"Im Auftrag Gottes unterwegs – gegen die menschliche Einsamkeit" - Predigt über Johannes 14, 15-19 von Claudia Krüger
14,15
 
Im Auftrag Gottes unterwegs – gegen die menschliche Einsamkeit
Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten. Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen; ich komme zu euch. Es ist noch eine kleine Zeit, dann wird mich die Welt nicht mehr sehen. Ihr aber sollt mich sehen, denn ich lebe, und ihr sollt auch leben.
„Eines wollte ich immer schon mal wissen: Was wird eigentlich an Pfingsten in den christlichen Kirchen gefeiert?“
So die engagierte Frage einer muslimischen Schülerin in einer Evangelischen Berufsfachschule für Altenpflege. Die Religionslehrerin gab die Frage an die ganze Klasse von 32 erwachsenen Schülerinnen und Schülern zwischen 16 und ca. 50 Jahren weiter. Aber nicht nur die muslimischen oder konfessionslosen Schüler waren damit überfordert und blickten ratlos vor sich hin, sondern auch die christlichen hatten nicht den Hauch einer Ahnung, welches biblische Ereignis hinter dem Pfingst- Feiertag stehen könnte. Keine Taube, kein Brausen, kein Feuer, kein Geburtstag der Kirche, kein geistvolles Wort oder Lied und erst recht keine Apostelgeschichte.
Wie erklärt man also in heutiger Zeit, was an Pfingsten geschah und was es mit dem Heiligen Geist auf sich hat?! „Sie sind voll von süßem Wein“ – unter diesen Verdacht kamen die Menschen vor 2000 Jahren nach dem Pfingstwunder, wie sie die Apostelgeschichte erzählt, als alle vom Geist erfüllt plötzlich in verschiedenen Sprachen gesprochen hatten. Damit könnte die Lehrerin kein tieferes Verständnis befördern, sondern nur Kopfschütteln hervorrufen.
Unser Bibeltext aber aus dem Johannesevangelium ist sehr wohl geeignet, auch kirchenfernen Menschen den Heiligen Geist näher zu bringen, weil in dieser Geschichte unsere menschlichen Gefühle angesprochen werden.
Wer hat es nicht schon erfahren, vielleicht auch zu oft schon erfahren: das beklemmende Gefühl tiefer Einsamkeit. Das Mutterseelenalleinsein. Besonders alte Menschen äußern häufig das Gefühl von Verlassenheit, wie eine neue psychologische Studie es wieder dramatisch belegt. Sie empfinden ein Vergessen-Sein von Menschen und mitunter auch von Gott, der scheinbar nicht einmal da ist, um einen aus diesem Dasein und der  Einsamkeit endlich zu erlösen.
Sie erleben Sinnkrisen, Abschiede, Angst und Ohnmachtserfahrungen, häufig fühlen sie sich ausgeliefert an fremde Situationen und abhängig von anderen Menschen.
Aber auch junge Menschen kennen das Gefühl von Einsamkeit inmitten pulsierender Studienorte, inmitten sogar von fröhlichen Menschen, oder die einsame Kälte in Schulklassen, wo mancher der „Looser“ ist, also der ohne Freunde, auf dessen Kosten andere ihren Spott treiben. Auch in Berufen arbeitet man auf manchen Posten sehr einsam – immer unter den kritischen Blicken missgünstiger Neider, die nur darauf warten, dass man sich irgendeinen Fehler zuschulden kommen lässt.
Schon die Allerjüngsten kennen die Angst vor Unbekanntem oder davor, verlassen zu werden. Umso wichtiger ist es, dass gerade in den ersten Monaten und Jahren Menschen da sind, die unbedingte Geborgenheit schenken, damit sich ein Urvertrauen entwickeln kann, das sie ein Leben lang begleitet.
Wie viele unterschiedliche Erfahrungen von Abschied, Trennung und Alleinsein machen wir im Laufe unseres Lebens in unseren Beziehungen – zwischen einstmals Liebenden, zwischen Kindern und Eltern, Eltern und Kindern, Freundinnen und Freunden.
Und wenn gar ein geliebter Mensch stirbt, dann wird Einsamkeit oft ganz bitter erlebt, dann ergreift einen mitunter eine abgrundtiefe Verlassenheit. Bei Eltern verstorbener Kinder spricht man auch von „verwaisten“ Eltern.
