"Im dritten Himmel", Predigt zu 2. Korinther 12, 1-5 von Uwe Vetter
12,1
´Im dritten Himmel`
2.Korintherbrief, Kapitel 12
Geprahlt werden muss, so predigt uns der Apostel Paulus. Gerühmt werden muss, auch wenn´s (vielleicht) nichts nütze (scheint). So will ich denn (zu sprechen) kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn, sagt er. ... (2) Ich weiß einen Menschen-in-Christus - vor vierzehn Jahren wars, ob er sich nun in seinem Leibe befand, ich kann´s nicht sagen, oder (ob es ein ekstatisches Erlebnis war) außerhalb des Leibes, ich weiß es nicht,Gott weiß es - der wurde entrückt bis in den dritten Himmel. (3) Und ich weiß von demselben Menschen - ob er nun im Leib oder außerhalb seines Leibes gewesen ist, ich weiß es nicht,Gott weiß es - (4) dass er entrückt wurde ins Paradies und hörte unaussprechliche Worte, dieein Mensch nicht aussprechen darf. (5) Von eben jenem Menschen will ich rühmen; meiner selbst aber will ich mich nicht brüsten, nur von meiner Schwäche (könnte ich erzählen).
Wir müssen reden. Wir müssen reden über etwas, von dem selten die Rede ist in der evangelischen Kirche : über Gesichte, Offenbarungen undUnaussprechliches.
° Ich muss sagen, sagt der Paulus, ich muss wirklich sagen: so ein Christenleben ist noch nicht exakt das, was man sich unter dem Himmel auf Erden vorstellt. Grade der Apostelalltag ist nicht immer das reine Paradies. Einen guten Teil ihrer Zeit verbringen Geistliche heute beim Telefonieren, Protokollieren, Moderieren, Konferieren, Emailen und Twittern. All das gilt als ein Muss, auch wenns nichts nütze ist. Es gibt Tage zum aus-dem-Leib/-aus-der-Haut-Fahren, da gehen einem Worte durch den Kopf, dieein wohl erzogener Mensch nicht aussprechen darf.(Obwohl : nach einem derb evangelischen Fluch geht’s einem deutlich besser, und man kann sagen: Pardon, hab die Contenance verloren, ob ichnun im Leib oder außerhalb meines Leibes gewesen bin, ich weiß es nicht; Gott weiß es.)
° Zum Glück, sagt Paulus, gibt es noch andres in der Kirche. So will ich denn zu sprechen kommen auf die Gesichte und Offenbarungen. Die Kirche Jesu Christi, sagt er, ist zugleich etwas ganz Besonderes. Ein Schutzraum für Geheimnisse. Hier wird Zerbrechliches anvertraut, hier werden Gedanken offenbart, die nicht wie üblich gleich kommentiert und einsortiert und korrigiert und ge-wikileakt werden. Die Seelsorge ist ein Refugium, da werden Geschichten offenbart,unaussprechliche Worte, dieein Mensch nicht vor Dritten aussprechen mag. Natürlich ist das nichts, mit dem man angeben könnte, aber es ist Teil des Ganzen.
° Wir müssen reden, sagt der Paulus. Über eine Sache müssen wir reden, damit sie nicht völlig in Vergessenheit gerät. Ich weiß, wenn es Prahlerei wird, wäre es nichts nütze. Aber ich muss das erwähnen, weil es eben nicht nur meine Geschichte ist. So will ich denn kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn. ... Ich weiß einen Menschen-in-Christus - vor vierzehn Jahren wars, ob er Herr seiner Sinne war und sich irgendwo hin bewegt hat in seinem Leibe[1] … oder ob es ein ekstatisches Erlebnis war außerhalb des Leibes, ich weiß es nicht,Gott weiß es – wie auch immer:dieser Mensch wurde entrückt bis in den dritten Himmel.
