zweite Heimat zu geben? Wird ihnen ein Licht der Warmherzigkeit, kaltes Polarlicht oder Zwielicht bürgerlicher Selbstzufriedenheit begegnen? Der Wille zur Integration ausländischer Mitbürger, auch von Flüchtlingen, wird dankenswerterweise stärker. Dazu gehört allerdings der Widerstand gegenüber Kräften, die aus welcher Motivation auch immer ihre Ausländerfeindlichkeit demonstrieren und zum Teil mit Gewalthandlungen unterstreichen.

Die Metaphorik des Rabbi Jesus: „Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt“ mag uns dauerhaft dazu ermutigen, nie im Kampf für das Gute und im Eintreten für Schwächere nachzulassen. Viele Menschen, die sich für Frieden, für die Umwelt, für Menschen in Kriegs- und Krisengebiete einsetzen oder auch in der Heimat für Pflegebedürftige und Behinderte - sie alle bezeugen, wie schön und erhebend es sein kann, wenn man erfahren darf, gebraucht zu werden, jemandem oder einer guten Sache dienlich oder nützlich zu sein.

Amen.