Jesus begreift nur zu gut, was für uns Menschen Abschied bedeutet. Er muss bald seine Jüngerinnen und Jünger für immer verlassen, die doch so eng mit ihm verbunden waren, die so sehr an ihn geglaubt, ihn geliebt, und noch so viel von ihm erhofft haben. Allen ist er mit unendlicher selbstloser Liebe begegnet, keiner war ihm zu gering, als dass er sich nicht versöhnend und wertschätzend mit ihm oder ihr an einen Tisch gesetzt hätte. Wie oft hat er das schwache Vertrauen gestärkt, die Kranken geheilt und die Verzweifelten wieder aufgerichtet. Jetzt wird er weggehen für immer. Was soll dann aus ihnen werden? Wem können sie noch vertrauen? Was soll dann noch Sinn machen und Wege in die Zukunft weisen?
Jesus weiß um seinen kommenden Tod er ahnt, wie sehr ihn die Seinen vermissen werden. Daher bereitet er sie auf seinen Abschied und auf die Zeit danach vor.
Im Johannesevangelium wird davon berichtet in den sogenannten „Abschiedsreden Jesu.“:
Wie wird es weiter gehen nach seinem Tod, wie soll das Leben ohne den Menschen aussehen, der einem so nahe war?
Jesus antwortet in unserem Textabschnitt aus den Abschiedsreden mit folgenden Worten: „Liebt ihr mich, so werdet ihr meine Gebote halten.“ Das überrascht: Liebe und Gebote, das geht erst einmal gefühlsmäßig schwer zusammen! Und doch steckt eine faszinierende Logik darin. Wenn ihn seine Jüngerinnen und Jünger wahrhaftig lieben, dann werden sie unter allen Umständen versuchen, in seinem Sinne weiter zu leben und den Menschen, denen sie begegnen mit der Liebe zu begegnen, mit der er sie geliebt hat – ohne Wenn und Aber, bedingungslos. „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt.“ Mehr braucht es nicht, keine ethischen Abhandlungen, keine dicken Dogmatiken. Sondern nur diese herausfordernde lebenslange Aufgabe: seine Liebe zu leben in unserer Welt. Seine Worte wirken weiter, dadurch, dass er sie lebendig unter uns gegenwärtig hält, als ob er immer noch persönlich anwesend wäre.
So wie auch ein geliebter Mensch uns gegenwärtig bleibt, dadurch dass wir uns an seine Gedanken und Worte erinnern, selbst wenn er  längst gestorben ist – immer wieder wird man sich denken: „Ja, das würde er oder sie jetzt tun oder sagen. Und das wäre jetzt ganz und gar in ihrem Sinne!“
So kann man weiterhin mit einem geliebten Menschen verbunden bleiben in einer Weise des kostbaren liebevollen Erinnerns und dadurch dass wir im Herzen spüren, wie einzigartig dieser Mensch war und immer für uns bleibt.
Wenn wir also dem Gebot Jesu folgen und seine Liebe leben –bedingungslos- dann wird sein Wille erfüllt und spürbar in unserer Welt. Das ist Herausforderung und Auftrag genug für ein ganzes Leben – für unsere ganze Menschheit. Damit sollten wir jeden Morgen den Tag beginnen. Und wenn möglich am Abend den Tag auch wieder beschließen – mit so viel Liebe wie nur irgend möglich.