Ich kenne einen Menschen-in-Christus, der wurde entrückt bis in den dritten Himmel... bis in den dritten Himmel... … Um Himmelswillen, was ist das denn für eine Geschichte! werden Sie denken. …Himmel[2]... Aus der Werbung wissen wir, dass es ´himmlische Vergnügen` gibt, und ´Himmelfahrtskommandos` und ´himmelhochjauchzende` Gefühlslagen und Popsong-Lyrik, die besingt, wie die Liebe in den Himmel versetzt („Heaven is a place on earth with you“, singt, etwas träge, der aktuelle Popstar Lana Del Rey). Wenn Dinge überirdisch schimmern und in Traumwelten versetzen, nennen wir sie „himmlisch“. Aber diese These lebt eben davon, dass Himmel etwas bezeichnet, was grundsätzlich außer Reichweite liegt. Der Himmel ist das für uns Erdenmenschen Unerreichbare. Kein Zutritt zu Lebzeiten. Bannmeile der Engel. Abgeschirmter Ort der ungefilterten Herrlichkeit Gottes[3]. Der Himmel ist Sphäre der Ewigkeit, in der keine Zeit mehr verstreicht. Im Himmel schart Gott all jene um sich, die gestorben sind und - auferweckt aus dem Tod - mit IHM leben, „ohne Tränen und ohne Leid und ohne weiteres Sterben“ (JohOffb21). Als der auferstandene Christus zum Himmel fährt, bleiben seine Jünger zurück und können ihm nicht folgen: „Eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg“ (Apg1:9). Himmel meint du-blickst-nicht-durch. Himmel ist ein Anderswo-nicht-hier. Himmel ist ein Irgendwann-nicht-jetzt.
Ja, das weiß ich, sagt der Paulus, aber vielleicht wissen wir nicht alles. Ich weiß einen Menschen-in-Christus, der ward entrückt bis in den dritten Himmel... Es ist mir weiß Gott bis heut nicht klar, ob es mich damals irgendwohin versetzt hat oder ob es eine rein geistige, ekstatische Erfahrung war. Tatsache ist: Gott hat mich ins Paradies schauen lassen. Ichhörte unaussprechliche Worte, dieein Mensch nicht aussprechen darf. Ich musste nicht erst sterben, um mit dem Himmel in Berührung zu kommen. Gott hob den Vorhang, und da war ER, unverkennbar, unüberhörbar. Wisst ihr, was ich glaube? sagt Paulus. Ich glaube, Himmel ist nur ein anderes Wort für Gott selbst. Himmel ist Gott-in-unmittelbarer-Nähe. Wenn ER uns nahe kommt und von allen Seiten umgibt (Psalm 139,Vers5). So haben wirs doch zu beten gelernt: Wohin soll ich fliehen vor dem Angesicht Gottes? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort … deine Rechte mich halten (Psalm 139:7-12). Nicht nur irgendwann mal, sondern schon jetzt. Nicht woanders, sondern hier. Das Himmelreich bewegt sich in der Person Jesu Christi auf uns zu. Wo er (ge)predigt (wird), heilt und lehrt, da ist Himmelreich mitten unter euch (LukasEvg 17:21)[4], da überlagern sich die Welten, wie eine Warmfront sich über eine Kaltfront schiebt, und Menschen spüren sich vom Atem Gottes gestreift und von Worten berührt… ich kenne einen Menschen in Christus, der ist Zeuge!
Jesus selbst überrascht seine Jünger mit paradoxen Hinweisen auf das Ineinandergreifen von Himmel und Erde. Auf der einen Seite endet die Phase der gehäuften Erscheinungen des Auferstandenen vor Pfingsten und qualifiziert so die Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt als etwas Besonderes. Auf der anderen Seite verspricht der Auferstandene: "Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen" (MatthEvg 16 Vers 18). Auf der einen Seite schickte der Auferstandene seine Jünger fort, hinaus in alle Himmelsrichtungen, in alle Welt, um alle Völker zu taufen und zu lehren, was er ihnen geboten hatte. Und zur gleichen Zeit verspricht er: Wo immer jeder einzelne von euch sich befindet - ich bin bei euch, alle Zeit, bis ans Ende der Welt" (MatthEvg 28 Verse 18-20). Wie ist das möglich, fragt die Logik, dass einer zum Himmel gefahren ist, irgendwie fort, außer Reichweite, in einer Sphäre, die wir nicht betreten können - und zur selben Zeit scheint er neben uns, unter uns, bei uns, in uns, hinter uns und uns voraus, präsent im gepredigten Wort und in den Gesten des Abendmahls... ? Da irgendwo oben fern und unbekannt ist Gott - und wir sind hier, dazwischen kurze Momente der Nähe, Bruchteile von Sekunden, wo man spürt, da ist wer; Begegnungen, die sich nicht in Worte fassen lassen, aber einen tiefen Eindruck hinterlassen, den man seinen Lebtag nicht vergisst. Ich kenne einen Menschen in Christo - der war entrückt bis an den dritten Himmel ... Ich kenne einen Menschen, der war entrückt in das Paradies ... und hörte Dinge, die kein Mensch in Worte fassen soll... Der Versuch und die Unmöglichkeit, solche Parallelwirklichkeit zu beschreiben, durchzieht das Neue wie das genannte Alte Testament.
Liebe Gemeinde, die erfahrenen Johanneskirchler werden jetzt unruhig. So kennen wir den Paulus gar nicht! Sonst ist der doch so nüchtern und vernünftig und auf Sicherheitsabstand zu allem, was da schwärmerisch-pfingstlernd daherkommt (1.Korinther 15:34). Was geht hier vor ?!
Liebe Gemeinde, ich glaube, genau das ist die Frage, die der Paulus heute Morgen an uns richtet: Was geht vor in dieser Welt? Kennt das wer, dass sich Himmel und Erde so nah kommen, dass wir es merken? Kennt das sonst noch wer, dass sich zwei Welten berühren und begegnen? Weiß jemand, wovon der Paulus spricht, wenn er vom Himmel redet, als wären Himmel und Erde parallele Welten mit schmalen Durchlässen und angelehnten Fenstern…und der eine sieht´s und für den andern existiert´s nicht - ?
Nach meiner (leicht nostalgischen) Erinnerung war unsere Schulzeit noch eine ziemlich sorglose. Man hatte nachmittags frei und lernte was man wissen musste, ganz ohne Leistungskurse, rechnete mit dem Rechenschieber und verbrachte auf einem der letzten Feuerzangenbowlennurjungsgymnasien herrlich unernste Jahre. Ein paar, die gar nichts ernst nahmen, nahmen Drogen, damals, so unreif waren einige dann doch. Ein Klassenkamerad machte da eine regelrechte Karriere, stieg mit leichten holländischen Rauchwaren ein und dann in die Klasse der synthetischen Chemikalien auf, bis eines Tages nicht mehr der Himmel aufging, sondern die Hölle losbrach. Aus Lässigkeit wurde Entzugsangst und Beschaffungskriminalität. Er blieb tagelang zugedröhnt dem Unterricht fern. Irgendwann kam er gar nicht mehr, ´abgegangen`, hieß es. - Im Abiturjahr, Anfang Juni, als alle Prüfungen absolviert waren und Pennäler in Eiscafés sitzen und sich großer Taten rühmen (wie sie sich ohne die geringste Sachkenntnis, durch pure Schlitzohrigkeit, durch mündliche Prüfungen gemogelt hatten), gerade als Details der AbiturParty zusammen mit der Abschlussklasse des benachbarten Mädchengymnasiums durchgesprochen wurden, da schob sich besagter Schulkamerad heran. Alle drehten sich um, schauten ungläubig, jedes Lachen erstarb: Der Junge war entstellt, man konnte ihn kaum wiedererkennen. Versteinert sein Gesicht. Die Haare wild und schmutzig. Bei Frühsommer-T-Shirt-Temperaturen stand er da im dicken Parka mit einem fünf-Meter-Schal in mehreren Lagen um den Hals gewunden, als friere er. Gram gebeugt, wie nach einem Schlaganfall, schaute er durch uns hindurch wie aus unendlicher Entfernung, ohne Wiedererkennen. Für die einen wars ein himmlischer Samstag in der besten Zeit des Lebens. Er stand bewegungslos da, die Himmel-Synapsen im Hirn von all den Drogen durchgetrennt. Keinen Blick für das Licht, keinen Sinn für das, was um ihn vor sich ging, verkapselt in abgrundtiefer Melancholie. Das Leben war bildschön, und er merkte nichts davon!