Wenn wir aber Liebe hereintragen wollen, dann müssen wir immer wieder erfahren, dass wir selbst unendlich geliebt sind. Ich denke da am heutigen Muttertag an eine in gutem Sinne mütterliche oder väterliche Geborgenheit, die hält und trägt, ganz egal was passiert. Jesus möchte, dass wir Menschen seine Liebe spüren können, auch wenn er nicht mehr persönlich bei uns auf Erden ist. Doch weil wir es so oft vergessen und manchmal ganz und gar nicht spüren können, deshalb muss er Hilfe herbei rufen! Und so bittet er den Vater, dass er einen lebendigen Tröster schicken möge, den Geist der Wahrheit, den „von ihm herbei Gerufenen“, wie er wörtlich übersetzt auch heißt. Herbeigerufen damit er bei den Menschen sei, ja sogar lebendig in ihnen sei, in Ewigkeit. „Die Welt sieht diesen Geist  nicht und kennt ihn nicht!“ Ihr aber „ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“  So ganz und gar soll der Heilige Geist in uns verinnerlicht sein. Soll bei uns sein und bleiben für alle Zeit – und soll uns das tiefe Vertrauen schenken: wir sind nie allein. Wir sind und bleiben in ihm und bei ihm geborgen. Er soll uns dieses kindliche Urvertrauen wieder erwecken, dass wir liebevoll gehalten sind in dieser Welt und für alle Zeit. Er will uns aber auch wieder von neuem beflügeln, dass wir erwachen aus der Starre der Einsamkeit und der Angst, damit  wir auch wieder andere Menschen beschenken können mit der Liebe, mit der wir selbst zutiefst geliebt werden.
„Heiliger Geist“ - Denken wir zurück an unsere Schülerinnen und Schüler
Wie können wir angemessen von ihm sprechen, so dass man es verstehen kann?
„Tröster“wird er in unserem Text genannt. Er ist also derjenige, der wirklich trösten kann, auch in ganz schmerzvollem Abschied. Er ist nicht nur bei uns, sondern in uns. Tief in uns brauchen wir seinen Halt und eine letzte Gewissheit, dass wir nie allein sind. Tief in uns möchten wir erfahren, dass wir ins Recht gesetzt werden – allen Feinden zum Trotz. Wir möchten die Wahrheit des Lebens erkennen inmitten verwirrender Unklarheiten. Er trägt viele Namen, der Geist Jesu Christi: „Tröster, Beistand, Geist der Wahrheit…“
„Den Fröhlichmacher“ hat ein Kind ihn einmal treffend genannt. Wer sonst könnte uns wieder so gewiss und so froh machen!
Mitten im Zentrum unserer Person muss er lebendig spürbar werden. Dort, wo unsere Empfindungen sitzen und unsere Gefühle entstehen.
Eines wissen die Schülerinnen und Schüler: Es gibt vieles im Leben, das wir nicht sehen. Und dennoch ist es da, denn wir spüren seine Auswirkungen: Trost, Vertrauen, Liebe, Glaube, Schutzengel, Sehnsucht, Hoffnung oder eine nicht näher definierbare göttliche Macht. Wir alle könnten die Reihe spielend ergänzen! All das und noch vieles mehr ist nicht sichtbar, aber sehr wohl spürbar. So ist auch der Heilige Geist! Bei uns und in uns will er sein. Auch dann, wenn manchmal niemand mehr bleibt, wenn scheinbar  ganz und gar nichts mehr übrig bleibt von unserem Leben oder unseren Träumen. Der „Bleiber“, der unbedingt „Dableibende“ bleibt dennoch. Uns zur Seite. Gegen alle Einsamkeit bleibt er bei uns. Damit sich niemand jemals so verlassen fühlen muss, so verloren, so mutterseelenallein, dass er keinen Ausweg mehr sieht. Daran will der Geist uns immer wieder behutsam erinnern. Er bleibt bei uns, auch wenn wir ihn manchmal ganz und gar nicht spüren können. Er will uns Vater und Mutter bleiben, will uns so trösten, dass wir auch wieder den Blick heben und einander wahrnehmen können. Dass wir sehen: da sind auch andere für mich da. Und da kann ich irgendwann auch wieder für andere da sein.  
Und er kann uns daran erinnern, dass nichts auf Dauer so bleiben muss, wie es vielleicht gerade ist, so festgefahren, so unveränderlich, wie wir es in manchen Augenblicken der Ohnmacht empfinden. Er will uns sagen: heilsame Veränderung ist möglich, weil er immer da ist, wo wir ihn am dringendsten brauchen! Deshalb hat er so vielerlei unterschiedliche Bedeutungen, ist nicht festlegbar, sondern  ist göttlich- wunderbar da zu finden, wo wir ihn brauchen: als Tröster, als Fürsprecher, als Beistand, als Begleiter.  Und er hält über all das jetzt schon Spürbare, die Hoffnung wach von einer anderen neuen Welt, wenn diese Welt einmal nicht mehr sein wird. Ja, der Heilige Geist weist auch weit über das Diesseits hinaus.