So furchtbar dieses Bild bis heute geblieben ist, es hat mir geholfen, Bibelgeschichten zu lesen. Was wäre, wenn Gott uns umgibt wie das Sonnenlicht die Eiscaféschüler im Juni, und unsere Sinne sehen IHN nur nicht? Was, wenn das Himmelslicht strahlt und wir sind durch unsere inneren Schatten abgeschirmt wie in einem schwarzen Sack? Was, wenn es in dieser Welt Himmlisches und Herrlichkeit und Wunder gäbe, und wir sind völlig fokussiert auf das, was gerade nicht so gut ist, und was uns fehlt und wir gerne noch hätten? Seht ihr, sagt der Paulus heute Morgen, deswegen muss gerühmt werden. Deswegen muss ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn, sagt er. Und euch mitnehmen und kurz entrücken bis in den dritten Himmel. Und zeigen, wer uns nah ist. Und wenn ihr´s nicht seht, dass Ihrs wenigstens wisst und danach sucht, dass ihr bemerkt, wenn es passiert : Himmel, das ist Gott, näher als wir meinen.
HERR, von allen Seiten umgibst Du mich
und hältst Deine Hand über mir.
Führe ich gen Himmel, so bist Du da.
Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist Du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort Deine Hand mich führen
und Deine Rechte mich halten. ...
- Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch,
begreifen kann ich sie nicht. ... Aber was macht das schon,
am Ende meines Lateins bin ich noch immer bei Dir.
(aus Psalm 139)
Amén.
[1]In griechischen Intellektuellen-Kreisen kursierten Meinungen, wonach die Seele in der Ekstase den Körper verlassen und anschließend wieder in ihn zurückkehren kann (so Platon, Politeia X, 614-621), gewissermaßen out-of-body-experience, die man mit Meditationstechniken herbei führen kann. Im Judentum, das die Trennung von Leib und Seele nicht vertrat, gab es dem gegenüber die Überzeugung, dass man "im Leib" die Dinge der himmlischen Welt erfahren konnte (vgl. Testamentum Abraham B 8, die Weisung Gottes an den Erzengel Michael: "Geh und nimm Abraham im Körper auf und zeige ihm alles"). Paulus macht dazu eine - vielleicht ironische - Seitenbemerkung: Es ist doch völlig gleich, ob nun im Leib oder außerhalb, es kommt nicht auf die Technik an... .
[2]Im Hebräischen, der Gebetssprache in Israel zu Jesu Zeiten, ist "Himmel" ein Pluralwort - haSchammájjim / die Himmel – vielleicht um deutlich zu machen, dass es Wesenheiten verschiedener Gottesnähe in den Himmel gebe, und um das Phänomen "Himmel" in all seiner Vielschichtigkeit und Hintergründigkeit offen zu halten. Auch Jesus verwendet diese Mehrzahlform im Vater-Unser-Gebet, wo es wörtlich übersetzt heißt: "Unser Vater in den Himmeln (Avínu beSchammajjim, oder Aramäisch: Avún d´Waschammájja), geheiligt werde Dein Name..."
[3]Man lese dazu Jesaja 6, die Thronsaal-Vision
[4]Nicht nur in den Taten Jesu bricht das Himmelreich auf, auch andere Menschen lassen in ihrem Glauben und Verhalten den Himmel aufleuchten. Wann immer man (das Joch der) Herrschaft-der-Himmel (die Malechút haSchammájjim) auf seine Schultern nehme, wo immer man die Gebote Gottes lebt, die Gegenwart Gottes auf, lehrten die Rabbinen wie die Christen.