Jesus wird sich nach seinem Tod und Auferstehung noch einmal einigen Menschen zeigen, damit sie sehen: er lebt, er ist auferstanden, der Tod verliert seine Macht. Einer ist stärker, er geht voraus und wird einst alle in das Licht seiner Auferstehung ziehen, in seine ewige Liebe. „Ich selbst“, so sagt er, „ bin die Auferstehung und das Leben, wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“
Und noch eines: Der Geist wird auch als „Sinnvollender“ wirken, wenn wir von dieser Erde gehen. Er ist der „Vollender“ unseres menschlichen und deshalb immer auch bruchstückhaften Lebens. Er wird ein Ganzes daraus machen. Wird es vollenden in seiner ewigen Liebe.
Ja, der Heilige lebendige Geist hat unzählige wunderbare Facetten. Wie ein Windhauch, so wird er anderorts auch beschrieben. Lebensatem Gottes, der einst allen das Leben eingehaucht hat. Er will auch uns immer wieder beleben! Manchmal spüren wir ihn kaum, vielleicht nur als zarten Hauch, und doch kann er behutsam trösten. Er kann aber auch kräftig herein blasen, wenn uns ganz eng wird ums Herz und im Hirn, er kann uns wieder aus Resignation befreien, uns wieder beleben, ja beflügeln! Er kann unermüdlich wirken, bis wir begreifen, wohin oder wozu er uns bewegen will.
Er ist ganz frei, ganz göttlich. Deshalb weht er wann er will und wo er will. Wir Menschen sind nie ganz mit ihm fertig. Denn wir sind eben auch mit seinem Schöpfer, mit dem lebendigen Gott niemals fertig. Er wird uns immer wieder von neuem ins Staunen bringen und uns bewegen. Manchmal muss er ganz beharrlich und lange wehen, bis wir aus der Erstarrung wieder erwachen und erkennen: Er ist da! Er bleibt da.
Und immer wieder wird er uns Menschen schicken, Worte, Gedanken – und auf geistvolle Weise unsere Einsamkeit beenden und die Gemeinschaft stärken.
Ein großer „Virtuose“ in der Beschreibung des Heiligen Geistes war Hans Dieter Hüsch, er sagt:
„…er (der Heilige Geist)  ist von wolkenloser Musikalität und wenn man ihn wiegen könnte, ganz leicht und deshalb so schwierig, je leichter der Heilige Geist, desto mehr steckt in ihm, er weiß alles, sieht und hört alles, auch jetzt sieht und hört er uns, er ist im Auftrage Gottes unterwegs, uns das Schwere leicht zu machen. …und es gibt ja auch Tage bei uns, wo wir ihn wirklich nicht spüren mit unserem kleinen Menschenglauben, wo wir ihn uns jedes Mal aufs Neue erfühlen müssen und glücklich sind, wenn das Schwere plötzlich in uns abfällt und der Geist hier in uns und bei uns ist und Probleme sich aus dem Staub machen und die Menschen wieder anfangen zu lächeln. …Gott… schickt seit Jahrtausenden den heiligen Geist in die Welt, dass wir zuversichtlich sind, dass wir uns freuen, dass wir aufrecht gehen ohne Hochmut, dass wir jedem die Hand reichen ohne Hintergedanken und im Namen Gottes Kinder sind in allen Teilen der Welt eins und einig sind und Phantasten des Herrn werden von zartem Gemüt von fassungsloser Großzügigkeit und von leichtem Geist.
Ich zum Beispiel möchte immer Virtuose sein was den heiligen Geist betrifft.“
Ich möchte mich Hans Dieter Hüsch anschließen, was den heiligen Geist betrifft, denn der Heilige Geist ist auch weiterhin im Auftrag Gottes unterwegs– gegen die menschliche Einsamkeit. Er kommt auch zu uns – und ist schon da. Hier und jetzt.
Am Pfingstfest und allezeit. Amen.
 
Zitat: Hanns Dieter Hüsch: das Schwere leicht gesagt, Herder Verlag, 4. Auflage 1994, S.81f
Perikope
12.05.2013
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