2.Korintherbrief, Kapitel 12
Geprahlt werden muss, so predigt uns der Apostel Paulus. Gerühmt werden muss, auch wenn´s (vielleicht) nichts nütze (scheint). So will ich denn (zu sprechen) kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn, sagt er. ... (2) Ich weiß einen Menschen-in-Christus - vor vierzehn Jahren wars, ob er sich nun in seinem Leibe befand, ich kann´s nicht sagen, oder (ob es ein ekstatisches Erlebnis war) außerhalb des Leibes, ich weiß es nicht,Gott weiß es - der wurde entrückt bis in den dritten Himmel. (3) Und ich weiß von demselben Menschen - ob er nun im Leib oder außerhalb seines Leibes gewesen ist, ich weiß es nicht,Gott weiß es - (4) dass er entrückt wurde ins Paradies und hörte unaussprechliche Worte, dieein Mensch nicht aussprechen darf. (5) Von eben jenem Menschen will ich rühmen; meiner selbst aber will ich mich nicht brüsten, nur von meiner Schwäche (könnte ich erzählen).
Wir müssen reden. Wir müssen reden über etwas, von dem selten die Rede ist in der evangelischen Kirche : über Gesichte, Offenbarungen undUnaussprechliches.
° Ich muss sagen, sagt der Paulus, ich muss wirklich sagen: so ein Christenleben ist noch nicht exakt das, was man sich unter dem Himmel auf Erden vorstellt. Grade der Apostelalltag ist nicht immer das reine Paradies. Einen guten Teil ihrer Zeit verbringen Geistliche heute beim Telefonieren, Protokollieren, Moderieren, Konferieren, Emailen und Twittern. All das gilt als ein Muss, auch wenns nichts nütze ist. Es gibt Tage zum aus-dem-Leib/-aus-der-Haut-Fahren, da gehen einem Worte durch den Kopf, dieein wohl erzogener Mensch nicht aussprechen darf.(Obwohl : nach einem derb evangelischen Fluch geht’s einem deutlich besser, und man kann sagen: Pardon, hab die Contenance verloren, ob ichnun im Leib oder außerhalb meines Leibes gewesen bin, ich weiß es nicht; Gott weiß es.)
° Zum Glück, sagt Paulus, gibt es noch andres in der Kirche. So will ich denn zu sprechen kommen auf die Gesichte und Offenbarungen. Die Kirche Jesu Christi, sagt er, ist zugleich etwas ganz Besonderes. Ein Schutzraum für Geheimnisse. Hier wird Zerbrechliches anvertraut, hier werden Gedanken offenbart, die nicht wie üblich gleich kommentiert und einsortiert und korrigiert und ge-wikileakt werden. Die Seelsorge ist ein Refugium, da werden Geschichten offenbart,unaussprechliche Worte, dieein Mensch nicht vor Dritten aussprechen mag. Natürlich ist das nichts, mit dem man angeben könnte, aber es ist Teil des Ganzen.
° Wir müssen reden, sagt der Paulus. Über eine Sache müssen wir reden, damit sie nicht völlig in Vergessenheit gerät. Ich weiß, wenn es Prahlerei wird, wäre es nichts nütze. Aber ich muss das erwähnen, weil es eben nicht nur meine Geschichte ist. So will ich denn kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn. ... Ich weiß einen Menschen-in-Christus - vor vierzehn Jahren wars, ob er Herr seiner Sinne war und sich irgendwo hin bewegt hat in seinem Leibe[1] … oder ob es ein ekstatisches Erlebnis war außerhalb des Leibes, ich weiß es nicht,Gott weiß es – wie auch immer:dieser Mensch wurde entrückt bis in den dritten Himmel.
Ich kenne einen Menschen-in-Christus, der wurde entrückt bis in den dritten Himmel... bis in den dritten Himmel... … Um Himmelswillen, was ist das denn für eine Geschichte! werden Sie denken. …Himmel[2]... Aus der Werbung wissen wir, dass es ´himmlische Vergnügen` gibt, und ´Himmelfahrtskommandos` und ´himmelhochjauchzende` Gefühlslagen und Popsong-Lyrik, die besingt, wie die Liebe in den Himmel versetzt („Heaven is a place on earth with you“, singt, etwas träge, der aktuelle Popstar Lana Del Rey). Wenn Dinge überirdisch schimmern und in Traumwelten versetzen, nennen wir sie „himmlisch“. Aber diese These lebt eben davon, dass Himmel etwas bezeichnet, was grundsätzlich außer Reichweite liegt. Der Himmel ist das für uns Erdenmenschen Unerreichbare. Kein Zutritt zu Lebzeiten. Bannmeile der Engel. Abgeschirmter Ort der ungefilterten Herrlichkeit Gottes[3]. Der Himmel ist Sphäre der Ewigkeit, in der keine Zeit mehr verstreicht. Im Himmel schart Gott all jene um sich, die gestorben sind und - auferweckt aus dem Tod - mit IHM leben, „ohne Tränen und ohne Leid und ohne weiteres Sterben“ (JohOffb21). Als der auferstandene Christus zum Himmel fährt, bleiben seine Jünger zurück und können ihm nicht folgen: „Eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg“ (Apg1:9). Himmel meint du-blickst-nicht-durch. Himmel ist ein Anderswo-nicht-hier. Himmel ist ein Irgendwann-nicht-jetzt.
Ja, das weiß ich, sagt der Paulus, aber vielleicht wissen wir nicht alles. Ich weiß einen Menschen-in-Christus, der ward entrückt bis in den dritten Himmel... Es ist mir weiß Gott bis heut nicht klar, ob es mich damals irgendwohin versetzt hat oder ob es eine rein geistige, ekstatische Erfahrung war. Tatsache ist: Gott hat mich ins Paradies schauen lassen. Ichhörte unaussprechliche Worte, dieein Mensch nicht aussprechen darf. Ich musste nicht erst sterben, um mit dem Himmel in Berührung zu kommen. Gott hob den Vorhang, und da war ER, unverkennbar, unüberhörbar. Wisst ihr, was ich glaube? sagt Paulus. Ich glaube, Himmel ist nur ein anderes Wort für Gott selbst. Himmel ist Gott-in-unmittelbarer-Nähe. Wenn ER uns nahe kommt und von allen Seiten umgibt (Psalm 139,Vers5). So haben wirs doch zu beten gelernt: Wohin soll ich fliehen vor dem Angesicht Gottes? Führe ich gen Himmel, so bist du da. Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da. Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort … deine Rechte mich halten (Psalm 139:7-12). Nicht nur irgendwann mal, sondern schon jetzt. Nicht woanders, sondern hier. Das Himmelreich bewegt sich in der Person Jesu Christi auf uns zu. Wo er (ge)predigt (wird), heilt und lehrt, da ist Himmelreich mitten unter euch (LukasEvg 17:21)[4], da überlagern sich die Welten, wie eine Warmfront sich über eine Kaltfront schiebt, und Menschen spüren sich vom Atem Gottes gestreift und von Worten berührt… ich kenne einen Menschen in Christus, der ist Zeuge!
Jesus selbst überrascht seine Jünger mit paradoxen Hinweisen auf das Ineinandergreifen von Himmel und Erde. Auf der einen Seite endet die Phase der gehäuften Erscheinungen des Auferstandenen vor Pfingsten und qualifiziert so die Zeit zwischen Ostern und Himmelfahrt als etwas Besonderes. Auf der anderen Seite verspricht der Auferstandene: "Wenn zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, bin ich mitten unter ihnen" (MatthEvg 16 Vers 18). Auf der einen Seite schickte der Auferstandene seine Jünger fort, hinaus in alle Himmelsrichtungen, in alle Welt, um alle Völker zu taufen und zu lehren, was er ihnen geboten hatte. Und zur gleichen Zeit verspricht er: Wo immer jeder einzelne von euch sich befindet - ich bin bei euch, alle Zeit, bis ans Ende der Welt" (MatthEvg 28 Verse 18-20). Wie ist das möglich, fragt die Logik, dass einer zum Himmel gefahren ist, irgendwie fort, außer Reichweite, in einer Sphäre, die wir nicht betreten können - und zur selben Zeit scheint er neben uns, unter uns, bei uns, in uns, hinter uns und uns voraus, präsent im gepredigten Wort und in den Gesten des Abendmahls... ? Da irgendwo oben fern und unbekannt ist Gott - und wir sind hier, dazwischen kurze Momente der Nähe, Bruchteile von Sekunden, wo man spürt, da ist wer; Begegnungen, die sich nicht in Worte fassen lassen, aber einen tiefen Eindruck hinterlassen, den man seinen Lebtag nicht vergisst. Ich kenne einen Menschen in Christo - der war entrückt bis an den dritten Himmel ... Ich kenne einen Menschen, der war entrückt in das Paradies ... und hörte Dinge, die kein Mensch in Worte fassen soll... Der Versuch und die Unmöglichkeit, solche Parallelwirklichkeit zu beschreiben, durchzieht das Neue wie das genannte Alte Testament.
Liebe Gemeinde, die erfahrenen Johanneskirchler werden jetzt unruhig. So kennen wir den Paulus gar nicht! Sonst ist der doch so nüchtern und vernünftig und auf Sicherheitsabstand zu allem, was da schwärmerisch-pfingstlernd daherkommt (1.Korinther 15:34). Was geht hier vor ?!
Liebe Gemeinde, ich glaube, genau das ist die Frage, die der Paulus heute Morgen an uns richtet: Was geht vor in dieser Welt? Kennt das wer, dass sich Himmel und Erde so nah kommen, dass wir es merken? Kennt das sonst noch wer, dass sich zwei Welten berühren und begegnen? Weiß jemand, wovon der Paulus spricht, wenn er vom Himmel redet, als wären Himmel und Erde parallele Welten mit schmalen Durchlässen und angelehnten Fenstern…und der eine sieht´s und für den andern existiert´s nicht - ?
Nach meiner (leicht nostalgischen) Erinnerung war unsere Schulzeit noch eine ziemlich sorglose. Man hatte nachmittags frei und lernte was man wissen musste, ganz ohne Leistungskurse, rechnete mit dem Rechenschieber und verbrachte auf einem der letzten Feuerzangenbowlennurjungsgymnasien herrlich unernste Jahre. Ein paar, die gar nichts ernst nahmen, nahmen Drogen, damals, so unreif waren einige dann doch. Ein Klassenkamerad machte da eine regelrechte Karriere, stieg mit leichten holländischen Rauchwaren ein und dann in die Klasse der synthetischen Chemikalien auf, bis eines Tages nicht mehr der Himmel aufging, sondern die Hölle losbrach. Aus Lässigkeit wurde Entzugsangst und Beschaffungskriminalität. Er blieb tagelang zugedröhnt dem Unterricht fern. Irgendwann kam er gar nicht mehr, ´abgegangen`, hieß es. - Im Abiturjahr, Anfang Juni, als alle Prüfungen absolviert waren und Pennäler in Eiscafés sitzen und sich großer Taten rühmen (wie sie sich ohne die geringste Sachkenntnis, durch pure Schlitzohrigkeit, durch mündliche Prüfungen gemogelt hatten), gerade als Details der AbiturParty zusammen mit der Abschlussklasse des benachbarten Mädchengymnasiums durchgesprochen wurden, da schob sich besagter Schulkamerad heran. Alle drehten sich um, schauten ungläubig, jedes Lachen erstarb: Der Junge war entstellt, man konnte ihn kaum wiedererkennen. Versteinert sein Gesicht. Die Haare wild und schmutzig. Bei Frühsommer-T-Shirt-Temperaturen stand er da im dicken Parka mit einem fünf-Meter-Schal in mehreren Lagen um den Hals gewunden, als friere er. Gram gebeugt, wie nach einem Schlaganfall, schaute er durch uns hindurch wie aus unendlicher Entfernung, ohne Wiedererkennen. Für die einen wars ein himmlischer Samstag in der besten Zeit des Lebens. Er stand bewegungslos da, die Himmel-Synapsen im Hirn von all den Drogen durchgetrennt. Keinen Blick für das Licht, keinen Sinn für das, was um ihn vor sich ging, verkapselt in abgrundtiefer Melancholie. Das Leben war bildschön, und er merkte nichts davon!
So furchtbar dieses Bild bis heute geblieben ist, es hat mir geholfen, Bibelgeschichten zu lesen. Was wäre, wenn Gott uns umgibt wie das Sonnenlicht die Eiscaféschüler im Juni, und unsere Sinne sehen IHN nur nicht? Was, wenn das Himmelslicht strahlt und wir sind durch unsere inneren Schatten abgeschirmt wie in einem schwarzen Sack? Was, wenn es in dieser Welt Himmlisches und Herrlichkeit und Wunder gäbe, und wir sind völlig fokussiert auf das, was gerade nicht so gut ist, und was uns fehlt und wir gerne noch hätten? Seht ihr, sagt der Paulus heute Morgen, deswegen muss gerühmt werden. Deswegen muss ich kommen auf die Gesichte und Offenbarungen des Herrn, sagt er. Und euch mitnehmen und kurz entrücken bis in den dritten Himmel. Und zeigen, wer uns nah ist. Und wenn ihr´s nicht seht, dass Ihrs wenigstens wisst und danach sucht, dass ihr bemerkt, wenn es passiert : Himmel, das ist Gott, näher als wir meinen.
HERR, von allen Seiten umgibst Du mich
und hältst Deine Hand über mir.
Führe ich gen Himmel, so bist Du da.
Bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist Du auch da.
Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,
so würde auch dort Deine Hand mich führen
und Deine Rechte mich halten. ...
- Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch,
begreifen kann ich sie nicht. ... Aber was macht das schon,
am Ende meines Lateins bin ich noch immer bei Dir.
(aus Psalm 139)
Amén.
[1]In griechischen Intellektuellen-Kreisen kursierten Meinungen, wonach die Seele in der Ekstase den Körper verlassen und anschließend wieder in ihn zurückkehren kann (so Platon, Politeia X, 614-621), gewissermaßen out-of-body-experience, die man mit Meditationstechniken herbei führen kann. Im Judentum, das die Trennung von Leib und Seele nicht vertrat, gab es dem gegenüber die Überzeugung, dass man "im Leib" die Dinge der himmlischen Welt erfahren konnte (vgl. Testamentum Abraham B 8, die Weisung Gottes an den Erzengel Michael: "Geh und nimm Abraham im Körper auf und zeige ihm alles"). Paulus macht dazu eine - vielleicht ironische - Seitenbemerkung: Es ist doch völlig gleich, ob nun im Leib oder außerhalb, es kommt nicht auf die Technik an... .
[2]Im Hebräischen, der Gebetssprache in Israel zu Jesu Zeiten, ist "Himmel" ein Pluralwort - haSchammájjim / die Himmel – vielleicht um deutlich zu machen, dass es Wesenheiten verschiedener Gottesnähe in den Himmel gebe, und um das Phänomen "Himmel" in all seiner Vielschichtigkeit und Hintergründigkeit offen zu halten. Auch Jesus verwendet diese Mehrzahlform im Vater-Unser-Gebet, wo es wörtlich übersetzt heißt: "Unser Vater in den Himmeln (Avínu beSchammajjim, oder Aramäisch: Avún d´Waschammájja), geheiligt werde Dein Name..."
[3]Man lese dazu Jesaja 6, die Thronsaal-Vision
[4]Nicht nur in den Taten Jesu bricht das Himmelreich auf, auch andere Menschen lassen in ihrem Glauben und Verhalten den Himmel aufleuchten. Wann immer man (das Joch der) Herrschaft-der-Himmel (die Malechút haSchammájjim) auf seine Schultern nehme, wo immer man die Gebote Gottes lebt, die Gegenwart Gottes auf, lehrten die Rabbinen wie die Christen.
Perikope